Der Heivisch, der in allen Wassern schwimmen kann

Foto: Lucia Hunziker

Es war eine Odyssee.

Ich habe schneller die Queen am Draht als Heiner Vischer vor einem Teller mit Schnitzel und Kartoffelsalat.

Vor drei Jahren war das erste Treffen geplant. In Wien: «Ich zeige dir, wo man das beste Wiener Schnitzel serviert…»

Ich ging dann vorher mal an die Steindlgasse probeessen. Die Bierklinik von Gösserl ist zweifellos gemütlich. Die Kellner sind leicht grantig, wie es sich gehört. Es hockten die alten Wiener an den Tischen. Und hechelten ihre Verwandtschaft durch. DAS SCHNITZEL ABER WAR TROCKEN WIE DER WIENER HUMOR. Und der Kartoffelsalat süsser als die Sachertorte.

NUN – ICH WOLLTE NICHT MECKERN. ICH WOLLTE HEINER. Der musste dann allerdings «schieben». Seine Agenda ist voller als der Warenkatalog von Zalando. Als er endlich nach Wien kam, war ich wieder in Basel.

DESHALB: TREFFEN HIER. Diesmal im Braunen Mutz. Vischer mag das Einfache. Rustikale.

Aber da war bereits 2019. Und er wurde Grossratspräsident. Also: Essen zwischen zwei Sitzungen.

Doch Klimaschützer stürmten das Rathaus. Und auch der Frauenstreik wollte Vischers Aufmerksamkeit. Unser Termin platzte – zugunsten des Klimas. Und der Frauen.

Corona kam etwas später. Die wenigen Male, als die Beizen kurz offen hatten, waren unsere Agenden zugemüllt. Mittlerweile hatten bereits alle und jede(r) den Grossratspräsidenten interviewt. Nur unsere Schnitzel lagen noch immer unangebissen auf dem Teller.

Immerhin – vor 35 Jahren hatte ich den 30-jährigen Heiner bereits am Tisch. Die Seite lief unter «Basler Koch(t)köpfe». Der frischgebackene Doktor Vischer kam in der zweiten Folge – neben Hans Theler, Namensvetter Frank Vischer, Tinguely , Beyeler und Ebi Kornfeld. Er war weitaus der Jüngste. (Okay. Da waren noch der blutjunge Tänzer Martin Schläpfer, heutiger Ballettchef der Wiener Staatsoper. Und Eva Lind, damaliger Superstar am Primadonnenhimmel – beide zwei, drei Jährchen jünger als Heiner).

Vischer erzählte damals, wie er durch die Zofinger zum Kochen gekommen sei: «Wir machten einen Ausflug zur Berghütte Balisalp. Elektrisch gabs dort nicht. Das hat mich gereizt. Ich wagte mich an eine Kürbissuppe nach Bocuse-Rezept. Alles auf einem alten Feuer-Herd. Die Suppe haute hin. Später habe ich bei Andreas Morel dann noch den Feinschliff im Kochen bekommen…»

So. Das war vor einem halben Leben.

Und jetzt: machen wir endlich Nägel mit Köpfen. Beat Rubitschung vom Rubino deckt uns exklusiv einen Tisch in seiner Weinbar Invino. Es ist das Höfli der alten Galerie Beyeler.

Der Ort ist urgemütlich. Mit Schnitzel ist allerdings nichts – Rubitschungs Köchin kreiert eine köstliche Kombination aus Kalb, Morcheln und Spargeln auf «Bäärlauch-Gnöpfli».

Ich küsse ihre Schuhe und danke dem lieben Gott, dass er mir den süssen Kartoffelsalat erspart hat.

Also Wien. Deine Liebe. Deine Stadt. Wie kommt das?

«Meine Eltern haben einander in Wien kennen gelernt. In der Linde. Die Grosseltern mütterlicherseits besassen ein Schloss in Krumbach, Niederösterreich…»

Er zeigt mir auf dem Handy den Märchen-Kasten. Wow. Riesenkiste. Gefühlte 300 Zimmer!

«Ich spielte als Knirps dort auf dem Estrich. Meistens alleine. Oder dann mit dem Sohn des Försters. Einer der Türme war für mich reserviert, und ich konnte mich dorthin zurückziehen. Das war alles sehr speziell…»

Die Grosseltern waren also Österreicher?

«Nein – Schweizer. Vom Schloss wehte die Schweizer Fahne. Die Nazis zwangen sie aber, dort ein Bahnarchiv unterzubringen. Die Russen haben wegen der Schweizer Fahne zum Glück einen Bogen darum gemacht. Als die Grossmutter 1974 starb, wurde es dann verkauft. Das Schloss brachte nicht das grosse Geld – aber die Ländereien und Wälder darum herum erzielten einen guten Preis…»

Deine Mutter kam also durch die Heirat aus Wien direkt in den Vischer-Clan nach Basel.

«Das war für sie bestimmt nicht einfach. Sie tat sich hier nicht leicht. Basel hat nicht dieselbe Willkommenspolitik wie Österreich. Oder gar Amerika…»

Vermutlich war es damals für Menschen, die von «aussen» her zum sogenannten Basler Daig stiessen, recht kompliziert…»

Nun lacht Heiner Vischer lauft auf: «Daig? Was bedeutet Daig? Kannst du mir das mal klar definieren? Gut. Da war mal etwas – aber die Jungen lachen darüber. Sie nehmen es nicht mehr ernst. Und das ist wohl gut so…»

Du stammst aus einer Familie, die seit 1649 in Basel lebt…

«Wir unterscheiden zwischen den Vischers v o r und h i n t e r dem Münster…»

Eben. Du bist im Vorstand der Familienstiftung. Also lassen dich die «daigige» Geschichte und der grosse Stammbaum doch nicht kalt?

