Olivier Pagan: «Andere Zoo-Direktoren seufzen da neidisch»

Zu Tisch mit -minu

«Essen wir bei den Elefanten?»

Ja. Klar!

Es kommt schliesslich nicht jeden Tag vor, dass dich ein Gast zu seinen Hauselefanten einlädt.

Die meisten warten mit krummbeinigen Dackeln auf den Besuch. Es kann auch mal eine Flamingo-Gruppe im japanischen Garten oder eine dahingerollte Python neben dem Fernseher sein – das schon.

ABER ELEFANTEN IM HAUS?

So etwas kann nur Olivier bieten.

Olivier Pagan wartet beim Zolli-Eingang.

ZOO ist in Basel «Zolli». Und Pagan würde nie «ZOO» sagen – so viel Basel hat er nach 26 Jahren in sich.

Er ist gross, schlank, sportlich.

Und er ist das, was die Frauen «hot looking» nennen (nicht nur die Frauen!).

Als der berühmte Porträtist Lucian Hunziker ihn für sein Schweizer-Promi-Buch porträtierte, hat Pagan sich als «Gorilla» knipsen lassen: EIN FASZINIERENDER AFFEN-KOPF – MIT MEERWASSERBLAUEN MENSCHENAUGEN.

Eindrücklich. Aber nicht das, was mir hier vorschwebt. Deshalb rufe ich den Fotografen auf den Platz: «Ich möchte ihn nicht als Affen – ich möchte ihn als Menschen!»

Der Fotograf: «Ich lasse mir etwas einfallen…»

Nun glitzern also diese Augen wie ein Bergsee, im Mondschein:

«Dort – wir gehen an den Pelikanen vorbei. Ich zeig’ dir etwas…»

Die Vögel sind umgarnt von Besuchern. «Nah beim Tier» – wäre der treffende Slogan. Ist er auch.

Denn: «Als mich amerikanische Kollegen besuchten und dies sahen, kippten die fast um: «SO NAH? – DAS WÄRE BEI UNS TOTAL UNMÖGLICH…»

Pagan lächelt jetzt: «Das ist das wunderbare an unserem Zolli – die Besucher sind nah dran. Am Tier. An der Natur. Am Geschehen. Ich glaube an die Eigenverantwortung unserer Gäste. Und es ist auch nie etwas passiert. Im Übrigen lieben die Vögel den Kontakt mit den Besuchern… Es sind richtige Rampensäue…»

Tatsächlich sehen die Pelikane aus, als würden sie in die vielen Handys lächeln – eine Schar von kamerageilen, gefiederten Bachelorettes …

Er setzt mich so, dass mir seine Elefanten beinahe in die Suppe rüsseln können:

«Wenn ich Gäste habe, gehe ich mit ihnen hierher ins Restaurant. Die Aussicht auf die Tembea-Anlage ist grossartig. Und das Essen auch…»

Apropos Essen: Pagan ist vermutlich strikter Vegetarier? Er sieht nach Salatbouquet, Körnchen und veganem Gipfel aus – ISST ER ABER NICHT. UND IST ER NICHT.

«Ich gehöre kulinarisch zu den Allrounders. Meine Frau auch. Wir essen alles. Nur bei Andouillettes ziehe ich die Kurve…»

Also auch Fleisch?

«Ja. Auch Fleisch – nicht täglich. Aber ich liebe beispielshalber Cervelats, weil hier wirklich alles vom Tier verwertet wird. Ich meine: das ist der natürliche Zyklus – wenn im Zolli ein gesundes Tier stirbt, wird es ebenfalls an die Tiere verfüttert… Man darf aus falscher Sentimentalität nicht die Augen vor der Realität in der Natur verschliessen…»

ABER DANN NIMMT ER DOCH KEIN HÜHNERBRÜSTCHEN: ER BESTELLT SICH NUDELN MIT SPINAT. UND ZUM DESSERT EIN SAUERRAHM-EIS.

«Meine Frau und ich sind das, was man «einfache Esser» nennt. Es gibt schon auch mal Chips. Oder eine Pizza aus dem Tiefkühler.»

