Benedikt von Peter: Spätzünder unter Strom

Foto: Lucia Hunziker

Er will in die Kunsthalle: «Reichen Ihnen anderthalb Stunden? Wir stecken nämlich in den heissen Vorbereitungen!»

Heiss ist es auch unter den Kastanienbäumen. Ich bin bereits an der zweiten Wasserflasche - da sehe ich ihn über den Platz stürmen: blonder Wuschelkopf. Leichter Bauchansatz («ach das Essen hier... rundum Verführung»). Und alpenseewasserblaue Augen, die nach der Fotografin linsen.

Nach zehn Minuten steht er da - strahlt wie die Sonne, die jetzt hinter Wolken verschwunden ist: «Tipptopp Shooting. Ging ja im Hui!»

Ich kenne Benedikt von Peter nicht persönlich - deshalb: «Benedikt? Oder Benni?»

«Ich bin Benedikt.»

«Ich bin -minu»

«Wir duzen uns?»

«Ja - aber ohne Küsschen-Küsschen, ok?»

«Ist ok!»

Der Direktor in den Startlöchern
Erste Frage: ANGEKOMMEN? Er gerät ins Schwärmen: «Einfach fantastisch hier - Basel ist eine super Stadt und...»

Ich habe eigentlich das Baby gemeint.

«Ach so? Nein. Es ist über fällig. Wir stehen in den Start löchern, warten seit 14 Tagen...»

Was soll es denn werden? Jetzt funkeln die Augen: «Ein Bub!»

Ich sage nicht, dass man in der heutigen Zeit nie wissen kann, was ein Bub oder Mädchen in 20 Jahren sein wird. Aber ich freue mich mit ihm.

«Immer wenn ich jemandem sage, ich würde Vater, ist das wie ein Sesam öffne dich - die Menschen tauen sofort auf. Vielleicht denken sie, das Leben von Intendanten sei nur Theater.» Er lacht: «Letzten Dienstag hätte es sein müssen. Meine Frau und ich haben die Tage davor genutzt, die Stadt besser kennen zu lernen: eintauchen im Rhein, Besuch in der Kunsthalle - grossartige Ausstellung im ersten Stock - und im Tinguely-Museum. Wir wohnen gleich neben den Roche türmen, zu Fuss ist man sofort in der ganzen Stadt. Auch im Theater. Eine unglaubliche Lebensqualität.»

Totentanz um explosiven Vulkan

«Aber du kennst doch Basel - hast hier inszeniert! Dietmar Schwarz hat dich für die Carmélites geholt. Dann für Parsifal.» «Ja - das war vor etwa neun Jahren. Dietmar ist ein grossartiger Mensch - mit viel Herz und ruhiger Zuverlässigkeit. Findet man in den Theatergefilden selten. Aber von Basel habe ich damals nicht viel mitbekommen. Ich pendelte zwischen der Bühne und der Gästewohnung hin und her.

Parsifal fiel in die Fasnachtszeit. Ich habe den Morgenstreich erlebt - und war einfach sprachlos. Diese andere, gespenstische Fasnacht - irgendwie ein Totentanz um einen explosiven Vulkan.» DU KOMMST DOCH AUS KÖLNISCHEN GEFILDEN - DA IST AUCH KARNEVAL.

«Schon. Und ich habe ihn auch als junger Mensch ausgelebt. Durchgefestet. Total. Mein Zwillingsbruder tauchte immer als Frau mit mir in diesen Wirbel ein - aber der Schwerpunkt in jener Art von Karneval oder Fasching ist Bier. Und Sex... Basel ist anders.»

Ja - Sex und übermässig Alko hol sind hier während 72 Stunden ein Tabu. Den Sex spart man sich auf den Fasnachtsdonnerstag auf - man nennt das hier «Styffe Donnschdig». Also: der steife Donnerstag!

Er prustet über seine halbe Portion «Hörnli mit Ghaggtem» los. «Also - das habe ich noch nie gehört.»

Zurück zu eurem Buben. Du arbeitest rundum. Deine Frau arbeitet auch. Die Leute werden unken: «Ihr wisst nicht, was mit einem Kind auf euch zukommt...»

«STIMMT. WISSEN WIR ABER GANZ GENAU. Wir haben eine Nanny aus dem Elsass engagiert - und wir werden das Kind in unser Leben reinkomponieren. Ich glaube, man muss da kreativ sein.»

DEINE FRAU ARBEITET AUCH AM THEATER?

«Bewahre - sie kommt wohl aus dem künstlerischen Milieu. Hat auch in Basel gearbeitet. Und ist mit meinem Beruf vertraut. Aber sie berät Stiftungen. Wir können auch über anderes reden als nur das, was gerade auf der Bühne ein Chaos auslöst.» Deine Mutter hat allerdings die Sängerinnen-Karriere für die Kinder aufgegeben... «Das war eine andere Zeit. Und sie wurde eine wahre Löwenmutter.»

Der Vater arbeitete im Kanzleramt unter Kohl...

«...und das ging schief. Er war dem Bundeskanzler wohl zu links.»

Im Doppelpack durch die Pubertät

Wie ist das mit deinem Zwillingsbruder - man sagt Zwillinge seien einander besonders eng verbunden.

