Tenor Mauro Peter: «An Kritik wird man gross»

Mauro Peter mit -minu. (Foto zVg)

Es waren heisse Festwochen in Salzburg. Die Mozartkugeln schmolzen zur süssen Schoko-Schmiere.

Nur «Die Zauberflöte» in der Regie der US-Amerikanerin Lydia Steier, mit der die diesjährigen Festspiele in der Opernsparte eröffnet wurden, liess die Salzburger im 35-Grad-Sommer zu Eis erstarren.

In Leserbriefen, TV-Interviews und erzürnten Ausbrüchen auf den Social-Media-Kanälen, toben die Traditionalisten empört: «Zu Hife! Zu Hilfe! …was hat diese Amerikanerin mit dem Zauber unserer Flöte gemacht!»

Markus Hinterhäuser, seit zwei Jahren Intendant der goldenen Wochen an der Salzach, war diese Saison mit einigen Problemen konfrontiert: Bruno Ganz, der den erzählenden Grossvater in der Steier-Inszenierung spielen sollte, erkrankte. Und Klaus Maria Brandauer musste einspringen.

Das tat er. Aber eben: nicht ganz so gut.

Ausgerechnet bei der Direktübertragung von Arte streikte dann auch die Stimme der Königin der Nacht. Frau Shagimuratova war unpässlich. Sagte aber erst in letzter Minute ab. Und so musste die Intendanz innert drei Stunden eine Königin herzaubern.

Emma Posman sprang ins kalte Wasser. Sie hatte genau zwei Stunden und 53 Minuten Zeit, sich die Auf- und Abgänge einzuhämmern… den gehörnten schweren Kopfputz auszubalancieren… mit dem Panzerwagen für den Schlussakt zurechtzukommen. Und dann legte sie die Rachearie hin. Nicht ganz hundertprozentig. Aber – unter all den Umständen – mehr als passabel. Und sehr mutig.

Das waren aber nicht die einzigen Bauchweh-Momente für Markus Hinterhäuser.

«Jedermann» – Paradestück der Festspiele – wurde mit Tobias Moretti angesagt. Doch: Lungenentzündung. Der beliebte Schauspieler konnte erst nach der sechsten Vorstellung übernehmen.

Umjubelte Litauerin

Und auch Asmik Grigorian, die umjubelte Litauerin, musste in der spektakulärsten Inszenierung dieses Festivals einen «Salome»-Auftritt wegen Erkrankung absagen: Kurzfristig ist die Schwedin Malin Byström dann eingesprungen.

Und doch: Die Aufregungen, die vielen Hochs und Tiefs gehören nun mal zu Salzburg und seinen Festspielen wie Kren zum Tafelspitz.

Für unser Land hat der junge Sänger Mauro Peter die Fahne hochgehalten. Sein lyrischer Tenor wird bereits weltweit bewundert – der Luzerner feiert Triumphe von London bis Mailand. Und nun ist er also seit zwei Monaten in Salzburg – dort, wo seine grosse Karriere wie eine Marsrakete gestartet ist.

2012 wurde Mauro Peter im Salzburger Young Singers Project aufgenommen. Zwei Jahre später sang er bereits unter Harnoncourt beim Ponte-Zyklus in Wien. Seither gilt er als Shooting-Star.

Mauro Peter ist Mitglied der Zürcher Oper und gastiert daneben als «unvergleichliche Mozart-Stimme» an den grossen Häusern Europas. Salzburg aber war ihm wichtig: Der Tamino hier ist ein Meilenstein.

Er hat sich ausserhalb des Festspielrummels ein Haus gemietet. Hier führt er uns auf den grossen Balkon, der in einen kühlen Garten geht.

Im Haus sind eben drei Gäste eingetrudelt – Freunde aus Basel und Luzern: «Wir wollen diesen Salzburger Moment mit ihm miterleben… wir fiebern fast mehr als er!»

Toll, Groupies in der Oper zu haben?

