Diese Augen! Ich schaue immer zuerst auf die Augen. Hier funkeln sie wie die Milchstrasse.
Er erinnert an Nurejew. Ein bisschen auch an Leonardo - ihr wisst schon: den Titanic-Caprio.
Wenn Sven gefragt wird: «Woher kommen Sie?», dann zwinkert er: «Na - jetzt ratet mal!» Die Antwort ist meistens: «Irgendwo aus dem hohen Norden.» Manchmal tippen sie auch auf Russland.
Aber: REINACH! Darauf kommt keiner. Dabei hat diese Bilderbuchkarriere genau dort begonnen.
Ganz schlimm: Die Beizen sind zur Zeit dieses Treffens noch immer geschlossen. Na ja - so halboffen. Aber da ist die Wetterunsicherheit. Also nichts mit Kellner am Tisch. Da muss ich schon selbst an die Pfanne.
GROSSE FRAGE: Was koche ich einem, der vermutlich bald einmal in Hollywood auf dem roten Oscar-Teppich spaziert... der an der Berlinale zum «European Shooting Star» erkoren wurde («Der Preis ist unglaublich wertvoll - er hat mir die Türen auch in den USA geöffnet!»)... und nicht nur in Helvetien zum besten Schauspieler des Jahres (2-mal!) ausgerufen worden ist, sondern auch am Harlem International Filmfestival als bester Darsteller gefeiert wurde...
Was tischst du jemandem auf, der vier Monate im Regenwald immer nur Reis gegessen hat und von seiner Mutter sagt: «Sie ist wirklich eine begnadete Köchin... sie schrotet ihr Mehl selbst.»
Ich schrote nicht. Ich schrotte nur.
Ganz klar: So jemandem kann man nicht mit Dosenravioli kommen.
Später merke ich, dass ers mit dem Kochen selbst auch nicht gross hat (im Gegensatz zu seinem Bruder, der oft bei Mamma am Herd stand): «Also - ich habe jetzt Zeit. Und pröble mal so ein bisschen herum. Würzige Wok-Gerichte kann ich schon ganz gut. Und Backen macht mir Spass. Aber wer kocht schon gern für sich allein? Ich liebe es, mit meiner Freundin und Freunden an einen Tisch zu sitzen. Und bekocht zu werden... apropos: Was gibt es heute?»
Er schaut dann zu, wie ich den gemischten Salat anrichte. Wie die Ravioli aus dem Tiefkühlsäckchen zu lange im kochenden Wasser schwimmen und flutschig wie Frösche auf dem Teller rumglitschen. Dann gibts meinen vegetarischen Blätterteigkuchen - ein teigiges Begräbnis von Streifen-Lauch. REDEN WIR NICHT DARÜBER! Sven findet: «Es schmeckt.» Gute Erziehung!
Bei den Whiskystängeli greift Sven herzhaft zu. Dieses drahtige Rabenass kennt keine Liniensorgen!
Apropos Linie. Du hast für «Goliath» neun Kilo zugelegt - weil es die Rolle so verlangte. Dann hast du sie wieder runtergehungert - weil es der Film auch so wollte...
«Das war eine Herausforderung. Ich wusste nicht, was auf mich zukommt. Ich spiele diesen schmächtigen, künftigen Vater, der plötzlich sein Selbstbewusstsein in einer Muckibude aufmotzt. Das musste alles stimmen. Also habe ich auch eine Muckibude besucht. Habe Gewichte gehoben, gegessen wie ein Lastwagenfahrer, Muskeln antrainiert - plötzlich merkte ich, wie sich mit dem Körper auch die Psyche veränderte. Du wirst anders. Du bist eine neue Persönlichkeit. Ich verstehe jetzt, was in diesen Menschen vorgeht.»
Okay - da warst du also ein pralles Muskelpaket auf dem Dreh...
«Ja - diesen ganzen Bodybuilding-Stress habe ich einige Wochen lang geschultert. Alles neben dem Theaterspielen. War recht hektisch...»
Die grosse Frage: WIE HAST DU DIESES MUSKELZEUG WIEDER RUNTERBEKOMMEN?
Er zwinkert: «8 Eier zum Frühstück als Start 200 Gramm Fleisch zu Mittag 200 Gramm Fleisch zum Nachtessen! Da schmelzen die Pfunde!»
Hallohallo - das wollen wir sofort auf unsere To-do-Liste setzen: 8 EIER. ROT UNTERSTRICHEN.
Dennoch: Wo die Muckis schon mal dran waren - wolltest du sie nicht behalten?
Wieder das Zwinkern: «Ich bin mit meinem Körper zufrieden, so wie er ist.»
Na gut - für die Drehtage in Borneo hat Schelker seine Persönlichkeit auch wieder total verändert - man glaubte, den wirklichen Manser vor sich zu haben: schmächtig... intellektuell... der Kämpfer, der nie aufgibt. Du hast vier Monate im Regenwald gedreht?
