Kurt Koch

Das Problem: wie bekomme ich ihn?
Immerhin lebt er in einer andern Welt. Und dort sind die Briefträger Engel.
Franz Sabo hilft. Ich erinnere mich, dass da mal die grosse Auseinandersetzung Koch-Sabo war. Alles gegessen. Vorbei. Die beiden haben die Versöhnung im gemeinsamen Gottesdienst gefeiert. Und Sabo erklärt: «Wir stehen im Kontakt. Auch seit er in Rom ist. Aber ich kann da nicht einfach seine Adresse rausrücken. Er wird sich melden, wenn er einverstanden ist …»
Koch meldete sich innerhalb eines Tages: «Sie suchen mich?»
Nun kommt das zweite Problem: wie spreche ich ihn an?
Auf dem Briefbogen steht S.E.: Seine Eminenz.
Aber eigentlich ist er ja der Ökumeneminister des Papstes. Also Herr Minister? Oder einfach nur Professor Koch? Das wäre dann aber wohl doch zu simpel …»
«Wir treffen uns an der Via delle Fornaci 17 - im «Vittoria» so gibt Kardinal Koch den Treffpunkt im Römischen Ristorante durch.
Die kleine Beiz liegt am Rücken der Vatikanstadt. Unscheinbar. Sympathisch. Keine Touristen-Lampengirlanden. Und nur ein paar Tische auf dem Trottoir. Wir flüchten ins Innere - denn es ist einer dieser hitzigen Altweiber-Sommertage in der ewigen Stadt. Also: 32 Grad.
«Il Cardinale Svizzero?» – der Besitzer strahlt auf wie die frühe Morgensonne: «noch ist er nicht hier. Aber er wird sicher bald kommen …»
Natürlich. Wir sind eine halbe Stunde zu früh. Und haben so Zeit uns im «Vittoria» umzuschauen.
Das Interieur ist einzig. Fast schon skurril: an der Backstein-Decke geben weisse Propeller ihr Letztes, um etwas Kühle zu spenden. Von den Wänden lächeln Papa Ratzinger und sein Vorgänger in Multicolor. Eine Schweizer Kuhglocke mit eingegossenem Foto schwebt über allem - ein bisschen wie der eidgenössische Heilige Geist in diesem Ristorante. Denn man spürt bald: hier sind die Schweizer daheim. Zumindest die Schweizer Gardisten des Papstes. Sie hangen gerahmt an der Wand - eine bunte Fotofolge mit den Protagonisten in den malerisch-kriegerischen Uniformen und Helmen.
Etwas bizarr: zwischen den Fotos von Ratzinger und Giovanni Paolo erhebt sich die Bronze einer nackten Schönen. Die Dame ist der Seejungfrau von Kopenhagen nachempfunden. Ein Licht bescheint das Kunstwerk – und die Päpste sind milde lächelnd über dem Ganzen links und rechts eingerahmt.
«… è arrivato» meldet der Beizer. Und fragt zum dritten Mal nach ob der Tisch wohl recht sei.
Irgendwie habe ich ihn rot erwartet – zumindest mit roten Socken und einem roten Käppchen. Nix da. Er erscheint in der schwarzen Uniform des klerikalen Fussvolks – das einzige was ihn unterscheidet: der Bischofsring («nein. Der Kardinalsring ist mir während der Arbeit einfach zu lang»). Und die Halskette mit dem goldenen Kreuz, das in die Brusttasche seines Hemdes abgetaucht ist («… es ist das einfache Goldkreuz für jeden Tag. Natürlich habe ich noch andere, etwas üppigere - für festliche Anlässe. Alles Geschenke …»)
Zuerst macht er die Runde. Er kennt fast jeden hier («wirklich erstaunlich, wer heute alles da ist!») Und wie schon beim Kellner geht überall die Sonne auf, wenn er auftaucht. Die Kollegen, Gardisten, Professoren, denen er die Hände schüttelt strahlen ihn an. Es scheint, dass «il Cardinale Svizzero» einer der wenigen Schweizer Momente ist, worüber man sich im Ausland freut.
Nun kommt er an den Tisch. Meine Frage «wie rede ich Sie an» winkt er lächelnd vom Tisch: «Sagen Sie, wie Sie wollen …»
Kardinal Koch?
«… nun, so sagen die meisten!»
Ob er denn immer hier esse. Hier quasi zu Hause sei?
Er lacht – und wenn er lacht verlieren seine Augen das immer leicht Melancholische, Abgerückte: «… das dann doch nicht. Ich habe seit ein paar Monaten eine Wohnung im Vatikan. Vorher aber bin ich oft hier gewesen und habe mich hier verpflegt …»
Kochen Sie nicht selber?
