Fredy Knie jr.- «Hobby? – Mein Leben ist Zirkus genug…»

Paul Burkhalter, alter Freund der Knie-Familie und auch schon im Camper-Wagen mit auf der Tournee, spickt mich mit guten Ratschlägen:

«Also Fredy ist sehr sensibel. Er wirkt vielleicht etwas abweisend – aber er ist eine Seele von Mensch …»

Aha.

«Ja. Er kann grossartig kochen. Liebt seine Pferde über alles. Und sag ja nicht ‹Ross›. Es sind keine Rösser. Im Zirkus sind es Pferde – kapiert?»

Kapiert.

Fredy Knie spurtet im schwarzen Dress an – und kommt direkt von seinen Pferden. («Keine Angst – ich habe noch geduscht.»)

Wir treffen ihn im «Frohberg». Das Restaurant liegt über Rapperswil – prächtiger Frühlingstag. Prächtiger Seeblick. Und fast ein bisschen Ferienstimmung – abgehoben über dem Alltag.

Von «Musse» ist bei Fredy Knie jedoch keine Rede. Der Kopf einer 208-jährigen Zirkusdynastie kennt keine Denkpausen. Keine Ruhe. In wenigen Wochen wird das Zelt traditionell in Rapperswil zur Saison-Premiere aufgebaut. Es wird an Nummern gefeilt. Die Logistik wird bis ins letzte Detail ausgeklügelt. Und auf die Tournee hin ist auch sein Buch («Mein Leben – meine Pferde») erschienen – ein Lebenswerk, das die Geschichte eines Mitglieds einer der ältesten Zirkusfamilien der Welt erzählt. Und das Fredy Knie seiner Familie gewidmet hat.

Schwerpunkt des Buchs: Fredy Knies Faszination für Pferde.

Er zuckt die Schultern: «Ich bin mit Pferden aufgewachsen. Es liegt in meinen Genen…», dann schaut er aus dem Fenster. Und erzählt leise: «Wir hatten eben den Pferde-Zahnarzt im Zirkus. Bei einem der Tiere ist nichts mehr zu machen … es ist schon sehr alt. Und die Zähne kann man nicht ersetzen. Wenn es aber nicht mehr kauen kann, frisst es nicht mehr. Früher oder später muss es so sterben. So etwas schmerzt unglaublich … viele sagen, es ist doch nur ein Tier. Aber für mich ist es wie ein Teil ­meiner Familie.»

Er ist sensibel. Ein Familienmensch («Ja klar – ich bin total vernarrt in meine Enkel!») – aber auch ein Pferdenarr.

«Als Kind schon habe ich die meiste Zeit in der Manege und bei den Tieren verbracht. Ich war kein motivierter Schüler – und hatte nur den Zirkus im Kopf. Meine Eltern schickten uns auf ein Internat – so kamen wir nur während der Ferien und Feiertage in den Zirkus. Das wollten wir unseren Kindern nicht antun. Also haben wir eine Zirkuslehrerin engagiert, sodass die Kinder immer bei uns sein konnten …»

Noch heute hat Knie eine eigene Schule, wo die Kleinen unterrichtet werden – auch die Artistenkinder: «Irgendwie ist das wichtig – so lebt die ganze Zirkusfamilie zusammen!»

Wohl ist Fredy heute der klare Doyen der Dynastie – kann aber auch loslassen: «Ich bin dabei die Zügel der siebten Generation zu übergeben. Ich brauche mir nichts mehr zu beweisen … ich möchte, dass die Jungen jetzt ihre neue Handschrift aufzeichnen, ihre eigenen Wege gehen, die Ideen der siebten Generation umsetzen. Meine Tochter Géral­dine sowie ihr Mann Maycol Errani machen hier einen Super-Job – zusammen mit den Kindern meines Cousins Franco sind wir eine grossartige Synthese. Eine richtige Zirkusfamilie, die bereits mit der achten Generation für die Zukunft gerüstet ist …»

… und hat der Zirkus eine Zukunft?

