Ulla Dreyfus

Sie zählt laut Art News zu den 200 wichtigsten Sammlerinnen der Welt. Und sie lebt umgeben von Breugel, Jeff Koons, Max Ernst wie mit guten Bekannten. Im Jet-Setting sieht sie nicht nur Negatives. Sie benutzt die Kontakte für ihr Networking – und zieht gekonnt an den Fäden.
Ulla Dreyfus ist so spannend wie ihre Sammlung – und hat auch so viele Seiten und Geschichten. Ihr roter Faden aber ist stets die Liebe zur Kunst, den Menschen und den Tieren …

Viele winken ab: «Ach Gott, diese Jetsetterin …»
Andere grinsen: «Einfach ein verrücktes Huhn mit Portefeuille …»
Doch wer sie näher kennt, weiss: «Alles nur Geschwätz. Sie ist eine Frau mit Herz – einem Herzen für Menschen und Tiere».
Man trifft sie in New York, Basel, St. Tropez.
Wir treffen sie in Gstaad.
Sie kommt mit Lissi. Die junge Hundedame wedelt heftig an der durchgebissenen Leine. Mit Lissi hat sie Grosses vor - sie wird zu einem Sanitäts- und Lawinenhund ausgebildet. Denn Ulla Dreyfus ist «Hündeler» – zusammen mit vielen andern, die hier im Berner Oberland leben. Und die ebenfalls Lawinenhunde ausbilden.
Jeden Tag wird trainiert – Ulla Dreyfus lässt sich tief in den Schnee eingraben, liegt stundenlang unbeweglich in künstlichen Lawinen – und wartet darauf von den Hunden gefunden zu werden. Sie geht mit ihrem Vierbeiner täglich auf den Grossmarsch. Nur so bringt man es zur Schweizermeisterin. Ganz klar, dass Ulla’s Hunde in der Kategorie «Sanität», also Rettungshund, den Schweizer Champion-Titel tragen - Lissi’s Vorgänger «Cash» holte den Titel gar zwei Mal in Folge. Und irgendwie passen verdreckte Jeans, eine verfrorene Nase, ein vom Hund zerfetzter Rucksack und das Robidog-Säcklein nicht ganz ins Bild einer Jetsetterin …
«Jetsetterin?»
Sie lacht glockenhell: «Ach Kinder - D A S ist längst nicht mehr wie früher. Ok. Als ich da frisch in diesen Zirkus von Künstlern, Promis und Geld kam, hat’s mir Spass gemacht. Da war rundum Party. Eigentlich kein Unterschied zur heutigen Fun-Gesellschaft und dem Rumhängen. Die Weinrechnungen sind im Jet Set einfach etwas höher …»
Wieder das Perlenlachen:
«Aber dann hast du’s halt einmal gesehen. Denkst: ist doch immer dasselbe … neue Tapeten, altes Schauspiel: wer ist die Tollste im ganzen Land? Immer dieselben Fragen: ist sie geliftet, oder nur aufgespritzt? Von wem ist das Kind? Hat er ein Verhältnis? Oder alles nur Schau? Schwul oder nicht? Nein. Brauche ich nicht mehr. Auch nicht den Wettbewerb: WER TRÄGT DEN NEUSTEN HERMES-GÜRTEL UND DAS TEUERSTE PRADA-TÄSCHLEIN?»
Also ruhiger geworden?
«Kann man wohl kaum sagen – ich jage noch immer zünftig herum. Aber ich setze meine Kräfte anders ein. Und wenn ich für etwas jetsette, dann für meine Freunde oder Kunstanlässe. Für wichtige Dinge eben …»
Beispiel?
«Also: da hat Maya Hoffmann zu ihrem Festival nach Arles gerufen. Das war spannend. Man sah viele Installationen und traf die Künstler, die sie geschaffen hatten. In grosser Bescheidenheit bringt Maya Hoffmann Erstaunliches, ja Hochinteressantes fertig. Sie ist eine gute Freundin. So fuhr ich also hin – und natürlich waren auch andere Leute da, die sich für Kunst interessieren. Sam Keller und Judith, etwa. Und kein Mensch vom Jet Set..
In Salzburg besuche ich Eliette von Karajan. Sie ist ruhiger geworden. Sanfter. Auch sie war eine Jetsetterin der alten Schule. Und auch sie hat genug. Aber wenn ich mit ihr an den Festspielen auftauche, heisst es natürlich schon wieder: ahhh, der Jet Set ist da.»

