Andreas Beck: «Basel ist für mich kein Zwischenstopp»

Photo: www.theater-basel.ch ©Simon Hallström

Er will in die «Mägd».

MÄGD?

Weshalb?

«Ich mag die Küche hier – kleine Karte. Aber alles stets perfekt. Und der Ort liegt für mich bequem. Da schlendere ich nur über die Brücke und...»

Er – ein Kleinbasler. Andreas Beck hat seine Zelte «ääne am Rhy» (wie die Eingeborenen hier sagen) aufgeschlagen. Doch davon später.

Ich sitze in dem idyllischen Garten. Blättere meine Recherchen durch – es sind Notizen über eine Bilderbuchkarriere.

Beck ist ein Wunderkind der Theatergeschichte. Er war im Frühling als neuer Leiter des deutschsprachigen Schauspiel-Olymps in aller Theaterwelt-Munde. Die Wiener «Burg» klopfte bei ihm an. Und doch ist er happy, dass es nicht «zum Herrn Intendanten»-Titel gekommen ist:

«Ich freue mich über die Nominierung. Aber ich bin noch fröhlicher darüber, dass es nicht sein musste. Ich kenne das Haus. Habe ja dort gearbeitet. Und eine Direktorin sowie drei Direktoren erlebt. Das ist eine Riesenaufgabe. Hart.»

Und nun stemmt also mit Martin Kusej ein Österreicher den gigantischen Laden?

«Ja. Und das ist gut so. Als Österreicher kann er sich anders einmischen. Das ist in Wien jetzt wichtig und nötig. Als Fremder ist so etwas zum Teil schwieriger»

Also keine Trauer, in Basel zu bleiben?

«Im Gegenteil. Ich bin angekommen. Fühle mich wohl. Und nach meiner langen Wiener Zeit wollte ich nicht unbedingt so rasch zurück. Basel ist für mich kein Zwischenstopp...»

...und es hat dem Theater Basel viel gebracht. Die Nominierung liess auch Leute, die mit dem Theater nichts am Hut haben, aufhorchen: hört! hört! – wen haben wir denn da? Dieser Beck ist anscheinend eine grosse Nummer. Hut ab. Vielleicht sollten wir seine Musen-Bude doch einmal besuchen...?

«Na also. Das wäre doch was...»

Er kommt im weissen Hemd. In geflochtenen Schuhen (italienisch). Und mit der Ferienbräune (Frankreich), die seinen Strahlemann-Charme noch unterstreicht:

«Seit ich in Basel bin, zieht es mich öfters nach Frankreich. Die Lage hier inspiriert. ‹La douce France› liegt vor der Türe – ich bin im Tram und höre die Stimme des Wagenführers: nächste Station nach Deutschland und Frankreich umsteigen! Ich meine: Das tönt doch wie eine Verheissung! WIR waren also im Norden der ‹Grande Nation›: Normandie, Bretagne, Vendée – noch nicht überlaufen. Alles frisch und herrlich entspannt...»

Andreas Beck wird von den Kellnern herzlich als Stammgast begrüsst. Ihm haben wir auch den Schattentisch im sonnigen Hof zu verdanken.

Der Theaterdirektor bestellt Saltimbocca. Und die ist so perfekt wie Becks Italienisch.

«Ich lebte elf Monate in Bologna – für ein Forschungsprojekt. Da habe ich die italienische Sprache parallel mit dem guten Essen der Emilia erlernt...»

Später hat er auch italienische Übersetzungen gemacht.

Du hast in München Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft und Soziologie studiert. Und dann abgeschlossen...

«Ja. Eigentlich wäre nach Italien London als Wunsch auf der Destinationsliste gestanden. Aber der Weg ging nach Süden, na ja, nach Südosten eigentlich, nach Wien ...»

STOPP! Du bist überall gewesen: München... Stuttgart... Hamburg... Wien... wo spürst Du denn so etwas wie Heimatsgefühl?

Er zögert einen Moment:

«Daheim ist nicht dort, wo ich geboren wurde. Das war an der Ruhr – und auch nicht der Taunus, wo ich aufgewachsen bin...»

Ja, gut – aber daheim fühlst Du dich wo?