«Das wird er immer haben. Die Leute sind es müde, vor dem Fernseher zu hocken. Oder Konserven reinzuziehen – es ist doch auch ein ganz anderes Erlebnis, sich einen Film im Kino anzuschauen, als ihn sich ab Kassette vorflimmern zu lassen. Die Live-Stimmung eines Knie-­Abends ist stets speziell. Und füllt auch heute noch das Zelt …»

… was heisst das in Zahlen?

«Wir geben keine Zahlen bekannt. Aber sagen wir es mal so: Wenn wir zu drei Vierteln voll haben, kommen wir raus. Mit einer höheren Auslastung ist es sehr gut …»

Was ist der teuerste Kostenpunkt?

«Natürlich das Personal. Zirkus ist personalintensiv. Wir haben keine Subventionen. Also müssen wir genau rechnen. Doch wenn zehn unserer Arbeiter krank sind, bekommen wir da ein Problem. Auf einer Tournee sind wir über 200 Leute, viele sind Saisonniers – Polen, Marokkaner. Dazu kommen nochmals knapp hundert in Rapperswil im Kinderzoo, in den Werkstätten und in der Verwaltung.»

Gibt es nach der Abstimmung mit den Gastarbeiterkontingenten jetzt Probleme?

«… das glaube ich nicht. Wir haben ja immer mit Kontingenten gearbeitet.»

Lange Zeit hat Fredy senior die Domäne der Knie-Pferdedressur angeführt. In Monaco ist er – wie Sie – mit dem «Goldenen Clown» ausgezeichnet worden – dem Oscar der Zirkuswelt. War es schwierig, im Schatten des grossen Vaters zu stehen?

Der Junior lacht: «Selbstverständlich wird man verglichen. Doch unsere Eltern waren sehr liberal. Das sind wir alle. In einem Zirkus muss man liberal und grosszügig denken – da hats keinen Platz für Scheuklappen. Ich ging als junger Zirkusmann natürlich andere Wege und wollte mich von meinem Vater abheben. So habe ich auch Nummern mit Nashörnern oder Raubtieren gemacht …»

Auch Akrobatik?

«Das war nun gar nicht mein Ding. Natürlich mussten wir alles machen – das gehört zum Handwerk. Wir haben einfach mit den Artisten mittrainiert. Aber meine Liebe gehörte immer den Pferden. Mein Vater brachte mir vieles bei – das war die Basis. Mit der Zeit habe ich meinen eigenen Dressurstil entwickelt. Es ist wichtig, dass im Zirkus alles im Fluss ist – und sich der Zeit anpasst …»

Mit andern Worten: Eine Pferdenummer trabt heute anders durch die Manege als früher?

Knie grinst: «Also ein Beispiel – als ich zum ersten Mal meine Pferde vorführte, habe ich ihnen als Erstes die Federbüsche vom Kopf genommen. Mein Onkel Rolf donnerte in der Familiensitzung, ob ich verrückt sei. Die Leute würden ja denken, man habe kein Geld mehr für den Federschmuck …»

Er macht eine Pause: «Die Pferde machen im Zirkus all das, was sie auch auf der Weide machen würden …wichtig ist heute, eine Nummer natürlich rüberzubringen … nicht gestelzt ... das wollen die Leute nicht. Aber Natur, Ästhetik und die Freude an einem schönen Pferd – das versuchen wir ihnen im Knie zu vermitteln.»

War es schwierig, unter dem Druck aufzuwachsen?

Fredy Knie wehrt sofort ab: «Niemand muss bei uns. Mein Bruder Rolf hat sich als Künstler einen Namen gemacht. Und hat da seine eigene Welt. Als wir beide jung waren, wollte Rolf Fussballer werden. Er spielte bei GC. Und mein Vater ermunterte ihn gar zur Fussballerkarriere. Nein. Es wäre falsch, jemanden zu zwingen – um wirklich gute Arbeit zu leisten und Erfolg zu haben, muss man vom Zirkusvirus angesteckt sein. Gottlob sind das eigentlich alle von uns…»

Pferde und Elefanten – das sind die Markenzeichen von Knie. Wie aber holt ihr die Artisten?

