«Berlin war für junge Künstler das Mekka...»
Er ist Adelbodner.
Das oberländisch Schlaksige ist ihm geblieben:
Etwas introvertiert.
Scheu.
Skeptisch.
Es braucht seine Zeit, um mit Hans Richard warm zu werden. Ein Adelbodner eben. Und dies im Kiez von Berlin.
Natürlich kenne ich das Oberländer Hotel, in dem er aufgewachsen ist. Und das zu meiner Jugendzeit nur noch durch das «Palace» übertrumpft wurde.
Das «Palace» brannte ab. Das «Bellevue» wurde Adelbodens Nummer 1. Bis heute. Und ist auch jetzt noch in der Familie der Richards.
Ich warte im grossen Salon des Berliner «Adlons» auf ihn. Er storcht durch die Drehtür: Dunkel in Dunkel: schwarzer Kittel. Nachtdüsteres Hemd. Nur sein Haarwusch funkelt provozierend in einem gefährlichen Rot von poliertem Kupfer.
Er schaut sich um. Unsicher. Dann winkt er etwas verlegen: Hans Richard – ein Berner Oberländer, der im letzten Jahr Berlins Gastro-Szene aufgemischt hat. Sein «Richard’s» ist der Renner. Das Interieur «le Dernier Cri». Und dann hat Michelin den Betrieb mit einem Stern geadelt – die Gourmetwelt stand kopf.
Adelboden?
Er bestellt sich als Erstes einen Oragenjus. Und schaut auf: «Was ist mit Adelboden?»
Nun, die Jugend? Wie war das in einem Hotel zu leben?
Er überlegt.
Das war ganz o.k. Wir sind ja vier Geschwister. Und natürlich war immer etwas los. Meistens tobten wir im «Annex», einem Art Schopf herum – aber natürlich ist es für Kinder wunderbar, wenn stets jemand daheim ist. Und wenn immer Leute da sind: ...jemand in der Küche, bei dem man sich etwas zum Naschen holen darf (da waren die Eltern zwar streng, aber das Personal stand auf unserer Seite ... jemand, der einem bei den Aufgaben hilft... nein. Die Jugend war schön. Wenn auch eng. Und wenn ich manchmal meine Mutter betrachtete, wie sie durch das Hotelleben gehetzt wurde – da war für mich klar: keinen Schritt in dieses Gewerbe! Nie Gastronomie. Nie Service...
Und dann wurde es doch dieser Beruf? Oder eben: die Berufung?
Nun ja – natürlich mussten wir Kinder im Hotel mithelfen – und ich war bereit, überall anzupacken: Toiletten zu putzen, in der Wäscherei zu bügeln. Aber beim Service bockte ich...
Zum ersten Mal lacht er auf: ...wenn ich nach Hause gehe und meinen Geschwistern erzähle, dass ich in meinem Berliner Restaurant die «Honneurs» mache und auch schon mal die Teller an den Tisch bringe, da grinsen die nur: «Ausgerechnet du?»
Er nimmt einen kräftigen Schluck vom Orangenjus:
Das Verrückte daran ist, dass es mir sogar Spass macht... immer mehr.
Bist du noch viel in Adelboden?
Nun, wenn du ein Restaurant hast, bleibt nicht viel Freizeit. Aber ich fahre doch immer wieder mal hin. Unter dem Wildstrubel stecken ja meine Wurzeln.
O.k. Aber weshalb bist du denn überhaupt weg?
Das geht wohl vielen andern auch so, die in engen Dörfern aufwachsen und etwas Neues wollen. Für mich war klar: keine Hotelarbeit. Aber Kunst. Schon früh hat mich Malerei fasziniert – auch Einrichtungen. Stil. Da hat man in einem kleinen Ort wie Adelboden kein Brot. Also bin ich weg. Und habe in Basel drei Jahre lang die Allgemeine Gewerbeschule besucht. Und zwar bei Werner von Mutzenbecher...
Und? Gut gelaufen?
Nun ja. Irgendwie brachte mir die Schule nichts. Ich brauchte mehr Luft. Noch mehr Freiheit. Und da war Berlin die allererste Adresse...
Wohl auch weil es damals bei jungen Künstlern hipp war?
