Die pompösen Jachten bitten am Hafen von Civitavecchia zur Parade.
Sie fahren vor wie die Stars am Filmfestival von Cannes: Jede will die nächste ausstechen.
Auf einer der Luxus-Schaukeln schaukelt auch Karl. Wir sind verabredet.
Karl ist der Schneider der Queen. Und beendet seine Mittelmeer-Tour hier. In vier Tagen muss er wieder bei Buckingham und Co. sein.
«Vorher hüpfe ich mal für drei Tage zu dir auf die Insel – dann erzähle ich dir von meinem Leben. Nichts von der Queen. Die ist tabu. Aber die Geschichte, wie alles kam…»
Na bitte – ist doch schon etwas. Denn Karls Lippen sind versiegelt, was den königlichen Schlossklatsch angeht. Er hat da gar einen Eid abgelegt: «Nein. Ich plaudere nie aus meinem Nähkästchen…»
Der Kahn ist pünktlich auf die Minute. Ich parke meine alte Dreckschleuder verbotenerweise vor der Polizei. Die wollen mich wegpfeifen – aber: «Wir erwarten den Schneider der Königin. Er ist der Einzige, der bei ihr Mass nehmen darf…»
Der Satz ist massgeschneidert. Und sitzt. Sie geben mir gar eine Eskorte mit. So komme ich problemlos an allen Schranken, Polizeiwachen, Zollbeamten vorbei.
Da steht er auch schon. Und streckt die Arme aus: «Darling – you look wonderful!»
Tat ich nicht: verwaschene Shorts, verflecktes T-Shirt über Wabbelbauch und Birkenstocksandalen ohne Socken.
Aber ich schnalle sofort, worauf er anspielt: Es ist dieser Satz, welcher der Karriere des Couturiers Grünlicht gab.
Damals trug die Queen an einem spanischen Staatsempfang erstmals ein blau-weisses Seidenkleid von Karl. König Juan Carlos war begeistert. Und rief die berühmten Worte, als die Königin die Gangway hinunterschritt: «Darling – you look wonderful!»
Der Satz wurde in allen Gazetten zur Schlagzeile. Über Nacht wurde Karl «der Hofschneider der Queen».
Klein. Zierlich. Und in einem gestreiften Marine-Pullover aus feinstem Kaschmir seufzt der königliche Karl jetzt: «Gottlob bist du da. Die Reise war nur Stress. Was ich brauche: einen Whisky. Und Ruhe…»
So ist wohl erst einmal nichts mit Erzählen.
Karl-Ludwig Rehse habe ich vor etwa 15 Jahren bei Anton Mosimann in dessen legendärem Londoner Club kennengelernt. Der Schneider meidet sonst Presseleute wie der Teufel das Weihwasser: «Sie verdrehen einem alles im Mund. Und wollen nur Klatsch. Im Übrigen bin ich eher schüchtern…»
Später haben wir uns immer wieder mal getroffen. In seinem Geschäft an der eleganten Chiltern Street. Dann auch in seinem kleinen Haus, nur einen Steinwurf von der Themse entfernt – damals hat er seinen Gartenpavillon zum Atelier gemacht: «Es ist mein Wendy-Haus – irgendwie erinnert mich alles hier stets an Peter Pans Freundin Wendy.»
Selbst die Queen kennt das stimmungsvolle Atelier – als sie ihm den «Royal Victorian Order» verlieh (er darf seither ein MVO hinter dem Namen führen), flüsterte sie ihm mit einem Augenzwinkern zu: «Was macht das Wendy-House?»
Die beiden sind sehr vertraut. Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Karl – eigentlich Karl-Ludwig Rehse – ist im Ruhrpott aufgewachsen. Grossvater: Banker. Vater: Diplom-Ingenieur. Mutter: Hausfrau.
«Wir lebten im Essener Moltkeviertel. Mein Vater starb früh. So besuchte ich oft meine Grossmutter in München – wir tanzten auf derselben Wellenlänge. Sie spürte schon früh mein künstlerisches Flair…»
Die Grossmutter war es auch, die den kleinen Karl an eine Handwerksmesse mitnahm. Dort war ein Abendkleid des englischen Couturiers John Cavanagh ausgestellt…
«…UND DAS WAR ES! Ich wusste: So etwas will ich auch mal entwerfen. Meine Grossmutter rief noch am selben Abend meine Mutter an: Wir brauchen nicht mehr lange zu rätseln, was der Junge machen soll. Er wird Couturier!»
