Kurt Aeschbacher

«Kronenhalle», sagt er. Und: «Ich komme mit Bombay …»
Fragezeichen.
Denn: was, wo, wer ist Bombay? Das Zürcher ÖVau? Oder Aeschbi’s Chauffeur?
Der neue Pächter in diesem Zürcher Restaurant, das schöner ist, als jedes Kunstmuseum und musealer als jede andere Beiz - Herr Wyss also strahlt: «Herr Aeschbacher erwartet Sie unter seinem Lieblingsbild, dem Soutine.»
Eine Platte mit überreifen Tomaten und eine schräge Ente begutachten kritisch, wer da unter ihrem goldenen Rahmen dinieren darf. In einer Ecke wiederum begutachtet Regisseur Düggelin, wer mit wem am Tisch sitzt: Ex-Botschafter Borer ist da und der Basler Anwalt Böcklin. Dann …
«In der voiture hat es herrlichen Saumon» unterbricht der Koch unsere Gedanken. Und öffnet die silberne Haube des dampfenden Wagens, «die Tagesempfehlung!».
Und dann hört man einen ganz kleinen Augenblick keinen Ton. Denn Aeschbacher, unverwüstliches Branding des Schweizer Fernsehens, Quotenrenner und Liebling der Nation betritt die Szene. Ja, man hat das Gefühl, selbst der pochierte Salm hält den Atem an.
«Hallo!», grinst er in diesem butterweichen Berndeutsch, das sein Markenzeichen ist wie das Loch für den Emmentaler. Und als erstes denke ich voller Neid: «HIMMEL - wie macht er das bloss … ein Peter Pan … er wird nicht alt …»
Dann: «ob er sich liften lässt?» (tut er nicht. «Reine Disziplin, mit Bombay an die frische Luft und gesunde Körperpflege» erzählt er später).
Und drittens. «Also das mit Bombay können wir abhaken. Es ist weder der Liebhaber noch der Chauffeur – es ist der Labrador».
«Ich bin gerne hier», setzt er sich. Und schon hat der Hund einen Napf mit Wasser.
«Die Zürcher Kronenhalle verspricht noch Tradition und alte Werte. Ich meine jetzt nicht, dass das Essen drei Sterne verdient - aber du weisst, was dich erwartet. Dies seit Jahrzehnten. Schoggimousse, Geschnetzeltes, Röschti – immer gleich. Es gibt keine unliebsamen Überraschungen, Es ist so wie es ist. In einer Zeit, wo das Neuste alle drei Sekunden das Allerneuste ablöst, ist dies eine wohltuende Oase der Beständigkeit …»
Er bestellt pochierten Loup de Mer an einem Gemüseregenbogen - leicht eben. Und ich stiere in mein rahmig Geschnätzeltes und die goldbraune Röschti, welche die Butter ausschwitzt. Wieder nagt der Neid: e r hat Selbstdisziplin. Und deshalb keinen Ranzen.
«Du hast ja auch gewisse Gastro-Erfahrung …» fange ich an.
Wieder das spitzbübische Grinsen: «Ja, ja – die Suppenbar. Also das war der totale Reinfall. Ich darf dir nicht sagen, wie viel Geld ich da reingebuttert und verloren habe. Eigentlich hätte ich den Konkurs anmelden sollen. Das wäre billiger gekommen. Aber das wollte ich nicht. Ich habe alles selber bezahlt - man bezahlt ja immer für seine Fehler …»
Ein Fehler?
«Ja und nein. Ich hatte diese verrückten Ideen und Träume im Kopf - ein Suppenrestaurant mit Suppen aus allen diesen fremden Ländern. Amerika hat es ja vorgekocht. Intellektuell spann sich das Alles grossartig. Die Praxis war jedoch ganz anders. Ich kam ziemlich unsanft auf die Welt. Aber das Gute daran: man soll seine Träume ausleben … auch wenn es dann Albträume sind. Nur so machst du deine Lebenserfahrungen. Und haderst nicht ein Leben lang mit dem Gedanken, du hättest etwas verpasst …»
Das andere Gastro-Projekt funktionierte. Er baute vor 10 Jahren in seinem Studio-Gebäude, wo er «Aeschbacher» produziert eine Bar ein. Und funktionierte das Haus zu einem Club um. Das war sofort ein Erfolg. Und wurde zum hippen in-Place.