«… nun ja, diesbezüglich mache ich meinem Namen keine Ehre. Für mich alleine würden die Koch-Künste genügen - aber für Gäste sind sie unzumutbar …»
Zwei Frauen sorgen für sein Wohl:
«Es sind beides indische Schwestern. Die eine besorgt den Haushalt, die andere absolviert ein Studium. Das Essen ist oft indisch, manchmal sehr scharf gewürzt … das mag ich …»
Der Kellner nimmt die Bestellung auf. Kardinal Koch möchte einen kleinen gemischten Salat. Und eine Pizza. Diese mit Salami und Tomaten belegt. Dazu wenig Weisswein («nur wenn Sie auch ein Schlücklein nehmen») …
Ich will wissen, wie er überhaupt seine «Berufung» hatte. Was ihn bewogen hat, sein Leben IHM und der Kirche zu widmen. Die Familie?
«Nein. Eigentlich nicht. Ich hatte einen Pfarrer, der mein Vorbild wurde. So wie er, wollte ich werden. Meine Eltern waren wohl katholisch und erzogen ihre drei Buben so auf – aber mein Vater ist nie zur Kirche gegangen. Als ich ihm später mitteilte, ich wolle Priester werden, war er nicht sonderlich erbaut darüber. Sein Verhältnis zur Kirche - das habe ich als Kind schon gespürt, als er am Sonntag nie zum Gottesdienst mitkam - war sehr gespalten …»
Der Grund?
«… nun. Er hat nie darüber gesprochen. Er war ein einfacher Mann – Fabrikarbeiter. Sehr sozial engagiert. Und er ging seine eigenen Wege. Wenn wir in die Kirche gingen, pilgerte er nach Neuenkirch zum Grab von Vater Wolf …»
Aber das muss doch eine tiefere Ursache gehabt haben?
«… den hat er mir erst später erklärt, als ich die Priesterweihe erhielt. Ich ging zu ihm «… es ist Deine Sache, ob Du an meine Weihe in die Kirche kommst oder nicht. Aber ich möchte einfach gerne von Dir den Grund wissen, weshalb Du nicht kommen willst!» Da hat er mir erzählt, dass er in seinem Ort, als er zum ersten Mal an die Urne gehen konnte, die sozialdemokratische Partei gewählt habe. Am Tag nach den Wahlen sei der Pfarrer auf die Kanzel gestiegen – und habe gedonnert: «Nur ein einziger im Dorf hat die Stimme den Sozialdemokraten gegeben – und das kann nur der Koch Josef gewesen sein …» Diese Begebenheit habe schliesslich dazu geführt, dass er das Dorf verlassen musste. Er habe nie mehr eine Kanzel sehen können, ohne an diesen schrecklichen Moment zu denken …»
Und so kam er nicht an die Priesterweihe?
«Natürlich kam er. Und war wohl auch ein bisschen stolz – er sagte: «wenn d u vorne stehst, habe ich kein Problem … du bist nicht so.»
Später hat der Vater den Karrierenaufstieg des Sohns verfolgt: «… er freute sich über meine Professur … meine Ernennung zum Bischof hat er freilich nicht mehr erleben können.»
Wann haben Sie Papst Ratzinger zum ersten Mal persönlich erlebt?
«… das war eben vor der Berufung zum Bischof von Basel. Man wollte noch ein Gespräch – und in dieser Runde waren Kardinal Gantin sowie Kardinal Ratzinger. Ich war vor allem von der Sprachbegabung Ratzingers überrascht – er sprach mit Gantin fliessend französisch.»
Papst Ratzinger holte Sie dann auch als Ökumeneminister zu sich – sehen Sie den Papst oft:
«Nun, ich bringe ihm meine Besucher aus der Ökumene – ob das nun orthodoxe, orientalische oder protestantische Kirchenführer sind. Und natürlich gibt es auch gelegentlich Besprechungen …»
Da stellt sich doch die Frage, ob Sie nicht der nächste Papst werden könnten.
Nun lacht er auf: «… da hoffe ich doch fest, dass der Heilige Geist ein bisschen mehr Fantasie hat!»
Ein Italiener?
«… nun ja, die Italiener denken, dass sie nach zwei Mal Pause Anrecht darauf hätten. Aber meine Gedanken gehen da eher an diese Länder, wo wir die meisten Glaubenden haben und die bis anhin nie zum Zug gekommen sind: Afrika, Südamerika.»
Sie mischen also im Vatikan politisch mit?
Milder, tadelnder Blick: «Unsere Aufgabe ist es nicht p o li t i s c h zu sein. Eher diplomatisch. Die Diplomatie ist vor allem in der Ökumene wichtig. Aber sie braucht viel Geduld und starke Nerven …»
Nun wieder das sanfte Lächeln: «… aber da waren 15 Jahre Bischof von Basel eine gute Lehre!»
«Er ist anders als Du denkst – viel näher», das haben mir viele erklärt, als ich mich auf Koch vorbereitet habe. Und er zuckt die Schultern:
«Also – ich erzähle Ihnen nun etwas: die Schweizer Medien haben geschrieben ich sei unnahbar … und die Leute glauben das alles, weil sie alles glauben, was Fernsehen und Zeitungen bringen.
