Ufff. Wird schwierig.
Die Ausgangslage ist verwirrend. NEIN. MONSTRÖS!
Das Paar, das demnächst aufkreuzt, ist zwar verheiratet. Aber die beiden sind auch Geschwister. Sowie Vater und Sohn.
Der Vater hat Fräulein Schneider vor den Altar geführt. Die ist aus Bulgarien (so sagt sie). Doch eigentlich stammt sie aus Kroatien (laut Pass). Und muss in Berlin den VW für die nächste Italienreise in den Service bringen. Sie wird deshalb nicht zum Interview antanzen.
GOTTLOB.
NOCH MEHR KOMPLIKATIONEN HÄTTE DAS VIBRIERENDE RENTNERHERZ NICHT MEHR GESCHAFFT!
Ursli heisst Christoph. Tobias ist Toni. In St. Gallen aber ist Christoph alias Ursli auch Fürstin Bozena. Tobias wird zu Tassilo. Und wird bald eine zickige Gräfin ehelichen.
NOCH DURCHBLICK?
Das Leben der Geschwister ist eine Tüte voller bunter Knallbonbons. Auf die beiden Süssknaller warten wir nun im «netts», diesem St. Galler Nobelschuppen in der Nähe eines Bierflaschenmuseums (ausgerechnet!), in dem sich die ganze Stadt trifft.
Am Abend vorher sind die beiden aus Berlin angereist, um als Guest-Stars in «Gräfin Mariza» aufzutreten. Selbst Fräulein Kalman, die Tochter des Komponisten hatte da Tränen in den Augen. Sie gab Grünlicht, damit Christoph als humpelnde Fürstin, ein Couplet ihres Vaters aus der «Zirkusprinzessin» adaptieren konnte. Der alte Drache hat in «Gräfin Mariza» nämlich nichts zu trällern.
ABER FÜR CHRISTOPH MARTI (alias Ursli) SCHREIBT DIE WELT AUCH OPERETTEN UM!
Ich bin etwas unruhig: Wie wird Fürstin Cuddenstein zu Chlumetz heute anhinken? Klotzt sie mit diesem Drei-Pfund-Briller am Fingerchen, den ihr Onkel Liberace (Vaterseite – aus Las Vegas) vererbt hat?
SCHOCK: SIE KOMMT IN DUNKLER WINDJACKE. DAZU: VERWASCHENE JEANS. UND – IMMERHIN! – HOCHGLANZPOLIERTEN NÄGEL AN DEN FINGERN!
Wie schafft ihr es, in diesen verschiedenen Welten zu leben? Ich meine: wie ist es, wenn man zuerst als Waisenkinder weggegeben wird. Bei einem Showbusiness-geilen Onkel auf Glimmer getrimmt wird? Und schliesslich das vollbusige Kindermädchen heiratet?
SEHT IHR NOCH KLAR?
Christoph lacht: «… es sind Kunstfiguren … eine zusammengelogene Biografie. Doch unser richtiges Leben ist verrückter als das der Geschwister Pfister!»
Tobias schaut seinen Partner strafend an: «Jetzt übertreib mal nicht! Wir sind ein ganz gewöhnliches Paar … und dies seit über 30 Jahren!»
«ICH HÖRE – dlingelingeling! – GOLDENE-HOCHZEITS-GLOCKEN!», jubelt Christoph alias Ursli.