Er lacht: «Toll ist es, dass sich auch immer mehr junge Leute für Oper und auch Liederabende interessieren. Man hockt als Sänger oft alleine in irgendeinem Hotelzimmer. Umso mehr geniesse ich das Zusammensein mit guten Freunden. Hier in Salzburg habe ich dieses Haus gemietet – da kann ich sie alle beherbergen…»

Bist du vom Hin und Her dann nicht gestört, wenn du dich auf den Tamino-Auftritt vorbereiten musst, frage ich ihn…

Er zeigt auf die obere Etage des Hauses: «Die ist abgetrennt. Dorthin kann ich mich zurückziehen… meine Stimmübungen machen… mich vorbereiten.»

Und so sieht diese Vorbereitung aus: «Zwei Tage vor dem Auftritt keinen Alkohol… am Tag dann selber nur ein kleines Mittagessen… morgen wird das Pasta und ein Stück Fleisch sein… geraucht wird eh nicht… ich lege mich danach nochmals hin. Und beginne langsam auf den Moment hinzuarbeiten, damit ich dann die Höchstleistung am Abend abrufen kann…»

Tönt fast wie im Sport…

«Ich vergleiche das Singen oft mit Spitzensport… es ist viel Arbeit, viel Training, bis es leicht aussieht… und man sein Optimum zum richtigen Zeitpunkt bringen kann…»

Eine gewisse Beweglichkeit

Treibt Mauro Peter denn auch aktiv Sport? (Er trägt immerhin eine Kickhose, ein schwarzes Turnshirt mit rosigem Adidas-Label – und er ist barfuss.)

«Nun – ich halte mich im Fitnessstudio auf Trab … wir müssen ja auf der Bühne agil sein. Als Tamino falle ich im ersten Akt vor Schreck flach hin – und bin ohnmächtig. Das bedingt schon eine gewisse Beweglichkeit. Man steht nicht einfach mehr an der Rampe und schmettert seine Arie wie früher.

Also: Ich gehe ins Fitnessstudio, ich jogge ein bisschen, nicht unbedingt mit grossem Elan, Fussball natürlich, Fussball spiele ich gerne. Und bin ein Fan des FC Luzern…»

Klar. Muss er auch: Er ist in Luzern aufgewachsen – Mauro tönt aber italienisch…

Er lacht: «Meine Eltern fanden den Namen einfach schön.»

Der Vater führt ein Geschäft als Gipser. Die Mutter arbeitet in der Pflege. Musik?

«Nun – es wurde viel gesungen. Wir hörten auch oft ‹Classics›. Bei Pavarotti kam mein erstes Aha-Erlebnis. Ich habe die CD immer wieder abspielen lassen, Puccinis ‹Nessun dorma›, wir hörten jedoch auch Rock. Meine Eltern waren Rock’n’Roll-Weltmeister…»

Und sein Bruder ist eine grosse Nummer im Squash…

«Er war die 79 auf der Weltrangliste. Nun fiel er ein halbes Jahr gesundheitlich aus. Und startet dieser Tage erneut. Er lebt in Toronto…»

Die freundlichen Kanadier

Mauro Peter ist dort an der Oper als Belmonte aufgetreten.

«Ja – es waren wunderbare Monate. Die Kanadier sind immens freundlich, fröhlich – auch ein grossartiges Publikum.»

Covent Garden, Scala, Salzburger Festspiele – tatsächlich ein Shooting-Star?

«Ich mag das Wort nicht besonders. Es bedeutet: schnell. Aber für mich ist die Karriere nicht schnell gelaufen. Natürlich bin ich jung – aber der Weg ist schon sehr lang. Er begann, als ich als Bub in der Schule einem Mann vorsingen musste. Und der mir ein Couvert zusteckte: Wenn du Lust hast, singe mit uns…

So kam ich zu den Luzerner Singknaben. Auch nach dem Stimmbruch blieb ich dort…»

Wie war das mit dem Stimmbruch?

«Nun. Ich hatte als kleiner Junge eine Altstimme. Die brach dann plötzlich. Aber man hat mich weiter geschult… und zu den ‹Grossen›, also zu den Männerstimmen eingereiht. Der Übergang von Alt zum Tenor wurde von den Lehrern gut begleitet. Nach zwei Wochen schon war die Stimme klar im Tenorfach.»

