Bertrand Jungo

Der Kellner deckt im Restaurant die ­Tische auf. Die kaffeebefleckte Frühstückswäsche liegt auf einem Haufen – er verteilt frische Servietten. «5 Minuten noch», sagt er. Und bittet uns, draussen zu warten. Wir setzen uns also in die Raucher-Lounge des Hotel Krafft. Zwei Rucksacktouristen studieren den Fahrplan nach Mailand. Ich wiederum studiere die kargen Infos, die ich über meinen Gast zusammengetragen habe. «Der Manor-Muntermacher» – hat ein deutsches Wirtschaftsblatt getitelt.
Und einem Interview entnehme ich, dass er sich seinen eigenen Rebberg wünscht. (Später sagt er mir: «Als ich auf meinen Arlesheimer Rebspaziergängen entdeckte, wie viel Arbeit hinter dem Winzerberuf steckt, bliebs beim gekauften Wein in der Flasche …»)
Ist ja klar. Er kommt aus dem Welschland. Dort sind alle mit der Traube auf Du. Ansonsten: nur Umsatzzahlen. Zukunftsvisionen. Sein Studium in Freiburg (natürlich Wirtschaft). Und ein Vermerk: «verh. 2 Töchter – lebt bei Basel».
Es ist also recherchemässig kein Fleisch am Knochen. Und die Erkenntnis: Entweder er hält sein Privatleben aus der Öffentlichkeit raus (dann wird dieses Interview schwer). Oder: Er ist mit Manor verheiratet (dann wird es noch schwerer). Immerhin wollen wir ein bisschen hinter die Manor­Vitrine des Muntermachers schauen. Und da es zurzeit eh allen Unternehmen mies geht, klammern wir das Grau-Thema mit den müden Zahlen gleich mal aus.
Er hat sich das «Krafft» als Meetingpoint gewünscht. Es liegt nahe bei seinem Büro in der Manor-Mutterzentrale. Und so vermute ich, dass das «Krafft» eine «Zeitlösung» ist. Es sind fünf Geh-Minuten zur Beiz – das erfahre ich allerdings erst zwei Stunden später, als seine Sekretärin das Natel surren lässt und die nächste Besprechung in Erinnerung ruft: «Die Herrschaften warten schon.» Jungo beruhigt sie: «Bin in fünf Minuten da!»
Die Stadt in zwölf Minuten
Das Restaurant mit dem goldenen Spiegel, einem Blumenstrauss und ansonsten rundum der weissen, nüchternen Linie verpflichtet, ist kaum besetzt. Ich schaue aus dem Fenster – eine herrliche Sicht: Mittlere Brücke … Rheinsprung … vorbeiziehende Schwäne …
Da kommt er auch schon: Bertrand Jungo, seit sechs Jahren CEO und Chef über die grösste Warenhauskette der Schweiz sowie der Oberste von 12 000 Mitarbeitern.
Er wirkt dynamisch. Ein geballtes Charmepaket. Und immer mit einem Strahlenlächeln wie das Jesuskind: «Ist das nicht ein herrlicher Ort hier? Und das Essen so fantasievoll. Wenn ich Chinesen oder Japanern bei einem Business-Meeting die Stadt in zwölf Minuten zeigen muss, setze ich mich mit ihnen hier kurz an den Tisch – diesen Blick auf die Brücke, den Fluss, den Rheinsprung … so einen Moment vergessen sie nie mehr!»
