Thomas Bucheli: «Ist das nicht eine Idylle?»

Der Navigator spinnt.

Ich habe «RICHENSEE 5» einge­geben.

Jetzt bellt mich das Kistchen im Luzernischen herum.

Vermutlich hätte ich ganz einfach «THOMAS BUCHELI» eintippen sollen.

Den kennen alle. Auch die Navigatoren. Denn die Wetterfrösche von heute sind die himmlischen 007-Agenten von morgen: Dauerbrenner auf dem Bildschirm.

Thomas Bucheli ist einer von ihnen. Mehr: Er ist der Boss. Und das berühmteste «Meteo»-Hoch auf dem Schweizer Fernsehkanal.

«Wir treffen uns in Hitzkirch. Dort stecken alle meine Wurzeln…» – So hat er gemailt.

Ich google den Ort. Und sehe – es sind zwei: Richensee. Und Hitzkirch. Die beiden fusionierten wie ein Chemie­konzern. Kein Wunder, dass der Mann im Navi Kopfschmerzen hat. Und immer wieder «BITTE WENDEN» stöhnt.

Immerhin – die Fahrt durchs Luzerner Mittelland lohnt: Bilderbuch-­Schweiz. Mampfende Kühe. Meckernde Ziegen (die immer ein bisschen an eine Redaktionskonferenz erinnern). Hügel, kleine Seen – und viel Grün.

Vor mir winkt auch der alte Landessender Beromünster. Ich denke an die Halb-ein-Uhr-Nachrichten meiner Kind­heit zurück. Nach dem erhöhten Pieps­ton durfte nicht mehr gesprochen werden. Erst am Schluss, wenn der Nachrichtenmann erklärte, dass es am andern Tag in den Alpen schneien würde, wurde das Redeverbot aufgehoben.

Wetterprognosen interessierten damals kaum jemanden. Sie waren auch medienmässig nur ein verregnetes Anhängsel.

HEUTE?

WETTERSENDUNGEN WERDEN MEHR BEACHTET ALS DIE NEUJAHRS­ANSPRACHE VON FRAU MERKEL. ODER ALS EIN DREI-PUNKTE-VERLUST BEIM FCB: MILLIONENQUOTE!

Und natürlich wettern am andern Tag alle: «Wieder mal daneben­gelegen…»

Später erklärt mir Bucheli, dass solche Meckereien rein subjektiv seien und von alten Vorurteilen herrühren würden. Objektiv betrachtet sei klar: Noch nie habe man das Wetter so genau voraussagen können wie heute. «Das ist sicher einer der Gründe, weshalb Wetterprognosen heute so starke Beachtung finden…»

Apropos: Die Sonne scheint. Und dies, obwohl sie Regen gemeldet haben.

Sonnenschein über dem Luzerner Seeland – das ist wie ein vom Himmel geschenkter Ferientag.

Ich bin zu früh. Also bummle ich durch Hitzkirch, diesen Ort, in dem Bucheli aufgewachsen ist. Hier herrscht noch heile Welt. Die Leute grüssen freundlich – selbst der Ortspolizist, der höflich darauf aufmerksam macht, dass man hier ohne Zeitangabe nicht parkieren könne. Und mir dann eine Parkscheibe organisiert.

In der Metzgerei bieten sie noch schön ausgebreitet alle diese Leckereien an, die in den städtischen Supercenters in Styroporschalen eingeschweisst langsam ersticken.

Und in der Bäckerei lachen sie: «Ja, ja – der Thomasli. Das ist einer von uns!»

Man wünschte sich, die ganze Schweiz könnte unter einem solchen Dauerhoch stehen wie dieser wunderbare Ort, wo alles liebenswert und problemlos scheint.

Der «Adler», in dem wir uns treffen wollen, ist ein alter Prachtbau. Spitzdach. Und mit Treppenaufgang zur ­Beizenstube, in der bereits die ersten Arbeiter ihre Suppe löffeln.

Die Kellnerin ist eine Frohnatur: «Salli, salli, salli – Sunneschirm für alli!» – lacht sie. Und dirigiert mich ins «Säli»: «Da seid ihr ungestört!»

Draussen läutet aufgeregt eine ­Glocke im Zwiebeltürmchen der Miniaturkapelle den Mittag ein – und dann erscheint er. Auch strahlend. Auch fröhlich – entspannt sonnig wie das Wetter, das er regnerisch vorausgesagt hat: «Ist das nicht eine Idylle … nicht so Schickimicki. Sondern einfach gemütlich!»

