Petra Zschokke: «Ich konnte mich nicht anpassen»

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Petra Zschokke ist die Tochter grosser Künstler und hat in ihrem Leben selber auch schon so einiges gemacht.

Neben der Tür steht die berühmte Plastik «Schüler und Lehrer» in Bronze. Man findet sie in Stein gehauen etwa zehnmal so gross an der Uniwand am Petersgraben - so, wie man überall die künstlerischen Spuren von Alexander Zschokke in dieser Stadt findet.

Ich war bereits vor 40 Jahren in der alten Villa. Damals habe ich Claire Roessiger, die berühmte Fotografin, besucht. Heute besuche ich ihre Tochter. Es ist sommerhitzig. Wir bleiben im dunklen, kühlen Salon. Da ist der grosse Flügel. Da sind das kleine Atelier im Garten und die Vergangenheit von Alexander Zschokke. Und da ist sein einziges Kind: Petra.

War wohl nicht einfach, neben zwei grossen Koryphäen aufzuwachsen?

Sie lacht: «Das Mädchen lernte früh, sich durchzuwursteln. Ich war stets die Tochter des Künstlers. Und die Nichte des Regierungsrats. Also musste ich mich selber suchen... Das war nicht einfach. Ich war nur von Erwachsenen umgeben...»

DEIN VATER WAR 5O, ALS DU AUF DIE WELT KAMST...

«Er war ein Eigenbrötler. Und lebte für seine Kunst. Meine Mutter war in ihrer Art emanzipiert - es war in jenen Jahren eine Leistung, als junge Frau den Fotografinnen-Weg einzuschlagen. Dennoch: Sie war ganz auf ihren Mann fixiert. Organisierte seinen Alltag. Männer diktierten für sie die Welt. Das war einfach so - und die Zeit. Ich wurde ein Mädchen. Ein Bub wäre ihr vermutlich lieber gewesen. Der Name sagt alles: PETRA.»

Aber du hattest doch gleichaltrige Freunde?

«Nicht hier. In unserm Haus verkehrten Politiker, Künstler, Professoren. Sie alle wurden von meinem Vater porträtiert. Meistens wurden sie zu Nachtessen eingeladen - so war ich wohl von spannenden Menschen umgeben. Aber nicht von Kindern. Meine gleichaltrigen Freunde habe ich auf der Insel Giglio kennen gelernt...»

Ihr habt dort noch immer das Zschokke-Haus?

«Mein Vater hatte eine Ausstellung im Schweizer Institut von Rom. Ein befreundeter Lateinlehrer forderte ihn auf: Komm mit - ich zeige dir das Paradies! So kamen wir auf die kleine Insel. Sie war ein Treffpunkt von Intellektuellen, dem Klerus und Künstlern. Also baute er ein Haus - und wir reisten in den Ferien immer dorthin. Ich verbrachte wohl die glücklichsten Tage meiner Kindheit in Giglio - das ist bis heute so geblieben. Ich fühle mich dort daheim. Man könnte es so sagen: In Basel wurde ich erwachsen. In Giglio wurde ich gross...»

Du gingst auf dem Münsterplatz in die Primarschule?

«Ja. Das war grossartig. Ich hatte Glück mit dem Lehrer - Peter Holstein. Die gute Schule ist immer eine Frage der guten Lehrkörper - von ihnen hängt alles ab. Holstein praktizierte damals ein Modell der Dorfschule - das heisst: Von der ersten bis zur vierten Primar sassen alle im selben Klassenzimmer. So wie in kleinen Landorten eben. Wir haben grossartig voneinander profitiert...»

DANN WURDE ES DAS GYMNASIUM...

«Klar. Als Tochter aus gutem Basler Haus kamst du in den «Affenkasten». Alles nur Mädchen... Das war nicht meins... Ich konnte und wollte mich nicht anpassen... Natürlich flog ich dann raus...»

Dann die Hotelfachschule?