Jetzt mischt er auch hier die Karten neu:
«Ich habe zu Beginn des Jahres alles meinen Mitarbeitern übergeben. Sie sind seit dem Anfang dabei – und irgendwann muss man loslassen können. Die Jungen haben die Nase für die Szene, wissen was hipp ist, sind auch jahrgangmässig näher am Ball als ich – da ist diese Übergabe eine gute Lösung».
Aber das heisst nicht, dass er sich jetzt zurückziehen will?
Aeschbi lacht laut auf: «Keinesfalls. Ich habe soeben wieder den Jahresvertrag für die neue «Aeschbacher»-Folge unterschrieben …»
JAHRESVERTRAG?
«Ja klar - ich tingle wohl 3 Jahrzehnte beim Fernsehen. Aber ich hatte in der ganzen Zeit nie einen längeren Vertrag als für 12 Monate. Das tönt verrückt, hat aber auch etwas Positives - ich überdenke vor dem Unterschreiben alles ganz genau: «will ich das noch einmal? … wird es nicht einfach zur Pflicht statt zur Kür?» Natürlich ist es nervig, wenn man nicht weiss, ob du im nächsten Jahr noch dein sicheres Einkommen hast – aber dieses Ungewisse, Ungesättigte hält dich eben auch auf Trab …»
Er ist in Bern aufgewachsen. Einzelkind. Nach dem nat-oek-Studium kommt er nach Basel. Lebt hier am Rhein. Genauer: beim Totentanz. Blick aufs Wasser. («Der vorbeiziehende Fluss ist etwas, das ich später immer wieder vermisste»). Sie holen ihn als Vize-Direktor an die Grün 80. Hier bereitet er viele Events vor – auch den Empfang der Queen:
«Also das war ja wirklich ein Happening. Wir mussten ihr einen eigenen «Powder-Room» einrichten. Und da ich es ja immer schon mehr mit dem Personal als mit den Protagonisten hatte, freundete ich mich mit ihrem Protokollchef an. Er liess mich in den Rolls Royce ( der übrigens eigens für Elizabeth nach Brüglingen geflogen wurde, damit sie an der Gartenschau im hauseigenen Wagen ankurven konnte) - er liess mich also ins Interieur der Karosse schauen. Und da lagen Wolldecken. Einfach Wolldecken. «Sie hat oft kalte Beine», sagte der Protokollchef. Da überkam mich eine Rührung. Und ich dachte: diese grossen Tiere sind eben auch nicht anders als wir …»
In Basel führte Aeschbi eine Hausboutique mit kleinen Kostbarkeiten, Votivbildchen, Miniaturen. Die verkaufte er an Sammler. Später auch Seide von Fabric Frontline auf dem Rümelinsplatz. Und ausgesucht schöne Krawatten: «Irgendwie hat es mich immer gereizt, neben meinem Job noch ein anderes Standbein aufzubauen. Besonders als ich 1981 mit dem Fernsehen begann. Karussell war die erste Sendung. Ich wollte das einfach mal drei Monate machen …»
Nun ist er im 31. Jahr vor der Kamera. Und ein Markenzeichen unseres Fernsehsenders.
«Mir war und ist wichtig, nicht einfach von dieser verrückten, faszinierenden Kunstwelt aufgesogen zu werden. Deshalb mache ich viel nebenbei. UND ANDERES. Ich bin der erste Schweizer Unicef-Botschafter. Ich sitze in ein paar Verwaltungsräten. Ich moderiere Kongresse, arbeite für den Tierschutz. Kurz: ich weiss, dass Fernsehmachen eine grosse Droge ist. Man darf die nur in kleinsten Dosen konsumieren. Wir Fernsehleute leben alle in einer künstlichen, virtuellen Welt, die mit der Wirklichkeit nur wenig gemein hat. Mir ist es aber wichtig, den Anschluss an die Realität nicht zu verlieren. Nicht abzuheben. Zu spüren, was der Tramführer oder die Kioskfrau denken. Was sie bewegt. Was sie fühlen. Deshalb sind da meine andern Standbeine, wo ich auf die wirkliche Welt stosse. Sei es in einem Drittweltland. Oder auf einer Reise - ich finde eh, dass Reisen und das Kennenlernen anderer Länder viel mehr bildet, als etwa 500 Universitäts-Stunden …»
Der Erfolg gibt Aeschbacher recht. Wohl kaum ein anderer Moderator kann sich so in seine Gäste einfühlen, wie er. Ist das Erfahrung? Reife?
