Daniel Behle: «Künstler entwickeln sich, bleiben nicht stehen»

Photo: Marco Borggreve www.danielbehle.de

Er ist überall auf der Welt daheim.

Singt auf allen Bühnen.

Zurzeit an der Staatsoper in Wien.

«Arabella».

Er liebt Richard Strauss. Und die Leute lieben seinen Matteo.

Man kann sagen: Daniel Behle ist angekommen.

Und heute einer der grossen Namen im Opern-Geschäft.

NICHT NUR!

Der Hamburger singt auch Pop. Hat seiner Heimatstadt («die schönste Stadt der Welt») Lieder gewidmet. Komponiert. Und seine CDs – ob er nun dem Weihnachtsmann den Sack anhängt oder die Winterreise mit Klaviertrio gleich zwei Mal intoniert –, es sind immer Kunstwerke.

Die Interpretation ist nicht einfach Gesang. Und schöne Stimme mit guten Musikern. Da ist alles von A bis Z durchdacht. Jeder Ton recherchiert. Und Behle singt tausend Geschichten dazu.

«Manchmal setze ich beim Zuhörer vermutlich zu viel voraus…» hat er einmal gesagt.

Egal. Darf er! DENN AUCH ALL DIES, WELCHES DER GENIESSER NICHT VERSTEHT, SCHWINGT IN BEHLES AUFNAHMEN MIT. UND GIBT IHNEN DIESES EINZIGARTIGE CHARISMA.

Behle setzt sich stets mit seiner Kunst auseinander. Er ist der Intellektuelle unter den Sängern. Auch wenn er so etwas bescheiden abwinkt: «Ach was – mir macht es einfach Spass, hinter die Sache zu schauen. Und die Geschichte einer Komposition zu spüren. Darauf baue ich dann auf…»

Wo treffen wir uns? – «Weisser Rauchfangkehrer»? Oder «Sacher»?

Gut. Es sind die typischen Touri-Beizen.

Aber Behle hat Probe. Und dann nur zwei Stunden Mittagspause. Also sollte der Topf in der Nähe stehen…

«Sacher!», mailt er, «…Schnitzel und Torte!»

Die «Bar Rouge» ist so etwas wie die «Kunsthalle» in Basel. Tout Bâle dort. Nur ist es hier: Tout Vienne.

Auf denn!

Man gibt uns einen Tisch im Wintergarten. Ich ordne die Notizen. Und schaue aus dem Fenster. Draussen zuckelt ein kleiner Kasper mit Wollmütze. Dazu Rucksack auf grellroter Windjacke.

Er grinst. Und winkt.

Auf der Bühne wirkt er grösser – denke ich.

ES IST DIE STIMME, WELCHE DIE GRÖSSE MACHT.

Er muss anschliessend noch arbeiten. Deshalb: «Nein. Keinen Apéro, bitte – vielleicht zum Wienerschnitzel ein Glas Rotwein…»

Wie ist es, in Wien zu singen?

Jetzt lacht er auf: «Da singt es sich ganz von alleine. Dieses Haus ist einfach unglaublich – die Akustik phänomenal…»

Anders als bei der Elbphilharmonie?

«Nun. Rundbauten sind immer schwierig für den Sänger… wir strahlen nur in eine Richtung.»

Jonas Kaufmann hat sich nicht angepasst?

«Das ‹Lied von der Erde› von Gustav Mahler ist gewagt für eine solche Akustik. Es ist eine äusserst ambitionierte Komposition.

Aber man kann den Tenor hier auch nicht hinter das Orchester stellen wie bei uns damals im konzertanten ‹Rheingold›. Trotz besserer Reflexion durch die Holzwand dahinter – hier ist die Masse der Musiker einfach sehr stark. Eigentlich könnte ein Sänger in der Elbphilharmonie bei so einer Musik von der Orgel-Empore aus singen. Dann würde ihn jeder hören…»

DU WIRST DEMNÄCHST AUCH WIEDER EINEN AUFTRITT DORT HABEN.

«Mit dem L’Orfeo Barockorchester gibt es unser CD-Programm ‹From Zero to Hero› – ich singe das Mozartfach von Don Ottavio bis Idomeneo mit einigen Überraschungen. Doch ich mache aus dem Auftritt in der Elbphilharmonie eine Performance, wirble herum, inszeniere die Charaktere. Das macht es für den Zuhörer leichter…»

Du machst also eine Behle-Show.

