Wo treffen wir einander?
Winterthur?
Zürich?
«Nein», sagte er. «BASEL. Im Trois Rois!»
So hielt ich in der Bar also ein Plätzchen warm.
War nicht einfach. Denn das Kaminfeuer lockte zur Apéro-Zeit die Gäste an den Tresen, wie die Glühlampe den Mottenschwarm zum Brennpunkt.
Er schickt noch rasch eine SMS: «Bin 15 Minuten zu spät. Nehme den ÖVau.»
Und da winkte er auch schon mit seinem etwas biederen Schultertäschchen und einem Knirps (Regenschirm) an der Hand: der kleine grosse Mann der Schweizer Satire. Er macht uns den Sonntagabend am Fernsehen – und er gibt immer noch einen drauf: Viktor Giacobbo.
Er ist nach unserem Interview zu einem Coq au Vin eingeladen. Hat noch nichts im Magen. Und hoovert gleich mal die Appetithäppchen von der Platte: «Habe Kohldampf, mein Lieber…»
Er taxiert mich kritisch. Dann zieht er auch meine Häppchen rein. «Du kannst es vertragen…»
Ich vermute mal, dass Mike Müller neben ihm kein leichtes Brot hat.
Weshalb das «Drei Könige»?
«Für mich ist es das schönste renovierte Traditionshotel der Schweiz – hier habe ich bei meiner Circus-Knie-Tournee (ich wohnte ja im Wohnwagen) als Fredi Hinz eine Pressekonferenz gegeben. Gegensätze haben mich schon immer interessiert.»
Das «Trois Rois» ist also ein kleines Mosaiksteinchen in seinem irrbunten Lebensbild geworden. Er hat seine jungen Jahre in Winterthur verbracht.
«Nun ja – am Rande der Stadt. Mein Vater arbeitete als Metzger, meine Mutter als Damen-Konfektions-Verkäuferin. Ich habe auch einen neun Jahre älteren Bruder. Bin so eigentlich wie ein Einzelkind aufgewachsen – und habe das sehr genossen. Ich bin heute noch so etwas wie ein Einzelkind. Ich brauche meinen Freiraum.»
Du hattest mehrere Beziehungen und auch immer wieder Phasen eines Sologängers.
«Ja. Und ich war dabei eigentlich immer rundum happy. Ich bin zwar ein sozialer Mensch, aber ich komme ebenso gut mit mir alleine zurecht. Wenn sich beides die Waage hält, bin ich echt zufrieden.»
Und die gegenwärtige Beziehung? Über die weiss man bei Giaccobo zero. Weshalb?
«Ich schütze mein Privatleben und besuche auch keine Glamour- und Promi-Anlässe. Ich gebe genügend von mir preis … Sonntag für Sonntag. Daneben will ich noch ein bisschen meine eigene Sphäre bewahren.»
Klar. Sorry. Tu einfach als hätte ich nicht gefragt. Also zurück zur Jugend –du hast den Beruf eines Schriftsetzers gelernt.
«Die Kombination von Form und Inhalt zog mich an. Typografien, ein schön gemachtes Buch – das fasziniert mich heute noch. Ebenso ein packender Inhalt. Dennoch war für mich schon als kleiner Bub klar, dass ich auf die Bühne wollte. Ich liebte es, die Menschen zu unter halten, ohne dass sie dabei das Hirn abschalten müssen. Und zwar mit Material, das ich im realen Leben fand. Früher habe ich meine Tante oder den Lehrer imitiert – heute liefern mir Politiker die Vorlage. Dieter Hildebrand war da mein Vorbild, mein Idol.»
Also die Lach- und Schiessgesellschaft?
«Ja. Wir hatten zuerst keinen Fernseher. Deshalb zwang ich meine Eltern, mit mir den Fernseher meiner Tante zu okkupieren, um dort Kabarettsendungen zu schauen. Auch Silvester waren wir dort, um uns Hildebrands legendäres ‹Schimpf vor 12› reinzuziehen.»
Also war die satirische Laufbahn programmiert?