Wichtig ist für beide der Moment des Zusammenseins:

« Wir nehmen uns Zeit … Das ist das wunderbare an einer Mahlzeit: die Zeit.

Ob das nun beim Müesli am Frühstückstisch oder abends bei «Cervelat» (er sagt «Cervelat» – so viel Welschland dann doch!) ist. Der Austausch… Die Stunde, die man für den andern hat… Das ist das Schöne eines Essens… Dazu ein Glas Wein. Der liegt uns Romands ja im Blut, sozusagen.»

Und wer kocht?

«Wir sind beide keine Grössen darin. Aber wir schauen darauf, dass saisonal gegessen wird. Und dass heimische Produkte eingekauft werden.»

Er zeigt zum Self-Service mit der beachtlichen Auswahl:

«Das ist auch das Credo bei uns im Zolli-Restaurant. Es muss im Essen wiederklingen. Und die Gäste sollen unsere Philosophie schmecken: Kartoffeln aus der Schweiz… Keine weither transportierten Waren… Vor allem: alles saisonal. Ich finde es nur absurd, wenn an Weihnachten Spargeln und an Ostern die ersten Kirschen angeboten werden!»

Ihr habt das Restaurant keiner grossen «Kette» überlassen – sondern ihr managt es selber. Das ist aussergewöhnlich für einen ZOO…

«…aber wichtig. So dürfen wir auch mitreden. Und unsere Ideen einbringen. Überdies können wir die Qualität überwachen – bis hin zum Selbstbedienungsrestaurant und den Pommes. Der Zolli kann noch so wundervoll sein, wenn ein Besucher bei der Bratwurst schlechte Erfahrungen macht, trübt das sein Erlebnis-Bild. So weit wollen wir es gar nicht kommen lassen…»

Also – das Gesamtbild muss stimmen?

«Ja – das ist auch mit den Parkplätzen vor dem Tierpark so. Hat einer ein Knöllchen unter dem Scheibenwischer geklemmt bekommen, ist die Freude getrübt. Also haben die Gäste die Möglichkeit, an der Kasse eine rote Karte zu lösen, welche über die Parkuhrzeit hinausgeht…!»

TELEFON.

Lucian ruft an. Er hat einen Ort fürs Foto-Shooting gefunden: die Büffelanlage. «Es ist ein wunderbarer Gegensatz!», sagt er.

Also geht Pagan zu den Büffeln.

Ich bündle seither meine Notizen: Er ist nun 26 Jahre im Basler Zolli. Zehn Jahre arbeitete er hier zuerst als Tierarzt – sechzehn amtiert er jetzt schon als Direktor.

Was die meisten nicht wissen: Pagan ist auch der Präsident sämtlicher Tierpärke in Deutschland, Schweiz und Österreich – er präsidiert also 71 Direktoren: «Unsere Anlagen kommen insgesamt auf 40 Millionen Zuschauer pro Jahr…»

(Im Vergleich: Die deutsche Bundesliga hat 13 Millionen.)

Aufgewachsen ist Pagan in Saint Blaise. Also bei Neuenburg. Seine Frau, auch eine Tierärztin, kommt ebenfalls aus dem Welschland. Sie war es, die sich für «Basel» stark gemacht hat.

Pagan erinnert sich:

«Ich wollte eigentlich nach meinem Berner Tierpathologen-Job wieder ins Welschland zurück. Meine Frau war einverstanden – ausser: «Wenn du ein Angebot aus Basel bekommst, gehen wir dorthin. Ich liebe ‹le charme Bâlois›…

Ich sträubte mich gegen die Idee: Basel ist im Sommer zu heiss… Und hat keinen See…»

Dann kam es doch anders:

«Schicksal eben. Prompt flatterte ein Angebot vom Basler Zolli in unsern Berner Briefkasten. Man suchte einen Tierarzt.

Nun, ich war schon als Kind öfters hier. Die Welschen hatten damals noch keinen eigenen Zoo – so ist die Familie mit der Jungmannschaft oft nach Basel gereist.»

Nicht nach Zürich?

«Nein. Irgendwie lag uns der Basler Zolli näher. Vielleicht auch die Mentalität und Philosophie hier am Rhein. Basler ticken ja sehr ähnlich wie die Welschen.