«Naja – man darf sich da als Opernsänger nichts vormachen. Der Star ist die Halle. Viele Leute wollen einfach einmal in der ‹Elphi› gewesen sein. Also kannst du nur versuchen, auch den unbedarften Zuhörer abzuholen. Das funktioniert am besten über eine Performance…»

Das ist für einen ernsthaften Opernsänger desillusionierend …

Es ist halt oft so. «Als junger Kerl begleitete ich meine Mutter nach New York an die Met. Sie war dort als Isolde engagiert. Kurz vor dem Liebestod beobachtete ich, wie eine Frau in der vierten Reihe eine Blechdose aus der Tasche holte. Und ein Sandwich daraus hervorschälte. Sie biss herzhaft hinein. UND KAUTE SICH DURCH DIE SCHÖNSTE MUSIK DER WELT – natürlich ist das für einen Sänger frustrierend. Aber der sieht ja gottlob nicht in die vierte Reihe…»

APROPOS SANDWICH – IST DAS WIENERSCHNITZEL O.K.?

«Wunderbar. Aber ich möchte eine möglichst grosse Portion Preiselbeerkompott dazu. Ist das möglich? Ich mag das...»

DER KELLNER RUNZELT EIN BISSCHEN DIE STIRN. DANN BRINGT ER EIN SCHÄLCHEN MIT DER ROTEN KONFITÜRE: «BITTESEHR, DER HERR SÄNGER!» – die süsse Liebenswürdigkeit ist das wienerische Gewürz zum Schnitzel.

DU HAST EINE BILDERBUCH-KARRIERE HINGELEGT.

Wieder winkt Daniel Behle ab:

«Ich war ein Spätzünder. Gesang hat mich in jungen Jahren nie interessiert. Er war einfach da. Meine Mutter war damit rundum präsent…»

Renate Behle sang grosse Wagner-Partien auf der ganzen Welt.

«Als ich auf die Welt kam, sang sie im NDR-Chor als Altistin. Ging dann nach drei Jahren Babypause relativ schnell ins Mezzofach. Und landete schliesslich über das Lyrische im hochdramatischen Fach, worin sie unter anderem als Isolde und Salome auf der ganzen Welt erfolgreich war. Musik war immer um mich herum. Mein Vater war Oboist im NDR-Sinfonieorchester. Er verstarb 1996 leider sehr plötzlich…»

Du hast schon als kleiner Junge Klavier gespielt. Entdecktest aber deine Liebe zur Posaune.

«Ich spielte erst einige Jahre Cello. Das war aber nix für mich. Also löcherte ich meine Eltern, mir eine Posaune zu kaufen. Die bekam ich aber erst, als die Zahnspange weg war. Dann legte ich los…»

Kein Gesang?

«Wie gesagt – der hat mich irgendwie nicht gross gereizt. Aber ich bin natürlich sehr oft in die Vorstellungen meiner Mutter gesessen und habe danach die Tenöre und deren chargierte Auftritte veräppelt. Meine Nebenfachprofessoren in Schulmusik meinten eines Tages: ‹Statt immer nur den Clown zu spielen und andere nachzuäffen, könntest du es mal selber versuchen, Ich glaube deine Stimme hat etwas…?›»

Und das hiess?

«Ich erzählte das meiner Mutter und ich musste ihr Fentons Arie ‹Horch die Lerche singt im Hain› vorsingen. Ich schmetterte also los. Und sie schaute mich an: ‹Das hohe Gis ist verblüffend gut – der Rest wird viel Arbeit geben…›»

Du hast dann bei deiner Mutter den Gesang studiert – war das ein Vorteil? Immerhin hatte sie einen grossen Namen.

Er schüttelt den Kopf: «Offiziell war ich bei James Wagner in der Gesangsklasse. Aber privat natürlich auch bei meiner Mutter. Die Kritiker rümpften die Nase: ‹Muss der junge Behle jetzt auch noch singen…?›»

Er lacht auf:

«Als ich mit meiner Mutter zwei Jahrzehnte später die CD ‹Generationen» aufnahm, servierte sie mir die Retourkutsche: ‹Muss die alte Behle jetzt auch noch singen…!›»

DU HAST DENNOCH DEINE MUSIK-DIPLOME ABGESCHLOSSEN?