«Ich wollte mich wirklich in die Penan-Menschen einfühlen... und in Bruno Manser... überhaupt in diese ganze Problematik des brutalen Abholzens des Regenwalds, der zerstörten Natur... und wie es ist, wenn man den Menschen so die Wurzeln ausreisst. Ich lernte, mit den Penan zu reden... ich lernte auch, auf diesem unglaublich weichen Grund zu gehen. Der Schritt wird anders, verändert die Körperhaltung... dies alles kann man nicht einfach in vier Wochen durchziehen. Dafür brauchst du Zeit. Viel Zeit. Für den Manser-Film habe ich nach fünf Jahren meinen Vertrag in Hamburg gekündigt. Ich wusste: Das ist ein wichtiger Schritt auf meinem Schauspielerweg... es muss sich ALLES weiterentwickeln. Dabei wusste ich nicht, wohin der Weg führen wird.»
Der Weg hat dir dann immerhin grosse Preise eingebracht...
«Wichtiger war für mich, dass mich die Monate im Regenwald zum Nachdenken gebracht haben: Was kann ich für die Umwelt tun..? WIE LEBE ICH SO KONSEQUENT, DASS DIE NATUR KEINEN SCHADEN ERLEIDET...?»
Lebst du jetzt entsprechend?
Er zögert: «Das gelingt nicht immer. Aber ich versuche es...»
Kommen wir zu den Wurzeln: Reinach. Vater ein bekannter Chemiker, der sich mit Umweltfragen befasst... Mutter, die Muse in der Familie... musikalisch...
«Es war eine ganz normale Kindheit. Wir hatten einen alten Geigenkasten. Die Form hat mich fasziniert. Das Instrument auch. Ich nahm also Unterricht. Mit sechs Jahren schon. Beeindruckt war ich dann von einer Beethovensonate - die habe ich auch an der Maturfeier gespielt.»
Und der Schauspieler? Hast du den in dir gespürt?
«Ich ging als Bub in die Archemusica. Dort produzierten wir auch Musicals. Später spielte ich im Schultheater. Ich besuchte das Gymnasium Münchenstein. Schwerpunkt: Musik. Ich sang im Chor und hatte meine eigene Band...»
Das war ELEPHANT ANTONY.
«Stimmt. Wir haben sogar ein Album rausgegeben.»
Und die Schauspielerei?
«Ich habe es mit den Eltern besprochen. Sie haben mich eindringlich angeschaut: Du weisst, dass dies ein schweres Paket ist, das du da schnürst...»
Er macht jetzt eine Pause. Dann lächelt er.
«Ich habe genickt. Und sie sagten: Okay. Dann mache deinen Weg... wir stehen hinter dir.»
Du bist jetzt wieder in Basel. Gehörst hier zum Ensemble. Und konntest in Nunes’ «Metamorphosen»-Inszenierung gleich loslegen. DANN KAM CORONA!
«Mist! Aber ich hatte durch Corona auch Zeit, zu mir selbst zu finden. Mich tiefer zu entdecken. Das Leben bis anhin ist ja ein Raketenflug gewesen. Plötzlich war da Musse für andere Dinge. Ich habe wieder mit Lesen angefangen. Und habe mir eine Staffelei sowie Farben zugelegt... ich lerne Basel wieder kennen... das Kleinbasel... hier habe ich meine Wohnung.»
Unterschied zu Hamburg?
«Basel und Hamburg sind sich sehr ähnlich - zwei Städte am Wasser. Aufgeschlossen. Zu Basel hatte ich immer eine sehr innige Beziehung. Ich ging nicht weg, weil es mir zu eng wurde. Nein. Ich wollte ein Deutsch sprechen, das auf der Bühne oder im Film nicht bemüht klingt... also habe ich die Otto-Falckenberg-Schule in München besucht.»
Du wurdest direkt von der Schule ans Thalia-Theater wegengagiert. Das ist immerhin eine der berühmtesten deutschen Sprechbühnen - und du warst gerade mal 22...
«Nun - es war Glück. Ich hatte bis jetzt viel Glück in meinem Leben»
Trotz Corona hast du im letzten Jahr auch wieder Filme gedreht - etwa «Und morgen seid ihr tot» in der Hauptrolle des David Och.
«Wir drehten zur Corona-Zeit in Indien. Schliesslich kam ein Appell vom Bundesrat an alle Schweizer im Ausland: Wir sollten sofort abbrechen und heimkommen. Also flogen wir in die Schweiz zurück. Es war so ungefähr das letzte Flugzeug, das aus Indien noch in der Schweiz landen durfte. Uns fehlten sieben Drehtage. Das ganze Set musste dann in Andalusien neu aufgebaut werden, damit wir den Film abschliessen konnten...»
Pläne?
«Wir konnten nicht warten, bis der Vorhang sich wieder öffnet, um vor Publikum zu spielen - nun ja, wie nervöse Rennpferde in den Boxen: Wir fieberten alle auf den Moment hin, in dem der Startschuss fällt. Das Publikum hat uns am meisten gefehlt...»
Er schaufelt einen letzten Whiskystängel rein. Geht rankschlank in seiner grauen, schlaksigen Hose in seine Theaterwelt.
Und ich schreibe auf meinen Einkaufsplan: FÜR NEUE KUR EIER BESORGEN!
Vorlieben und AbneigungenEr mag: die Natur, das Spielen auf der Bühne, Tiere
Er mag nicht: langes Warten - vor allem die Zeit, bis das Theater endlich wieder vor Publikum loslegen konnte