Mike Shiva

Die Leute schauen. Tuscheln.
Sie tuscheln i m m e r, wenn Mike Shiva auftaucht.
Seine Erscheinung ist sein eigener PR-Auftritt - das persönliche Label: Kopftuch … dunkle Brille … schulterlanges Haar. Das Gesicht mit Chanel's Flüssigmake-up hergerichtet, die Lippen nachgezogen – Brillant im Zahn. Brillant im Ohr. Ein brillantes Branding eben.
Mike hat seinen Begleiter mitgebracht. Dieser ist kaum 400 Gramm schwer. Und heisst «Wanchai», was auf indisch «Zuckerherzchen» bedeutet.
Natürlich bin ich enttäuscht. Ich habe statt des Malteser-Haarbündels (mit einem zart kolorierten Stich ins Rosige am Schopf) die blonde, ephebenhafte Gestalt erwartet, mit der er mitunter durch Basels daigigste Gegend rauscht. Auch da können sich die Leute kaum einkriegen: «Ist es sein Mann? … ist es seine Frau? W A S IST ES?»
Mike sieht da klar: «Also ich habe keine feste Beziehung … der junge Mann – ja, es ist ein Mann – ist unser Maskenbildner im Studio. Und ich habe immer wieder Menschen aus meinem Arbeitsumfeld bei mir. Mit ihnen fühle ich mich wohl. Ihnen kann ich vertrauen. Sie sind meine kleine Familie.
Wer im Leben exponiert ist, hat es schwer eine Beziehung zu pflegen. Oder neue Menschen näher kennen zu lernen. Natürlich fehlt es nicht an Gelegenheit. Aber du denkst immer: was will er …sieht er den Mike? Oder sieht er den Glamour … also da bin ich verunsichert.»

