Rudi Bindella: «Wir wollten den Schweizern die italienische Lebensfreude schenken!»

Foto: Lucia Hunziker

«Das ist Bindella!» - der Taxifahrer zeigt auf ein grosses Gebäude. Stil 60er-Jahre. Kein architektonischer Wurf. Aber solide.

Camions laden Weine aus. Camions laden Weine ein.

Eine Treppe führt ins Herz dieses Familienimperiums, das schon vor über 100 Jahren Chianti aus Italien in die Schweiz importiert hat.

Im Innern: prächtige Lüster, goldener Prunkspiegel, viele Antiquitäten und Kunst, wohin das Auge schaut. Dazu sanft flackernde Kerzen. Viele Kerzen.

Jeden Morgen werden sie von Giuseppe, Hauswart, um fünf Uhr früh auf allen Stockwerken angezündet. «Geht er in die Ferien, ist es eine kleinere Katastrophe. Uns allen fehlen diese Lichter.» Rudi Bindella analysiert es so: «Kunst... diese Kerzen... gemütliche Einrichtung - das macht die Stimmung des Hauses aus. Hier, in der Zentrale, arbeiten rund 100 Mitarbeiter. Eine gute Stimmung bringt gute Resultate, weil es angenehmer ist, in einer freudigen Um gebung zu arbeiten. Und ich habe nun mal gerne fröhliche Menschen um mich...»

Er ist der Patron. Der Patriarch. Die Vaterfigur der grossen «famiglia Bindella».

Es waren seit Generationen stets die Väter, welche den Weg gepflügt und die Richtung angezeigt haben. Auch bei Rudi senior ist es so.

Er ist jovial. Und er versprüht sein Charisma wie ein 1.-August- Feuerwerk.

Er zeigt uns stolz die grosszügigen Schulungsräume, die Aufenthalts- Oasen für die Mitarbeiter, die Büros (alle wieder anders eingerichtet) - wir gehen an römischen Ölkrügen und Skulpturen der Heute-Zeit vorbei. Manchmal ist es ein Gemischtwarenladen - stilistisch nicht festzulegen. Aber man spürt Wärme. Spürt Charakter: «Ich habe mich immer vom Bauch aus leiten lassen habe mit dem Herzen entschieden. Ich habe keine Kunst angesammelt, um sie später mit Mehrwert weiterzu verschachern. Ich habe nur Dinge gekauft, die ich liebe - etwa die Gemälde von Cuno Amiet, von Alfred Heinrich Pellegrini oder dann die farblich unglaublich starken Aquarelle von Hermann Hesse. Ich habe den Dichter als Maler schon in meiner Jugend entdeckt. Die Kombination von Hesses Malerei und den dazu gehörigen geschriebenen Worten fand ich genial. Ich suchte überall nach ihnen. Begann zu sammeln. Heute sind es Raritäten...»

Sein Büro teilt er mit seinem Sohn - dem künftigen Patriarchen. Seit ein paar Jahren wird Rudi junior auf die Stabübergabe vorbereitet. Sohn und Vater arbeiten zusammen - das ist nicht immer einfach. So wie es schon für den Senior mit seinem Vater nicht immer nur ein Halleluja war: «Die Konflikte gehören dazu. Die junge Generation muss ihren eigenen Weg gehen. Und finden. Ich will da nicht zu viel dreinreden - aber wir müssen einen gemeinsamen Konsens finden. So wie ich auch mit meinem Vater immer den Konsens gefunden habe...»

Italianità schmeckt man überall - und doch stecken die Wurzeln der Bindellas in Spanien: «Der Urgross vater ist ins Tessin eingewandert. Hier begann die Bindella-Geschichte. Mein Grossvater kam dann nach Zürich.»

Die Liebe zu Italien kam bei Rudi Bindella durch die Ferien: «Wir fuhren mit den Eltern und meinen zwei Schwestern immer auf den Stiefel. Ich war überwältigt von der Lebensart... vom Lachen der Leute, von ihrer Sonne, die sie ausstrahlten und die auch am Himmel immer schien!

Später habe ich in Perugia ein Studiensemester eingelegt. Und mir beim Abschied geschworen: «Irgendwann werde ich in diesem Land ein Weingut haben...»

Die Geschichte ist rührend - er brach eines Morgens in die Toskana auf, um in der Nähe von Montepulciano ein Weingut anzuschauen. Sein Vater begleitete ihn zum Auto: «Fahr langsam... sei vorsichtig!»

Als er in Italien auf dem Gut ankam, teilte man ihm mit, sein Vater sei gestorben. Man sieht in seinen hellen Augen, dass dieser Moment ihm heute noch zu schaffen macht: «Irgendwie war es ein Zeichen - geh deinen Weg! Aber plötzlich fehlte er mir überall. Es wäre noch so viel zu sagen gewesen.

Heute rede ich manchmal mit ihm. Aber es kommt keine Antwort mehr...»

Aus diesem Grunde ist ihm auch das Gespräch mit seinen Kindern wichtig. Er weiss, dass er kein einfacher Patriarch ist. Er hat seine Fehler. Hat Fehler gemacht. Und doch stimmt ihn das Alter milder, die Zügel werden etwas lockerer: «Die vier Söhne stehen in den Startlöchern, um zu übernehmen.» Er lacht: «Allerdings erst, wenn ich mich in etwa vier Jahren total zurückziehe...»