Und erzählt die Geschichte, wie es begann: «… wir haben uns in der Schauspielschule in Bern kennengelernt. Nun ja – unsere Klasse war etwas anders als der Schnitt. Wir büffelten Rollen von Shakespeare und Ibsen – aber eigentlich wollten wir unsern Spass haben. Und trällerten so in der Freizeit Schmachtfetzen aus den 50er-Jahren – natürlich im Geheimen. Die hätten uns bei ‹Stägeli uf, Stägeli ab› doch sofort aus der Akademie geworfen. Singen war wohl Fach. Aber nur die ernste Art – immerhin ist uns der Gesangsunterricht später zugutegekommen …»
Anfang der 80er-Jahre. Christoph kommt an die Schauspielschule seiner Heimatstadt. Und hat eben sein Coming-out hinter sich:
«Natürlich wusste ich schon als kleiner Bub, wo die rosa Route entlangging … doch erst mit 18 hatte ich den Mut, es meiner Mutter zu sagen. Die nickte: ‹… o.k. Aber der Papa darf nichts wissen!›»
Sein Vater war Oberst im Militär. Überdies ein hoher Beamter im Bundesbern … na ja: ein Berner Burger eben:
«Meine Grossmutter war die stolze Burg in der Familie … ein richtiger Drache. Alle fürchteten sie. Aber die Schwiegertochter hatte da wirklich die Arschkarte gezogen – meine Mutter kam von ‹einfacher Seite›. Das wurde ihr auch immer wieder unter die Nase gerieben. Also wollte sie nichts falsch machen. Und deshalb: ‹Wir sagen dem Papi nichts!›»
Anders bei Tobias Bonn – seine Mutter war Bürgermeisterin. Politische Schattierung: SP. Der Vater ist ein aufgeschlossener Psychologe. Die Jugend im Rheinland (Mainz) verläuft problemlos («meine sexuelle Orientierung wurde nie hinterfragt»).
Tobias bewirbt sich ebenfalls um einen Platz an der Schauspielschule in Bern. Kommt an. Das Schicksal mischt die Karten – und den Mainzer in die Klasse von Christoph. Die Kombination soll später zu einem Beben in der flammenden Welt des Showbusiness werden …
Nach dem Diplom schaut sich die ganze Klasse nach Engagements um. Tobias verschlägt es ans Deutsche Theater in Göttingen – Christoph nach Berlin. Ans Schillertheater: «Ich büffelte monatelang für einen einzigen Satz. Hockte auf der Reservebank. Es war trist. Trist. T r i s t! Wenn man die Kantine betrat, war dort so eine vergiftete Stimmung, dass du schon das Aufstossen hattest, bevor das Frikassee auf den Teller kam … ich beneidete Tobi. Der durfte in Göttingen einfach alles spielen …»
Tobias zuckt die Schultern: «Das war eben nur ein kleines Theater. Wir mussten alles machen. Ich blieb zwei Jahre – das war eine gute Lehrzeit. Dann aber schrieb Christoph aus Berlin, er halte es nicht mehr aus … und er brauche mich. Ich habe den Vertrag gekündigt. Und bin sofort nach Berlin getuckert. Mit meinem alten 2CV, mit keinem Engagement … oder eben mit meinem ganzen Engagement für Christoph.»
Nein, es sei keine Liebe auf den ersten Blick gewesen. Tobi habe sich damals langsam orientiert, auch Freundinnen gehabt – Christoph widerspricht: «Bei m i r war es vom ersten Moment an ein Feuerbad! Aber wir waren schliesslich immer zusammen. Und mussten uns auch nie als Paar definieren. Oder unsere Beziehung analysieren. Alles ergab sich ganz natürlich. Doch als der Moment kam, wo Tobi den Koffer packte und sagte: ‹Ich bin dann weg und in Göttingen!› – da kam es knüppeldick. Ich merkte erst jetzt: heee … das geht nicht. Ich kann gar nicht ohne den sein!»
In Berlin trafen sie jeweils die andern Freunde der Berner Klasse. Die Gruppe alberte an freien Tagen herum. Sang Lieder. Und arrangierte die Schmachtfetzen der heilen Schlagerwelt – «wir wollten einfach Spass haben. Schliesslich platzte Lilian eines Tages mit der Nachricht in die Runde: ‹Wir haben ein Engagement.› In Bern. Im Schlachthaus …»
Tobias lächelt: «Da galt es ernst. Bis anhin hatten wir zu unserm Vergnügen rumgeträllert … nun mussten wir ein Programm auf die Beine stellen … eine gute Geschichte musste her, ein roter Faden. Also wurden wir Schweizer Vollwaisen. Irgendwie war das ja auch symptomatisch für unsere Situation: alleine im grossen Berlin. Wir Waisenkinder wurden von der Gemeindeverwaltung zu Onkel Bill nach Las Vegas abgeschoben … Hier wurden wir vom ehrgeizigen Betreuer zu Kinderstars gedrillt – die Geschwister Pfister waren geboren. Und so auch die erste Show.»
