Als ich ihn zum ersten Mal sah, war er blutjung. Schlagfertig. Und kugelsicher im Schuss.
Dazu: KEIN GRAMM LAMPENFIEBER!
Wir standen hinter der Bühne. Ich dachte: «Was willst du mit Haar ausfall, zwei Plattfüssen und bald in Rente mit diesem Schnösel auf der Bühne?!»
Zehn Minuten später hipphoppte ich mit Joël von Mutzenbecher auf den Brettern herum.
Hinter der Bühne warf ich mir als Erstes ein Voltaren ein. Als zweites tippte ich in mein elektronisches Note-Book: «Dieser Mutzenbecher ist genial - er macht den Gast locker wie Pudding - ein Bühnentalent der ersten Stunde!»
Ein Jahrzehnt später hatte der Basler Comedian seine eigene Show. Er tingelte durch Deutschland, Österreich, die Schweiz - und möchte (so Corona es zulässt) im Oktober sein neustes Soloprogramm starten: «STAND UF!» Nach der lethargisch-depressiven Quarantänezeit darf man diese positive Aufforderung mit grossem Applaus begrüssen!
Wir sitzen im «Aqua»- das war vor dem Virus.
Joel sagt Nein zum Fleisch («Ich Vegetarier? Ja hallo - spinnst du?») - Er lässt sich eine Pasta bringen und erklärt mir den Titel:
«Also - das liest sich auf dem Plakat wie STAND UP... von Stand-up-Comedy: STAND UF! Schnallst Dus? Und die Botschaft dazu: Es kommt nicht darauf an, wie oft du in deinem Leben hinfällst - sondern, dass du immer wieder aufstehst...»
Er ist also in Basel hingefallen. Immer wieder aufgestanden. Und im St. Johannsquartier aufgewachsen. Es gab Gastspiele in der Steinerschule sowie im Gymnasium am Münsterplatz. Und er war keineswegs ein mieser Schüler:
«...aber sehr faul. Und bestimmt der bessere Imitator. Ich habe Lehrer imitiert. Und alle Otto-Szenen vor der Klasse nachgespielt. Ich war ein «Comedian». Na ja - damals sagte man dem «das Kompanie-Kalb!». Mein Aha-Erlebnis kam, als ich mit 12 Jahren Michael Mittermeier im Fernsehen sah. So etwas wollte ich auch machen...»
Später eröffnete er seinem Jugendfreund Adrian Plachesi: «Ich möchte Comedian werden...» Der winkte ab: «Wir haben doch schon den Rima...» Tatsächlich gab es zu jener Zeit kaum andere Comedians in der Schweiz. «Kabarettisten schon. Aber Komiker im heutigen Sinne der Stand-up- Comedians nicht...»
O. k. - aber was ist überhaupt ein Comedian?
«Na ja - der Begriff kommt aus dem angelsächsischen Raum. Er ist sehr breit gefächert. In den USA war Lenny Bruce der Vorreiter in diesem Genre - das war vor 70 Jahren! Comedy kann fast alles sein: wirr, rabenschwarz, sinnlos witzig. Sie muss auch nicht unbedingt einen Mahnfinger haben...»
MAHNFINGER LIEGEN DIR NICHT?
«Ich gebe dem Publikum eine kleine Botschaft mit. Aber ohne Hammerschläge... ich denke, das bewirkt mehr...»
Also - amerikanische und auch britische Comedians haben die Deutschen inspiriert und...
«...Thomas Hermanns hat in den 90er-Jahren den Quatsch Comedy Club gegründet. Das war der Anfang im deutschsprachigen Raum... sein Theater in Berlin ist unglaublich. Es ist ein reiner Comedy-Club, hat 350 Plätze - trotzdem herrscht eine faszinierend intime Atmosphäre. Sein Club ist die «Met» oder die «Scala» in unserer Branche...»
Aber in eidgenössischen Hemisphären gibt es Comedians noch nicht lange...
«Ja klar - die Schweiz brauchte nach Deutschland weitere 20 Jahre. Hier begann Comedy so um 2010. Die Sache boomte sehr schnell...»
Ich weiss immer noch nicht, was ich unter Comedy zu verstehen habe.
«Na gut - das kann von Slam-Poetry über getanzte Worte bis zum singenden Clown alles sein. Die Comedy von heute hat viele Nischen, Arten, Schattierungen...»
Kommt da nicht die Gefahr eines Überangebots?
«Klar. Wir stecken schon mittendrin - plötzlich ruft jede Beiz, jeder Cliquenkeller, jeder Videokanal und jeder Kiosk einen «Comedy»-Abend aus. Alle können als Comedians auftreten - und das sollen sie auch. Aber die Qualität wird eben durchwässert. Sagen wir es so: Wir haben ein Spielbrett mit einigen Hundert Figuren. Die Zeit rüttelt momentan alles durch - viele werden vom Brett weggespickt. Die Qualität bleibt oben stehen...»
Du hattest vor sieben Jahren dein erstes Stand-up-Soloprogramm - das war bei Häbse.
«Vorher hatte ich bei ihm meine Primetime-Show. Ich brachte Leute auf die Bühne... sie rappten, sangen, tanzten, liessen die Sau raus.»
Danke. - Ich erinnere mich!