«…da reisen wir herum. Schauen uns die Nummern an. Und wissen: D e n oder ­d i e wollen wir haben.»

Und die kommen sofort?

«Nun. Knie hat einen sehr guten Namen – für viele ist es ein Traum, bei uns aufzutreten. Wie für einen Opernsänger ein Debüt an der Met oder an der Scala. So bekommen wir eigentlich jede Weltrang-Nummer. Aber wir schauen uns natürlich auch bei den Nachwuchsartisten um. Und versuchen sie dann zu unterstützen. Und für unser Programm zu perfektionieren …»

Der Zirkus ist im Wandel. Heute ist ein Programm eine Symphonie aus einem Guss – früher hat das Nummerngirl jeden Höhepunkt einzeln angekündigt und …

Knie lacht laut: «Also nach den Nummerngirls werden wir ja immer noch gefragt. Wir hatten da die wunderbare Lotti Nock … Ursli Pfister hat mir mal erzählt, wie er als kleiner Bub ganz vorne sitzen wollte, nur um ihre Netz­strümpfe zu bewundern. Er wollte auch solche Strümpfe haben. Irgendwie konnte unser altes Nummerngirl nie ersetzt werden. Wir haben es einmal mit zwei Tänzerinnen als Nummerngirls versucht. Aber das kam nicht an …»

Ihr seid acht Monate auf Tournee – acht Monate in einem Zirkuswagen. Die restlichen vier Monate im Jahr bereitet ihr bereits wieder die neue Tournee vor – kommt da nicht manchmal Ferienlust auf – Abschalten von allem?

Fredy Knie überlegt einen Moment: «Ich war letztmals 1998 für 14 Tage auf Hawaii, weil ich wirklich Ruhe wollte. Es war wunderbar. Am dritten Tag haben sie mich angerufen – eines der Tiere war krank. Da hockte ich dann nur noch am Telefon. Und fühlte mich schlecht. Ich weiss, dass meine Pferde in guten Händen sind – aber wenn ich sie nicht sehe, fehlen sie mir. Und ich bilde mir ein, ich würde ihnen auch fehlen. Man hat einfach Verantwortungsgefühl. Und damit hat sich das Thema Musse und Ferien eigentlich erledigt. Ganz abgesehen davon, dass ich nicht der Müssiggänger-Typ an einem Strand mit Liegestuhl bin …»

Ihr habt 2200 Plätze zu besetzen ...

«... ja. Und früher, als es noch die unnummerierten Bänke gab, waren es gar tausend Plätze mehr. Das ist eine Herausforderung – besonders in der heutigen Zeit, wo das Angebot an Unterhaltung überläuft. Da kannst du nur mit einer Superqualität überleben. Erfreulicherweise können wir auf ein treues Stammpublikum zählen – und – ebenfalls erfreulich – auch auf sehr viel junge Leute. Sie alle geniessen diese spezielle Ambiance eines Zirkusabends. Ich bin meistens beim Einlass anwesend – und begrüsse die Besucher. Da kommen so viele, die mir sagen: ‹Ich habe Sie noch als kleinen Bub gesehen …› Die Jungen werden in 50 Jahren dasselbe zu meinen Grosskindern sagen – und das ist doch irgendwie schön. Wir Knies sind da eben mit unserm Land und seinen Leuten eng verbunden …»

Hobbys?

«Danke. Mein Leben ist Zirkus genug!»

Er muss weiter – mehr als 50 Pferde warten darauf, von ihm begrüsst zu werden: «Jedes hat seinen ganz speziellen Charakter – wie alle, die einmal Zirkusluft eingeatmet haben …»

Das Buch «Mein Leben – meine Pferde» von Fredy Knie junior kann bezogen werden auf: www.knie.ch

Samstag, 1. März 2014