Sein Tisch ist noch leer. Aber eine Papiertasche markiert deutlich: Fromage Maître Antony.
Monsieur Grégory, der Maître d‘ Hôtel, eilt herbei: „Der Meister ist noch beim Chef. Er diskutiert mit Knogl über eine seiner neusten Käse-Entdeckungen!“.
Bernard Antony hat sich für unser Mittagessen das Trois Rois in Basel ausgesucht. Klar – dort, im„Cheval Blanc“, rollt sein Käse an. Natürlich: Zweisterne-Etablissement. Und 2011 die Auszeichnung: „Koch des Jahres“.
Nun – das ist nichts Aussergewöhnnliches. Um Monsieur Antony’s Käse funkeln Michelin-Sterne stets wie die Milchstrasse in einer klaren Augustnacht. Der Maître Fromager ist ihr Leitkomet – das Epizentrum der königlichen Käseplatte.
Zur Zeit beliefert der Käse-Spezialist 71 Sternehäuser auf dieser Welt – darunter 19 verschiedene 3-Sterne-Paläste. Das macht ihm kein anderer nach. Und kein anderer schickt seine Köstlichkeiten zur Queen an den Hof („Charles ist ein grosser Fan der Fromages aus der Cave Maître Antony“), zu allen Fürstenhäusern („Monaco war das erste“) und zu den Palästen der Scheichs in arabische Gefilde („Sie bestellen am Montag – am Mittwoch abend ist der ganze Käse dort!“)
Dann Auftritt des Fromagers – er segelt mit ausgestreckten Armen direkt aus der Küche auf uns zu: „Y haa-mer scheen gmocht…“, grinst er. Und eilt zum Tisch. Dann zeigt er auf seine Krawatte. Etwas bunt. Aber: „s isch nu ne Gschänggle vum Fürscht üss Monaco“.
Der Kellner balanciert eine Platte mit warmen Feuchttüchern an:
„Im Londoner Dorcester war dies der beste Gang“ – kommentiert Antony bissig.
Sein Witz ist scharf. Elsässisch eben. Ein richtiger Waggis.
Über die Weine diskutiert er mit dem Saummelier ausführlich. Antony verwirft alle vorgeschlagenen Champagner. Und nickt endlich zufrieden beim Rosé von Laurent Perrier: „Der ist ok. Die Besitzerin, Alexandra von Nonancourt habe ich 1990 auf der France kennen gelernt. Seither bin ich ihr treu – zumindest was den Champagner betrifft…“
Küchenchef Peter Knogl und der Chef de Service beten Menu-Vorschläge herunter. Beim bretonischen Hummer–Carpaccio als Mosaik serviert, nickt Monsieur Bernard gnädig: „Das ist ok…dann möchte ich den Turbot an einer Sauce auf der Basis eines Château Challons…das Milchlamm ist doch schweizerisch? Sonst kann man’s nicht essen…gut…danach sehen wir weiter…“
Er strahlt mich an: „Essen ist etwas wunderbares. Manchmal gehe ich ganz alleine in die grossen Restaurants dieser Welt, und geniesse das volle Programm…“
Antony ist nicht nur ein heiss verehrter Käseliebhaber. Er ist auch ein gefürchteter Gourmet-Kritiker. Eiskalt streicht er einen Kunden von seiner Liste, wenn er dessen Kochkunst für Antony-Käse nicht würdig genug befindet. Dafür schickt er an vielversprechende Nachwuchs-Köche seine Raritäten – und zeichnet sie mit dieser Geste aus: „Zum guten Glück hat’s noch Nachwuchs, der nicht nur gerne kocht. Sondern auch gerne isst. Nur wer geniessen kann, versteht das sinnliche Glück des Kochens…das ist ja wohl klar!“.
Bernard Antony, der als Maître Fromager bereits zu Lebzeiten zur Legende herangereift ist, lebt noch immer im kleinen Elternhaus des Elsässer 600-Seelendorf Vieux-Ferrette , wo er auch seine Jugend verbracht hat.
