Sie ist die heutige Frau Fasnacht.
Aber da ist nichts von violetter Rüschenbluse und Ridicule (nur Coop-Tasche mit Lauch), null Spitzenhandschuhe. Und kein grauer Dutt unter dem Blumenhut.
Basels Frau Fasnacht 2021 kommt mit Bubikopf in der Farbe des Höllenfeuers anstelle des roten Huts! Dazu ein Outfit im passenden Trauerschwarz: Denn auch dieses Jahr weint sie um die 72 schönsten Basler Stunden, die den Bach runtergehen…
«Mein erstes Jahr als Obfrau vor zwei Jahren war durch die Pferdestürze überschattet. Dann kam Corona. Ich warte noch immer auf eine ganz normale Fasnacht…
«Gut – da wartet sie nicht allein. Da warten wir alle mit. Auch wenn Fasnacht die Flucht aus der Normalität ist, das Sprengen der Fesseln – plötzlich sehnen wir uns nach dem gewöhnlichen Alltag zurück. Und würden alles für den Cortège-Parcours mit Menschen am Strassenrand geben… Einen Parcours, den die meisten Cliquen sonst mit «na ja – bringen wir es hinter uns» abtun.
Natürlich ist auch null und nichts mit einem Restaurantbesuch. Aber Corona lehrt uns, flexibel zu sein. Flexibel heisst: Ich koche für Pia Inderbitzin ein Selleriesüppchen. Und bitte sie zu Tisch. (Aber HALLO CORONA! – nicht, dass mir das zur Gewohnheit wird! Ich hasse die Kocherei!)
Wir stehen also einmal mehr vor einer Nicht-Fasnacht. Aber auch eine Nicht-Fasnacht heisst nicht einfach keine Fasnacht. Sie ist da – das zeigt uns die Plakette. Wie ist der Verkauf?
Jetzt strahlen die Augen unter dem lodernden Haar: «Grossartig. Pascal Kottmann ist wirklich ein Superwurf gelungen. Wir hatten sehr viele Entwürfe und müssen uns ja aus logistischem Grund bereits im Sommer entscheiden. Es war ein Vabanquespiel – wir wussten im September nicht, was im Februar sein wird. Also bestellten wir vorsichtig. Das Resultat: Nach zwei Tagen waren die Bijoux bereits ausverkauft. Und noch jetzt stehen die Leute am Blumenrain jeden Tag Schlange, um Plaketten abzuholen. Die Kleinode sind begehrt wie nie zuvor. Das freut Frau Fasnacht natürlich riesig – es zeigt, dass die Menschen sich mit Basels schönstem Brauch solidarisieren. Die Plakette wird sicher eine Rarität. Und ich hoffe, die Corona-Fasnachten werden es auch – ein zweimaliges Ereignis. Nicht schön. Einschneidend. Aber eben doch ein Stück Geschichte in der Chronologie der wichtigsten 72 Basler Stunden…»
Natürlich sind wir ins Plaudern geraten. Die Selleriesuppe ging bereits über alle Ufer. Herdplatte verkrustet. Gottlob habe ich noch Salat mit Ei. Um den Gestank von Angebranntem zu übertünchen, schmettere ich den Kaminofen mit einer Duftwasserschale («Rêve des Sapins») auf dem Gusseisen an. Bald schon ist das Esszimmer schwarz. Aber immerhin geht der Duft von verkohlter Suppenpfanne im Wasserdampf von «Tannentraum» unter.
Also – letzte Fasnacht. Du hattest das Zepter in der Hand – wie hast du die Tage erlebt?
«Ich sage nur: Black Friday! Der schwärzeste Tag in meinem Leben. Wir fielen aus heiterem Vorfasnachtshimmel, wenn du so willst…»
Das heisst?
«…also: bis Mittwoch vor dem Morgestraich war NICHTFASNACHT kein Thema. Ich ging am Donnerstag zur Drei-Waggis-Einweihung ins Trois Rois. Alles fröhlich wie immer. Kein Gedanke an ‹Fasnacht abblasen!›. Im Getümmel flüsterte mir ein Regierungsmitglied zu, dass die Lage schwierig werde. Das war der sprichwörtliche Moment, als sich der Boden unter meinen Füssen öffnete. Am Tag darauf: Pressekonferenz mit der Regierung. Ich musste da mitteilen, dass die 72 Basler Stunden abgesagt sind. Der bunte, angekündigte Räppliregen hatte sich in eine schwarze Trauerwolke verwandelt…»
Und dann war die Hölle los?
«Das ist nur der Vorname. Im Comité liefen die Telefone heiss – empörte Fasnächtler wollten ihre Plaketten zurückgeben. Eine Frau schmetterte mir einen ganzen Haufen hin. Es brauchte viel Kraft, die Menschen zu überzeugen, dass gerade die Blaggedde jetzt ein Zeichen der Solidarität sei…»
«Und dann dieser Nicht-Vier-Uhr-Schlag. Ich erinnere mich, in den Medien kleine Einzelzüge gesehen zu haben. Gruppen, die den Morgestraich einfach gesungen haben. Andere mit Kerzen. Alles skurril und melancholisch. Und eben doch ein Stück Fasnachtsgeschichte in jenem Jahr…»
Sie lächelt nun traurig:
«Am Morgen kamen dann diese Tonnen von Mimosen an, welche wir für die Blumensträusse der Cliquen bestellt hatten. Die konnten wir nicht zurückgeben – da ging es uns wie den Wagen-Cliquen. Wir haben als Erstes das Comité am Blumenrain mit den Fasnachtsblumen geschmückt. Jede Ecke, jedes Fenster. Und wir haben einen Trauerflor kommen lassen. Den haben wir herausgehängt… Frau Fasnacht in Trauer…»
Dennoch – einiges hat stattgefunden. Die Polizei ist mit diesen kleinen Zügen sehr subtil umgegangen.