Nein. Berlin hatte Platz. Viel Platz. Das war das Wichtigste. Dazu kamen erschwingliche Preise. Es gab dort nach dem Mauerfall viel freie Räume. Junge Künstler, die etwas Unorthodoxes auf die Beine stellen wollten, jagten zu Tausenden hin. Es war eine aufregende Zeit. Und für alle jungen Leute damals sicher das Mekka, so man in irgendeinem künstlerischen Bereich neue Wege gehen wollte...
Er studierte hier Form. Farbe. Stil. Hatte tausend Pläne:
...und plötzlich landete ich dann doch wieder in der Gastronomie. Essen ist ja spannend. Und auch seine Entwicklung. Mir schwebte ein Restaurant vor, das ich nur drei Tage offen halten wollte. Ein Raum mit Kunst und gutem Menüangebot. Dies zu vernünftigen Preisen. Das waren eben die Träume von damals...
Bist du so auf das «Richard’s» gekommen.
Nein. Das war vorher. Nach dem Mauerfall war es ziemlich unkompliziert etwas Neues auf die Beine zu stellen – Ideen zu verwirklichen. Alles war chaotisch. Da war niemand zuständig. Es gab kein Bewilligungsbüro... keine Beamten, die Regeln vorgaben... kein Diktat mit Wenn und Aber... alles frei. Das hat Berlin damals so faszinierend gemacht...
Und dann?
Nun, nach dem Millennium wurde die Sache bereits schwieriger. Der Beamtenapparat schwoll an. Und als ich schliesslich ein geeignetes Lokal suchte, waren die Vorgaben mindestens so streng wie in der Schweiz. Die Auflagen sind enorm – Lärmschutz, Hygiene, Umwelt. Das ist für einen Alleinunternehmer kaum mehr zu stemmen...
Man denkt doch immer, Berlin sei die grosse Freiheit.
Das war es früher sicher auch ... aber es hat sich vieles verändert. Ich habe mir zig Gebäulichkeiten angeschaut. Ich wollte Räume zu einem Gastronomie-Lokal und Treffpunkt umgestalten. Das war nicht mehr möglich. Die Kosten um alles normgerecht und nach den Vorlagen der Behörden aufs Geleise zu bringen, waren einfach zu hoch. Und würgten jede Idee ab... dazu kommt, dass nun auch die Mietzinsen angestiegen sind. Berlin boomt. Und das spiegelt sich seit einiger Zeit in den Preisen wider.
Und dann kam dieses Haus an der Köpenickerstrasse 174?
Es kam nicht. Ich hörte davon. Es ist ein Bau aus der Gründerzeit. Und dies in einem ziemlich unspektakulären Umfeld – Container, Autostrassen, Fabrikareal.
Aber das Haus hatte bereits eine Geschichte – ein gewisser «Richard» hatte es mal gebaut. Irgendwie war das Nomen ein Omen...
Du schautest dir das Gebäude also an...
...und ich wusste sofort. DAS IST ES! Irgendwie atmete ich da die Vergangenheit, die aus den Mauern strömte. Ich sah die Schönheit der Gründerzeitelemente und der Jugendstilscheiben. Man sagte mir, dass früher hier ein Kino und auch ein Tanzpalast gewesen seien – nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Haus mit den hohen Räumen ein Pub. Und in den 60er-Jahren war es der Treff der Berliner Punkszene. Schliesslich machte man eine Shisha-Bar daraus und... Also eine tolle Geschichte
So etwas wollte ich ja – einen Ort mit Geschichte. Und einen Ort, wo Essen, Kunst und Entertainment zusammenkommen. Ich sagte zu. Und da das Ganze bereits ein Gastronomieplatz war, wurde es auch mit den Bewilligungen einfacher. Ich baute um. Frischte auf. Suchte Kunstwerke von befreundeten Künstlern aus. Und richtete ein...
Jetzt strahlen die Augen des Adelbodners:
...da war ich in meinem Element. Ich holte zwei Köche. Die waren übrigens beide auch Berner Oberländer. Einer ist wieder nach Gilbach zurückgekehrt. Und macht jetzt dort Furore.