«Ja. War mir wichtig. Ich durchlief alles im Eilzugstempo – und hatte dann am Schluss drei Diplome in den Händen. Posaune, Komposition und Gesang.»

Dazu noch erste Preise bei Gesangswettbewerben. Die Sängerlaufbahn war also vorgezeichnet – erstes Engagement in Oldenburg!

«Danach kam schon die Volksoper in Wien. Und schliesslich Frankfurt. Ich war an allen drei Bühnen im Ensemble – und sang einfach alles. Gottlob hatte ich gute Intendanten, die mich förderten. Und mir nicht Rollen aufhalsten, die meiner Stimme geschadet hätten.»

Du wurdest d e r Sänger im deutschen Fach – man hat dich im Mozart-Kasten abgelegt. Und dennoch hat sich deine Tenor-Stimme entwickelt … du singst vom Barock über Richard Strauss bis Wagner. Du gibst Liederabende, Konzerte – überanstrengt dies eine Stimme nicht?

«MAN MUSS SICH SELBER GENAU BEOBACHTEN. UND ICH GLAUBE, DAS KANN ICH GANZ GUT. ABER ICH MAG ES NICHT, EINFACH NUR IN EINE SCHUBLADE ABGELEGT ZU WERDEN.

EIN KÜNSTLER ENTWICKELT SICH, BLEIBT NICHT STEHEN – ES WÄRE SCHRECKLICH LANGWEILIG, IMMER NUR DEN TAMINO SINGEN ZU MÜSSEN…»

Bayreuth hat dich im letzten Jahr für Wagner geholt…

Er blinzelt: «Ich habe zwar schon vorher den Erik aus dem ‹Fliegenden Holländer› gesungen. Aber ‹Meistersinger› und dann noch Bayreuth ist eben doch ein Zacken anders. Ich war jedenfalls nervös, als ich beim Vorsingen Katharina Wagner im Parkett sah. Sie kam dann aber auf die Bühne. Und gab mir die Hand: ‹Sie haben eine wunderbare Stimme… SIE WERDEN EIN GROSSARTIGER DAVID SEIN!›»

Die Kritiken haben ihr recht gegeben. Dieses Jahr singst du in Bayreuth auch noch den Walter in «Tannhäuser» – wie ist das Feeling, auf dieser geschichtsträchtigen Bühne zu stehen?

«Nun – es ist wieder die Akustik, die einen umhaut. Der Orchestergraben ist ja total zugedeckt – ganz einfach, weil Wagner nicht wollte, dass die Zuschauer durch die Lichter dort abgelenkt würden. So ist durch Zufall dieser einzigartige Klangraum entstanden…»

«Lohengrin»?

«Ich lasse das alles langsam angehen. ‹Lohengrin› singe ich Ende Jahr in Dortmund und danach in Stuttgart … ich bereite mich langsam darauf vor!»

Du wählst deine Engagements sehr gezielt aus…

«Ich kann Sänger, die immerzu jammern ‹ich habe einfach keine Zeit› nicht begreifen. In unserem Beruf ist das Nein-Sagen das Wichtigste.

Ich will freie Zeit. Ich jage nicht heute nach München um den Belmonte zu singen, um morgen dann mit dem Matteo in Covent Garden zu brillieren. Man muss zwischen solchen Auftritten aufatmen können. Auch Zeit für anderes haben – wie etwa meine CD-Projekte, die mir sehr am Herzen liegen. Oder auch Zeit für eine Operette – der Schweizer Schriftsteller Alain Claude Sulzer und ich sind da an einem Projekt. Das macht wirklich Spass.

VOR ALLEM ABER WILL ICH AUCH ZEIT FÜR MEINE FRAU UND DIE DREI KINDER…» Seine Frau ist die Bratschistin und Musik-Pädagogin Carla Branca Behle. «Sie macht den Spagat zwischen dem Beruf und unseren drei Kindern. Das ist eine immense Aufgabe. DESHALB MÖCHTE ICH EIGENTLICH SO VIEL WIE MÖGLICH BEI MEINER FAMILIE SEIN…»

Ihr wohnt in Basel?

