Kurt Aeschbacher: «Fehltritte machen den Moderator menschlich»

Kurt Aeschbacher - Foto: Lucia Hunziker

Vorgeplänkel:

«Bestell DU den Tisch. Dann be kommen wir einen gutenPlatz! Hammel kennt hier kein Schwein!»

Aeschbi: «Okay - hoffen wir, dass es klappt!»

Ich komme. Der Chef de toute la batterie nimmt den Mantel ab. Schaut in die randvolle Agenda. Und schüttelt den Kopf: «Tut mir leid - Herr Aeschbacher hat nicht reserviert.» Dann ein Lächeln: «Kein Problem - ich habe einen Platz für Sie.»

Der Hammel kommt in die Abteilung «hell» mit kleinen Sträusschen. Er bestellt schon mal Salat und Mineral. Dann merkt dieser Blödhammel nach einer halben Stunde, dass er sich geirrt hat: Der Termin ist einen Tag später.

Draussen spielt eine Zürcher Guggemuusig. Es ist der 11. 11. - Zürcher Faschingsbeginn unter Weihnachtstannen.

Und ein Tag zum Vergessen.

«Herr Aeschbacher sitzt bei den Blumen» - lächelt der Oberkellner 24 Stunden später. Natürlich im dunklen, eleganten Teil, wo Varlins Hulda Zumsteg die Gäste durch das Lorgnon in Öl begutachtet.

Da ist er: ewig jung, ewig schlank, ewig gut gelaunt!

Fittest du? (Immerhin ist er an diversen Fitnessprojekten finanziell beteiligt.)

Er winkt ab: «Ein bisschen türnerle - mehr ist da nicht...»

Aber wie hältst du dein Gewicht?

Er wischt das Thema als nicht gewichtig vom Tisch:

«Ich kann nur einmal pro Tag richtig essen. Sonst fühle ich mich unwohl. So wiege ich 68 Kilos. Seit über 30 Jahren...»

Ich liebe ihn - aber dafür könnte ich ihn umbringen! FÜR SEINE DISZIPLIN BEI DESSERTWAGEN, RAHMTORTEN UND PASTA CARBONARA!

Überhaupt - Aeschbi, Paradiesvogel, schräg, in früheren Jahren schrill und grell-pastell, hat mehr Disziplin als ein Oberlehrer. Er geht immer ans Limit, aber er bereitet sich auf seine Auftritte akribisch vor. Er schuftet sich durch die Recherchen. PACKT ÜBERALL SELBER AN. Feierabend gibt es nicht - entsprechend:

«Die Menschen heute haben ihre Disziplin meistens nur noch in der Freizeit. Hier verausgaben sie sich, schuften sich keuchend ab, dass der Ranzen die Waschbrettform bekommt - und legen im Büro pünktlich um 17 Uhr den Bettel hin, auch wenn die Arbeit nicht fertig ist!»

ER HAT DEN BLEISTIFT NIE HINGELEGT, BEVOR EIN PROJEKT FERTIG WAR - FÜR IHN WAR DISZIPLIN DER WEG ZUM ERFOLG.

Zwar kam eine Aeschbi-Sendung stets luftig leicht wie Zuckerwatte daher - aber diese Leichtigkeit war nur durch harte Vorarbeit möglich.

«Ich habe die meisten Gäste meiner Sendung vor dem Auftritt nie gesehen. Ich wollte das nicht - das Treffen sollte frisch sein. Also musste ich alles über die Person wissen, musste die verschiedenen Szenarien vorher durchgehen. Denn die Sendung ging ungeschnitten über den Bildschirm. Nur so hatte ich die Möglichkeit, auf die kleinen Nuancen der Gäste einzugehen. Sie zu spüren. Die Sicherheit durch die gute Vorbereitung brachte mehr Spielraum.»

Die gute Vorbereitung, vor allem das Einfühlsame, fehlt uns im heutigen Fernsehen - nun ja allgemein. Und es fehlt heute die Zeit.

«Moderatoren bleiben kaum mehr drei Minuten, um sich als Personen zu ent wickeln, heranzuwachsen und eine eigene Form zu bekommen. Die Verantwortlichen vergessen den Menschen und setzen nur noch auf Formate. Die Spielform ist wichtig - die Menschen im Spiel sind alle austauschbar. Sie spielen eine Rolle, die man ihnen vorschreibt. Ich hatte Glück. Denn ich konnte meine verschiedenen Sendungen selber entwickeln. Und ich hatte Zeit - auch Zeit, meine Person, oder eben den Aeschbi, heranreifen zu lassen...»

Mit allen Ecken und Fehlern?

«Aber klar doch. Die Fehler, auch Fehltritte machen den Moderator menschlich. Und was die Leute in ihrer Stube brauchen, ist ein Mensch am Bildschirm, dem sie vertrauen. Und den sie kennen...»

Heute gibt man Moderatoren also zu wenig Zeit, um sich zu entwickeln...

«Stimmt. Heute muss alles kurzatmig sein - nicht länger als drei, fünf Minuten. Aber gute Sendungen im Fernsehen sind nicht kurz. Sondern interessant. Wenn sie wirklich spannend sind, bedauert der Zuschauer, dass sie nach 60 Minuten aufhören...»

Wir lassen es krachen: Spiegelei mit Trüffeln (kalorienarm). Dann den Hackbraten mit Rotkraut vom Wagen mit der Silbercloche. Dazu Prosecco?

Der Kellner flüstert: «Aber, aber - wir haben nur Champagner. Rosé. Oder weiss...»

Also: eine Flûte mit Weiss...