Und Sex?
Seine Brillengläser funkeln: «Eher nicht - wird total überschätzt!»
Er kommt direkt von der Sendung. Und das muss sich einer mal vorstellen: jeden Tag um acht Uhr im Studio. Schminken. Kurze Besprechung. Dann direkt auf den Kanal – zuerst Sat1, dann Kabel 1, dann Super RTL. Dies die ganze Woche. Tag für Tag …
Mike: «… ja und seit 11 Jahren ohne ein Gramm Ferien. Ohne Unterbruch. Einfach immer. Meine letzte Reise war vor 144 Monaten. Sri Lanka. Seither maloche ich. Und was die meisten gar nicht wissen: g r a t i s!»
GROSSES FRAGEZEICHEN. Mike macht doch viel Kohle. Was heisst da also g r a t i s.
Mike: «… also wenn mich da einer anruft und um Rat fragt, bezahlt er nichts. Dies seit 2009. Die andern, die zu meinen Mitarbeitern kommen, berappen natürlich den Tarif. Aber wir schauen darauf, dass ein Gespräch in der Regel nicht länger als sechs bis sieben Minuten dauert …»
Er hat etwa ein halbes Hundert Leute, die für ihn arbeiten. Der Laden boomt. Fragt man Mike nach seinen Plänen, meint er: «… KEINE!»
Er hofft, dass die Post weiterhin so gut abgeht. Und erklärt: «Die Leute suchen Rat. Sie sehen bei sich selber oft nicht mehr klar. Das hat sicher mit der heutigen Zeit zu tun. Mit einer allgemeinen Verunsicherung. Ich versuche den Mann oder die Frau also zu erfassen, zu spüren. Und helfe ihnen ein bisschen mehr Durchblick zu sich selber zu haben …»
Scharlatanerie?
Er lacht: «Das höre ich zu oft, als dass es mich noch verletzen könnte …»
Mike Shiva ist in Basel aufgewachsen. Als «Beizerkind», wie er sagt. Seine Eltern führten das Gambrinus. Sein Vater brachte als erster die Pommes-Frites in der Tüte auf den Tisch.
Er ging auf dem Münsterplatz zur Schule. Wollte Pfarrer werden («nun ja – das Spirituelle nahm mich schon früh in Bann»). Begann aber bei Hemden-Weibel eine Lehre als Verkäufer («Mode fasziniert mich auch heute noch»). Er brach die Lehre ab. Und startete als Hellseher - zuerst im Wohnwagen. Dann mit einem Studio. Schliesslich beim Radio. Und endlich beim Fernsehen, wo er unter seinesgleichen als «der Superstar» gilt.
Mike: «Ich habe das einfach in den Genen. Mein Grossvater hatte «ES» auch. Er konnte Menschen hypnotisieren. Und tingelte als Trapez-Artist mit einem Zirkus durchs Land.»
Shiva zog als junger Mann mit den Eltern nach Thun. Dies erklärt auch seinen gemütlichen Berner Dialekt. In Thun lebte er eine ganze Weile, baute seinen Shiva-Sender dort auf. Aber dann zog es ihn vor zwei Jahren wieder nach Basel: «Ich habe in allen grossen Zentren der Schweiz gelebt - aber Basel ist die einzige Stadt, die auch Aussenseiter in Ruhe lässt. Thun, Bern, Zürich - alles wunderbar. Aber eben doch – ohne jemandem näher treten zu wollen – in einem bestimmten Sinne schweizerisch kleinkariert. In Basel erlebe ich eine Grosszügigkeit gegenüber dem «anders» tickenden, wie ich es sonst nie erlebt habe. Da werde ich nicht mit «schwule Sau» oder «dummer Spinner» angemacht – die Menschen sind wohl reserviert. Aber tolerant. Und das macht das Weltstädtische und Offene einer Stadt aus …»
Aber weshalb gerade die St. Alban Vorstadt? Die Zürcher Zeitungen haben sich da überschlagen: «Mike Shiva mitten im Basler Daig!»
Mike: «Das mit der Dalbe war ein Zufall. Ehrlich gesagt, habe ich gar nicht gewusst, was die Dalbe genau ist. Und mit dem Daig bin ich eh nie in Berührung gekommen. Als ich hier jedoch meine Wohnung zum ersten Mal sah, wusste ich gleich, d a s ist es!»
Nun ja - dazu braucht es wohl kaum hellseherische Fährigkeiten?!
«… ok. Aber ich konnte aus bestimmten Gründen die Wohnung nicht kaufen. Der Makler bestürmte mich. Und ich sagte zu ihm: eines Tages, wenn die Wohnung mich ruft, werde ich hier wohnen. Dann ging ich in ein Möbelgeschäft. Und kaufte mir die Fauteuil-Gruppe, ja die ganze Einrichtung für das Appartement. Ich liess alles lagern. Nach zwei Jahren habe ich den Makler angerufen: «Ich glaube die Wohnung will mich jetzt …»»
Ja, die Leute im vornehmen Basler Quartier hätten ihn nett aufgenommen. Er fühle sich rundum wohl. Irgendwie sei es ein «Heimkommen». Und nach seinen Sendungen brauche er einen Ort, indem er wirklich zu Hause sei.
Samstag und Sonntag hat er seine beiden Freitage - erzählt aber seinen Ratsuchenden am Telefon Helles: «Die haben meine Nummer. Und können immer anrufen.»
Ansonsten?
Mike: «Ich bin wohl eher ein langweiliger Mensch. Beim Fernsehen blühe ich auf:ADRENALINSTÖSSE SOBALD DIE KAMERA LÄUFT. Ich kann noch so müde sein - wenn das rote Lämpchen zur Life Sendung aufflammt, bin ich wie das Pferd vor dem Start zum grossen Rennen. Zu Hause aber geniesse ich das Wohnen. Bin Hausfrau oder Hausmann, wie du willst. Ich putze, wasche, koche. Hocke vor dem Fernseher …»
Lieblingsshows?
«Ich liebe Colombo. Und diese Shows wie «MITTEN IM LEBEN» wo zwei Parteien aufeinander losgehen. Hier lernst Du so viel über Menschen. Über Gefühle. Ich schaue mir auch sämtliche politische Diskussionen an - nicht weil ich mich für Politik interessiere. Ich gehe nie wählen. Aber ich beobachte die Leute die einander anschreien. Toben. Aus sich herausgehen. Und da lerne ich viel. In meinem Beruf muss man die Gefühle der Menschen bis in die Fingerspitzen spüren können, eben: hell sehen …»
Und die richtige Berufsbezeichnung wäre also: «Hellseher?».
«Ja. So ist es eingetragen.»
Und Mike Shiva? Auch eingetragen? Oder einfach verbaler Artisten-Mantel?
Mike: «Diese Frage wird mir immer wieder gestellt. Und keiner schreibt danach, wie es wirklich ist: mein Vater hatte nämlich einen amerikanischen Freund: Mike. Er nannte mich nach ihm. Bis 20 hiess ich Michael oder eben Mike Wener - das war mein Familienname. Dann liess ich den offiziell ändern. Ich weiss nicht, weshalb ich auf Shiva kam. War einfach ein indischer Begriff. Erst später habe ich herausgefunden, dass es ein Gott ist. Aber da stand schon Mike Shiva im Pass. Himmel – es war gar nicht so einfach so einen Namen ändern zu lassen. Da musst du schon mit guten Argumenten aufkreuzen …»
Nun muss Zuckerherzchen aber dringend GassiGassi.
Wir gehen in die St. Johanns Vorstadt. Eine Autofahrerin
Knallt an den Randstein. Zückt ihr i-Phone. Und knipst Mike mit Zuckerherzchen. Dieses hebt sein linkes 30 Gramm-Beinchen. Und nässt eine Hauswand. «HEE SHIVA - HEISSES KOPFTUCH, COOLER TYP!», ruft ein Teeny von seinem Velosattel.
Shiva zuckt die Schultern: «Wäre eigentlich ein guter Werbespot … das mit dem Kopftuch ist auch so eine Sache. Alle denken es sei eine Shiva-Masche neueren Datums. Und ich hätte keine Haare darunter. Ist natürlich Quatsch. Ich habe schon in der Schule immer ein Kopftuch getragen. Gehört zu mir. Die die Brille auch. Gut. Ich lasse lediglich die Gläser dunkel töne. So wirkt die Brille weniger als Prothese und ein bisschen mehr alla Garbo – Tatsache aber ist, dass ich gegen helles Licht empfindlich bin …»
Beim Dessertwagen Chez Donati schlägt er dann zu: «… das Süsse ist mir das Liebste von allem!»
Tönt wie das Ende einer Tele-Novela. Aber ehrlich - tut Shiva etwas für Linie und gegen Speck?
Mike: «Sehe ich so aus? Sport ist Mord …» Dann lächelt er. «Am liebsten möchte ich mal in Miami am Strand liegen. Faul. Und kein Mensch quatscht mich an. Keine Interviews. Keine Beleidigungen. Nichts. Einfach ein gemütliches, scheissnormales Leben …»
Eine halbe Stunde später lässt er sich ins Studio zurück fahren – «mach's zahm», winkt er zum Abschied. Er geht mit dem kleinen Haarbündel an der Leine über die Strasse. Und ein Auto stoppt mit quietschenden Bremsen. «Bist Du nicht Mike Shiva…?» – ruft es aus dem Fenster.
Da ist die Gestalt aber auch schon hinter der Glastüre verschwunden – in Sicherheit.
Bei ihrer kleinen, grossen Familie.

Samstag, 30. Juni 2012