«Ja. Eigentlich wollte ich wie meine Mutter Fotografin werden - aber ich kochte eben auch gerne. Kochen hat etwas Kreatives. Zum 65. Geburtstag meines Vaters habe ich ihm eine Pastete nach einem hundertjährigen Rezept gemacht. Es war eine Riesenplackerei - und ich war erst 15! Aber die Pastete gelang. Und er hat sich gefreut.»

Hotelfachschule also?

«In Lausanne. Irgendwie ist es eine der grossartigsten Ausbildungen, die du machen kannst. Es geht nicht nur um Kochen, Servieren - es geht darum zu spüren, wie man ein Unternehmen führt. Nach dieser Ausbildung kannst du praktisch alles machen...» Du hattest mit deiner Kocherei grossen Erfolg - als der Isaak am Münsterplatz geplant wurde, warst du die Favoritin...

«Eines Tages - ich hatte damals bereits viele Monate lang geplant und Projekte für die Münsterplatz-Beiz ausgearbeitet -, eines Tages also gab mir die GGG Bescheid: Sie hätten jetzt jemand anderes gefunden! Das war ein Schock. Vermutlich habe ich als alleinstehende Mutter nicht dem Bild der vorsitzenden Herrschaften entsprochen. Jedenfalls riet mir mein Götti - das war d’Aisse Christ - zu prozessieren. Wir haben uns dann mit der GGG gütlich geeinigt...»

DU WURDEST ZUERST EINMAL MUTTER ...

«Dreifach - und alleinerziehend. Das war eine Herausforderung. Aber ich habe die Herausforderungen immer geliebt...»

DU HAST DANN KÜNSTLER-SOIREES ORGANISIERT... hast Ausstellungen gemacht...

«Ich musste irgendwie über die Runden kommen. Also jobbte ich. Mich interessierte einfach alles. Aber wenn ich alles wusste, langweilte es mich - und ich brauchte wieder etwas Neues...»

Du hast auf dem Dekanat der Phil-1- Fakultät gearbeitet - später wurdest du Stammzellentransplantat-Koordinatorin am Unispital...

«...das wurde ein total spannender Job. Hier bin ich nach sieben Jahren in Pension gegangen!»

Und? Grosses Loch danach?

«NATÜRLICH. DU FÄHRST VON HUNDERT AUF NULL. Die ersten Tage findest du es ganz toll, auspennen zu dürfen. DOCH DANN KOMMT DIE LEERE. UND DU MUSST DICH NEU FINDEN...»

Und wo spürst du dich? Sie lacht herzlich auf:

«Ich finde es heute einfach grossartig, nichts mehr zu müssen. Allerdings habe ich mit meiner Zschokke-Vergangenheit hier eine Verpflichtung, die ich pflegen und bewahren will...»

Wie haben die Gigliesi das Schiffsunglück der Costa Concordia vor ihrer Insel verkraftet?

«Natürlich war es ein grosser Schock - 32 Tote zu deinen Füssen. Aber die Insulaner haben sich während der Katastrophe grossartig benommen.

Es war schwierig, als das Wrack so lange am Hafen lag. Die Leute sagten: Wir können das nicht mitansehen, wir kommen, wenn die Sache weggeräumt ist. Das machte mich wütend: Die Gigliesi brauchen euch JETZT!»

Man spürt deine Liebe zur kleinen Insel, auf der dein Vater euer Haus gebaut hat und...

«Der italienische Staat hat ihm damals die Nachbarsinsel für 60’000 Lire angeboten. Gottlob hat er abgelehnt...»

UND WIE IST ES MIT DEM SCHLUSSPUNKT? MÖCHTEST DU IHN AUF GIGLIO SETZEN?

Sie überlegt - dann lacht sie wieder: «Hast du schon einmal diese Nischen auf italienischen Friedhöfen erlebt. Sie schieben dich im Bleisarg rein. Dann kleistern sie alles luftdicht zu. So wirst du nie zu Staub - nein. Bibelkonform ist das nicht. Dann lieber unter dem Feigenbaum im Garten...»

Freitag, 18. September 2020