Wir tüftelten dann als Team die Menükarte gemeinsam aus – es musste einfach alles zusammenpassen: Einrichtung, Stimmung, Essen!
Hans Richard schaut auf – winkt zur Drehtür: Dort kommt Till. Er ist es ja, der uns den Stern erkocht hat!
Till Bühlmann ist Thuner. Er hat im «Viktoria-Jungfrau» von Interlaken als Koch gearbeitet:
Ich brauchte dann aber eine Auszeit. Und ging für ein Jahr nach Berlin. Ich male gerne, liebe die Kunst – so habe ich in einem NZZ-Style-Artikel über Hans gelesen. Und über seine Kunsteinrichtungen. Ich habe ihn besucht. Und sein Konzept hat mich gleich von Anfang an fasziniert – Kunst und Gastronomie.
Zuerst habe ich als Aushilfe bei ihm gekocht – dann langsam die Küche als Chef übernommen...
...und jetzt den ersten Michelin-Stern für einen Schweizer in Berlin geholt. Dies in Kreuzberg. Ist das nicht ein grosser Druck?
Till Bühlmann überlegt:
...nun. Wir geben uns Mühe wie zuvor. Wir bleiben unserer Linie treu: eine französische Küche, die innovativ aber von ihrem Ballast befreit ist. Alles unprätentiös. Und für den Geniesser gut verständlich...
Er lacht:
Wir haben zwar immer wieder neue Ideen – aber puncto Preise sind wir uns selber treu geblieben!
Tatsächlich gehört diese Denkensart auch zu Hans Richards Philosophie:
Wir sind nicht gesponsert, wie viele andere Sternerestaurants. Wir sind auch nicht querfinanziert. Wir müssen sehr genau kalkulieren. Und reich wird bei so einer Art von Gastronomie wohl keiner. Aber ich möchte beweisen, dass man auch mit bescheidenen Preisen ein Restaurant unserer Art gut führen kann...
Abends machen wir uns selber ein Bild – das «Richard’s» in dieser fast amerikanischen Industriezone ist bis auf den letzten Platz besetzt.
Und Paul Burkhalter, als alter Berliner, nickt anerkennend: «Die Preise sind mehr als bescheiden – und die Stimmung einzigartig.»
Hans Richard kommt an den Tisch. Er hat schon wieder Pläne: die Wände mit einer ganz sanften Farbmischung neu zu streichen... einige Lichter anders zu setzen – neue Kunst aufzuhängen.
Dann kommen die Gäste. Und er begrüsst sie an der Türe, führt sie zum Tisch – der geborene Gastgeber. Auch wenn er das selber nie von sich sagen würde.
Später erklärt er uns:
Wir haben viele Stammgäste aus der Zeit, als wir noch nicht zu den Sternelokalen zählten. Sie sind dankbar, dass sich kaum etwas verändert hat. Wir haben das Sechs-Gang-Menü im Preis um fünf Euro heraufgeschraubt. Das war einigen dann allerdings schon zu happig. Berlin ist eben nicht Paris. Oder London. Das müssen wir uns hier immer wieder bewusst sein...
Später erzählen Till und Hans von ihrer Freizeit, die sie nicht haben. Die sie aber vorwiegend ihren beiden Töchtern widmen.
Hans bringt seine Kleine auch schon mal von Berlin ins Oberland – «Aduboode» kann sie schon sagen.
Und Heimweh?
Hans Richard schaut nun wieder etwas träumerisch zu den grossen Fenstern hinüber.
Heimweh. Was ist das? Natürlich bin ich gerne in Adelboden. Aber wenn ich dann dort bin, sind meine Gedanken immer in Berlin. Ist das Heimweh?
Das Lokal ist nun bis auf den letzten Platz besetzt. Till schickt seine ersten Kreationen aus der Küche. Und Hans steht auf: Die Pflicht ruft...
Er hilft beim Servieren mit. Und zwinkert uns zu: Erzähl das nicht in Adelboden... die würden es nie glauben...
Was er mag – und was nicht
Er mag: Guten Stil, neuzeitliche Kunst und unprätentiöses Essen.
Er mag nicht: Enge, Kleinkariertes und schlechten Geschmack.