«Ich arbeitete einen Monat lang auf einen einzigen Abend hin. Danach war ich auf Zero. Ich sank nach den Shows jeweils in ein tiefes Loch. Und war unzufrieden mit mir - mir war klar, dass ich etwas ändern musste. Mein grosser Wunsch war: ein Solo-Programm...»
Das hast du dann auch realisiert...
«Am 1. November 2013 war es so weit. Nach 20 Bühnen-Minuten spürte ich ein unglaubliches Gefühl - das war es! Diesen Moment hatte ich seit meiner Jugend angestrebt. Ich war ein Comedian. Das kannst du nicht lernen. Man ist es. Oder eben nicht. Und wenn die Zeit zeigt: du bist es, so hat man dieses unbeschreibliche Glücksgefühl, das einem bei jedem Auftritt sagt: Du hast das Glück, dich selber sein zu dürfen!»
Anderes Thema - du trägst ein Tattoo - eine Krone:
«Ich habe mehrere Tattoos. - willst du sie sehen?» So weit wollen wir nicht gehen.
«Aber das hier ist die Corona, ein bisschen schräg in dieser Zeit - aber immerhin ist es die Krone von Jean-Michel Basquiat. Ich habe sie an einer Art Basel als riesiges Bild gesehen. Und war fasziniert. Deshalb wollte ich sie auch als Tattoo...»
Was hast du noch?
«Ich dachte, du willst es nicht sehen?»
Will ich auch nicht. - Aber ich möchte wissen: Bedeuten sie etwas? Haben sie eine Aussage? Sind es Ausrufezeichen im Intimbereich...?
«DORT IST NICHTS DERGLEICHEN - IM ÜBRIGEN BEDEUTEN SIE NULL. Ich finde es faszinierend, bei meinem Tätowierer in Luzern auf dem Schragen zu liegen. Das ist besser als eine Stunde beim Psychiater...»
Der Kellner unterbricht. «Ein Dessert die Herrschaften?» Ich natürlich voll drauf. Joël von Mutzenbecher bestellt «nur Espresso!»
Machst du auf Linie?
«Nein - aber manchmal übe ich Selbstzensur! Im übrigen habe ich als Tattoo auch einen Löwen. Auf der Wade...»
Von jetzt an sackte das Gespräch in eine skurrile Comedian-Nummer ab. Wir alberten. Und ahnten nicht, dass die andere Corona, also die Virus-Krone, das Thema der nächsten Monate werden würde.
Als die Pandemie uns alle ins Home office gepfiffen hatte, meldete ich mich bei Joël: Was tust du? «Was alle in unserem Job tun: die Auftritte absagen...» Totales Neuland? «Ja und Nein. Falls ich mich mit meinem Programm verkalkuliere und auch keine externen Aufträge bekommen würde, wäre die Situation ähnlich. Dummerweise kam jetzt alles in einem Moment, wo es bei mir rundum sehr gut lief. Aber wir Künstler sind «Durststrecken» gewohnt. Natürlich gibt es jetzt auch solche, die froh sind, dass sie Corona die Schuld geben können, wenn es nicht so flott läuft...»
Und die nächsten Wochen?
«Momentan kann ich alles noch pragmatisch angehen - ich suche kein Mitleid. Wenn sich die Sache aber über Monate hinwegziehen sollte, wird es schwierig...»
Das geht den meisten so...
«Klar. Ich bedaure vor allem diese Betriebe, die noch nie in einer solchen Situation gewesen sind: Beizer, Coiffeursalons - die Liste ist endlos. Bei uns redet jeder von den Künstlern - aber unsere Techniker in der Show trifft es genauso hart wie die Kassenmenschen oder die Agenturen: ohne Auftritt keine Löhne...»
IMMERHIN KANNST DU JA AUF YOUTUBE DEINE BERÜHMTEN PODCASTS SENDEN.
«Die werden zum Glück auch viel geschaut. Ansonsten aber mache ich momentan bewusst nichts - keine Live-Streams fürs Fernsehen, keine Wohnzimmerauftritte. Nur für deine Fotografin Lucia kletterte ich als Fledermaus an die Decke. Aber: Ich bin Komiker geworden, um vor Menschen live zu performen...»
Und was tust du den ganzen Tag?
«Ich habe mich in die Berge abgesetzt. Und ich werde die nächsten Wochen an meinem neuen Programm und vielleicht auch ein bisschen an mir arbeiten. Ich habe mich von allen Social-Media-Kanälen abgemeldet. Es geht mir nicht schlechter deswegen - definitiv nicht.»
DU SETZT ALSO AUF DEN LIVE-AUFTRITT - WENN WIR ALLE WIEDER DIE THEATER STÜRMEN...
«Ja. Und deshalb glaube ich auch, dass diese Form von Live-Comedy nie vorbei sein wird. Sie wird neue Wege gehen - aber die Substanz bleibt: Die Menschen wollen das direkte Erlebnis, wenn die Energie auf der Bühne zusammen mit dem Publikum eine Einheit wird. Das ist es, was gute Comedy ausmacht. Und das wird immer überleben...»
Er mag: kreatives Chaos, graue Haare, Raclette und seinen besten Freund: Roger Federer
Er mag nicht: Blütenpollen, enge Räume, enge T-Shirts und die dumme Frage, was er nicht mag...