Was Karl-Ludwig Rehse damals nicht ahnte: dass er viele Jahre später für John Cavanagh arbeiten würde.
Das mit dem Couturier war leichter gesagt als getan. Denn für Männer galt in Deutschland:
«…Hände weg von Damenmode. Das ist nur für Frauen. Da musste ich eben in den sauren Apfel beissen. Und die Gesellen-Lehre bei einem Herrenschneider absolvieren. Der reine Horror! Wir hockten im mühsamen Schneidersitz auf dem Tisch. Machten einen Buckel. Und stichelten Hosennähte. Ich habe heute noch Rückenschmerzen davon!»
Nach der Gesellenprüfung ging Rehse nach München. Und machte dort das Meister-Diplom in der Damenschneiderei bei Horst Klöss: «Wir mussten von Pontius bis Pilatus pilgern, bis die Innung eine Ausnahme machte. Und mir die Bewilligung im «Damenumfeld» gab. Ich war der einzige Junge. Und natürlich der Hahn im Korb. Damals schon arbeiteten wir für Adlige und Filmstars – Haute Couture eben!»
Und weshalb dann England?
Er spreizt die Finger: «Irgendwie ist ja alles vorgeschrieben. Schicksal. Ich reiste mit einem Freund nach London. Wir wollten 14 Tage Urlaub machen. Am zweiten Tag lernte ich den Modezeichner John Anderson kennen. Er konnte kein Deutsch. Ich kein Englisch. Wir harmonierten dennoch fantastisch. Er wurde mein Freund. Ich bin nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Bis heute… that’s all!»
John Anderson war damals bereits ein berühmter Stylist, der für Cavanagh Modelle anfertigte. Und somit auch die Kleider für die königlichen Damen in Buckingham entwarf.
«John besorgte mir bei Cavanagh einen Job als Näher. Das war hart. Aber eine gute Schule. Danach habe ich auch für eine Bank gearbeitet – ganz einfach, weil ich etwas anderes machen wollte, etwas anderes sehen. Aber ich spulte in der trockenen Bankwelt irgendwie in einem falschen Film. Und dennoch hat es mir später viel gebracht, als ich unsern Laden buchhalterisch schmeissen musste…»
Karl Rehse kehrte zur Mode zurück. Und arbeitete jetzt für den legendären Bellville Sassoon.
Dann kam das Jahr 1988:
«John und der neue Boss bei Cavanagh hatten das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Also beschlossen wir, den Schritt zu wagen – und eine eigene Couture zu eröffnen.
Natürlich war das sehr riskant – Haute Couture konnten sich auch damals nur ganz wenige leisten. Aber immerhin hatte John ja bereits bei Cavanagh gute Kundinnen angezogen.
Also: wir nahmen einen Kredit auf. Starteten die erste Modeschau. Und der Hof bekam Wind davon … Jedenfalls flatterte eine königliche Einladung ins Haus: Wir sollten unsere Modeschau den Royals vorführen – also da hatten wir beide doch ein bisschen Herzflattern…»
Die Königin förderte die zwei. Bestellte für einen Staatsempfang gleich mal 16 Kleider. – «Das war natürlich ein irre guter Start. Es musste alles innert drei Wochen fertig sein. Wir nähten Tag und Nacht...»
Die beiden wurden Hoflieferanten. Und durften den Titel sowie das entsprechende Wappen führen. Ich erinnere mich, dass dieses glamouröse Schild das Einzige war, was Karl Rehse damals im eleganten Stadtviertel Marylebone in sein Schaufenster legte.
Später wurde er gar Präsident der Gilde der königlichen Hoflieferanten – eine ganz spezielle Ehre für einen Nicht-Engländer.
Es war 1996, als Karls Freund John Anderson starb: «Er hatte Krebs. Es ging schnell. Aber ich war am Ende. Wir hatten ein Leben gemeinsam aufgebaut – plötzlich war da der Riss. Ich vermisse ihn heute noch jeden Tag.»
Es war wieder die Queen, die ihm nun Mut machte, den Weg alleine weiterzugehen.
«Ich konnte mir keine Pause leisten. Und arbeitete meine erste eigene Kollektion mutterseelenallein aus. Psychisch war ich total am Boden – aber irgendwie beflügelte mich der Schmerz in meiner Arbeit. Und ich tat es für meinen Freund – nannte die Modeschau entsprechend auch ‹Hommage an John›.»
Und wieder wurde alles ein Erfolg. Heute ist Karl-Ludwig Rehse der dienstälteste Schneider Ihrer Majestät.