«Das ist bei uns sicher so, besonders stark war es vor der Pubertät. Da redeten wir nur von wir. Nicht ich . Alles Denken, Handeln passierte gemeinsam - man wird somit auch zum Spätzünder. Wir hatten noch drei Geschwister. Der Haushalt war mitunter chaotisch. Aber auch streng: Ich musste täglich fünf Stunden Cello üben. Eine richtige Pubertät habe ich nicht erlebt, die Entwicklungsschritte der Rebellion sind an mir vorbeigegangen. Nach dem Abi habe ich das Instrument auf die Seite gestellt. Und nie mehr hervorgeholt. Es brauchte auch dann noch einige Zeit, bis ich mich selber spürte. Dennoch stand ich immer unter Strom. Ich arbeitete wie ein Pferd - tu ich immer noch... nun ja, es fühlt sich an wie das Tages pensum von drei Chefärzten.»

Und dein Zwillingsbruder? Auch im Theater? «Er ist Psychiater. Die Berufe sind ja nicht unähnlich...» (er lacht) Du wolltest auch Sänger werden - Stimmlage? «Ich war ein hoher Bariton, hatte aber nie die Nerven, solo auf der Bühne zu singen.»

Heute bist du ein gefeierter Regisseur - hast Preise, Applaus, Anerkennung für deine sehr speziellen Inszenierungen erhalten. Wir sind darum gespannt auf den heiligen Franz von Assisi - das ist eine Riesenkiste.

«Ich habe sie um eine Stunde getrimmt. Zum ersten Mal arbeite ich mit einem realistischen Bühnenbild. Marton Argh ist ein grossartiger Bühnenbildner.»

Du hast auch viele Schweizer ins Schauspiel-Boot geholt...

«Das hat unsere tolle Schauspielleitung getan. Ist doch verrückt, dass Ueli Jäggi nur selten hier aufgetreten ist - und dies, obwohl er hier wohnt. Und Sven Schelker - er hat sofort zugesagt.ES SIND ELF MIT WASCHECHTEM SCHWEIZER DIALEKT!»

Heiss - das ruft direkt nach einem Mundartstück...

Das musikalische Programm wiederum verspricht dem Publikum internationale Opern- Leckereien. Deine Inszenierung der «Traviata» ist bereits weltweit ein Klassiker. Nicole Chevalier hat die Solo-Performance sicher schon 100 Mal gesungen.

«Die amerikanische Sängerin steht ganz alleine auf der Bühne - sie ist die technisch wohl perfekteste Sopranistin dieser Zeit. Unglaublich. Ich habe sie vor der Vorstellung kotzen gesehen. Aber sie zieht die Traviata fehlerlos durch. Eine sensationelle Künstlerin.» Du scheinst das Händchen für grosse Stars zu haben - Regula Mühlemann debütiert in Basel als Pamina. Die Mozart-Sängerin aus Adligenswil ist von einem Tag auf den andern senkrecht in den Opernhimmel gestartet: Scala, Wiener Staatsoper, CDs mit Philipp Jordan - und jetzt hier Pamina.

«Ich freue mich darauf - und auch auf Rainella Krause. Als Königin der Nacht wird sie noch Kavatinen zwischen den Höhen einbauen. Total verrückt.»

IHR SEID ALSO VOLL AUF KURS.

«Wir organisieren alles so, dass wir auch im nächsten Jahr mit Corona-Auflagen spielen könnten. Das ist aufwendig. Wir ringen immer wieder nach Lösungen...

Und Luzern? Sie waren ein bisschen stinkig, dass du weggingst...

«Einige haben gemüffelt. Andere haben die Strassenseite gewechselt. Aber die meisten haben mich verstanden: Basel ist eine grosse Chance. Ich habe in Luzern alles aufgegleist und Strukturen gefestigt. Letzten Endes bleiben von einer Theater-Ära eines Intendanten nicht die Inszenierungen in den Köpfen der Menschen. Sondern wie er das Theater verändert hat.»

Theater gegen die Menschenkrise

Wird der Familien-Clan zur Eröffnung antanzen?

«Ich treffe alle zum 80. Geburtstag meiner Mutter in Salzburg. Und ich werde ihnen erklären, sie müssen nicht kommen. Bei aller Loyalität. Aber das ist nicht zumutbar»

DIE WOLLEN DOCH DEN NEUSTEN NACHWUCHS DER SIPPE SEHEN. Er winkt ab: «Wir haben in unserer Familie genügend Nachwuchs - 15 Nichten und Neffen. Die können nerven wie die Hunde. ABER NATÜRLICH LIEBE ICH SIE HEISS. Doch bei so viel Kindersegen hält sich das Interesse an Nummer 16 gottlob in Grenzen.»

Welche Rolle spielt dein Theater hier bei uns in der Corona-Zeit?

«Wir haben eine Menschenkrise. Wir müssen auf der Bühne Berührung und Berühren zeigen. Ein Kuss muss möglich sein. Das Medium ist jetzt wichtig - auch, dass die Menschen wieder gemeinsam und miteinander das Erlebnis von Theater aufnehmen können. Es geht um diesen physischen Moment. Nicht unbedingt um die Kunst - sondern um die paar Live-Stunden, die wir mit anderen in einem Raum erleben können.»

Er schaut jetzt zu den Wolken, die ein kommendes Gewitter ankündigen: «Ich habe gelesen, dass Kinder sterben können, wenn man sie nicht berührt. Wenn wir ein Erlebnis nicht miteinander teilen können und den anderen spüren, wie er da mitfiebert - dann gehen wir ein wie die Primel ohne Wasser.»

PS. Zwei Tage nach unserem Treffen in der Kunsthalle kam das Mail: «DER BUB IST DIESE NACHT ANGEKOMMEN. UND HEISST AUGUST!»

Na also - auf einen guten Start in allen Bereichen.

Vorlieben und Abneigungen

Er mag: Gutes Essen, den 18-Stunden-Tag und vor allem: Menschen.

Er mag nicht: Kontaktarmut, Schummeleien und falsche Gefühle.

Samstag, 19. September 2020