Peter macht auch als Liedersänger Furore. Geht auf Tournee – dies mit Helmut Deutsch, der ja nur die ganz grossen Stimmen wie etwa Jonas Kaufmann «begleitet».

«Während meines Gesangstudiums in München lernten wir einander kennen. Er fand, meine Stimme habe Potenzial – besonders im lyrischen Fach. Ich habe mit ihm dann auch ‹Die schöne Müllerin› einstudiert…»

Seither spielt er auch noch als Liedersänger in der obersten Liga. Was ist der grosse Unterschied zwischen dem Liederabend und der Tamino-Rolle auf der Opernbühne?

«In erster Linie bist du im Liederabend ganz du selber. Du zeigst deine Gefühle. Deine Stimmung. Alles ist offen – alles kann sich verändern. Jeder Liederabend ist wieder anders. Und ein neuer Schritt in die Zukunft …

Bei der Oper aber schlüpfst du in eine Rolle. Du spielst die Figur. Du kannst dich in ihr natürlich auch verwirklichen, du selber sein … aber es ist doch eine Rolle, die du geben musst. Sie wird dir von der Regie vorgezeichnet. Und du kannst versuchen, dich da reinzubringen. Beim Lied hingegen bist du ganz alleine nur du selber – zusammen mit dem Begleiter am Flügel…»

Das tönt, als würde er sich beim Lied wohler fühlen? «Nein. Das wäre falsch interpretiert. Beides ist spannend – Oper und Lied. Und für mich sind sie jeweils wunderbare Ergänzungen. Aber während in der Oper – wie beispielsweise hier in der ‹Zauberflöte› viele Dinge um dich herum passieren und du alles geben musst, um im Fokus zu bleiben, ist das Publikum an einem Liederabend ganz auf dich alleine konzentriert.

Kommt dazu, dass Helmut Deutsch mich so bravourös begleitet, dass er jede Nuance von mir kennt und sich anpasst – sei es in den Tempi, sei es in der Stimmung…»

In der «Zauberflöte» gabs nicht nur jubelnde Kritiken – wie geht man mit so etwas um?

«Nun – irgendwie war es wohl auch ein bisschen politisch, Lydias gewagte Inszenierung ‹nicht salzburggerecht› zu finden. Wir haben das alle sportlich genommen. An Kritik wird man gross. Und ich bin einer, der Kritik ernst nimmt…»

Das «Zauberflöten»-Team war in Salzburg zwei Monate eng zusammengeschweisst. Haben zusammen geprobt, gearbeitet …

«…wir haben auch unsere Ideen eingebracht. Lydia war da in der Regie nicht doktrinär. Vieles hat sich während der Proben entwickelt…»

…und nun kommt der Schlussvorhang. Alles geht auseinander. Irgendwie traurig?

«Ja, natürlich … aber das ist in unserem Beruf immer so. Man rauft sich zusammen – leidet gemeinsam (er lacht) wie eben bei diesen Kritiken, kämpft gemeinsam, man ist eine Familie, ein Team – und dann kommt der Moment des Schlusstons. Ja. Das ist traurig. Unsere kleine Sängerwelt wird auseinandergerissen. Und vielleicht hat man das Glück, einen Bariton oder Sopran in einer anderen Inszenierung wiederzutreffen…»

Gibt es ein Abschlussfest?

«Nun, wir werden nach der Schlussaufführung den Abschied vermutlich im ‹Triangel› feiern. Ausgelassen – aber auch ein bisschen wehmütig… Salzburg ist immer ein toller Ort zum Singen. Und zum Sein…»

Sagts. Und zeigt zum Himmel.

Der ist jetzt teerschwarz. Erste fette Regentropfen peitschen in den Garten.

Mauro Peter lächelt. «Es scheint, dass die heisse Saison von Salzburg nun zu Ende ist…»

Die Salzburger Festspiele enden am Donnerstag, 30. August, mit der Derniere der «Zauberflöte».

Dienstag, 28. August 2018