«Sie hat mit sehr, sehr viel Fingerspitzengefühl die Sache kontrolliert. Sie machte einen grossartigen Job. Abends – die Beizen waren damals offen – habe ich mich mit meiner Clique im Stammlokal getroffen. Unkostümiert. Keine strahlende Frau Fasnacht – einfach eine traurige Pia…»
Bald schon kamen die ersten Rufe nach einer Ersatzfasnacht… Einem Ersatz-Morgestraich…
«Ja – die Leute wollten unbedingt einen Zipfel der drei schönsten Tage retten. Aber wir sahen bald ein, dass dies unmöglich war. Die Ereignisse mit Corona überschlugen sich jetzt – die Zahlen jagten in die Höhe. Und damals wussten wir noch nicht, was noch alles auf uns zukommen würde. Man versuchte, sich mit der nächsten Fasnacht zu trösten…»
Und wieder nichts.
«…ich war lange Zeit für den Nachwuchs der Cliquen verantwortlich: Binggis, junge Garden… Und ich wusste: den Nachwuchs bei der Stange zu halten – DAS IST DAS WICHTIGSTE. Wir hatten noch den grossen Schulfasnachtsumzug mit 10’000 Binggis durchgeführt. Es war das letzte Mal, dass in Basel öffentlich getrommelt und gepfiffen wurde. Und es war eine wunderbare Sache – gottlob habe ich im Comité zwei Frauen zur Seite, die sich des Nachwuchses – denn das Problem, genügend Junge zu rekrutieren, bestand bereits vor Corona – annehmen. Im letzten Jahr fiel dann auch ‹die erste Lektion›, also die Werbung für Newcomers, weg. Also mussten wir uns etwas einfallen lassen… nicht nur für die Jungen. Für die ganze Fasnacht!»Ihr habt für eure Pläne die Regierung mit ins Boot geholt.
«Ja. Auch den Hotelierverein, den Wirteverband, einfach alle, die mit der Fasnacht verbunden sind. Im August mussten wir einen Plan B auf die Reihe bringen. Wir überlegten, eine Quartierfasnacht durchzuführen. Aber bald schon kamen neue Beschränkungsvorschriften. Wir planten das Monstre im alten Kiechli. Das wäre mit 300 Zuschauern und einem strengen Sicherheitskonzept gegangen. Doch dann hiess es: nicht mehr als 50 Personen… dann 15… jetzt 5… Es war wie Kartenhäuser bauen – hatte man eines geschafft, brach es wieder zusammen…»
Immerhin: Den Fasnachtsspaziergang habt ihr auf die Beine gestellt. Die Idee ist genial: Die jungen Garden basteln verschiedene Stationen. Können sich kreativ ausleben. Haben den wichtigen Zusammenhalt – und erleben so doch etwas wie Vorfasnachts-Feeling…
«Die Idee kam, als wir die Jungen am 13. September dazu animiert hatten, an verschiedenen Stellen der Stadt um 11 Uhr den Arabi zu intonieren. Ein veritabler Fasnachts-Flashmob! Ich stand auf dem Märtplatz. Als ich die jungen Garden von allen Seiten hörte, musste ich heulen… es war ein unbeschreiblicher Moment!»
Am kommenden Mittwoch startet also dieser Spaziergang, der von den jungen Fasnächtlern gestaltet und auf die Beine gestellt wurde…
«Es ist eine grossartige Sache. 30 Stationen! Man spürt in der ganzen Stadt den Fasnachtsgeist – der darf nicht auf der Strecke bleiben. Die Fasnacht ist ein Spiegel der Zeit… und entsprechend ist auch die Fasnacht 2021 ein Moment, der das Jetzt zeigt, die grosse Welt und unsere kleine Stadt in der Ausnahmesituation…»
Ganz kurz noch Persönliches: Du bist anno 2000 ins Comité gewählt worden…
«Ein Jahr nach der ersten Frau in dieser einstigen Männergesellschaft. Gleich nach Corina Christen.»
Hast du schon als Kind Fasnacht gemacht?
«Mein Vater war Tambour bei der BMG. Eine meiner Schwestern und ich lernten bei den Sans-Gêne Strizzi pfeifen. Als ich 18 war, musste ich mich neu orientieren… man nahm damals keine Frauen in den Stamm. Frauen hatten es damals an der Fasnacht noch immer schwer.»
Du hast dann bei den Zahnstochern auch Schnitzelbängg gesungen, hast bei den Museums-Konzärtli mitgepfiffen und bist noch immer eine der Spitzenpfeiferinnen bei den Déja Vu. Dann kam der Ruf: Wir brauchen eine Frau Fasnacht im Comité…
Sie lacht: «Vor drei Jahren haben sie mich zur Obfrau gewählt – ich denke, es ist an der Zeit, dass Frau Fasnacht nach so vielen Jahren endlich auch eine andere Frau hinter sich weiss…»
Vorlieben und Abneigungen
Sie mag: Reisen… kochen … schöne Shawls
Sie mag nicht: dummes Geschwätz… und rohe Gemüter
Foto: Nicole Pont