Caroline Rasser: «Ich setze meine Träume um»

Foto: Lucia Hunziker

Sie gilt als eine der schönsten Frauen unserer Stadt. ABER HALLO! Dazu: Power-Lady, durch und durch.

Jetzt radelt sie mit einem cremefarbigen Velo vor. Sportlich! Sportlich! Sicher ist das Rad ein Teil des täglichen Fitnessprogramms, um die rankschlanke Linie zu halten. «BLÖDSINN!» - sie winkt ab. «Wir sind alles Spränzel. Dabei können wir essen wie die Wölfe...»

Sie lacht jetzt: «Schau meinen Bruder Claude an... meine ganze Rasser-Sippe... das sind eben die Gene...»

GENE? ACH GOTT. WIEDER SPRUDELT DER NEID!

Und Caroline Rasser setzt gleich noch einen drauf: «Ich bin nicht nur eine leidenschaftliche Esserin. Ich koche auch gerne...»

AUCH DAS NOCH - der liebe Gott muss sie wirklich gernhaben!

Als ich Caroline Rasser zu Tisch bat, waren die Beizen seit Monaten geschlossen. Mein Bedürfnis wäre jetzt, diese schöne Frau auszuführen. Mit ihr zusammen ein Menü auszuwählen. Zwischen den Gängen würden wir über Carolines bewegtes Leben plaudern... über ihre Kindheit in Biel-Benken... die Abnabelung von daheim und von ihrem Schritt raus in die Welt.

ABER NEIN! Ich schnipple Zwiebeln, bis mir die Tränen kommen. Jage zwischen Notizblock und Kellen hin und her. Und verfluche diesen neuzeitlichen Herd, der eine so sensible Induktion hat, dass man dafür thailändische Massage-Fingerchen haben sollte. Bei jedem dritten Fingerdrücker piepst mir die Kochfläche genervt auf Kindersicherung. SO KANN DAS PASTA-WASSER BIS HIN ZU DEN SPÄTNACHRICHTEN NICHT HEISS WERDEN!

«Was isst du nicht?» Das war meine Gretchen-Frage. Postwendendes Feedback: «ICH ESSE ALLES!» Na bitte - das ist doch schon was. Diese wunderschöne Frau isst nicht zickig.

SPÄTER GESTEHT CAROLINE RASSER: «Ich wollte dich nicht stressen. Und ich hätte mich bei dir in einer kulinarischen Versöhnung geübt - aber Kutteln machen mir den Gong!»

Sie ist in einem Künstlerhaus aufgewachsen - aber schon früh in die Welt hinausgezogen. War Schauspielerei das innere Feuer...?

«Ja und nein. Vor allem lange mein gut gehütetes Geheimnis! Dolmetscherin wäre auch eine Option gewesen. Aber natürlich hat mich die Bühne fasziniert - ich bin damit aufgewachsen. Mein erster Auftritt war auf der Fauteuil-Bühne meines Vaters. Wir spielten das Tapfere Schneiderlein. Meine Rolle war das stumme Hinterteil des vierbeinigen Einhorns. Claude spielte die Wildsau. Wir waren zehn und sieben Jahre alt. Gage: fünf Franken pro Aufführung!»

Also doch theater-infiziert?

«Klar - ich schnupperte bei Dimitri (wir waren mit der Familie befreundet) im Tessin. Dann aber wollte ich weg aus der Schweiz - erste Station: Paris. Schliesslich New York. Das war damals wirklich noch ein Weggehen und Abnabeln von daheim...»

Wie meinst du das?

«Nun - der Nachtzug an die Seine dauerte acht Stunden. NY war noch weiter - über dem grossen Wasser. Vor allem: Du hattest kein Handy, auf dem du deine Freunde oder die Familie anrufen konntest. Alles war weit weg! Es gab sie noch nicht: die globale Vernetzung. Weg war weg. Ich erinnere mich, wie ich mit einem Sack voller Münzen sowohl in Paris wie auch in New York in den Telefonkabinen stand. Tag und Zeit des Anrufs waren genau abgemacht worden. Zu Hause warteten sie vor dem Hörer. Ein Gespräch war ein Ereignis. Heute trägst du das Daheim immer mit dir herum. Ein Knopfdruck genügt - schon winkt dir die Sippe über Facetime zu. Die Abnabelung war früher abrupter. Irgendwie konsequenter. Heute ist die Welt einander nahe gekommen - zumindest elektronisch!»

Aber die Distanz, die andere Welt damals - das hat dir viel gebracht?

«Besonders New York. Es ist auch heute noch meine Lieblingsstadt. Aber natürlich ist es nicht mehr mein New York von damals - es ist mehrheitlich eine Inszenierung geworden: Gestylt. Sauber. Weniger chaotisch. Vielleicht auch weniger gefährlich, obwohl ich damals nie Angst gefühlt hätte. Das New York vor 30 Jahren war irgendwie wilder... vermutlich ist das alles sehr subjektiv. Die meisten Grossstädte haben sich verändert. Und sind zu Theaterkulissen geworden - und immer wieder wird eine nächste Generation ihren vertrauten Kulissen nachtrauern.»

Du hast in New York also das Theater erlebt. Und gelebt.