Wenn Bindella durch seinen Palazzo geht (er ist immer in Eile, läuft schnell, selbst die Treppen jagt er wie ein Jungspund hoch und runter), lachen ihn die Mitarbeiter an. Mit Vielen ist er per Du. Man atmet «la famiglia». Und spürt die Vaterfigur:

«Ich will nicht nur die Nähe zum Gast. Ich will sie auch zu meinen Leuten... sie sind schliesslich meine Familie...»

Typisch italienisch?

Er überlegt: «Ja. Deshalb werden Italiener immer überleben - die Familien funktionieren auch dann noch, wenn der Staat ein Schutthaufen ist. Italien aber wird an seiner Bürokratie untergehen! Bei uns hingegen funktioniert der Staat bestens - aber die Familien kranken.»

Rudi Bindella hat in St. Gallen Wirtschaft studiert: «Alles gut und recht. Ich lernte so, systematisch zu arbeiten, auch systematisch zu denken. Aber es war Theorie... und vieles Gepaukte, war nach einigen Jahren bereits überholt. Das wirkliche Studium bringt das Leben. Die Praxis.»

Er war es, der den Bindella- Betrieb nach dem Tode seines Vaters 1985 mit dem ersten Bindella- Restaurant ganz auf «Italianità» ausrichtete: «Wir wollten den Schweizern die italienische Lebensfreude schenken!»

Bindella wurde zum Inbegriff des südlichen Essens. Heute hat das Familienimperium 1300 Mitarbeiter und macht einen Jahresumsatz von beinahe einer viertel Milliarde Franken. Es besitzt rund 40 Restaurants im ganzen Land. Anfang Jahr wird in Basel auch das Traditionshaus Chez Donati mit der Bindella- Philosophie geführt werden:

«Wir wissen, dass wir hier der Tradition verbunden sind. Es ist eine Ehre, so ein Haus zu übernehmen. Gross verändern werden wir es nicht - ich werde meine eigene Kunst einbringen. Und die Küche bekommt einen neuen Chef - der italienische Charme, die italienischen Spezialitäten, die legendären Murano-Leuchter, das ganze Ambiente also, sollen und müssen erhalten bleiben!»

Nach unserem Gespräch bringt mich Bindella in sein Vorzeigerestaurant an der St. Annagasse: das Ornellaia. Hier werden toskanische Spitzen weine zelebriert: die edlen Tropfen von Ornellaia und Bindellas Weingut Vallocaia. Der junge Küchenchef Giuseppe d’ Errico aus Caserta wurde mit 17 «Gault Millau»-Punkten sowie einem «Michelin»-Stern dekoriert.

Essen?

Bindella lacht: «Ich könnte von Pasta leben, Pasta in allen Varianten. Und frisches Gemüse, am liebsten roh.» Nein - er koche selber kaum. Aber seine Mutter habe wunderbare Griessringe mit Kompott von schwarzen Kirschen aufgetischt: «Unvergesslich!»

Weine?

«Ich trinke höchstens drei Glas am Tag. Mittags und abends besuche ich immer eines unserer Restaurants. Nun ja - so wie ein Vater eben seine Familie aufsucht. Nur heute ist Moby-Dick-Tag!»

Er grinst: «Les Moby Dicks sind eine Band, die wir vor über 50 Jahren gegründet haben. Wir sind fünf Bandmitglieder. Und wir singen und spielen immer noch: Bee Gees, Beatles nun ja das volle Programm der 60er-Jahre. Wir haben zehn Auftritte im Jahr - heute ist Probe bei mir daheim...»

Er spielt Schlagzeug. Und gibt auch hier den Takt an.

Ferien, auf seinem Gut in der Toskana? Hier kommen seine Weine und das legendäre Olivenöl in die Flaschen.

«Ja klar. Ich bin immer wieder dort. Immerhin hat hier alles angefangen, die ganze Italien-Linie, die eigenen Weine... unsere Philosophie. Aber am allerliebsten bin ich daheim. Und daheim ist bei Bindella. Ich bin glücklich, wenn ich um fünf Uhr morgens in meine Firma komme...»

UM FÜNF UHR?!

«Ja... ich habe dann noch keine Rushhour auf der Strasse. Mit Giuseppe - er ist aus Kalabrien und arbeitete bereits für meinen Vater -, mit unserm Hauswart also, nehme ich den ersten Espresso. Mein Sohn stösst auch dazu. Der frühe Tag hat etwas Wunderbares. Du hast noch diese Stille, die dann ganz langsam durch die Hektik durchbrochen wird...»

Und wann ist Bettzeit?

Wieder dieses Lachen in den Augen: «Nun ja - kurz vor Mitternacht. Ich brauche nicht viel Schlaf. Schlafen kann ich später einmal sehr lange...»

Was Rudi Bindella mag

Er mag: Arbeit im Garten, Giuseppe Verdi und die Aquarelle von Hermann Hesse

Er mag nicht: unzufriedene Menschen

Samstag, 14. Dezember 2019