«Ja – meine Frau ist hier geboren. Sie spielt im Collegium Musicum. Wir leben im Kannenfeld-Quartier. Basel ist Hamburg sehr nah. Und ähnlich. Besonders mit dem verbalen Witz…»

Du liebst Wortspiele, hast auch diesen speziellen Humor, den die Basler mögen.

Wir werden vom Kellner unterbrochen. Obs etwas Süsses sein dürfe.

«Sachertorte!» – strahlt Behle. «Ohne Rahm…»

«Ohne Rahm geht nicht…», sagt der Kellner streng. «Man geniesst sie mit Schlagobers…»

NA DANN!

Carla und du, ihr habt euch im Theater in Basel kennengelernt?

«Stimmt. In der Kantine. Das war 2006. Wir waren dann zusammen in Bregenz – und verliebten uns. Die kirchliche Hochzeit war auf dem Margarethenhügel – wunderbar romantisch!»

Und Auftritte in Basel?

«Nun – ich habe hier letzten Dezember meine Weihnachts-CD an einem Konzert in der Peterskirche vorgestellt. Und am 29. März gebe ich im Musical Theater ein Opern- und Operettenkonzert mit dem Collegium Musicum…»

Du singst nicht nur David und Belmonte – auch Operette. Und gar Schlager. Zu Ehren deiner Geburtsstadt hast du zusammen mit dem Schnyder-Trio eine grossartige CD/LP herausgegeben. Songs komponiert. Und auch getextet – das Wort liegt dir genauso wie die Noten?

«Solche Projekte machen mir einfach Spass.

Ich liebe es, mit Worten zu jonglieren, sie mit meiner Musik einzukleiden – und dann zu singen. UND WÄHREND DER PROBEPAUSEN HABE ICH JA IMMER VIEL ZEIT. STETS EXPLODIEREN NEUE IDEEN – DAS IST EINE WUNDERBAR LEICHTE ERGÄNZUNG ZUR SCHWEREN OPERNKISTE.»

Hobby?

Kochen etwa?

Die meisten Sänger kochen…

«ICH NICHT. MEINE KUNST IST DA SEHR RUDIMENTÄR. Aber wir schauen uns gerne Kochsendungen an.

O.k. – ich sammle. Und zwar Filme. Ich liebe den Film – wir haben uns in Basel ein kleines Kino eingerichtet. Dort laden wir die Freunde etwa zwei Mal monatlich zu einem Filmabend ein…»

Er lacht wieder:

«…und dann eben das Spielen mit Worten. Ich habe ein Lied über den stereotypen Aargauer komponiert. Ich finde es ganz witzig…»

Er pflückt seinen Laptop aus dem Rucksack. Fegt den Teller mit dem letzten Bissen Sachertorte vom Tisch. Und schon sind da auf dem Bildschirm die Noten zum Aargauer-Orchesterlied.

Behle singt es mir vor… er markiert nur. ICH SCHAUE MICH ETWAS GENIERT UM.

Zwei Japaner zücken die Handys. Und knipsen zu uns.

«SOLL ICH LAUTER…?», fragt der Tenor.

«Darf’s ein Kaffee sein, die Herrschaften?» – unterbricht der Kellner die Darbietung streng.

Daniel packt seine Sachen zusammen. Und jagt über die Strasse wieder in die Staatsoper. Die Proben gehen weiter.

«War der Herr a Sänger?», erkundigt sich der Mann im schwarzen Frack jetzt steif neben mir.

«JA. DER GROSSARTIGSTE MOZART-TENOR UND WAGNER-DAVID IN DER HEUTIGEN ZEIT!» – rühre ich Daniels Trommel.

Der Kellner räumt das Geschirr weg. UND FÄLLT PLÖTZLICH IN DEN DIALEKT «Trotzdem sollt er s Wienerschnitzel net met diesem Beerenschmorrn verhunzen…»

Was Daniel Behle mag

Er mag: Hamburg, Basel und die Sachertorte o h n e Rahm.

Er mag nicht: Sachertorte mit Rahm. Dafür Wienerschnitzel mit Preiselbeeren

Photo: Marco Borggreve www.danielbehle.de


Dienstag, 26. März 2019