«Frau Grandits kommt sofort …»
Die Verkäuferin in der kleinen Boutique, die Tanja Grandits vor einem Jahr eröffnet hat, lächelt: «Schauen Sie sich um … es ist ein kleines Paradies für Feinschmecker.»
Das ist es. Ich entdecke verschiedene Honigtöpfchen, Marmeladen, Zwetschgenkonfitüre mit Zimtgeschmack, hausgemachte Pralinen … und ich kaufe einen rosaroten Reisbesen. Ich meine: Wer putzt schon in Pink?
Frau Grandits tut es.
Sie ist zierlich. Aber mit der Energie eines Kraftwerks. Und ihre dunklen, geheimnisvollen Augen funkeln hinter den grossen Brillengläsern: Haben Sie die Brotauswahl gesehen? Das ist der absolute Verkaufsrenner – alles aus unserm hauseigenen Ofen …
Es gibt auch Milchprodukte, Käse, Fleisch ...
… und wenn jemand einen Turbot haben möchte, besorgen wir ihn. Ebenfalls Wild oder eine gute Poularde de Bresse …wenns gewünscht wird, mache ich gleich noch die Sauce dazu …
Sie führt hier auf den Höhen des Basler Nobelquartiers Bruderholz einen kleinen Quartierladen mit Alltagskost. Daneben ist die Gourmet-Boutique gespickt mit den Leckereien ihres Zweisternerestaurants.
Tanja Grandits ist nicht nur Spitzenköchin … sie ist Unternehmerin, Allrounderin und grossartige PR-Frau in eigener Sache. Vor allem aber ist sie Gastgeberin: Wo wollen Sie sitzen, damit Sie bequem schreiben können …?
Wir dislozieren ins «Angestellten-Höfli» – gemütlich. Mit korallenrotem Tisch: Das Rot der Koralle ist ein wunderbarer Farbton … er harmoniert ideal mit PINK, meiner Lieblingsfarbe!
Ihre Gewürzdöschen, Konfitüren und Köstlichkeiten tragen alle einen rosigen Hauch. Und überall blüht der Fenchel – … die zarte Pflanze ist unser Logo geworden.
Kindheit?
Jetzt lacht sie herzlich auf: Da war ein kleines Dorf auf der Schwäbischen Alb … als kleines Mädchen lebte ich mit meinen Eltern im Bauernhof der Grossmutter. Es gab viele Obstbäume im Garten. Die Äpfel wurden vermostet. Oder zu Mus verarbeitet. Meine Grossmutter hat das Apfelmus dann immer mit Zimt gewürzt. Vielleicht kommt von daher meine Vorliebe für den Zimt …
Später haben die Eltern ein eigenes Haus gebaut. Man habe einfach gelebt: Die typische Alltagsküche jener Zeit: Linsen … Kartoffelsalat … manchmal Speck. Den habe ich aber nie besonders gemocht. Ich mag ihn auch heute noch nicht. Auch keine Würste …
Der Vater war Sportler: Er achtete auf eine gute, gesunde Ernährung. Viele Früchte. Viel Gemüse. Vor allem liebte er es, neue Dinge auszuprobieren. Von seinen Ausflügen und Reisen brachte er stets etwas zum Probieren heim. Auch die ersten frischen Kiwi … irgendwie hat er mir beigebracht, ein besonders gutes Aroma zu erkennen. Zu würdigen. Wir haben einfach gegessen – aber mein Vater achtete auf Qualität. Ein Apfel musste gut schmecken, sein eigenes Aroma haben – süsslich oder sauer-süss. Eine Aprikose musste ihr volles Parfum versprühen und durfte nicht zu früh gegessen werden …
Tanja Grandits ist heute noch mit den verschiedenen Aromen auf Du und Du – entsprechend wird ihre Kochkunst immer wieder als «Aromaküche» beschrieben:
… dieser Ausdruck ist jetzt wohl ein bisschen abgedroschen und ausgelutscht. Aber natürlich ist der Geschmack in der Kocherei das Wichtigste. Dieser Geschmack muss aber nicht nur von Gewürzen herkommen – ein gutes Aroma steckt auch in einer reifen Beere, einer noch nach Sonne duftenden Aubergine … dies alles versuche ich dann in meine Kocherei einzubauen …
Nach dem Gymnasium, das auf das Fach «Ernährungswissenschaft» spezialisiert war, studierte sie Chemie: Ich habe das immer spannend gefunden – natürlich hat Kochen auch mit Chemie zu tun. Chemie ist quasi die Basis.