«Nun. Vielleicht bin ich wie dieser Taler im Kinderspiel, der von einer Hand zur andern weiter wandern muss. Unstet. Immer ein wenig fremd. Daheim ist dort, wo ich mein Bett aufstelle...»

Jetzt also im Kleinbasel.

«Ja. Das Domizil am Rhein ist der absolute Glücksfall. Ich habe mir einiges angeschaut. Im Internet stiess ich dann auf eine Anzeige, dass eine Wohnung am Fluss zu vermieten sei. Ich versprach mir nicht viel davon, weil das Foto so hässlich war, musste aber eh zu einer Besprechung nach Basel fliegen. Und vereinbarte einen Termin...»

Und Du warst sofort hingerissen?

«Nein. War ich nicht – denn die Wohnung war mit Fitnessgeräten und Hafen verstellt. Das war jetzt nicht gerade der grosse «Wouuu»-Effekt. Doch dann sah ich aus dem Fenster, entdeckte den Fluss, der träge vorbeifloss, eine Douche und eine Buvette vor der Haustüre – da hat es mich gepackt. Jetzt bin ich hier wirklich glücklich – na ja, vielleicht ist es das, was du unter daheim verstehst. Zu Hause ist dort, wo man bei sich ist. Jedenfalls fühle ich mich in Basel angekommen – und am Rhein als Rheinländer im weitesten Sinne zu Hause...»

«Schwimmst Du im Rhein...?»

«Aber sicher... im Sommer mehrmals täglich. Ich meine: Das ist Lebensqualität.»

Punkto Lebensqualität ist Wien aber immerhin die Nummer 1 auf dieser Welt. Und Basel nur die 10.

«Also von solchen abstrusen Wertungen halte ich gar nichts. Meine Wiener Freunde waren total aus dem Häuschen, als sie erfuhren, dass sie nun in der ‹tollsten› Stadt der Welt leben. ‹Und was bringt euch das?› – habe ich sie gefragt. Höhere Preise. Teure Immobilien. Gentrifizierung. Das Typische droht vom Kommerziellen aufgezehrt zu werden. Die Städte verlieren so ihren ursprünglichen Charakter. Denken wir nur an Venedig – schwierig!»

Warst Du an der Biennale?

«Ja. Wir hatten ein Gastspiel bei der Theater-Biennale. Den deutschen Pavillon von Kuratorin Susanne Pfeffer mit Anne Imhofs ‹Faust› fand ich sehr gut. Aber sonst? Das diesjährige Motto «Viva Arte Viva» tönt doch ein wenig nach Kunst mit Spassfaktor für die ganze Familie. Doch was ist mit der Welt da draussen?»

Zurück zum Theater: Basel ist ein Dreispartenhaus.

«...ja. Und das grösste seiner Art hier in Europa!»

Gut. Aber für Dich Neuland... es ist doch etwas ganz anderes als ein Schauspielhaus?

Drei Sparten bedeutet auch dreimal ein eigenwilliger Haufen. Dreimal Neid. Dreimal das Seilziehen um die Budget-Gelder. Um Beachtung...

«Die drei Sparten sollten einander näher kommen. Sie sollten nicht gegeneinander sondern miteinander spielen. Das war das Ziel und bedingt viele Gespräche. Viele Diskussionen. Zusammensitzen an einem Tisch – so etwas ist sehr wichtig. Und wir haben schon einiges erreicht – gemeinsam. Spartenübergreifend. Das ist die grosse Chance eines Dreispartenhauses. Vielleicht auch die Faszination und die Zukunft dieser Art von Theater.»

Die Besucherzahlen sind ja viel versprechend. Es kommen viele junge Leute. Die Kritiken überschlagen sich...

«Also das mit den Besucherzahlen ist auch so ein Ding... alles wird heute nach ‹Besucherzahlen› gemessen... nach ‹Auflageziffern› oder ‹Einschaltquoten›. Es geht nur noch darum. Irgendwo gibt es da diese Kästchen an einem Fernseher und diese melden dem Quoten-Berechner, was Herr X und Frau Ypsilon sich am Wochenende angeguckt haben. Ich habe aber noch nie jemanden getroffen, der so ein ominöses Apparätchen an der Kiste hat. Kennst Du jemanden...?»