Er bestellt Salat. Und ein Filetstück vom Seeländer Jungschwein: «Das ist fast schon ein bisschen Heimat …»
Heimat und Wurzeln sind St. Ursen. Dort leben gerade mal 1212 Seelen. Die Freiburger Gemeinde gehört zum ­Bezirk Sense: «… und das Spezielle: Wir sprechen dort deutsch. Wir sind eine sprachliche Minderheit im Kanton. Wer in dieser Region ‹überleben› will, muss als erstes Französisch lernen. Die Minderheits-Situation prägt. Sie kittet eng – ich habe noch heute meine ganze Familie dort. Und bin der Einzige, der ‹weggezogen› ist. Anfangs hat man das fast schon als Verrat gedeutet – heute sind sie stolz, dass es einer ‹geschafft› hat …»
Ob er St. Ursen manchmal besuche? Strafender Blick. «Sie scherzen wohl … das sind schliesslich meine Wurzeln. Wenn man Distanz hat, erkennt man erst die Schönheiten und Privilegien, die das Sensegebiet zu bieten hat. Ich gehe vier, fünf Mal im Jahr nach Hause. Meine Frau kommt aus Düdingen – das liegt nur wenige Kilometer von meinem Geburtsort. Und wenn wir aufkreuzen, ist das ­immer ein grosses Fest mit Familie und Freunden …»
Auch mit einem traditionellen ­Essen? «Ja klar – das Chilbi-Essen mit dem unvergleichlichen geräucherten Beinschinken, den Saucissons und der Choucroute. Das gehört einfach zu meiner Heimat.»
Als 15-Jähriger hat er Melonen verkauft. Er lacht: «… ja. Und ist bis heute ein Verkäufer geblieben, in dem noch immer das Feuer der ersten Stunde lodert. Wenn wir uns eine Extra-Anschaffung leisten wollten, mussten wir das Geld in den Ferien dafür verdienen. Ich ging zu Manor. Mein Vater arbeitete schon dort. Sie stellten mich vor einen Melonenstand. Der Lebensmittelchef beobachtete mich. Und rief später meinen Vater an: ‹Aus dem Jungen wird mal was … wenn die Leute schwer beladen mit Obsttüten aus dem Geschäft kommen, dreht der ihnen immer noch drei Melonen an!›»
Eigentlich wollte er die Hotelfachschule besuchen: «Hotels faszinieren mich. Ich bin ein Typ, der auf Menschen zugehen kann. Das ist ein Geschenk. Und ein Positivum. Im Gastgewerbe. Wie auch im Verkauf. Als Student tingelte ich im Service – das hat mir riesig Spass gemacht. Deshalb war da auch der Wunsch, in die Hotellerie zu gehen. Aber dann habe ich mich doch für ein Wirtschaftsstudium entschieden …»
Er startete dann seine Karriere bei Manor. Step by step. Vier Mal ist er mit seiner Familie umgezogen – das letzte Mal nun als frischgebackener CEO. Vor fünf Jahren. Nach Arlesheim…
«Für meine beiden Töchter war dies schwer. Sie mussten ihre Schulfreunde, die gewohnte Umgebung verlassen. Im Teenie-Alter ist so etwas happig. Anfangs hatten sie auch Mühe – aber dann haben sie sich hier schnell wohlgefühlt. Sie singen in einem Chor (der war für die Integration der beiden Kinder unglaublich wichtig). Und sind nun auf der letzten Stufe vor dem Schulabschluss …»
Die Töchter singen? «Ja. Sie haben wunderschöne Stimme. Ich selber war als Junge im Schulchor. Ein Instrument habe ich keines gespielt … aber singen, das hat mir immer gefallen. Irgendwie befreit es. Und nun sind also meine Töchter in dieser Sparte aktiv …»
Seine Frau?
«Das war ein Glücksfall, ist ein Glücksfall, muss ich sagen. Wir haben uns schon als Teenager kennengelernt. Sie ist alle meine Schritte mitgegangen, hat mich unterstützt und mir den Rücken frei gehalten … das war nicht immer einfach für sie. Sie hatte den 150-Prozent-Job daheim. Ich meinen 100-Prozent-Job im Betrieb …»
Ob er denn privat abschalten könne?
Einen Moment zögert er. «Ja und nein. Manor ist immer da. Auch zu Hause. Wir reden über den Betrieb. Die Familie identifiziert sich voll damit. Aber natürlich versuche ich abzuschalten – doch es fällt verdammt schwer!»