Sie glaubt, dass das Herumjetten ihr auch Gutes gebracht habe: NETWORKING.
«Ich bin unglaublich gut vernetzt. Ich kenne Sammler, Künstler, Museumsdirektoren, Kuratoren und Stiftungsräte in der ganzen Welt. So kann ich die Fäden spinnen. Und sie für andere oder auch für eine gute Sache einsetzen.»
Zu ihrem Networking zählt auch Jeff Koons. Sie hatte ihn mit seiner Familie («5 Kinder und zwei Nannies!!» ) bei sich zu Hause, als er bei Beyeler in der Fondation ausstellte: «Die Ausstellung ist auch auf meinem Mist gewachsen. Ich war wohl die erste in der Schweiz, die Ernst Beyeler inständigst bearbeitete, einmal eine Ausstellung mit ihm zu realisieren. Für seine Skulptur in unserm «Stäägehuus» brauchte er tatsächlich drei Jahre. Als er noch mit Cicciolina zusammen war, besuchten uns beide in Basel. S i e war einfach nur fürchterlich: kein Wort Englisch aber ein Kränzchen im Haar! Weiss der Teufel, wie die miteinander kommunizierten. Jeff‘s Ideen aber waren schon damals genial …»
Auch die jungen Calders waren bei ihr zu Besuch:
«… entsetzlich reizende, enthusiastische und warmherzige Leute. Sie schauten sich das Werk ihres Grossvaters bei uns an. Zerlegten es, wie eine «truite bleue». Und gaben ihr Urteil ab: «sehr speziell. GREAT!»
Das meine ich mit «Fäden knüpfen». Es ist immer gut, viele Leute zu kennen … irgendwann braucht jemand ihre Hilfe. Und da kann ich vermitteln.»

Klar. Sie hat das, was man Vitamin B nennt. Gehört zum Stiftungsrat des Kunstmuseums Basel und des Musée Royal des Beaux Arts in Bruxelles, ebenso bei Sotheby’s International.. Sie hat das «Musée Magritte» mitgegründet und wurde von Paris für ihre kulturellen Verdienste mit dem Orden des Chevalier des Arts et des Lettres dekoriert («ja, darauf bin ich schon ein bisschen stolz»). Sie ist einfach ein kleines Kunstwerk für sich – geboren in Köln. Kunstgeschichte an der Uni Bonn. Restauratorin bei der Rheinischen Denkmalpflege
«… und dies fast sieben Jahre lang. Dann wollte ich mich verändern. Kam ans Landesmuseum Zürich. Und von dort dank Beziehungen (da siehst du’s: schon wieder Vitamin B) nach Basel!»
Hier hörte Richard Dreyfus, Bankier und Sammler von «der schönen Blonden aus Köln»
«… klar wusste ich, wer er war. Er kannte nämlich bereits meine ältere Schwester. Und die hat ihn angefaucht: «don’t touch her! Sie ist verlobt!». War ich natürlich nicht. Aber das hat Richard nur noch mehr gereizt. Also rief er mich an. Lud mich zum Essen ein. Und holte mich ab.
Ich wusste, dass er zwei Autos fuhr – eine Riesenlimousine. Und einen kleinen Fiat 500. Er kam mit dem Kleinwagen. Das hat mich sofort für ihn eingenommen – dies, sein Charme. Er hatte so viel Charme wie alle Künstler dieser Welt Farben haben …»