Weshalb Geschwister Pfister?
«Natürlich haben uns die Andrew Sisters, aber auch die Geschwister Schmid inspiriert … jedenfalls haute die Familienstory sofort hin. Ein Enthüllungsjournalist der Zürcher Regenbogenpresse ging der Sache nach. Und schrieb empört: ‹In dieser Biografie stimmt kein Wort … sie kommen gar nicht aus Las Vegas!› Das hat uns eine grosse PR gegeben …»
Später sollte sich das Publikum mit der «Familie Pfister» immer mehr identifizieren. Als in der Show-Biografie bekannt wurde, dass Toni das herzhafte Fräulein Schneider heiraten werde, schickten die Fans Toaster und Bügeleisen zur imaginären Hochzeit: «Wir hätten mit all dem Krimskrams ein Geschäft eröffnen können!»
Sie hatten Glück. Bevor sie mit dem Programm in der Schweiz starteten, waren die noch ungeborenen Geschwister Pfister mit ein paar Nummern in Berlin zu einem grossen Geburtstag eines berühmten Show-Tiers eingeladen:
«Da hockte dann die ganze Berliner Hautevolee der Unterhaltung. Wir sangen drei Nummern. Und die Geburtstagsgesellschaft kochte. Jeder wollte ein Kärtchen – natürlich hatten wir gar keine. Aber wir hatten einen Anfang – noch vor unserer ersten Pfister-Show in Bern waren wir in Berlin bereits überall gebongt!»
Sie wurden über Nacht zu Stars. Es gibt kaum einen Preis, den sie nicht abgeräumt haben – die Geschwister Pfister füll(t)en die Häuser in Wien, München, Berlin.
Dazu kommen Theaterrollen: «Cage aux Folles» … «Hello, Dolly!» … «Cabaret» … und «Clivia» …
«Wir trugen die Operette von Nico Dostal 15 Jahre lang mit uns herum. Wir haben sie grossen Intendanten angeboten. Immer: Absage! Schliesslich hat die Komische Oper in Berlin zugesagt …»
Seither ist «Clivia» in Berlin das Stück des Jahres. Ausverkauft. Nonstop.
Natürlich ist Christoph «la grande vedette». Tobias ist der stille Gegenpart – wie im Leben. Christoph lacht. «Er ist all das, was ich nicht bin. Und umgekehrt. So geben wir ein Ganzes!»
In St. Gallen aber ist nun T o b i der Star. Nicht ohne Genuss grinst er: «Der arme Christoph muss hinter der Bühne zwei Stunden auf seinen Fürstinnen-Auftritt warten – ich jedoch bin nonstop on stage. Das ist nicht einfach. Besonders wenn man konstant singen muss und wir gar zwei Vorstellungen am Tag haben …»
Da gibts also einerseits die eigene Pfister-Show – andererseits Gastauftritte in Theaterproduktionen. Unterschied?
Tobias überlegt. «Also der Unterschied ist natürlich riesig – eine eigene Show ist enorm aufreibend, aufwendig. Wir machen alles selber. Christoph schreibt den Text. Wir proben in unserer Wohnung in Berlin. Wir kümmern uns um Kostüme (natürlich haben wir Kostümbildner, aber wir sind Perfektionisten, überprüfen alles und jedes), wir organisieren die Technik, das Bühnenbild – dann geht man auf Tournee. Und da sind wir acht Leute. Das ist ein unglaubliches Nervenchaos – wir vibrieren schon ein, zwei Jahre, bevor die Sache überhaupt losgeht …»
Christoph unterbricht: «… wenn wir aber so ein Engagement in einem Stück wie hier in St. Gallen haben, ist alles einfacher. Ruhiger. Du brauchst nichts zu organisieren, hast keine Verantwortung – du musst deine Rolle intus haben. Fertig. Natürlich ist das jetzt nicht Tanzen und Show – sondern Musiktheater. Singen. Aber du kommst. Gibst dein Bestes. Und gehst dann wieder ins Hotel zurück. Irgendwie ist das eine Erholung zwischen unseren eigenen Shows …»
Sie wohnen in Berlin. 250-Quadratmeter-Wohnung.