Eigentlich wohnt er mit seiner Freundin Kathrin – sie ist aus Bayern und betreibt ein Partnervermittlungsbüro – in Kilchberg: «… aber natürlich zieht es mich immer wieder hierher zurück. Es ist meine Jugend. Meine Kindheit. Eigentlich mein Leben. Ich besuche meine Mutter (ohne wie früher die Hemden zum Waschen zu bringen), ich sehe Verwandte und Freunde – deshalb ist es ein Heimkommen!»

Der Wirt empfiehlt das Entrecôte. Dazu: Pommes und junger Salat.

Bucheli nickt: «Ich liebe die unkomplizierte Küche – da weiss ich, was kommt. Das Wetter ist schon kompliziert genug.»

Ob er auch koche?

«Meine Freundin ist ein hervor­ragen­der Küchenchef. Und ich rüste Rüebli, putze Salat, helfe mit – die Zubereitung überlasse ich aber ihr. Ich gehe gerne in eine Beiz – aber sie muss gemütlich, urchig und nicht zu ‹affig› sein. All dem ziehe ich jedoch ein Essen daheim vor…»

Geboren ist er in Rothenburg. Sternzeichen Zwilling. Jahrgang: 1961.

«Aufgewachsen bin ich dann allerdings in Hitzkirch. Wir waren drei Kinder. Mein Vater hatte einen Elektro­betrieb – die Mutter schaute zur Familie. Klare Rollenverteilung. Sie war übrigens eine grossartige Köchin, ist es auch heute noch – alles kam tagesfrisch aus dem Garten. Sie lehrte mich, dass einfaches Essen zwar oft zeitaufwändig ist – aber mit frischen Zutaten besser schmeckt als irgendein Menü, das mit Dekorationen und exotischen Gewürzen vom Wesent­lichen ablenkt…»

Tolle Kindheit also?

«Ich sehe das nicht etwa verklärt – wir hatten hier den Wald, die Kiesgrube, die Bauernhöfe. Natur pur. Was will man als Bub mehr?»

Als kleiner Junge wurde er Mess­diener in der Kirche und kam zur Jungwacht – «Irgendwie hatte das Dorfleben etwas, das einem Sicherheit gab. Jeder stand für den andern ein – man half einander. Das ist auch heute noch so, ohne dass die Leute hinterwäldlerisch wären. Sie sind offener als früher – das hat die globale Zeit mit sich gebracht. Aber der gesunde Kern ist geblieben. Den spürt man auch heute noch…»

Er besuchte schliesslich die Mittelschule in Reussbühl:

«Ich fuhr mit dem Bähnlein hin. Und das war wie Manhattan für mich – Grossstadt…»

Er machte die Matur. Typus C:

«Ich wäre gerne Pilot geworden. Die meiste Freizeit verbrachte ich auf dem Flugplatz in Beromünster … aber schon damals haben mich auch die Naturwissenschaften stark interessiert.»

Und das Wetter – bereits ein Thema?

«Nein – aber mit 17 habe ich die Aviatik-Vorschule besucht. Da rutschte ich natürlich in dieses Gebiet rein: Meteorologie… die Atmosphäre erforschen… das war spannend!»

Er besuchte die ETH:

«In der Schweiz kann man kein Vollstudium ausschliesslich in Meteorologie machen. Also habe ich Geografie studiert. 1988 habe ich das Studium in Meteorologie , Klimatologie und Atmosphärenphysik abgeschlossen. Noch vor dem Diplom machte mich mein Professor auf eine freie Stelle beim Bundesamt für Meteorologie aufmerksam. Ich kam an. Und startete dort als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Meteorologe. Das war der Anfang…»

Das Bundesamt schickte ihn schliesslich nach Grossbritannien, wo er beim Advanced Forecasting Course in Reading zum praktizierenden Prog­nostiker ausgebildet wurde: «Ein echtes Aha-Erlebnis! Hier habe ich erstmals die Zusammenhänge wirklich begriffen. Nicht nur theoretisch. Auch in der Praxis…»

Und Fernsehen?