«Es ging nicht nur um die Schauspielschule - es wurde meine Lebensschule. Ich lernte, das Kreative zu atmen. Es zu spüren und zu leben. Ich war (und bin) immer wieder fasziniert, wie die Off-Broadway-Theater die verrücktesten Ideen umsetzen. Da lerne ich auch heute noch viel. Wenn ich dann ins Fauteuil zurückkomme, ist hier diese winzige Bühne. Alles ist ganz anders. Aber dieses Enge, das Kleine, Intime lösen in mir viel Kreatives aus. Ich setze meine Träume um.»

DU BIST ALSO ZIELSTREBIG.

«Falsches Wort! Ich bin besessen, maniac, von den ersten Produktionsvorbereitungen bis zur letzten Sekunde vor der Derniere. Und darüber hinaus... das ist für die anderen nicht immer einfach.»

Ehrgeiz?

«Sicher nicht! Ich laufe zwar unter Hochstrom zur Perfektionistin auf - aber ehrgeizig war ich nie besonders...»

Immerhin hast du es nach Hollywood geschafft. Du hättest dort die Trommel für dich rühren können und...

«Das mit Hollywood war eine wunderbare, fast schon surreale Geschichte. Sie suchten für ein Remake von «Vom Winde verweht» eine neue Scarlett. Meine Oma Adele meldete mich zum Casting. Es waren 20’000 Bewerberinnen. Immerhin kam ich dann ins Finale in Atlanta - und jede von uns zwölf Auserwählten erhielt eine kleine Rolle in dem Vierteiler «Scarlett». Gedreht wurde in Irland. Das Ganze war eine grossartige Erfahrung - aber irgendwie spürte ich bald: nein - nicht meine Welt!»

Dennoch liebst du es, bei euch auf der Fauteuil-Bühne zu stehen.

«Cabaret, Kleintheater - das ist etwas ganz anderes. Du spürst die Nähe zum Publikum. Bei uns ist das ganz extrem. Auch unsere Künstler schwärmen von dieser einmaligen Intimität mit den Zuschauern.»

Du hast zusammen mit Claude das Fauteuil am Spalenberg vor über zwei Jahrzehnten von deinem Vater übernommen. Hat Rolli da ein bisschen geschubst...?

«Nein. Es bestand nie ein Druck. Dazu waren unsere Eltern zu schlau. Claude studierte Betriebswirtschaft - ich holte meine Erfahrungen beim Fernsehen, in den Theatern, im Film. Das gab eine ideale Kombination. Als wir uns entschlossen, das Lebenswerk unseres Vaters weiterzuführen, unkten viele: «Er wird sich einmischen...»

Und?

«Er hat den Schlüssel übergeben - und die Bühne nie mehr betreten. Als uns ein Schauspieler über Nacht in einer Produktion ausfiel, riefen wir ihn als Ersatz an. Das ist jetzt euer Bier, Kinder!, meinte er ganz entspannt aus dem Ticino.»

Und Alfred, dein Grossvater - die grosse HD-Läppli-Legende? Wie hast du ihn erlebt?

«Vorwiegend durch Geschichten, Anekdoten, Filme - ich war sechs Jahre alt, als er starb. Eine rare, wirkliche Erinnerung ist: Mein Bruder und ich besuchten ihn im Spital. Und natürlich rannten wir die Gänge rauf und runter. Gropi (wir nannten ihn so) Alfred freute sich. Er winkte uns aus dem Bett zu: «Da sind ja die zwei Wäschpi!»

Ich glaube, nach eurer Läppli-Produktion wäre er stolz auf Claude und dich.

«Vielleicht. Ich hoffe es - frappant, wie aktuell die Dialoge zur Corona-Zeit sind. Auch Läpplis Auftritt: Etwa wenn Läppli ausruft: «Hütt isch d Situation gaaanz anderscht.» WIE WAHR...!»

Und das Pfyfferli 2022? Schon am Einfädeln?

«Wir bauen schon das Gerüst und spinnen den roten Faden...»

Ihr habt mit dem Pfyfferli-Film den Baslern, den Fasnächtlern und vielen Schweizern eine riesige Freude bereitet.

«Die Reaktionen gingen ans Herz: Wir bekamen unzählige Dankesbriefe. Manchmal steckte auch ein Zwanzigernötli im Couvert «für einen Kaffee!». Der Film, den wir dank Freunden und Geldgebern verwirklichen konnten, hat unser Team noch enger zusammengeschweisst. Und Corona hat mich etwas gelehrt...»

Ja?

«Annehmen zu können... dabei geht es nicht nur um das Geld. Ich hoffe, es bleibt bei uns allen was hängen aus dieser Zeit. Wir sollten lernen, auch andere Meinungen anzunehmen. Zu tolerieren. Das fängt mit dem Zuhören an. Nur so können wir einander besser verstehen - über alle Andersartigkeiten und Generationen. Wer bereits ein paar Stufen gelebt hat, weiss: Zwei Corona-Jahre sind eine kurze Zeit - für die Jungen aber sind sie eine Ewigkeit...»

Du meinst, du bist im Alter gelassener geworden?

«Gelassenheit ist ein schönes Wort - ich nähere mich an. Schritt für Schritt. Von Jahr zu Jahr.»

Vorlieben und Abneigungen

Sie mag: Jede Art von gutem Essen (« nein, Linienprobleme kenne ich nicht!»), ein Glas Wein im Garten - und ihre zweite Heimat: New York.

Sie mag nicht: Ungenauigkeiten, Kutteln - und Gejammer, früher sei alles besser gewesen.

Foto: Lucia Hunziker

Samstag, 17. April 2021