Von Michael Bahnerth
Ich habe mir -minu, den Basler Journalisten, Autor und Kolumnisten, lange falsch gedacht. -minu kam in jenen Tagen, als er schon mindestens der Prinz von Basel war und ich noch Praktikant, hin und wieder in die Redaktion geschwebt oder gewatschelt. Draussen waren noch die untergehenden 1980er-Jahre und die ichbezogenen Horizonte so endlos wie die Kreditkartenlimiten. Drinnen gab -minu den «sterbenden Schwan», flatterte mit den Armen, und manchmal sagte er Sachen wie: «Ich habe gebumst diese Nacht, dass ich mich heute wie ein Pudding fühle.» Musste man -minu ernst nehmen?
Ich dachte damals, -minu, das ist eine kleine Show, ein bisschen lustig, ein bisschen tuntig, alles in allem harmlos, das ist Schreiben in Grossbuchstaben über kleine Welten, die nicht mal vergangen waren, sondern die es nie gegeben hat. Welten, in denen das Schlimmste, was passieren konnte, eine Putzfrau mit Schnupfen war. Heute denke ich, dass die -minu-Welt immer noch eine kleine ist, aber auch eine einer kleinen Ewigkeit, und ich weiss ebenso, dass das Kleine ganz gross und das Grosse manchmal ganz klein sein kann.
Ich bin ihm nie ganz auf die Schliche gekommen, wie er das macht, dem vermeintlich Belanglosen die Schwingungen des Universellen einzuhauchen. Vielleicht ist die Welt in ihrem Kern so, oder der Mensch, mag sein. Der Ton seiner Worte wird stets zu einer Musik, die die Realität weichzeichnet und die Sehnsucht nach und den Glauben an Harmonie zum Klingen bringt.
-minus Leben ist das Erzählen. Erzählen ist immer beides, Zugang zu und Flucht vor der Welt. Und wer schreibt und nicht nur tippt, trägt diesen Stachel der Einsamkeit in seinem Fleisch. Es ist eine sanfte Einsamkeit, wenn man darüber nicht allzu sehr ins Nachdenken kommt, eine, die nie ganz alleine macht, aber eine auch, die bei allem Glück und Erfolg einen stets doch alleine bleiben lässt. Eine, die gleichzeitig füttert und aushungert.
Er sitzt schon am Tisch. Es ist kurz vor zwölf in der «Kunsthalle». Weisser Teil. Dort, wo jene bald kommen werden, über die er 40 Jahre lang als «Tante Elsa» in seinem «Traderaklatsch» geschrieben hat. -minu war der Mann, wenn man so will, der Basel Namen gegeben hat und eine Society.
Es wird Seezunge geben, nur mit Gemüse für ihn und Wein nur für mich. -minu trinkt keinen Alkohol mehr, seit er zwölf Jahre alt ist. Damals war er noch Hans-Peter Hammel. Der Vater Tramfahrer, die Mutter aus besseren Kreisen. Die Mutter hat einen Feinkostladen in der Eulerstrasse mit italienischem Wein und Würsten. Vielleicht liegt es daran, dass -minu sich ein Leben lang immer wieder über seine Wurstfinger beklagen wird. Zu Hause bekommt -minu stets Wasser mit einem Schuss Wein zu trinken. «ICH HABE DAS GEHASST WIE DIE PEST!!!» Mit zwölf bekommt er seine erste «Pepita»: «DAS WAR EINE ERLÖSUNG !» Als er dem Pepita-Alter entwachsen ist, mit 16 vielleicht oder 18, hatte er die Wahl zwischen Wein und Wasser. Er gibt der Klarheit den Vorzug vor dem Rausch. Die Erinnerung an den Ekel, an die Vergewaltigung durch das Gesöff ist stärker.
Der Vater ist ein Sozi, später Gewerkschafter im VPOD, die Mutter, nicht Basler-Daig, aber weit über dem Proletarischen schwebend. Die Mutter will, dass er Lehrer wird. Der Vater sagt: «Aus dir machen wir einen SP-Bundesrat.» -minu ist acht und und taucht ein in eine Welt, die nur die seine ist. Er schreibt Tagebücher, « obwohl Tagebücher schreiben eine Mädchensache war. Aber das hat mich nicht interessiert, ob Mädchen oder Bub.»
Das Leben wird zu Schreiben, das Schreiben zu Leben. Noch ist er Hans-Peter, geht aufs Gymnasium. Dort lesen sie «Die goldenen Schuhe» von Vicky Baum. Natürlich muss Hans-Peter, der kleine Junge mit den Engelslöckchen, eine Frauenrolle lesen, jene der Minu.