«Wir sind drei – ich bin am längsten dabei. Heute arbeite ich ausschliesslich für die Queen – zusammen mit Theresa. Sie ist Spanierin. Wenn wir nach Buckingham zur Anprobe gehen, muss ich aus dem Zimmer. Und Theresa steckt alles ab. Das ist eine Vertrauenssache.»
Er lacht: «Theresa wurde ebenfalls von der Queen geehrt. So redet sie jetzt immer nur noch von «meiner Queen» – obwohl sie ja in Spanien ihre eigene hätte…»
Auf der Insel entspannt sich Karl-Ludwig dann. Der Meereswind hat den Stress der Kreuzfahrt weggeblasen – er ist jetzt offener. Auch zu Fragen der königlichen Kleidung. Da werde nichts dem Zufall überlassen:
«Wenn die Königin bei einem Staatsbesuch aus dem Flugzeug steigt, darf der Mantel oder das Kleid nicht plötzlich aufwehen. Also muss ein Gewichtsfaden eingenäht werden – aber wie und was, ist natürlich Berufsgeheimnis…»
Und was ist, wenn es regnet?
«Die Queen hat für jede Wettermöglichkeit Kleider bei sich. Alles ist genau geplant. Auch wenn sie eine Kirche besucht. Oder eine Moschee – einmal habe ich ihr einen bodenlangen, weissen Mantel aus Musselin geschneidert, den sie über dem Kleid trug. So war sie auch beim Moschee-Besuch comme il faut. Wie gesagt: Nichts wird dem Zufall überlassen.»
Pflegt sie ihren eigenen Stil? Ich meine: Redet sie dir in die Arbeit rein?
Er hebt die Augenbraue:
«Sie weiss ganz genau, was sie will – und wer bin ich, dass ich Ihrer Majestät widersprechen würde. Das Outfit ist stets ähnlich – und doch hat es sich, wenn man es genau beobachtet, in den letzten Jahren verändert. Sie benutzt kräftigere Farben. Hat manchmal auch Lust auf etwas ganz Spezielles – als sie in meinem Harlekin-Abendkleid an einer Wohltätigkeitsgala auftauchte, hätte sie jeden Filmstar in den Schatten gestellt. Das Harlekin-Bild ging dann ja auch um die ganze Welt…»
Sie lässt sich immer neue Kleider entwerfen – trägt sie diese nur einmal?
«Natürlich nicht. Sie weiss ganz genau, dass sie kostbare Handwerksarbeit vorführt. Und deshalb trägt sie vieles immer wieder. Aber wenn sie – auch heute mit über 90 Jahren – einen grossen Auftritt an einem Staatsempfang oder bei einer offiziellen Feier hat, dann erwartet man sie in einem neuen Outfit – das ist wie eine Premiere im Theater. Ihre Majestät ist da absolut professionell. Sie erfüllt die Erwartungen wie ein Rockstar. Oder wie eine grosse Operndiva – doch keine andere Frau auf dieser Welt kann Haute Couture so grossartig präsentieren wie die Queen. Da ist sie einzigartig – die Queen erst bringt die Schönheit eines Berufs, den es wohl bald nicht mehr geben wird, zum Blühen. Das macht ihr niemand auf dieser Welt nach…»
Er lächelt nun.
«Ich hatte Glück in meinem Leben. John, ja unsere ganzen gemeinsamen Jahre waren ein Glücksfall – und dann hatte ich neben ihm den schönsten Beruf, den ich mir vorstellen kann: «Schneider für die Queen» – ich weiss noch, dass ich mir fast in die Hose machte, als ich das erste Mal der Königin gegenüberstand. Ich konnte kaum ein Wort sagen. Aber sie kam auf mich zu. War so herzlich, so wunderbar… und vor allem: Sie hat einen ganz einzigartigen Humor. So viel darf ich verraten: Wir lachen herzlich viel.»
Er macht eine kleine Pause:
«…als Junge habe ich mit meiner Mutter einen Film im Kino angesehen. Das war vor über 60 Jahren. Er zeigte die Krönung von Elizabeth II. Ich war schon damals ganz hin und weg von ihr – hin und weg von dieser Märchenwelt mit den goldenen Kutschen und den prächtigen Kleidern…»
Heute ist Karl-Ludwig Rehse ein Teil des königlichen Märchens.
Was Karl-Ludwig Rehse mag
Er mag: Whisky, Blautöne und vor allem Ihre Majestät, die Queen
Er mag nicht: Klatsch, schlechte Manieren und Massenkonfektion