„Wir waren arme Teufel. Mein Vater arbeitete als Taglöhner…Totengräber… Bauernknecht. Geld hatten wir keines. Wir waren Selbstversorger. Es gab zwei Ochsen, zwei Küche – und viel, viel Kartoffeln aus dem Garten. Natürlich auch Schweine und Kaninchen – alles für den Eigenbedarf…“
Der Kellner bringt das Hummer-Mosaik – und Antony strahlt: „Wer hätte je gedacht, dass ich mal so etwas essen darf…“
Dann gehen seine Gedanken wieder zurück:
„Schon als kleiner Bub habe ich die Kühe gemolken, wenn mein Vater im Wirtshaus überhockte (die Saufferei war eine Elsässer Bauernkrankheit jener Jahre) – ich half Gräber auszuschaufeln, Leichen einzusargen, Holz zu spalten. Bref: ich arbeitete wie ein Pferd!“
Schöne Kindheitserinnerungen?
Er wischt diese Frage wie die Brosamen seines Mini-Baguettes vom Tisch: „Schön? Wann ist Armut je schön gewesen?! Solche verkitschte Verklärungen können sich nur Gut-Menschen erlauben, die stets im Überfluss lebten. Nein. Es war nichts Wunderbares an der Entbehrung. Ich hatte ein einziges Paar Schuhe, ein Hemd, eine Hose und eine Unterhose, die an einem Freitag gewaschen wurde. An Ostern gab’s Neues. Aber nur für die reichen Bauernkindern. Ich bekam alte, abgetragene Sachen. Einmal kam ich im umgearbeiteten Mantel eines Onkels in die Kirche. Die andern Ministranten grölten: „Nicht einmal an Ostern hat er etwas Neues…nur alte Lumpen…er ist ein Lumpenkind…arm…arm...arm. So etwas geht dir nie mehr aus dem Schädel…“
Mit 15 schloss Bernard Antony die Schule mit dem „Certificat d études“ ab. Er ging als Arbeiter in eine Besteck-Fabrik. Mit 20 kam er zum Militär nach Algerien: „Dort waren wir bei den andern Franzosen nur „les Poches“. Es war verdammt schwer Elsässer zu sein. Einmal haben sie zu einer unserer Elsässer-Gruppen gesagt: „Säuft doch Bier wie die Schwaben!“ Sie füllten uns ab – ich war sturzbesoffen, kam zu spät in die Kaserne zurück und musste 8 Tage ins Loch. Seither trinke ich keinen Tropfen Bier mehr!“.
Er kam zurück nach Vieux Ferrette.
„Da stellte mich ein Epicier im Nachbardorf an. Nun fuhr ich mit einem Camion in die nahen Elsässer-Örtchen, verkaufte Büstenhalter und Nesafé, Schweizer Camille-Bloch-Schokolade (das liebten die Elsässer Frauen heiss!) - und Münsterkäse…da war ich zum ersten Mal richtig glücklich. Verkaufen war meine Welt. Ja bald schon wurde ich als bester Verkäufer von „Chaumes“ St. Albert““ ausgerufen!“
Er lacht. „Nun gut – von Käse habe ich damals noch nicht viel verstanden…“
Wie er denn überhaupt zum Käse gekommen sei:
„Eh bien – hnn e weeneli Geduldm Mössiö. Desch e longer Gschicht und müess ryffe…wie dr güeti fromage oi!“, sagt er.
Sein Chef wollte das Geschäft mit dem Camion an ihn verkaufen – aber Antony hatte kein Geld: „Mein Vater machte mir die Hölle heiss: man geht doch nicht in die Fremde um neu anzufangen…die Fremde lag gerade mal 2 000 Schritt neben unserm Haus im Nachbarsdorf. Natürlich woollte keiner uns Geld leihen. Also going ich zu einem meiner Käse-Grosshändler und sagte dem: „Wenn Ihr wollt, dass ich weiterhin Euren Käse so gut verkaufe, dann leiht mir ein paar Francs, damit ich selber anfangen kann…“.