Wie fühlst du dich nach einem Jahr ohne TV-Scheinwerfer? Nach 785 Aeschbacher-Sendungen? Nach einem Leben mit und vor der Kamera? Ein Junkie ohne Stoff...?

«Ich vermisse gar nichts. Ich war immer neugierig - und habe neben dem Fernsehen verschiedene andere Wege verfolgt. Fernsehen war eine Lebenslehre. Aber ich war der Kamera nie verfallen. Es gab und gibt Wichtigeres...»

Tatsächlich spielt Aeschbacher auf verschiedenen Klaviaturen: Du bist der erste Unicef-Botschafter für die Schweiz, du arbeitest an deinem Gartenparadies in Südfrankreich, du hast das «Magazin 50 plus» übernommen und es zum Blühen gebracht, du setzt dich für die Ehe für alle ein...

«...und ich habe eine sechsjährige Beziehung. Leonardo ist wirklich das grösste Glück, das mir begegnet ist. Und du weisst ja: Beziehungen muss man genauso pflegen wie einen Garten. Rosenstöcke. Oder Olivenbäume...»

WERDET IHR HEIRATEN? KANN ICH BLUMEN STREUEN?

«Natürlich werden wir heiraten, wenn dies mal auch in der Schweiz möglich wird. Aber ich werde keinen Kniefall vor den Kameras machen. Irgendwann. Ganz privat. Ohne Tamtam...»

Setzt du dich deshalb für die Ehe für alle ein?

«Ich möchte nicht als Schwulen- Aushängeschild gehandelt werden. Natürlich habe ich mein Schwulsein nie versteckt. Doch habe ich es auch nie zum Thema gemacht. Bei der Ehe für alle geht es aber um das Prinzip der Gleichheit des Bürgers und der Bürgerin - unabhängig von jeder Lebensform!»

Du bist auch heute noch ein Macher. Warst es immer...

«Mir reichte es einfach nicht, Ideen nur im Kopf herumzutragen. Oder stundenlang darüber zu spintisieren. Ich wollte sie umsetzen. Verwirk lichen. Schon immer. Eben: nicht reden - m a c h e n. Kannst du dich noch an meinen Weihnachtskugel- Laden am Rümelinsplatz erinnern?»

Das ist mehr als 30 Jahre her... Es gab einen Aufschrei in der Stadt: «Aeschbi verkauft Weihnachtskugeln!»

Ja - ich war an Weihnachten in Australien bei Freunden. Die feierten da mit Kunststofftannen und grauenvollem Kugelschmuck. Unzerbrechlicher Trash... ich wollte dann in Sydney unbedingt einen Weihnachtskugel-Laden mit schönem Glasschmuck eröffnen. Eine australische Freundin war mit von der Partie...»

Aeschbi hat im damaligen «Osteuropa» Glasbläser besucht. Wunderbare Kugeln eingekauft. Und sie in einem Container nach Sydney verschiffen lassen. Als die Ware in Australien ankam, war die Freundin für den Plan nicht mehr zu begeistern...

«...da habe ich dem Transporteur gesagt: mit allem zurück nach Europa! Zwei Monate später rief mich meine Mutter an: Vor unserm Haus steht ein riesiger Camion - was soll ich tun?»

Nun - wir haben die Kugeln in zwei Garagen aufgeteilt, und ich suchte nach einem Geschäft in Basel. Man bot mir den Laden am Rümelinsplatz an. Ich habe ihn über Nacht rot gestrichen. Und die Kugeln verkauft. Das meine ich mit machen - auch wenn man mitunter auf die Nase fällt.»

In Südfrankreich ist es dir ähnlich ergangen. Du suchtest ein Haus und...

«...ich habe mir ziemlich viele Objekte angeschaut. Aber keines gefiel mir. Wichtig war mir stets die Aussicht. Und ein grosser Garten. Ich habe als Kind nie einen Garten gehabt - nur einen Balkon mit Geranien...»

Du hast das Haus dann gefunden.

«Verrückte Geschichte - es war ein altes Steinhaus. Verriegelt. Und ich konnte es gar nicht besichtigen. Aber es lag auf einem Hügel mit einer 360-Grad-Rundumsicht, die einem einfach umhaute. Es gab nur Steine. Und Gras. Viel Gras auf 6000 Quadratmetern. DAZU KEIN EINZIGES, HÄSSLICHES HAUS WEIT UND BREIT. Da habe ich sofort unterschrieben, ohne das Innere meines Hauses gesehen zu haben...»

Und wieder m a c h t e er. Schuf einen Traumgarten. Zusammen mit seiner Mutter hat er das Gras mit der Sense handgemäht. Und mit den Jahren sein Paradies geschaffen - ein Paradies, in dem er jetzt vor allem Zeit mit Leonardo verbringen will.

«Ich habe alte Olivenbäume von anderen Bauern gekauft. Die konnten damit nichts mehr anfangen. Aber für mich war jeder Baum eine Skulptur. Und eine Geschichte. Wir haben die Wurzeln sorgfältig ausgegraben. Und eingepflanzt. Die Bäume stehen jetzt auf meinem Land - und tragen jedes Jahr Früchte.»

Er lächelt jetzt:

«MAN KANN ALTE BÄUME ALSO SEHR WOHL VERPFLANZEN...»

Was Kurt Aeschbacher mag

Er mag: Unerwartetes Gärten, an denen man selber wachsen kann, und seine Labrador-Hündin Amélie

Er mag nicht: Menschen, die nicht zuhören können Ideologen, die es verunmöglichen, einander zu respektieren mampfende Fast-Food-Passagiere im Tram oder Zug

Samstag, 23. November 2019