Nein, kenne ich nicht...

«...und doch machen sich alle wegen dieser hochgerechneten Zahlen verrückt!»

Er lacht nun: «Schau dir dieses Wetter an. Wunderschön. Ein herrlicher Herbst. Genau so einer hat uns letztes Jahr zahlentechnisch einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Schönwetter-Herbst ist Gift für das Theater. Die Leute sagen: ‹In dieses Stück gehen wir, wenn es kühler und nasser ist.› Aber dann kommt Weihnachten... und alles stresst... danach die Fasnacht... und schon ist die Saison vorbei...»

Apropos Fasnacht – reingezogen?

«Ja. Vor vielen Jahren einmal. Mit Freunden. Ich hatte schon lang eine Beziehung zu Basel. Freunde nahmen mich also mit an die Fasnacht. Und ich war fasziniert. Entsprechend steht der Besuch am Morgenstraich und an der Strassenfasnacht wieder auf meinem Programm. Ich bin ein Schnitzelbangg-Fan. Das kommt daher: Ich bin auch ein Sprach-Liebender. Ich liebe Sprach- und Wortspiele... liebe den Sprachrhythmus, das Musikalische in der Sprache. Der Schnitzelbangg ist ein wunderbares Beispiel dieser Kunst...»

Du hattest also schon früher deine Fäden zu dieser Stadt?

«Ja – das begann Ende der 80er- Jahre. Ich hatte einen Freund hier, der bei Roche arbeitete. Es gibt Fotos aus jener Zeit, die wir bei den ‹Pyramiden› knipsten. Da war ich auf Inter Rail.»

Der allererste Basel-Besuch?

«Damals war ich an einem dieser Feste am Klosterberg. Die Stimmung brodelte. Die Stadt und ihre Einwohner haben mich jedenfalls ziemlich schnell interessiert...»

Nun – im Vergleich mit Deinen andern Stationen wie München und Wien ist Basel mit 200 000 Menschen ja ein Städtchen, fast schon Provinz...

«Natürlich ist Basel kleiner – aber es hat dafür andere Grösse. Hier spielt sich viel ab – besonders im Bereich der Kultur. Ich denke jetzt nicht nur an die Architektur und an die grossartigen Museen – auch an das Theater. Dani Levy, den ich als Regisseur für die «Dreigroschen-Oper» wieder aus Berlin in seine Heimatstadt hole, hat hier im Kinderzirkus angefangen... und das Theater Basel hatte schon immer den Ruf eines Durchlauferhitzers... das macht es für Regisseure und andere Häuser spannend... hier werden zukünftige Namen gemacht, Talente geschmiedet...»

Du denkst an die Caballé, an Bumbrey, Inge Borkh, die von Otter...

«Nicht nur – ich habe hier auch Bachmann zum ersten Mal getroffen. Baumbauer, Marthaler, Castorf...»

Und Du hast uns den absoluten Shooting Star aus Australien in seine Geburtsstadt zurückgebracht: Simon Stone. Er sagt, er sei nur nach Basel gekommen, weil Du ihn als Erster angefragt hättest... jetzt hat er gar Wohnsitz genommen

«Stimmt. Simon bespielt jetzt alle grossen Bühnen der Welt. In Salzburg hat er für die Festspiele den «Lear» Aufsehen erregend inszeniert. Wahnsinniger Erfolg – und einhellig bei der Presse...»

Aber diese Saison fehlt er in Basel – können wir ihn uns nicht mehr leisten?

«Also – das mit dem ‹uns nicht mehr leisten können› ist ein anderes Thema. Aber Simon Stone dreht seinen ersten Hollywood-Film. Nach ‹The Daughter› – der Film basiert auf Ibsens ‹Wildente› – haben die Kollegen aus Hollywood bei ihm angeklopft. Er pausiert hier also, kommt aber in der nächsten Spielzeit wieder...»

Und wie ist das mit den Geldern, die nicht mehr fliessen wollen? Oder eben mit der Frage: Wie viel Einsparen geht, wenn man sich dennoch ein gutes Theater leisten möchte?