Hobbys? Er lacht: «Ich koche nicht. Ich sammle keine Briefmarken – wenn Sie das meinen.»
Dann grinst er: «Wissen Sie, dass ich als junger Mann bei den Junioren der Nationalmannschaft spielte. Stürmer. Linksaussen. Und Linksschiesser …»
Heute?
«Die ganze Familie besucht die FCB-Spiele. Wir sind grosse Fans. Und das ist der Moment, wo ich wirklich total abschalten kann. Ich fiebere mit der Mannschaft mit. Und unterstütze sie … auch wenns mal nicht so läuft, wie es sollte. Dann sind der Support und das positive Denken der andern umso wichtiger. Nicht nur im Spiel. Auch im Leben …»
Sie sind also ein positiver Mensch …
Er nickt: «… ja. Ich schaue nie ­zurück. Ich richte mich ganz auf die Zukunft aus.»
Aber die ist ja besonders im Detailhandel nicht sehr rosig.
«Stimmt. Wir durchleben eine schwierige Zeit. Nicht nur wir – alle Unternehmen. Diese Situation hat es noch nie gegeben. Die Karten wurden neu gemischt. Neu verteilt. Da muss man nun das Maximum herausholen. Das ist aber auch spannend, faszinierend …»
Einen Moment überlegt er:
«Wichtig ist mir, meine Leute dahin zu führen, dass sie dem Kunden das Einkaufen zu einem Erlebnis machen. Es wird immer über die Preise im Detailhandel geredet. Aber die sind nicht das Wichtigste. Das Einkaufserlebnis zählt! Ein Unternehmen wie wir muss zu seiner Identität zurückkehren – damit meine ich: Es muss auch den lokalen Charakter pflegen. Der lokale, fast schon persönliche Bezug in einer zumeist anonymen Einkaufswelt ist absolut wichtig. Daran arbeiten wir …»
Wanner-Kugeln für die Welschen
Okay – das waren die Worte zum Tag. Wir wollen aber nach dem Menschen greifen: deshalb – Advent. ­Weihnachten … was bedeutet das für Bertrand Jungo?
Er lacht wieder. «Wissen Sie, dass ich bei meinem ersten Manor-Verkaufsleiter- Job in Genf den Weihnachtsschmuck ­unter mir hatte. Und sofort bei Wanner (und den kannte man damals im Welschland nicht) Kugeln bestellt habe …?»
Okay. Ein Faible für Weihnachtsschmuck – aber wie sieht ein Heiliger Abend beim CEO aus?
Erstaunter Blick. «Das ist doch klar – ich bin am 24. im Geschäft bei meinen Leuten. Das ist mir wichtig …»
Und die Familie?
«Nach Ladenschluss reisen wir ­irgendwohin ins Engadin zum Skifahren. Kein VIP-Ort. Das brauche ich nicht. Wir feiern dann bei einem guten Essen.»
Geschenke?
Er lacht wieder: «Ja, klar. Wichtig. Weniger Geschenke zu bekommen, als selber zu schenken. Das macht mir Freude.»
Für Ihre Frau?
«Alles schon besorgt. Details verrate ich Ihnen hier sicher nicht …»
Und sein grösster Wunsch?
Er überlegt: «Ich wünsche mir, meine Passion für alle Dinge behalten zu können … nicht abzustumpfen … und für die andern Menschen zugänglich zu bleiben. Ja. Das ist mir wichtig!»
Sind sie ein gläubiger Mensch?
«Also wenn Sie auf Weihnachten anspielen: Ich bin gläubig. Die Mitternachtsmesse ist ein Must. Ich gehe nicht oft in die Kirche – aber wenn ich gehe, ist es jedes Mal, als würde mir Zeit geschenkt.»

Samstag, 15. Dezember 2012