François Mittle hat ihm ohne eine Sekunde zu zögern das Geld geliehen: „Später habe ich meinen Sohn nach ihm benannt – er und Pierre Androuet haben mir das Leben gemacht…“
Und wie?
„Eines Tages hat mir der Händler in Paris Pierre Androuet, den grossen Käsehändler an der Seine vorgestellt. Androuet arbeitete schon damals nur mit Fromages aus „lait cru“ und mit kleinen Herstellern. Das machte seinen Namen . „D A S ist deine Zukunft, Bernard“, sagten beide – Käsedelikatessen, die nur in kleinsten Auflagen aus Rohmilch hergestellt werden! Versuche die zu verkaufen. Du wirst sehen, es wird ein Erfolg“.
Sie besorgten ihm von den „fromages lait cru“.
Antony ging etwas skeptisch auf den Altkirscher Markt: „Die Preise waren viel höher als beim Fabrikkäse. Aber die Qualität einzigartig. Und schon wurde das Ganze ein Erfolg. Ich führte die Käse nun auch in Huningue auf dem Marché. Dort hat ihn –sten, der grosse Basler Gourmet-Journalist der 70-er Jahre entdeckt. Er hat einen Artikel darüber geschrieben. Dann kam auch Wolfram Siebeck. Und mit den beiden kam die grosse Kundschaft…alles wollte meinen Rohmilchkäse haben…“
Schon bald einmal gab ihm Frankreich den Titel „Maître Fromager honoréfique“ – „es war ja nicht mein Métier. Also bekam ich den Titel ehrenhalber. Mein Sohn Jean-François hat wurde vor 2 Jahren ebenfalls damit beehrt. Er allerdings hat Fromagier gelernt – und das ist keine einfache Schule…“
Als „Maître Fromager“ durfte er nun in Paris einige Buffets kreieren: „An so einem Käse-Buffet tauchte auch ein grosser, eleganter Monsieur auf. Er schnippelte von jedem Käse ab. Kostete. Und fragte dann: „Habt Ihr eine Visitenkarte. Das könnte meinem Chef gefallen…“
Ich hatte natürlich keine Visitenkarter. Aber mein Name stand auf dem Käsepapier. Also habe ich ihm so ein Stück Käsepapier abgerissen. Es klenbte noch etwas Vacherin drauf…“.
Der Chef des „Monsieur“ war Alain Ducas. Der habe den Vacherin vom Paris geleckt und sofort elektrisiert angerufen: „Ich will von Ihrem Käse, Antony…“.
Noch heute bekommt der Käser beim Erzählen an dieser Stelle rote Augen: „So viel Glück konnte ich kaum fassen – ich hatte meinen ersten Dreisterne-Kunden!“.
Von nun an ging’s rapid aufwärts. Bald schon belieferte das Elsässer Käsehaus die Buffets der Grimaldis in Monaco – an der Eröffnung des Frankreich-England-Tunnels lieferte ebenfalls Monsieur Bernard aus Vieux-Ferrette die Käsespezialitäten. Prinz Charles wurde auf ihn aufmerksam. Und Antony schwärmt heute noch:
„Die Queen war so nett. Sie sprach besser Französisch als die Franzosen. Charles aber hat später einmal mit einer flammenden Rede bei der französischen Botschaft unsern Käse gerettet. Die EU wollte die Produkte aus lait cru verbieten – es war Prinz Charles, der sich vehement für die Erhaltung einer französischen Tradition und Besonderheit einsetzte. Ich habe ihm damals einen Dankesbrief geschrieben…“
Seither gehört Antony ebenfalls zu den königlichen Hoflieferanten.
Wir sind beim Käsewagen. Natürlich 80 Prozent Produkte aus den Kellern von Monsieur Antony:
„Wir haben 7 Keller, in denen die verschiedensten Käse unter den Augen des Kellermeisters gereift werden. Das dauert je nach Käse von zwei , drei Wochen bis zu vier Jahren. Wir pflegen die Hartkäse mit einer Salzwasserlauge – Vacherin hingegen wird mit Weisswein gewaschen…“
Was trinkt man denn zu Käse?