«Das nun gerade nicht. Ich trat als Pfadfinder bei den ‹Wölfli› und an Elternabenden auf. Später gründete ich mehrere erfolglose Gruppierungen, bis es dann mit der Rock-Comedy-Formation ‹Stuzzicadenti› zu einer Schweizer Tournee reichte. Darauf schrieb und spielte ich noch bei der letzten Produktion des legendären ‹Zampanoo’s Variété› mit.»
Und als Typograf hast du gar nie gearbeitet?
Er zuckt mit den Schultern.
«Nicht wirklich. Ich war bald einmal Korrektor und Lektor. Schrieb Texte. Dann holte mich Ueli Heiniger als satirischer Kommentator in seine Sendung ‹Medienkritik›. Das hat die TV-Chefs in der Folge ermutigt, mit mir die Sendung ‹Viktors Programm› und ‹Spätprogramm› zu wagen…»
…und damit wären wir bei deinen grossen Kunstfiguren wie Harry Hasler, Fredi Hinz oder auch Debbie Mötteli. Also Letztere ist ja bereits Kult. Hat gar eine Knie-Tournee mitgemacht. Und lehrt der abgefucktesten Drag Queen das Bauchflattern – hast du einen Hang zur Travestie?
Nun lacht er schallend. «Ist ja klar, dass du mir diese Frage stellen musst. Das fragt man mich immer aus der Gay- Szene. NEIN. ICH BIN KEIN VERKAPPTER TRANSVESTIT, wenn du das meinst. Ich war auch nie als Frau an der Fasnacht. Frauenfiguren haben bei mir denselben Stellenwert wie Harry Hasler oder meinetwegen Ueli Maurer. Debbie ist geschwätzig und nicht die Allerhellste – eigentlich liegt mir die etwas dezentere, ältere Eleonor Giebler, die ich an Mikes Seite spiele, näher.»
Irgendwie machst du dich ja über gewisse Menschenschattierungen mittels deiner Figuren lustig – gabs da nie Schwierigkeiten? Ich meine, wenn du den Italiener Benelli mit seinem schlechten Deutsch («Chasche nitte mache») oder den Türken Örkan als Waffenhändler überdreht zeichnest – schlucken das alle?
«Nun – mittlerweile hat sich wohl herumgesprochen, dass sich die Sendung an Satireliebhaber richtet. Aber Christoph Mörgeli hat tatsächlich mal die Anti-Rassismus-Kommission auf mich gehetzt – natürlich weil er die provozieren wollte. Und die haben dann befunden, ich solle bei meinen Kunstfiguren auch ein paar menschliche Züge herausstreichen…»
Und dann?
«…ja und dann habe ich bei der ersten Sendung das bekannt gegeben und erklärt, Herr Blocher solle doch bei seiner Kunstfigur Mörgeli auch einmal ein paar menschliche Züge herausstreichen.»
War sicher ein Brüller. Aber Woche für Woche ein neues Programm – wie schaffst du das? Die Texte schreibst du ja auch selber und…
«Ich schreibe nicht alles selber. Die Sketche schreiben Mike Müller, Chefautor Domenico Blass und ich. Daneben haben wir Pointenzulieferer. Sie schicken uns Vorschläge – und wenn wir sie nehmen, werden sie dafür honoriert.»
Und mit Mike – keine Neidhammel- dramen wer die besseren Pointen bekommt?
Nun bekommt er wieder den schwärmerischen Blick:
«Nein. So gut wie wir aufeinander abgestimmt sind, so neidlos sind wir – es gibt keinerlei Prestige-Auseinandersetzungen. Und manchmal sind wir schon fast wie ein altes Ehepaar. Wenn wir am Telefon tratschen (und das mindestens einmal am Tag) verdrehen unsere Partnerinnen die Augen: ‹Die beiden Quasselweiber!› Aber weil wir uns so gut verstehen, können wir auch live improvisieren.»
Du hast einmal einen Schlusspunkt gesetzt: «Jetzt ist genug!» – und fünf Jahre Fernseh-Pause gemacht.
«Ja. Und dies obwohl sich damals das ‹Spätprogramm› auf einem Quotenhoch befand. Führende Personen der SRG warnten mich: ‹Du bist dann aber schnell weg vom Fenster.› Ich verspürte jedoch einfach deutlich weniger Lust, weiterhin Fernsehen zu machen. Als einfache Fernsehpause war das nicht gedacht.»