Zu Hause verändert sich nicht nur die politische Grosswetterlage. Die Eltern führen inzwischen das, was man heute eine offene Beziehung nennen würde, ein Modell, das -minu ansatzweise übernehmen wird. Er wird die Liebe vom Sex trennen und den Sex von der Liebe.
«Bist du gestartet mit Freundschaft und hast die Liebe entdeckt oder gestartet mit Liebe und hast die Freundschaft entdeckt?»
«Es ist besser, nicht mit so grossem Feuer zu starten. Christoph und ich, das war kein Wow-Erlebnis. Ich habe das Wow auch nicht vermisst, ich hatte das schon ausgelebt. Mit Christoph kam eine Ruhe. Partnerschaft ist Liebe. Das andere ist Sex und Abenteuer.»
«Ist Sex mit Liebe nicht intensiver?»
«Ich glaube, das ist ein Irrtum. Ich liebe Sex, und ich glaube, dass eine starke innerliche Beziehung sexuell eine gewisse Hemmung bringt. Wenn du jemanden liebst, heisst das nicht, dass du Sex brauchst. Ich gehe jeden Morgen zu Christoph ins Bett und gebe ihm einen Schmutz. Das ist Liebe. Eine gute Nummer, danach einen Espresso und dann ein Ciao. Das ist Sex.»
«Ist das das viel zitierte schwule Beziehungsmodell?»
«Es ist ein Beziehungsmodell.»
«Was ist mit der Eifersucht? Wenn man weiss, der andere hat was mit einem anderen?»
«Man muss nicht alles wissen. Das ist eines der wichtigsten Rezepte in Beziehungen. Es beugt Verletzungen vor. Ein Mensch kann eh nie einen andern besitzen – er kann eins mit ihm werden. Aber nie dessen Besitz.»
Der Vater wird langsam bürgerlich, die Mutter entdeckt den Sozialismus, die Welt verkehrt sich in ihr Gegenteil. -minu ist weder rechts noch links, aber zwischen seinen Eltern. Nie wird er über Politik schreiben. Warum?
«Weil ich die Verlogenheit der Politik erlebt habe. Zu Hause. Da wirft also der eine dem andern jahrelang sein politisches Weltbild vor, sie streiten, tage-, nächte-, jahrelang. Und dann, Jahre später, tauschen sie ihre jeweiligen politischen Überzeugungen und werfen sich ihre neuen Weltbilder erneut vor. UND NIE GING ES UMS GANZE, IMMER NUR UM DIE PARTEI. Politik, das ist etwas, bei dem es ums Gewinnen geht. Und die Politiker haben, wie all die Manager auch, ihre klaren Bahnen, die Clubs, in denen sie sich treffen und immer über dieselbe Sache sprechen und sich auf die Schulter klopfen.»
-minu ist 16 jetzt. Hat einen Freund, Ueli. Sieben Jahre älter. « Ich mochte schon immer ältere Männer.» Seine Eltern erlauben ihm, der gerade erst ernsthaften Bartwuchs bekommt, bei Ueli einzuziehen. Eine Männerwelt in einer 3er-WG. Nicht einfach. Zwei Intellektuelle und -minu, der Bauchmensch. Er schreibt jetzt nicht mehr nur für sich, sondern auch für die National-Zeitung. Die Berufung wird zum Beruf. Sein Kürzel ist -minu und er auf dem Weg dazu, -minu zu werden.
Ihm kommt die Idee des Klatsches, die Erschaffung eines kleinen, nachlesbaren Basler Promikosmos. Darüber zu berichten, was die Reichen und Schönen und sich selbst wichtig Nehmenden in Basel so tun, sagen, denken, und wo sie das alles tun. Eine Seite jeweils, eine eigene Seite. Nicht gerade der grosse Traum eines Menschen, der schreiben möchte. Aber: « KLATSCH WAR GELD …Es stimmt schon, ich habe das gar nicht so gerne geschrieben … Und dann kam das Kochen, und gekocht habe ich eigentlich auch nicht gerne. Ein Leben lang musste ich das machen … Ich wurde in diese Schubladen gedrängt. Das Schublädli «Klatsch», das Schublädli «Schwul», das Schublädli «Kochen». 40 Jahre lang. Mit 60 habe ich mich dann entschieden, nur noch zu schreiben, was ich will.»
«Ein Buch, ein Roman?»
«Ich will es zumindest versuchen … das grosse Buch … dann aber denke ich, andere können das besser, kann ICH das überhaupt? Das bremst dann im Inneren. Vielleicht fehlt mir der Mut.»