Antony zögert. „Also Viele trinken Rotwein. Aber das ist irgendwie falsch. Zum Hartkäse liebe ich einen Weisswein – etwa einen Château Chalon. Rotweine sind eigentlich nur gut bei Reblochon, Citeaux und St. Nectaire…“
Der Kellner stellt den Käseteller zusammen und empfiehlt einen Schweizer „Bleu“ – Antony winkt genervt ab: „Die Schweizer machen erstklassigen Gruyère. Aber „Bleu?“. Umshimmelswillen…“
Die Hartkäse – auch den Waadtländer Gruyère - probiert Antony auf einer Einkaufstour drei, vier Mal pro Jahr: „Früher konnte man immer auf eine gute Qualität zählen.. heute müssen wir jeden Käse, den wir einkaufen, zuerst kosten. Klimaveränderung, überdurchschnittliche Hitze, lange Regenmonate - all dies wirkt sich auch auf die Milch aus. Und ist ein Risikofaktor geworden. Beim Käse ist es wie beim Wein – das Ganze bleibt ein Naturprodukt. Und das schmeckt eben immer wieder etwas anders…“
In seinem Haus in Vieux-Ferrette arbeitet Antony’s Sohn, dem er die Zügel übergeben hat: „Klar. Ich helfe noch mit…und ich gebe Ratschläge, rede aber nicht drein. Ich bin jetzt 70. Habe ein Leben lang geschuftet. Jetzt will ich es ein bisschen geniessen...“
Er wünschte, seine Frau Jeannine, die im kleinen Laden stets mitgeholfen hat, könnte es ebenfalls mit ihm geniessen. Er hat sie anno 2000 verloren: „Da ist etwas zerrissen – wir haben alles zusammen aufgebaut. Haben immer nur gearbeitet. Wenn die Kinder an einem Sonntag quengelten „spielt Ihr heute mit uns“, mussten wir abwinken: „Das geht doch nicht – wir haben noch so viele Bestellungen zu erledigen…“
Die kleinen Augen blinzeln nun etwas traurig durch die Brillengläser.
„Zeit war unser grösste Luxus. Den haben wir uns nie gegönnt. Das war falsch. Mein Sohn macht das besser. Wenn ich an einem Sonntag bei seiner Familie esse und etwas vom Geschäft aufs Tapez bringe, schaut er mich an: „C’est dimanche, Papa.“ Ich wollte, ich hätte das auch gekonnt…“
Er spricht nun leise. „Einmal, an einem Heiligen Abend haben wir wie immer um 16.00 Uhr geschlossen. Wir waren jedes Mal hundefertig – das ist auch heute noch so. Vor den Weihnachtstagen sind wir rund um die Uhr am Malochen.
Jeannine hatte also für die Kinder und mich etwas Wunderbares gekocht. Wir wollten eben essen. Da schellte es. Der Lehrer meines Sohnes hatte den Käse fürs Fest vergessen. Also öffnete ich. Erstens war’s der „professeur“ von Jean-Frannçois. Und dann dachte ich auch ans Geschäft. Ich konnte ihm noch die Reststücke geben…
Als ich 40 Minuten später wieder nach oben kam, war meine Frau so wütend, weil das schöne Weihnachtsessen verdorben war. Es kam zum handfesten Krach. Ich fuhr zornig weg… ich will damit nur sagen: die Zeit, die man sich selber und den andern schenkt, ist wirklich Glück…“
Nun lacht er wieder und zeigt mit der Gabel in Richtung Käsewagen: „Und natürellmang isch s Gligg oi myner Kääs …hänner schu vu mym Comté versüecht, Mössiöö?…dä lusst d Zytt oi vergässe…“
Bernard Antony hasst Boier und Käse, die noch weniger schmecken als Radiergummi.
Er mag Château Chalon zu Hartkäse, Laurent Perrier rosé zum Apéro und ganz alleine ein vierstündiges Essen in einem Pariser Restaurant mit sich selber zu zelebrieren…