«Sicher auch. Wenn man einmal so viele Sendungen gemacht hat, fällt der Zwang sich in den Vordergrund spielen zu müssen, weg. Man hat auch nicht das Gefühl werten zu müssen. Du wirst wird mit der Zeit gelassener. Und kannst auch einmal etwas nur im Raum stehen lassen. Unkommentiert …»
Also die Toleranz des Alters?
«Vielleicht. Obwohl wir ja beide Talk-Masters und Journalisten kennen, denen auch im Alter diese Toleranz fehlt. Und die immer noch meinen jeden und alles kommentieren und werten zu müssen …»
Das Telefon knurrt. Es ist seine Mutter: «Ja, ja - alles ok …»
Dann zu uns: «Sie ist 92. Und lebt noch alleine. Als Einzelkind bist du ihr ganzes Leben. Das ist manchmal belastend, aber auch wunderbar».
Ob er sich manchmal einsam fühle?
«Er lächelt - ein bisschen Einsamkeit tut in unserm Beruf ganz gut. Aber ich habe viele Freundinnen und Freunde. Und die Pflege dieser Freunde ist mir wichtig …»
Er hat sich für das Partnerschafts-Gesetz stark gemacht. Hat sich für die Sache offiziell als schwul geoutet. Sein Privatleben mit dem Ex-Freund wurde breit geschlagen … lästig? Ärgerlich?
Wieder das Lachen: «Also zuerst einmal - Andrin und ich sind immer noch die besten Freunde. Und sein neuer Lebenspartner ist ebenfalls ein guter Freund zu mir … na ja, wir sind eben eine Familie. Gehen zusammen in den Urlaub, teilen uns das Ferienhaus. Und feiern Weihnachten gemeinsam.
Ich finde es nicht unbedingt wichtig einen Lebenspartner zu haben. Für denjenigen, der’s braucht - ok. Aber ich glaube, dass wir nie jemandem g a n z gehören. Wir sollten uns jedoch gute Freunde aussuchen mit denen wir den Rest des Lebens zusammen verbringen können. Und die immer für einen da sind, so wie wir für sie da sein sollten. Das meine ich eben unter «Freundschaft pflegen!».

Das Lokal leert sich. Äschbi bestellt kein Desert (oh Gott – und ich hätte so gerne die Schokomousse bestellt, aber nun wage ich es natürlich nicht ...wer will schon als gefrässiges Monster neben dem Talkmann mit Grösse 42 dastehen?)
Hast Du Bammel vor dem Altern?
Er schaut mich strafend an: «Männer werden nicht alt. Sondern reif. Das ist zwar ein altes Bonmot. Aber leider trifft es nirgends so ins Schwarze, wie beim Fernsehen …»
Ach ja?

Aeschbi nimmt Bombay an die Leine und wir verlassen das Lokal:
«Es ist eine der grössten Ungerechtigkeiten … aber Frauen werden spätestens mit 50 beim Fernsehen ausgemustert. Nenne mir auch nur eine, die in diesem Alter noch moderieren darf …»
Gut. Er hat gewonnen.
«Ja. Und bei Männern redet man da von Reife und Erfahrung. Aber Frauen haben das schliesslich auch. Ich sage Dir: die Welt des Fernsehens ist Irrsinn pur …»
Ein Mann bleibt stehen: «Ja Herr Aeschbacher … ich schaue mir alle Ihre Sendungen an. Sie bringen so interessante Leute …»
Aeschbi gibt dem Mann die Hand. «Wir versuchen einfach nur andere Lebensformen aufzuzeigen, ohne sie zu bewerten …»
«… und das Schöne: sie können zuhören. Und lassen die Menschen immer ausreden. Das ist so selten am Bildschirm!».
Der Mann geht weiter. Ich frage Aeschbi: «Ist das nicht schlimm, immer und überall angequatscht zu werden?»
Seine Augen blitzen: «In der Schweiz ist das ja harmlos. Irgendwie haben wir alle Respekt voreinander. Und so lebt man als Unterhaltungsfuzzi ganz gut mit dem Promi-Status …»
Ja und was bringt dir so ein «Promi-Ruf» Positives?
Er zeigt auf die Eingangstüre der Kronenhalle:
«Zum Beispiel, dass Du unter dem Soutine essen durftest …»

Samstag, 17. November 2012