Seine Geschichten waren (und sind) anders. Bunter. Irgendwie auch spannender als die Statements der anderen politischen Korrespondenten.
Er spricht sachlich. Klar. Ungefärbt. Ohne stille Vorwürfe an die Welt und uns alle, die sie so schrecklich machen. Ohne wütende Untertöne. Ohne Drama und Angstmacherei.
Nein. Perfekte Analysen. Spannende Filme. Und somit anders als so vieles, was die politische Berichterstattung um diesen Erdball uns immer wieder erzählt.
Sagen wir es so: Seine Kommentare und Filme sind nicht der stets gleich gewürzte Fernsehbrei, der uns von den Tagesschau-Redaktionen aus allen Ländern vorgekocht wird.
Da ich in Rom lebe, hat es mich stets interessiert, was Philipp Zahn zu sagen hat. Über Italien. Über die Ewige Stadt. Über das Leben hier.
Deshalb: «Essen wir zusammen?»
Er zögert keinen Moment: «Klar. Wo wohnst du?»
Ich bin im Centro Storico daheim.
Er reagiert überrascht: «Gut. Zeig mir dein Lieblingslokal... Ich komme mit dem Moto.»
Klar. Im Centro sind Autos unmöglich. Schneller kommt ein Kamel durchs viel zitierte Nadelöhr als ein Personenwagen ins alte Zentrum von Rom. Deshalb klemmen sich alle den Roller unter den Hintern.
ER SCHWEBT AUF EINEM MOTORRAD VOR UNSEREM PALAZZO AN. SCHWEBEN IST DAS RICHTIGE WORT. DIE MÜHLE IST SO LEISE, DASS MAN DANEBEN EINE FLIEGE HUSTEN HÖREN KANN.
Er schält den Helm vom Kopf: «Heiss, nicht wahr? Elektrogesteuert. Die Kiste nehme ich nach Zürich mit - sie ist geräuschlos... ein Hit.»
Ich sage nichts. Aber ich denke mir im Stillen, dass das Leise nicht die Sprache von Zürich ist. Dort brausen die Ferraris. Und wenn schon Motos, dann Harleys. Darunter macht es die Zürcher Garde nicht.
Fällt es dir nicht schwer, von dieser faszinierenden Grossstadt hier in ein Schweizer Dorf zu wechseln?
Das war bissig. Aber aus dem Gesichtswinkel von Millionenstädten ist auch die grösste Stadt unseres Landes nur ein Fliegenschiss.
Er zuckt mit den Schultern: «Nein. Ich freue mich auf die Schweiz. Und ich freue mich auf Zürich - es hat viel Gemeinsamkeiten mit München. Und ich bin in München aufgewachsen.»
Erst jetzt merke ich: Er redet Deutsch. Perfektes Hochdeutsch. Nicht gelackt. Aber eben doch D e u t s c h. Und keinen Schweizer Dialekt.
Er lacht: «Hast du einen Appenzeller erwartet? Ich bin Mitteleuropäer die Mutter aus Böhmen - der Vater aus Nürnberg. Er bekam eine Professur in München. Also wuchs ich an der Isar auf...»
Schule?
«Das alte Maximilian-Gymnasium. Schon Ratzinger hat hier Latein gebüffelt. Und Andreas Bader... Natürlich hat mich die Schulzeit bei der Münchner Freiheit geprägt. Später wurde mein Vater nach Berlin berufen - also wechselte unsere ganze Bagage an die Spree.»
Mittlerweile sind wir bei der Casa Bleve angelangt. Die Beizerin - ein winziges Unikum in einer Art Pluderhose (ihr Markenzeichen) mit Kochhäubchen - ist von Philipp sofort hin und weg: «Che bel’uomo!», flüstert sie. «Un simpaticone!»
Nun ja. Er sieht gut aus. Fernsehtauglich eben. Blaue Augen, Dreitagebart - das Haar schüttert ein bisschen. Aber da hat er den Dreh raus, sich so filmen zu lassen, dass keiner es merkt.
Ich lasse Tina das Menü zusammenstellen - sie bringt rohe Lametten von einem tagesfrisch gefangenen Dentice, eine Pasta mit verschiedensten Meeresmuscheln und kandierten Tomaten. Als Dessert ihre hausgemachten Biscotti mit einem Pistazien-Sorbet.
«Im Keller findest du den 2000 Jahre alten Swimmingpool von Nero. Überdies eine alte Römerstrasse - und etwa 20’000 Weinflaschen, welche die noblen Römer Familien hier lagern...»
Ich liebe es, mit Tina und ihrer Beiz anzugeben. Philipp zeigt sich entsprechend beeindruckt: «Rom wirft einen immer wieder um...»
Eben. Und deshalb die Frage: Wie bist du nach Italien gekommen? Du lebst schon dreissig Jahre hier.
«Meine Eltern hatten ein Domizil auf Elba. Wir fuhren schon als kleine Kinder hin. Ich bin also mit der italienischen Mentalität aufgewachsen. Elba war eine eigene Welt. Erst später habe ich gemerkt, dass die Insulaner nicht die klassischen Italiani sind. Ihre Sprache hat selten etwas mit dem lupenreinen Italienisch zu tun - und ihr Wesen ist anders als auf dem Stiefel. Die Jahre auf Elba haben meine Liebe zu Italien genährt - und die Neugierde geweckt. So habe ich in München und Berlin - später dann auch in Siena - Italienisch studiert. Ich war dort einer der Ersten des Erasmus-Programms.»