Er lacht: «Meinen ersten Auftritt hatte ich vor 24 Jahren. Ich wurde Moderator bei ‹Meteo› – und 1995 Leiter der Wetterredaktion…»

In diesen zwei Jahrzehnten hat sich das Wetter zu einem TV-Highlight entwickelt – es wettert auf allen Kanälen…

Wieder das Lachen: «Ja. Allerdings war das Wetter schon immer ein Thema – man hat es in den letzten Jahrzehnten einfach ein bisschen spannender verpackt. Und man weiss heute mehr darüber…»

Kam das nicht auch mit der Sorge um die Klimaveränderung? Mit den Naturkatastrophen?

«Da muss ich gleich mal vorwegnehmen: Die globale Erwärmung ist ein Faktum. Wetter ist aber nicht Klima – dass das Wetter immer mal wieder über die Stränge schlägt, liegt in der Sache der Natur…»

Und das heisst?

«Wenn es heute stürmt und Wasser über die Ufer tritt, kann das mit Klimawandel zu tun haben. Muss aber nicht. Das Wetter hat per se eine sehr hohe Variabilität. Der einfache Zusammenhang ‹wenn wärmer, dann häufiger und extremer› gilt noch lange nicht für jedes Unwetter. Daher mache ich einigen Klimaforschern auch Vorwürfe…»

Inwiefern?

«…sie verlassen die Wissenschaft und machen emotional aufgewühlte Politik. Das ist – so finde ich – für Wissen­schaftler nicht der richtige Weg. Man sollte sich nüchtern und unaufgeregt den Fragen stellen.»

Aber die Klimaveränderung ist eben eines der ganz grossen Themen – auch für die Medien.

Bucheli zögert: «Die Reporter halten mir bei einem Sturm oder einer ­Katastrophe die Mikrofone hin: ‹Ist das die Klimaveränderung?› Darauf antworte ich: ‹Nein – das ist eben das ­Wetter!›

Sie stellen dann die Kamera ab. Und bringen so etwas nicht. Sie möchten, dass ich sage: ‹Jaaaa – das ist die Klimaveränderung. Und im nächsten Jahr wird es noch verreckter …› Doch so etwas ist einfach. Unwissenschaftlich. Und unverantwortlich…»

Sind die Wetterleute beim Fernsehen auf dem Leutschenbachdach «nur» Moderatoren. Oder professionelle Meteorologen?

«Sandra ist die einzige Moderatorin – wir anderen sind ausgebildete Meteorologen. Die Redaktion, die ich aufgebaut habe, zählt 15 Leute – immer um 10 Uhr morgens und um 15 Uhr ­mittags raufen wir uns zusammen. Und planen das Wetter. Jeder bringt seine Meinung ein, sein Wissen – daraus stellen wir dann die Prognosen…»

Heute sind die Wetterfeen und Wetterfrösche ja Stars…

«Klar – wir wollen unser Fachwissen und unsere Dienstleistungen auch vermarkten, damit Einnahmen reinkommen. Der Konzessionszahler soll für den besten Wetterservice möglichst wenig bezahlen müssen. So haben wir beispielsweise über mehr als zehn Jahre lang ein spezielles Basel-Wetter für Radio Basilisk erstellt…»

Hat Basel da eine spezielle Situation?

Er grinst: «Also im Wetter bestimmt…»

Er mag Basel – zieht aber Zürich vor:

«In Basel ist alles klein. Dörflich. Wie in Hitzkirch. Man kennt einander. Da haben es Aussenstehende oft schwer.Wenn ich in die Rheinstadt an einen Anlass komme, fühle ich mich irgendwie out – in Zürich geht man unverkrampfter an den andern ran. Entspannter…»

Pläne?

«Nun, da sind die Reisen für die Background-Touren. Wetterreisen eigentlich. Wir umrunden auf einem Schiff Spitzbergen und ziehen in die Arktis. Und ich versuche den Menschen dann das Wetter zu erklären. Wir gehen auf den Amazonas, ins Nordpolarmeer – das ist natürlich spannend. Und eine tolle Aufgabe, die mir extrem Freude bereitet…»

Und wo ist das Wetter am spannendsten?

«Es gibt unzählig viele, verschiedene Klima- und Wetterregionen. Aber die Schweiz oder eben die Alpengebiete sind für die Meteorologen sicher eine der grössten Herausforderungen. Etwas Spannenderes kannst du dir nicht mehr wünschen…»

Draussen schüttet es plötzlich.

Wetterfrosch Bucheli hat doch recht behalten: Der Regen ist eingetroffen. Etwas verspätet.

Aber immerhin.

Samstag, 23. April 2016