Aber als junge Frau wusste ich einfach noch nicht, wohin die Reisen führen sollte …
Ich jobbte in den Semesterferien in Restaurants herum. Und servierte. Es war spannend, die Menschen zu beobachten – besser als jeder Film. Ich liebte es, für die Gäste da zu sein. Irgendwie spürte ich, dass dies mein Leben war – aber ich war mir doch noch nicht ganz sicher …
Die Gewissheit kam in den USA. Tanja Grandits flog nach Kalifornien, um als Au-pair-Mädchen bei einer Gastronomen-Familie die Kinder zu betreuen: Man hat mir einfach freie Hand gelassen – und ich habe für alle gekocht. Das hat mir so Spass gemacht, dass ich beschloss: DAS IST ES! DU WIRST KÖCHIN!
Zurück in Deutschland, bekam sie eine Lehrstelle in der berühmten «Traube von Tonbach». Sie schloss mit Bravour ab – ihre erste Stelle erhielt sie im Londoner «The Claridge»:
Das war nun wirklich die ganz grosse Palette. Wir hatten von der Gourmetküche bis zum Room-Service alles zu betreuen. Und es war spannend. Immer wieder stiegen Könige, Schauspieler, grosse Stars ab – die brachten ihre eigenen Köche mit. Und mit denen konnte ich mich austauschen … war natürlich für ein junges Mädchen faszinierend.
In London lernte sie auch die asiatische Küche und deren Gewürze kennen: Damals kapierte ich, dass Gewürze, Kräuter und Wurzeln dem Essen eine wunderbare Tiefe geben können – eine vierte Dimension. Ich habe in England viel von der arabischen und asiatischen Küche in meinem Schulsack mitnehmen können. Später auch in der Provence …
In Südfrankreich, im Chateau de Montcaud eröffnete sich Tanja Grandits eine neue Aromenpalette: Die verschiedenen Honigarten … die Duftwolken der Lavendelfelder … Thymian, Rosmarin – dies alles inspirierte jetzt ihre Kochkunst: … und ich entdeckte den Ziegenkäse. Er schmeckt einfach herrlich. Meistens wurde er von Frauen fabriziert. Übrigens auch heute noch … ein aromatischer, reifer Ziegenkäse ist eine Offenbarung.
2001 eröffnete sie mit René Graf ihr eigenes Restaurant: In Eschikofen … ein alter Riegelbau. Traumschön. Mein Mann – er ist ebenfalls Küchenchef – und ich arbeiteten pausenlos. Wir führten neben dem Restaurant auch noch Gastzimmer – und neben der Kocherei machte ich die Wäsche, putzte die Toiletten, kurzum: Wir krampften rund um die Uhr. Wir hatten kein Geld und konnten uns nicht viele Angestellte leisten – aber es war eine grossartige Zeit …
Als sie 2006 schwanger war, wollte sich Tanja Grandits eine Auszeit gönnen: … und dann hat mich «Gault Millau» über Nacht zur «Köchin des Jahres» gemacht. Dazu gabs 16 Punkte. Als die Sache in den Medien erschien, standen die Leute vor der Haustüre Schlange. Und aus wars mit der Auszeit…
Zwei Jahre später zog sie mit ihrem Mann ins «Stucki».