Und deshalb bin ich seit Kindesbeinen mit unserm Zolli seelisch verbandelt. Also sagte ich zu. Und wir haben es keine Sekunde bereut – ich schwimme seither im Rhein statt im See.

Ist auch fantastisch…»

Er kommt zurück. Die Büffel haben in die Linse gelächelt – Pagan auch. Der Fotograf ist zufrieden.

Wollen wir über das Ozeanium reden?

Er strahlt wie eine Herdplatte auf Höchststufe: «Es wäre etwas Wunderbares für diese Region. Und für die Schweiz.

Die letzte bauliche Vergrösserung mit Einbezug der Allmend war hier anno 1960 das Nachtigallenwäldeli, das dem Zolli eingegliedert wurde. Nach mehr als einem halben Jahrhundert hätten wir in Basel ein ‹Ja› zur weiteren Entwicklung des Zollis von Stadtseite her sicherlich verdient!»

Aber sicher verstehst Du auch den Einwand der Tier- und Naturschützer…

«Ja. Ich kann einige Einwände sehr gut nachvollziehen. Wichtig ist der Dialog, bei welchem unsere Expertise und Aufgabe dargestellt werden.

Aber es gibt oft sektiererische, vorgefasste Meinungen. Da habe ich Mühe. Einige der selbst ernannten Tierschützer stülpen ihre Emotionen über ein Tier, ohne das Tier überhaupt zu kennen. Sie argumentieren: Ich weiss, wie man Löwen halten muss. Ich habe schliesslich seit zehn Jahren eine Katze daheim.

Es ist ähnlich wie beim Fussball. Häusler hat mir einmal erzählt: Wenn einer beim FCB einen Penalty verschiesst, würden ihm danach 28 000 Fachleute erklären, wie man alles besser hätte machen müssen…

Und immerhin: Wir führen seit Jahrzehnten ein Vivarium, das weitherum einen grossartigen Ruf hat.»

Was siehst du denn in der Aufgabe eines Ozeaniums, ja des Zollis überhaupt?

«Ganz einfach: wenn du die Menschen für die Natur sensibilisieren willst, nutzen weder ein aufwendiges Lehrprogramm noch schreiende Pamphlete und Demos. Da wirken Mahnfinger eher kontraproduktiv. Unser Zolli erzählt dir aber in seinen verschiedenen Themen-Anlagen alles über den Kreislauf der Natur (wie etwa im Etoscha-Haus). Wir zeigen, wo die Natur und die Tierwelt in Gefahr sind. Wir demonstrieren in unseren Möglichkeiten auf anschauliche Art etwas, das für dein Leben wichtig ist. Für die Zukunft. Und für uns alle – so geben wir Denkanstösse. Und das ist unsere Aufgabe!»

Und nicht die Millionen-Besucherzahl?

«Nein. Es ist wichtig, die Besucherzahl einigermassen zu halten – aber es ist nicht unbedingt wichtig, nach einer Maximierung zu streben. Das würde auf Kosten unserer Aufgabe als Bildungsinstitut gehen…»

Früher war es wichtig, eine möglichst sensationelle Tierschau präsentieren zu können?

«Nun – der Basler Zolli ist nie einem Trend nachgegangen. Es ging bei der Gründung vor bald einmal 150 Jahren auch nicht darum, ein «feu d’artifice» abzulassen … Es ging schon damals darum, den Menschen in der Stadt die Tiere und die Natur zu erklären … Diese Philosophie hat den Basler Zolli bis heute geprägt…»

Goma war aber so eine Sensation.

«Stimmt. Sie war etwas Besonderes, eine Diva. Ich hatte sie während meiner Tierarzt-Zeit als Patientin. In ihr steckte immer noch ein bisschen Mensch. Sie war der einzige Gorilla, der dir in die Augen schaute. Und dem du auch in die Augen schauen konntest…»

Es war damals ein Magnet für die Besucher – der Zolli war sehr stolz auf seine Goma.

«Nun, wir sind stolz auf unsere gesamte Zolli-Anlage und auf über 3000 Gast-Tiere und Gast-Pflanzen, die sich hier wild ansiedeln.