«In Berlin hat alles angefangen – wir sind dort geblieben. Und die grosse Wohnung könnten wir uns anderswo wohl kaum leisten. In München bekämen wir für denselben Mietpreis höchstens drei Zimmer …»
Die Schweiz?
Christoph hat da immer ein bisschen Heimweh. «… ja klar: die Wurzeln eben. Wir diskutieren oft, ob wir später einmal hierherziehen wollen. Bern ist eine tolle Stadt. Ich liebe sie, weil sie nicht so zwanghaft «weltstädtisch» sein möchte wie Zürich. Nach der Hektik in Berlin geniessen wir jeweils in den Bergen die helvetische Ruhe. Und wundern uns, worüber sich die Eidgenossen alles gross aufregen können.»
Tobi hakt nach: «Wir verbringen unsere Freizeit meistens in Adelboden … in einer winzigen Wohnung eines alten Bauernhauses … dort sind wir dann wirklich ganz privat. Keine Show. Kein Rummel. Einfach nur Ruhe. Berge. Zweisamkeit …»
Im Dezember werden sie mit ihrer Toskana-Show in der Schweiz und auch in Basel (Häbse Theater) zu Gast sein. Heissester Wunsch: «… volles Haus und die Übernachtungen im ‹Drei Könige› … das Hotel ist einfach Superklasse … und wenn man überall herumtingelt, ist das wie ein Ankommen auf einem andern Planeten …»
Über eine neue Show wollen sie nicht reden: «So etwas wächst heran … aber wir wollen nicht einfach «the best of», nur weil die Pfisters jetzt 25 Jahre laufen. Das ist zu pauvre. Die Geschwister dürfen nie banal wirken – sie müssen immer wieder überraschen. Und mit ihren Lügen alles aufmischen: etwa ‹50 JAHRE GESCHWISTER PFISTER – DAS KOCHBUCH!›»
Könnt ihr überhaupt kochen?
Tobias zeigt auf seinen Partner: «Er macht die beste Berner Züpfe in Berlin …»
Die Crew des Restaurants will noch Fotos schiessen. Das Essen war mehr als gut. Der Küchenchef hat einen Gruss aus der Küche draufgelegt. Letzte Frage an Christoph: «Weiss es der Papa immer noch nicht …»
Gelächter. Und dann etwas leiser: «Klar weiss er es. Als ich Tobias heimbrachte, war alles anders. Die beiden haben sich sofort verstanden. Und mein Vater war irgendwie erleichtert, dass sich da jemand seriös seinem Buben annahm …»
Er wird ungewöhnlich leise:
«Als er pensioniert wurde, hat er als Erstes mit meiner Mutter eine Reise nach Berlin unternommen. Von der Aare an die Spree. Zu Fuss. Man muss sich das mal vorstellen. Aber auf dieser Reise hatten sie einander so viel zu sagen. Nach rund 40 Jahren Ehe. Irgendwie hat mich das tief berührt …»
Als Christoph Marti in Bern («dieses Theater war für mich der Zauberort meiner Kindheit») die Dolly Levi spielte und auf der grossen Freitreppe als Showstar ins Scheinwerferlicht trat, da sass auch die gefürchtete Grossmutter unter den Premierengästen.
Sie schrieb am Tag darauf einen Brief an ihren Sohn: «Der Bub hat Mut. Das macht mich stolz. Er ist ganz die Grossmutter …»
Die Geschwister Pfister mögen:- Glimmer
- Dramatisch übersüssten Kitsch
- Schmachtfetzen
- Und die Schweizer Bergwelt
- Im Theater auf der Reservebank zu sitzen
- Und bissige Unwahrheiten («Wir sind die Einzigen, die über uns legitim lügen dürfen!»)