«Nun – Theater ist wie Kochen. Ich koche gerne. Und ich mache gerne Theater. Aber Du kannst nur das Gericht kochen, zu dem Du auch die Zutaten hast – beim Theater ist es auch so: Du kannst nur ein gutes Theater machen, wenn die «Ingredienzen» da sind. Anders rum: Du kannst eine Kalbshaxe nur aus dem Ofen ziehen, wenn das Geld für den Haxen reicht – sonst müssen wir einen «falschen Hasen» hinzaubern. Das kann ein-, zweimal gut gehen... doch bald einmal zeigt sich das Qualitäts-Manko. UND JETZT MUSS MAN SICH HIER EINFACH DIE FRAGE STELLEN: WOLLEN WIR UNS EINE KALBSHAXE LEISTEN? ODER GIBT ES NUR MEHR FALSCHEN HASE..?»

Man müsste bei den Landschäftlern wieder mal nett anklopfen...

«Das ist Politik und die Aufgabe der Politiker. Da halte ich mich raus. Ich habe ja keinen Schweizer Pass...»

Und was hält Dich hier?

«Man begegnet mir mit viel Sympathie und Aufgeschlossenheit... auch Freude...»

Und das heisst?

Hier pflegt keiner die grosse Schau – man lebt bescheidener, fast puritanisch. Aber sehr kulturbewusst, kunstaffin – und ist mitunter auch sehr grosszügig. Ich treffe auf Leute und auch auf ein Publikum, das nicht NUR ins Theater geht, um gesehen zu werden. Sondern um zu sehen. Die Menschen in Basel reisen viel. Sie sind informiert. Und sie kommen vorbereitet in eine Aufführung – sie haben mitunter vieles schon gesehen. Man kann ihnen kein X für ein U vormachen... das ist für jeden Theaterdirektoren eine perfekte Basis und eine herrliche Herausforderung...»

Lucian Hunziker kommt an den Tisch. Der Portraitist möchte Andreas Beck im Saal des Zunfthauses aufnehmen.

Beck nickt. «Ich kenne den Raum. Wunderschön. Und stimmungsvoll. Wir haben hier schon Theater gespielt: ‹Die Ereignisse› – ein Theaterstück, das immer mit einem wechselnden lokalen Chor aufgeführt wird...»

Ich schweige geniert. Bis heute habe ich den Mägd-Saal noch nie gesehen. Muss also ein Andreas Beck herkommen, um mir Basel zu zeigen...

Er lacht:

«Das ist doch das Wichtige: die Stadt in unser Theater einzubeziehen...»

Der Anfang? Schwierig. Sisyphus-Arbeit?

Ihr musstet im Schauspiel grosse Aufbauarbeit leisten...

«Wir sind immer noch im Aufbau. Aber natürlich ist das auch spannend.»

Hunziker signalisiert, dass er den Mägd-Saal fürs Foto-Shooting eingerichtet habe.

Also – letzte Frage:

Als das grosse Fragezeichen in der Luft herumschwirrte, ob Du nach Wien zurückgehen würdest, war sich für einmal die Presse von links bis rechts einig: Es wäre eine Katastrophe, wenn er uns verlassen würde...

Beck grinst. «Na, na – ich bin ja noch da!»

Das ist nicht die Antwort der Frage. Die Frage heisst: Was wünschst Du Dir von Deinem Theaterpublikum?

Er überlegt. Dann nickt er: «Die Neugierde... ich möchte, dass die Leute neugierig ins Theater kommen. Sie sollen nicht nur bekannte Klassiker wie «La Traviata» besuchen wollen. Sondern sie sollen auch neugierig auf unbekannte Werke, unbekannte Komponisten und Autoren sein – bereit, sich Neuem zu öffnen: Das ist eine gute Basis, sich auch selber als Mensch neu erleben zu können...»

Er blinzelt durch die Brillengläser – «Zu viel verlangt?»

Beck zieht seinen Kittel gerade: «Dann also ab zum Foto-Shooting!»

NA ALSO – AUCH ER: EIN SHOOTING-STAR. Gottlob noch am Basler Kultursternenhimmel...

Photo: theater-basel.ch ©Simon Hallström

Freitag, 15. September 2017