Kein Lampenfieber?
… das hat man mich immer gefragt. Ob ich vor dem grossen Namen nicht Angst gehabt hätte. Nun bin ich erstens kein ängstlicher Mensch. Und zweitens spüre ich sofort, ob ich mich in einem Haus wohlfühle oder nicht. Beim «Stucki» wusste ich: Das ist mein Restaurant! Es versprüht einen guten Geist. Da habe ich nicht lange hinterfragt. Ich entscheide eh meistens aus Herz und Bauch …
Der Erfolg zeigte, dass ihr Herz sie gut berät. Bald erhielt sie den zweiten Michelin-Stern. Ist das für einen Ehemann nicht schwer, immer hinten anstehen zu müssen …?
Sie schweigt einen Moment. Dann: … das ist sicher so. Für ihn war das ganz bestimmt nicht immer einfach. Aber wir harmonierten in der Küche wunderbar … es war eine wirklich gute Zeit.
Heute?
Sie lächelt: «Wir sind kein Paar mehr … ich lebe hier alleine. Aber René kommt jeden Tag. Und arbeitet vorne. Er hat sich als Sommelier spezialisiert. Und macht die ganze Geschäftsführung, begrüsst die Gäste – er ist für mich sehr wichtig. So sind wir immer noch ein grossartiges Tandem. Und ich bin froh, dass er da ist … auch für Emma.
Emma?
Unsere Tochter … so hat sie ihren Vater jeden Tag. Und lernt auch neue Formen des Zusammenlebens kennen. Ich glaube, das ist wertvoll … es gibt so viele Wege, ein gutes Leben zu führen. Wenn man merkt, etwas geht nicht, muss man den Mut haben, sich das einzugestehen. Das ist besser, als einfach etwas durchzuboxen …
«Emma» – das tönt so nach Emanzipation …
Nein. Das hat damit nichts zu tun. Ich wollte ganz einfach einen kurzen, schönen Namen …
Ist es nicht unglaublich anstrengend, alles unter einen Hut zu bekommen: Mutter, Köchin, Unternehmerin – kommen Sie da überhaupt zum Schlafen?
Ich stehe morgens um sechs Uhr auf. Dann mache ich eine halbe Stunde Yoga – das ist die Zeit, die ich ganz für mich alleine habe. Und die ich auch brauche und geniesse. Danach wecke ich meine Tochter. Wir frühstücken zusammen. Nach den Mittagessen gehe ich zu ihr – wir verbringen alle Freizeit, alle Ferien gemeinsam. Das braucht sie. Und das brauche auch ich. Danach gehts zurück an den Herd für die Nachtessen.
Und das wird dann spät?
Nun, vor Mitternacht komme ich nie nach oben in die Wohnung. Aber ich bin ein Meister im Abschalten – raus aus dem Restaurant! Und rein in meine private Umgebung. Dort kann ich total abschalten. Ich blättere in Fachzeitschriften (nein, kein Fernseher. Das Leben ist spannend genug). Meistens schlafe ich sofort tief ein. Fünf, sechs Stunden – mehr brauche ich nicht!
Und Emma?
Sie hat eine wunderbare Kinderfrau zur Seite. Seit ihrer Geburt. Die Kinderfrau ist heute meine Assistentin und hält mir den Rücken frei … ein Glücksfall.
Tanja Grandits, die heute zu den zehn besten Köchinnen der Welt gezählt wird, überlegt einen Moment: Klar, dass mein Leben streng ist, ein harter Job – aber eine Arbeit, in der ich mich selber verwirklichen kann. Das ist ein Glücksfall. Ich hatte nie einen Chef, der mit Sternen ausgezeichnet war. So hat mich auch keiner stark geprägt – ich konnte mich frei entwickeln und meiner Kreativität ihren Lauf lassen. Das ist grossartig. Und dafür bin ich dankbar …