Er nippt an seinem Glas:
«Ich habe die Zeit genutzt, andere Projekte zu realisieren. Da war beispielsweise die Zirkussaison bei Knie – das war eines meiner tollsten Erlebnisse. Und die ultimative Live-Erfahrung – man spielt manchmal zwei Mal am Tag vor über 2000 Menschen live…»
…und alles auf dem Rücken eines Kamels?
«Stimmt. Und mit Meniskus-Schaden. Die haben mich mit meinem frisch operierten Knie jeweils auf das Tier gehoben. Aber auch so hats Spass gemacht: Fredy Knie hat das Kamel unter Kontrolle gehalten – ich habe als Fredi Hinz den Dompteur gespielt. Und bin am Schluss verkehrtrum auf dem Tier rausgeritten. Dazu habe ich gleichzeitig auf der Blockflöte noch ‹Blowin in the Wind› gedüdelt … das alles mit lädiertem Meniskus und kaputtem Bein.»
Zwischenfrage. Kannst du auch andere Instrumente?
«Nein. Sie haben mich als Kind in die Blockflötenschule geprügelt. Auf dem Kamel konnte ich zum ersten Mal sagen: Es hat sich zumindest für diesen Auftritt gelohnt.»
Und deine Ausflüge in die Filmbranche – was macht hier die Faszination aus. Was ist der Unterschied zu Fern sehen oder Bühne?
«Im Gegensatz zur Fernsehsendung kann man auf der Theaterbühne, vor allem aber im Film eine längere Geschichte erzählen. Bei ‹Ernstfall in Havanna› hat mich vor allem die Story über den Schweizer Diplomaten in Kuba interessiert. Ich fand nicht von Anfang an, dass es jetzt von mir auch einen Film geben müsse – aber die Arbeit mit der Regisseurin Sabine Boss in Santo Domingo hat Spass gemacht.»
Und erfolgreich war der Film ja auch noch!
«Gut. Hoffen wir das vom Neusten auch. Den haben wir abgedreht. Er ist nun im Schneideraum am Werden.»
Er heisst «Der grosse Kanton» – worum, geht es da?
«Um die Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz. Ich habe über dieses Thema mit Schweizer und deutschen Politikern gesprochen – auch mit Joschka Fischer und Frank Walter Steinmeier.»
Wann kommt der Film ins Kino?
«Ich bin jetzt am Schneiden. Das ist das Wichtigste – der gute Schnitt. Ich vermute, dass wir im April Premiere haben werden.»
Und dann ist da auch noch das Casinotheater.
«Ja. Das Casinotheater Winterthur besteht jetzt seit über zehn Jahren. Als Konzept ist es immer noch einzigartig: ein nicht subventioniertes Theater mit Res taurant und Eventbetrieb. Etwa 30 Künstler sind mit Aktien beteiligt – dann viele Gönner und Freunde…»
Er lacht:
«…und da war zu Beginn ja auch ein bisschen Bebbi-Luft im Spiel: Mit dem Basler und damaligen Quereinsteiger Paul Burkhalter als künstlerischer Leiter sind wir zu einer der ersten Adressen der deutschsprachigen Komik- und Kleinkunstszene geworden.»
Man sagt gar, dass Winterthur seither boomt.
«Ja. Es ist eine Stadt, die sich sehr gewandelt und verjüngt hat … und in guter Distanz zu Zürich.»
Den letzten Satz kann man auch satirisch verstehen. Zumindest aus Basler Sicht.
Es ist Zeit für den Coq au Vin. Wir machen uns auf zur Drehtür. Im Foyer des «Trois Rois» ist ein Empfang. Und die Menschen lächeln plötzlich hinter ihren Champagner-Flûtes, als sie Giacobbo mit seinem Knirps in der Hand entdecken.
Na also – diesen Wunsch hatte er schon als kleiner Bub: «Ich wollte die Menschen einfach zum Lachen bringen…»
Was Viktor Giacobbo mag
Bücher: «Gute und typografisch schön gemachte.»
News: «Ich bin ein News-Junkie.»
Essen: «Thailändische und mediterrane Küche.»
Kaffee: «Ich habe daheim dieselbe Kaffeemaschine wie in der Sendung.»
Verabscheut: «Journalistische Fragen über mein Privatleben.»