Als ich vor einigen Jahren einem Sonntagsgottesdienst in einem Schweizer Dorf vorstand, kam einer der Kirchgänger zu mir:» Herr Bischhof - jetzt sind Sie endlich einmal von ihrem hohen Berg heruntergekommen und haben das Volk besucht. Aber weshalb gerade u n s e r e Gemeinde …» – Da habe ich ihm antworten müssen: «Aber ich bin jeden Sonntag in irgendeiner Gemeinde zu Gast … seit vielen Jahren. Das hier ist nicht mein erstes Mal!». Auch hier hatte sich das Gerücht des Abgerückten, Unnahbaren festgesetzt …»

Er steht kurz auf, um einen Kollegen, der zum Essen ins Vittoria kommt, zu begrüssen. Seine Gestalt wirkt gebückt, zart, etwas zerbrechlich – das komme, weil er von einem Spitalaufenthalt retour sein:
«… ich hatte einen Virus und wurde Halsüberkopf ins Spital eingeliefert. Waren Sie schon mal in einem Römischen Spital? Da werden die Türen der Krankenzimmer immer offen gelassen, so dass man jeden Besucher in den andern Zimmern mitbekommt. Dazu lag ich in einem Raum mit Kunstlicht und ohne Fenster. Nach sieben Tagen war mein Hals rau und ich konnte kaum noch sprechen. Die Ärzte wollten mich länger behalten - da habe ich zu ihnen gesagt. «Gebt mir ein bisschen Sonne und ein offenes Fenster zum Atmen – dann gibt sich alles. So konnte ich dann doch heim …»
Ob er so etwas wie Fitness mache – er lacht auf. Zeigt auf mich: «Das tun wir wohl beide nicht …» Und relativiert: «… nun ja, wenn ich ein bisschen Zeit finde, spaziere ich auf meiner Dachterrasse ein paar Schritte.»
Zeit? Nein. Zeit hat er nie. Tagwach um 06.00. Eine Stunde später in der Frühmesse. Und dann im Büro. Mitarbeiterstab von 16 Leuten - vorwiegend Facharbeiter und Übersetzer. Arbeiten bis spät in die Nacht. Vor allem abends, weil ihn da niemand stört. Die Hälfte des Jahres reist er in der Welt herum. Anstrengend?
«Es ist ein Beruf. Und es ist eine Berufung. Ich kann auch nicht unterscheiden, was Arbeit und was Freizeit ist. Das Ganze ist wohl mein Leben …»
Und Ihr Ziel?
Nun schauen seine Augen wieder mit diesem Schalk: «… mal in den Himmel zu kommen!»
Wieder das Lachen: «… ich will meine Arbeit einfach so gut wie möglich machen. Und ich möchte den Weg zur Einheit der Kirche bereiten, damit wir alle am selben eucharistischen Tisch sitzen können … ich setze mich ein, um die Einheit der Christen voran zu bringen.»
Sein Wahlspruch ist ihm auch heute noch oberstes Gebot: Christus hat in allem den Vorrang. Und er ergänzt: «… die Kirche sollte sich bewusst sein, dass sie kein Selbstzweck ist, sondern eine Institution, die im Dienste der andern steht …»
Sexualität?
Kurt Koch ist ein Mann. Deshalb: Was tun Sie wenn sich ein sexuelles Lüstlein regt … das ist doch irgendwie menschlich»
«Ja. Aber auch jeder verheiratete Mann ist so etwas ausgesetzt. Er sieht eine schöne Frau. Und es regen sich Wünsche. Da muss er daran denken, dass er in der Kirche ein Versprechen abgelegt hat. Das Treueversprechen …»
Aber gerade die Kirche hat wegen der Sexualität Probleme und steht immer wieder in der Öffentlichkeit - wie reagiert Rom da?
«… seit geraumer Zeit ist die Sexualität kein Tabuthema mehr. Sie wird thematisiert. Auch bei der Ausbildung der Priester. Das ist sehr wichtig.»
Und Basel? Denken Sie manchmal zurück – an das Bistum? An die Stadt?
«Nun – 15 Jahre in einem Leben kann man nicht einfach auslöschen. Ich liebe Basel. Ich liebe die Kultur am Rhein. Und ich habe auch viele, gute Erinnerungen an die Zeit damals …»
Die meisten Tische im «Vittoria» sind nun abgeräumt. Wir sitzen noch immer beim Caffè. Ich brauche noch Fotos. Und Kardinal Koch spielt mit – auch wenn ihm posieren schwer fällt: «Das ist nicht mein Ding …»
Dann geht er in sein Leben zurück – die Arbeit! Sind Sie so etwas wie workoholisch?
Wieder das Lachen in den Augen: «Sagt man dem so?»
Der Vatikan wirft die ersten Nachmittagsschatten auf den Asphalt. Der Petersdom erstrahlt im Abendsonnenlicht. Und ein paar Minuten später ist die kleine, schwarz gekleidete Gestalt wieder in dieser hellen Welt untergetaucht.

Samstag, 20. Oktober 2012