Und Journalismus?
Er winkt ab: «War nicht im Fokus. Ich wollte Manager werden... Manager in einem Grossbetrieb. Also habe ich mich in St. Gallen für die Hochschule beworben.»
Und?
«Es gab eine Vor-Aufnahmeprüfung. Ich reiste hin. Die Stadt erschien mir grau und düster. Nun gut. Ich rasselte durch das Examen - Mathematik war nicht mein Ding. Ein Kollege von mir, der ebenfalls durchfiel, nahm es locker: So sehen wir uns dann in Berlin wieder...»
Jetzt grinst Zahn: «Der besagte Kollege spannte mich für Radiosendungen ein. Wir drehten kleine Filmchen - man konnte im damaligen Westberlin einfach alles tun. Und die Sendungen übers Kabelfernsehen ausstrahlen. So hat es mir langsam den Ärmel reingezogen. Ich machte Reportagen - dann fiel die Mauer. Das veränderte alles. Plötzlich sass ich in einem Flugzeug nach Strassburg. Und sollte erste Stimmen von Politikern zur Wiedervereinigung einholen. Es ging so richtig ab...»
1993 arbeitete er fürs ZDF in Rom: «Aber ich war Freelancer. Drehte meine ersten Filme und Berichte - und verkaufte die Beiträge an alle Sender. Drehen, Moderieren, Cut - alles hausgemacht!»
Du hast dann auch Kriegsgebiete besucht, Kosovo, Serbien...
«In Tripolis hatte ich das Aha-Erlebnis. Das war 2011. Sie haben auf ein Auto unserer Kollegen geschossen - der Fahrer war tot. Das wars. Ich wusste, dass ich nicht die Gene für Kriegsberichterstattung habe. Dafür muss man besonders gestrickt sein...»
Du bist damals zwischen Deutschland und Italien hin- und hergependelt. In Rom lebtest du auf dem Land...
«Ja - in Torrimpietra. Traumschöne Gegend: sanfte Hügel... herrliche Landschaft und Strände wie in der Karibik. Meine Freunde aus der Ewigen Stadt besuchten mich immer, wenn sie am Sonntag nach Fregene schwimmen gingen. So habe ich auch die Mutter meiner beiden Söhne kennen gelernt - sie ist Sizilianerin.»
SIZILIANERIN! Und die Eltern haben akzeptiert, dass ihr nicht geheiratet habt?
«Mein Schwiegervater war Künstler. Seine Frau hat ihn ein Leben lang mit Maestro angeredet... doch die Familie war kulturell sehr aufgeschlossen. Auch in ihrem Denken...»
Du hast die Berlusconi-Jahre mitgemacht - wie war das?
«Für uns Journalisten war er ein Segen - plötzlich kam dieser kleine Mann, der sich ganz gross inszenieren konnte. Nichts überliess er dem Zufall. Jeder Ort, wo man ihn aufnahm, war vorher genau von seinen Leuten und einem persönlichen Kameramann recherchiert worden. Berlusconi war ein Showman, eine Rampensau. Mit unheimlichem Charisma...»
Unheimlich - im wahrsten Sinne des Wortes...
«Er hat tatsächlich viele Wirtschaftsleute dazu gebracht, in seine politischen Sphären aufzubrechen. Es war plötzlich Aufbruchstimmung. Dann kam das Bunga-Bunga-Happening. Ich denke, d a s hat ihm das Genick gebrochen. Es war stillos.
Heute?
«Irgendwie ist da ein Stillstand - nur vor den Wahlen spürt man in Italien noch etwas von einer aufgeladenen politischen Atmosphäre.»
UND JETZT ALSO INS REDAKTIONSBÜRO NACH ZÜRICH!
«Meine erste Festanstellung. Übrigens wohne ich nicht in Zürich - sondern in Opfikon. Als ich mich dort anmeldete, kam sofort ein Brief von der Gemeinde: «Sie sind sich aber bewusst, dass das Haus nur in den oberen zwei Stöcken als Mietobjekt eingetragen ist Da wusste ich: Jetzt bist du in der Schweiz angekommen. In Italien hätte das keinen gekratzt.»
Und die Ewige Stadt - für ewig passé?
«Gar nicht. Ich habe beim Fernsehen einen 70-Prozent-Job. Eine Woche pro Monat bin ich dann in Rom. Denn Rom ist eine Teufelsbraut - wer sich mit ihr eingelassen hat, kann nicht mehr von ihr lassen...»
Vorlieben und Abneigungen
Er mag: Einen Nachmittag mit Freunden im Garten. Mit dem ÖV in die Schweizer Berge reisen.
Den Apéro am Strand vor den Toren Roms geniessen.
Er mag nicht: Besserwisser, die Italien immer schnell kritisieren.
Wie Venedig, Florenz und Rom sich dem Tourismus verkaufen.
Die oft nur augenscheinliche Liebe der Italiener zu ihrem Land.