Natürlich war die Basler Gesellschaft nicht begeistert, als er sie heiratete:
«Er war immerhin eine der besten Partien. Alle Häuser riefen Richard zu Tisch, um ihre Töchter an ihn zu hängen. Und da wählte er diese kleine Kunsthistorikerin – dazu noch «e Sauschwoob».»
Einfach war das wohl nicht - für beide Seiten. Anfangs genoss sie das Herumjetten: «… Richard hatte dies bereits hinter sich. Er lebte lieber zurückgezogener – auch aus Rücksicht auf sein Bankhaus. Er wollte keinen Tumult. Aber natürlich genoss er es, wenn ich die Leute aus Kunst und Welt heimschleppte.»
Gemeinsam trugen sie ihre berühmte Sammlung zusammen. Ein Sammelsurium eigentlich – aber von Spitzenqualität. Die Sammlung war schon damals nicht auf eine einzige Epoche oder Richtung fokussiert – sie war ein wildes Ganzes: von Füssli, Arcimboldo, Breughel – bis zu kostbaren, klerikalen Schmuck-Dingelchen aus der Renaissance, verwunschene Anhänger, einfach alles, was Geschichte hat.
«Durch unsere Sammlung zieht sich ein roter Faden. Jedes Kunstwerk, jedes Ding hat seine Geschichte – das ist ja das Spannende. Als Richard starb, blieb er mit seinen Geschichten, u n s e r n Geschichten, bei mir. Alle Bilder, Skulpturen, Kleinode erzählen mir von ihm und unserm Leben … wenn ich eine wichtige Entscheidung zu treffen habe, frage ich ihn. Und er ist da.»
Ihre Sammlung ist weltweit berühmt. Viele tun sie als «arges Kunstdurcheinander» ab. Andere flippen total aus. Fact ist, dass Ulla Dreyfus von «Art News» unter den 200 bedeutendsten Sammlern der Welt aufgelistet ist.
Sie leiht die Bilder an Museen aus: «… so sind sie oft auf Reise. Ich hänge wohl an den Erinnerungen. Aber nicht am Wert der Dinge. Mit dem Alter wird man auch grosszügiger, möchte, dass die andern Menschen sich mitfreuen können …»
Sie verschenkt schon auch mal ein wichtiges Werk von Max Ernst («noch von Beyeler selbst ausgesucht»)an die Fondation: «Meine Mutter hat mich gelehrt mit warmen Händen zu geben … und es macht ja auch Freude während Lebzeiten zu sehen, wo die Sachen mal hinkommen und hängen werden!».
Zurück nach Gstaad. Nach Basel. Wie haben sich die Orte verändert?
Knappe Antwort: «Basel zum b e s s e r n, Gstaad zum s c h l e c h t e r n …»
Drei Fragezeichen ???
«Die Baumaffia wütet hier wahllos im schönen Saanenland. Zustände wie in Italien und Spanien. Die Landschaft, ja die allerletzten Naturfleckchen werden verbaut - und das im Minimumabstand von 5 Metern!. Reines Profitdenken rundum. Das schlimmste Beispiel: die Alpina-Matte gegen die ich 12 Jahre einen Prozess führte. Ich bin über 40 Jahre hier. Und kämpfe für «mein» Gstaad!»
Basel?
«… da hat sich viel getan. Ich finde die Stadt grosszügiger, offener als früher. Lebensfroher. Gut. Kulturell war sie immer ein Highlight. Sicher das Sahnehäubchen Helvetiens, wenn nicht sogar Europas in dieser Kategorie. Aber einst war alles so verbissen und unlustig. Jetzt hat man die Tore zur Welt geöffnet – nicht zuletzt dank der jungen Generationen. Auch vom «Basler Daig»Ich bin glücklich hier …»
Hat sich der Daig also auch verändert?
«Ja und nein. Er war stets speziell. Und das hat mich fasziniert wie amüsiert. Heute wäscht sich das jedoch aus - die Jungen des Daigs sind wie alle andern jungen Menschen auch. Sie «klüngeln» nicht mehr so. Aber sie haben noch immer das soziale Verantwortungsbewusstsein der Alten in den Genen … und das ist gut».
Der Kellner bringt den Hauptgang. Wild. Zu blutig für die Tierschützerin:
«… ich esse ja praktisch keine Tiere mehr. Blutiges Fleisch schon gar nicht. Und bei Gänseleber werde ich militant und rabiat. Da raste ich in Gesellschaft schon auch mal aus - wie auch bei Pelzträgerinnen. So etwas kommt mir nicht über die Schwelle. Da mache ich mich gerne unbeliebt …»
«Ich hätte gerne sechs Desserts», strahlt sie Spitzenkochkoch Robert Speth an. Und gibt das Fleisch dem Hund.
Später balanciert ihr der Kellner auf einem Tablett tatsächlich sechs Mini-Desserts herbei. Und sie lässt keines aus: «Süsses … naja: meine Schwäche neben der Kunst!»
Ob sie denn auch koche?
«Nein. Keine Zeit. Aber ich interessiere mich sehr fürs Essen … doch noch mehr für die Umwelt. Und wie sie sich verändert. Hier müssen wir das Problem anpacken. Jeder bei sich selber. Ich lese den Dreck aus der Strasse und in den Wäldern auf. Ich beschimpfe einen, der seinen Motor nicht abstellt schon auch mal als «UMWELTSAU!». Und Ich krittle an meinen Angestellten rum, wenn sie die Teller einfach unter fliessendem Wasser abwaschen. Ich will, dass Wasser gespart wird. Es ist zu kostbar, um es einfach so zu verschwenden. Das mache ich meinen Leuten klar …»
In Gstaad sind «ihre Leute» der Mann vom Schraubenladen. Der Schreiner. Die «Hündeler»-Kollegin, die sie beim Einkaufen trifft:
«Die Normalität tut gut. Ich bin hier nicht Frau Dreyfus. Sondern Ulla, die sich mit den Einheimischen zum Lawinenunglück aufmacht. Das ist kein Jet Set. Das ist die wirkliche Welt. Und wenn ich mich heute bei «HUMAN RIGHTS WATCH» oder «Tier im Recht» engagiere, kommt das, weil mir der Mensch wichtig ist. Der Mensch. Die Tiere. Diese ganze Welt. Und das L e b e n. Unser Ü b e r leben …»
Sie umarmt den Beizer. Nimmt den Hund. Und macht sich davon: «… jetzt wird noch zwei Stunden trainiert. Lissi hat das Zeug zur grossartigen Rettungshündin. Man wird noch von ihr hören!»
Ein letztes Wort zur Kunst, zum Sammeln.
Sie lässt Lissi ins Auto hüpfen. Auf der Scheibe steht: «A Dog is for Life, not just for Christmas»
«Kunst? Sammler? - Es gibt zu viele, die sich Künstler schimpfen. Es gibt auch zu viele schlechte Sammler. Das züchtet wiederum schlechte Galeristen. Und das bringt uns ein Schwall von miesen Künstlern.»
Wieder das perlende Lachen: «War ich jetzt zu negativ?»
Sie streckt das Kinn: «Ist mir TOTAL WURSCHT!».

Samstag, 15. September 2012