«Die Geschichte ist e i n e Sache. Die andere ist das H e u t e. Wir müssen die Zeit sehen, mit ihr gehen – in die Zukunft schauen. Ich meine: Die Welt hat andere Sorgen als Neujahrsbesuche mit Zylinder auf dem Kopf oder die traditionelle Weihnachtsvisite bei den Grosseltern.»

Aber du denkst gerne an diese Weihnachten zurück?

«Ich war ein Einzelkind. Wenn wir am Weihnachtstag meine Grosseltern in der alten Villa besuchten, kamen auch meine vielen Cousins und Cousinen. Das war toll – endlich hatte das Einzelkind jemanden zum Spielen…»

Traditionelles Essen?

«Die Gans. Und zum Dessert der Schoggi-Igel. In deinem Interview vor 35 Jahren habe ich schon davon geschwärmt – leider macht diese Schoggi-Igel heute kein Konditor mehr…»

Und du? Lädst du noch zur legendären Heiner-Feier? Ich meine: Das Weihnachtsfest bei dir in Riehen während der Hundstage im Sommer ist doch so legendär wie die Fete, die du für Herbie Hancock und dessen Entourage dort geschmissen hast.

«Ja klar. Das ist Tradition. Während Corona fiel natürlich alles ins Wasser. Hoffen wir auf Lockerung. Die Gäste fliegen aus der ganzen Welt an…»

Und du dekorierst mitten im August alles auf Winter?

«Der Gärtner stellt draussen eine Weihnachtstanne hin – drinnen: Christmas Party. Ich lasse zwei Sterneköche das Menü zelebrieren. Für die Weine schaue ich selber…»

Sein Weinkeller ist berühmt. Aber er redet nicht darüber. Genauso wenig wie er über sein soziales Engagement, seine Unterstützungen und die gut zwei Dutzend Stiftungen und Fördervereine, für die er (keiner wie Heiner!) grosszügig den Geldsäckel öffnet. Als «heivisch» hat er ein eigenes Sponsoren-Logo. Doch auch darüber schweigt er sich gerne aus.

«Ich unterstütze gerne dort, wo ich merke, da steckt ein grosses Engagement, aber auch Talent dahinter…»

Du warst seit 2007 für die LDP im Grossen Rat. Bist politisch immer noch sehr aktiv – zu deinen Spezialgebieten gehören Umweltfragen. Du fährst Velo, hast dein Haus mit Solarpanels eingerichtet, nimmst aber dennoch gerne das Flugzeug für einen Kurztrip nach Wien. Und fährst drei Autos.

«Stimmt. Aber pro Jahr lege ich kaum 500 Kilometer als Autofahrer hin – dies nur nebenbei. Es ist klar, dass ein Naturwissenschaftler einen sehr speziellen, intimen Zugang zur Natur hat. Und es ist auch jedem klar, dass wir unsere Umwelt schützen müssen. Aber nur mit Verboten und Forderungen kann keiner etwas bewirken. Höchstens Ärger. Man muss den Menschen vielmehr unaufgeregt vor Augen führen, was die Natur für jeden bedeutet. Kleines Beispiel: Im Verein «Basel erleben» zeigen wir mit spektakulären Videos oder in einem Buch Bäume in unserer nächsten Umgebung, in der Stadt. Wir führen die Menschen zu ihnen. Kurz: Wir machen sie auf das Grossartige der Natur in unmittelbarer Nähe aufmerksam. So versuchen wir Verständnis, ja eine Liebe zur Umwelt aufzubauen. Ich denke, d a s ist ein guter Weg, Umweltpolitik zu machen. Mit gehässigem Geschrei und lauten Forderungen, die nie eingelöst werden können, erreicht man gar nichts. Nur eine Polarisierung. Und so etwas tut der Sache keinen guten Dienst…»

Die Grenzen sind wieder offen. Du kannst wieder nach Wien fliegen – du hast die Donaustadt samt Opernball vermisst?

«Opernball? Natürlich gehe ich immer gerne hin – mit Gästen in meiner Loge. Und dem Souper im Bristol. Das gehört dazu.»

Dann wären wir ja schon wieder bei der Neujahrsvisite des alten Daig: Ohne Zylinder und Frack geht gar nichts…

«Okay. Aber Wien ist Wien. Und Basel ist Basel. Wenn du mir eine Freude machen willst – bitte schreib n i c h t, dass Heiner Vischer vom Daig ist…»

Ist er also nicht. Sondern ein gewiefter Fisch – ohne Vau –, der in allen Wassern schwimmen kann.

Was Heiner Vischer mag

Er mag:
Ein gutes Wiener Schnitzel mit einem frischen Bier
Wandern und Beobachten in der Natur
Anderen Menschen eine Freude bereiten
Er mag nicht:
Käse
Menschen, die viel reden, aber nicht zur Sache sprechen
Miesepeter

Foto: Lucia Hunziker

Samstag, 24. Juli 2021