«Es gibt Leute, die werfen dir vor, dass du nur ‹schöne› Geschichten schreibst, nur von heilen Welten erzählst, dass du Welten schaffst, die es gar nicht gibt. Warum ist das so? Nie leiden Menschen bei dir mehr als an einem Sonnenbrand …»
«… Vermutlich, weil ich harmoniesüchtig bin. Das kommt aus der Kindheit noch. Ich vertrage es nicht, wenn zwei streiten. Und ich kann Menschen nicht leiden sehen. Sogar im Film. Es macht mich traurig. Ich schaue dann weg. Ich gehe dann weg …»
«Nicht unbedingt das Richtige, wenn man ernsthafte Literatur machen möchte … Sich wegzudrehen, wenn es auf die Schlachtfelder der menschlichen Existenz geht, die Seelen nackig werden. Du schreibst harmonische Sachen, weil du harmoniesüchtig bist. Nie darf es wehtun. Hat es dich nie interessiert, was das mit dir machen würde, wenn du in solchen Momenten bleiben und nicht gehen würdest. Dass du dir erzählerisch eine neue Welt eröffnen würdest?»
«… Lass mich noch schnell etwas sagen zu: dass ich eine Welt mache, die es nicht gibt. Diesen Vorwurf einiger Leute. Ich sage dann jeweils: ‹Ihr lebt in einer Welt, die es gibt, das ist eure Welt. Aber ihr seht die andere Welt nicht, was nicht heisst, dass es sie nicht gibt. Dass Menschen sie nicht wollen …›
Warum ich weglaufe und nicht bleibe, wenn zwei Menschen sich wehtun – und nicht analysiert habe, was das mit mir macht im Detail … Ich war nie einer, der sich selber stark analysiert hat. Es gibt Menschen, die denken immer: Warum, warum, warum bin ich so, mach ich das und so weiter. Ich kann das nicht. Ich bin ein Bauchmensch.Vielleicht kommt auch daher die Harmoniesucht.»
«Bist du ein Romantiker?»
«Im Grunde bin ich ein nüchterner Mensch. Wenn es eng kommt und schwere Probleme auftauchen, erstarre ich. Werde eiskalt. Und denke nur noch analytisch. Meine Gefühle treten dann in den Hintergrund – ich denke kalt und stocknüchtern.»
«Aber dann könntest du ja auch die Schattenseiten des Menschseins an dich heranlassen.»
«Ich kann das ja. Ich war in den USA, hab eine Reportage über zum Tode Verurteilte geschrieben. Das ging, kein Weglaufen, nichts. Es geht eben nur nicht, wenn es um meine nächste Umgebung geht, und die Umgebung ist das, worüber ich schreibe. Bei mir ist es so: Wenn der Bauch, das Gefühl, überfordert ist, kommt der Eiskasten. Als meine Mutter mit 58 starb, machten sich alle Sorgen um mich. Weil ich meine Mutter so geliebt habe und ich so sensibel bin. Sie haben sogar nach einem Arzt geschickt, dass er mir eine Beruhigungsspritze gibt. Ich habe mich dann geschützt in meinem Eiskasten, hab alles organisiert. Dann bin ich nach Italien, in ein Luxushotel, in dem ich mit meiner Mutter schon gewesen bin. Hab mich in ein Zimmer eingeschlossen und geweint. Lange. Danach habe ich nie mehr um sie geweint.»
«Hast du Angst vor dem Tod?»
«Vor meinem eigenen? Nein.»
«Dem Sterben?»
«Es gibt ja Exit.»
«Angst vor dem Tod deines Lebenspartners?»
« Es ging ihm schlecht vor ein paar Jahren. Zuerst kam mein Eiskasten nicht, ich bin in der Stadt umhergeirrt und hatte Angst, weil ich weiss, dass der Tod, sein Tod – er ist älter als ich – ja kommt, irgendwann. Da habe ich gelernt, Abschied zu nehmen, Distanz. Wenn er heute gehen muss, dann bin ich vorbereitet. Ich habe gelernt, wieder einmal, du hast Menschen nur im Vorübergehen. Nie kannst du einen Menschen besitzen. Um ihn zu ‹haben›, musst du ihn gehen lassen.»
«Wo möchtest du begraben sein?»
«In unserem Haus in der Toscana gibt es einen Olivenhain und dahinter einen Wald. Ich habe einen Weg dorthin legen und einen Platz ausheben lassen. Ein Steintisch steht dort. Wir haben ausgemacht, dass der, der nicht zuerst stirbt, die Asche des andern dort verstreut. Mittlerweile ist das ein hübscher Ort geworden. Wir nennen ihn unsern ‹Aeschenplatz›.»
«Du hast Menschen nur im Vorübergehen. Nie kannst du einen Menschen besitzen.»
Was -minu mag und was nicht
Farbe Schwarz
Essen Schokolade (dunkel)
Getränk Wasser
Stadt Rom
Tiere Schnauzer-Dackel-Mischung
Verabscheut Geiz