Eine Basler Uni-Studie hat das vor ein paar Jahren aufgezeichnet. Das hat mich wirklich ein bisschen stolz gemacht – die Studie zeigt auf, dass die Natur bei uns stimmt. Und sich die Tiere in dieser Umgebung wohlfühlen…»

Für viele Basler ist der Zolli ja auch tägliches Erholungsgebiet.

«Stimmt – wir sind auch einer der wenigen Tierpärke, die bereits um 8 Uhr öffnen – dies, damit die Leute, die von Binningen her nach Basel zur Arbeit kommen, durch den Park gehen können… Die Verbindung zu unseren Besuchern ist uns wichtig.»

Die Beziehung der Basler zum Zolli ist auch sehr eng:

«Das berührt mich ungemein. Und ich rede da nicht nur von den vielen alten Basler Familien, die als anonyme Gönner wirken. DAS IST NATÜRLICH EINMALIG! Und andere Zoo-Direktoren seufzen da neidisch. Aber hier in Basel fühlen sich eben alle mit dem Zolli verbunden. Es gibt Rentner, die an der Kasse einen Zehnfranken-Schein abgeben: ‹Für den Zolli.› Und es gibt Kinder, die ihr Sackgeld ‹für einen Fisch für die Pinguine› spenden. Der Zolli steht den Baslern wirklich sehr nahe am Herzen…»

Nach zehn Jahren als Tierarzt hier hast du in den 90er-Jahren eine Auszeit eingeschaltet.

«Meine Frau und ich sind begeisterte Segler. Also haben wir uns für ein Jahr auf dem Wasser davongemacht – vom Hafenbecken 2 nach 137 Schleusen bis ins Mittelmeer. Und dann weg über die kleinen Antillen bis nach Trinidad… Es war ein unglaubliches Jahr… Ein anderes Leben… Man ist zu zweit… Und selbst zu zweit ganz alleine…»

Wie habt ihr euch da auf dem 10-Meter-Schiff ernährt? Sorry. Aber das ist die Frage des Genussmenschen…

«Klar – ganz einfach: Gemüse und Früchte wurden in Netzen in den Kabinen an den Mast gehängt. Dann hatten wir natürlich Dosenkost. Und vor allem haben wir gefischt – grosse Goldmakrelen. Die haben wir geräuchert. Oder als Sushi roh gegessen – meerfrisch! Es gibt kaum etwas Besseres – auch nicht für einen Genussmenschen…»

Und wie lange ward ihr da auf dem Meer, ohne irgendwo Land zu sehen?

«Die längste Etappe war 25 Tage. Du bist mit Wind, Wetter und Meer alleine…»

Hattest du deine Klarinette dabei?

«Nein. Nur CDs – französische Chansons und Bob Dylan…»

Während dieses Segel-Jahrs hast du dich auch als Direktor hier beworben?

«Ich habe in Trinidad bei einem Fischer einen Computer ausgeliehen. Und dort meine Bewerbung für Basel geschrieben. Das kam alles in ein riesiges Couvert. Und wurde mit den buntesten Briefmarken beklebt. Es sah beeindruckend aus. Manchmal denke ich, die haben mich damals nur des Umschlags wegen genommen…»

Zukunft?

Für einen Moment hält er inne – wird (unüblich) schweigsam. Dann: «Ich fühle mich hier sehr wohl… Das schönste Geschenk für mich und wohl auch für die Basler wäre, wenn wir anno 2024, wenn der Zolli 150 Jahre feiert, das Ozeanium eröffnen könnten…»

Er lächelt:

«…und irgendwann werden meine Frau und ich die andere Hälfte der Erde heruntersegeln.»

In diesem Augenblick trompeten die Elefanten hinter unserm Quinoa-Burger los.

Es scheint, dass sie mit Pagans Wunschliste einverstanden sind…

Olivier Pagan…

…mag: Cervelats, Segeln, Joggen und das Beobachten der Natur.
…mag gar nicht: Sektiererische, vorgefasste Meinungen und Andouillettes…

Samstag, 1. September 2018