Eberhard Kornfeld

Das Haus wirkt unscheinbar. Es liegt an der Berner Laupenstrasse – nicht weit vom Bahnhof entfernt.
Um die Villa weht die Ruhe der Belle Époque. Alle diese eleganten Herrschaftshäuser waren nach 1848 für Bundesräte geplant.
ABER – das Haus wurde nach 1944 keine Parlamentarier-Burg. Sondern eine der ersten Adressen im Kunsthandel.
«Mit dem schönsten Auktionssaal der Welt» – so schreibt «Newsweek».
Und: «…mit der Sicht in einen Garten, wo in der Teepause alle Götter des Kunsthandels ihr Networking pflegen.» (So kommentierte einst Ernst Beyeler.)
Natürlich nicht nur Networking. Auch Millionengeschäfte.
Einmal pro Jahr findet die ganz grosse Auktion statt – termingerecht zur Basler Art. Dann wird in der Bundesstadt zum Kunsthandel gerufen – nach B e r n e r Art.
ALLERDINGS – die Wurzeln liegen nebst der Laupenstrasse auch am Rheinknie. Denn das Urgestein dieses Kunst-Events, zu dem jährlich die wichtigsten Händler und Sammler aus allen Erdteilen anreisen, heisst Eberhard Kornfeld.
Seine Freunde rufen ihn Ebi. Und eben dieser Ebi hat seine Jugendjahre im Kleinbasler Hirzbrunnen durchlebt.
Ein leises Pfeifen kündet ihn an. Kornfeld ist auch mit 89 Jahren – er feiert in diesem September seinen 90. Geburtstag – eine stattliche Erscheinung: ein Hüne mit schlohweissem Haar – und mit diesem Spitzbubenlachen, das den Kleinbasler Binggi in ihm nie vergessen lässt.
«Glück gehabt!», grinst er als Erstes, «ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Kurz vor dem Krieg haben meine Eltern 1938 in Basel Leute aus der ‹bekennenden Kirche Deutschlands› beherbergt. Für die Anti-Regime-Deutschen wäre es gefährlich gewesen, in einem Hotel offiziell registriert zu sein.
Einer der Gäste sagte mir, ich soll doch mal seinem einstigen Mitstudenten August Klipstein in seiner Berner Galerie Grüsse bestellen. Gut. Tat ich ...»

Klipstein führte das renommierte Haus für Grafik und Zeichnungen bereits als dritter Nachfolger. Es war 1864 von Heinrich Georg Gutekunst in Stuttgart gegründet worden.
«Klipstein fragte mich also, ob ich nicht einen kunstinteressierten, jungen Mann kennen würde, der auch punkto Zahlen nicht auf den Kopf gefallen sei.
Nun – immerhin habe ich das damalige Mathematisch-Naturwissenschaftliche Gymnasium besucht, das MNG am Basler Bahnhof. Mein Vater war Innenarchitekt – er hat uns die Stilkunde beigebracht. Und so gab ich mir einen Ruck: ‹Klar, Herr Klipstein, darf ich es versuchen…?›»

So kam Kornfeld in die alte Firma. Zuerst als Volontär. Dann 1948 als Mini-partner. Und 1951, nach dem Tode von August Klipstein, führte Kornfeld die Galerie als Teilhaber – «später habe ich die Familie ausbezahlt. Und den Laden alleine übernommen…»
Der «Laden», der vor allem auf dem Gebiet der alten und neuen Grafik, aber auch für Handzeichnungen und Gemälde bereits einen guten Ruf hatte, wurde unter Kornfeld eine der Drehscheiben im internationalen Kunsthandel – und ein Stück Bern von Weltruf.
Es ist März. Emsiges Treiben. Der Katalog muss konzipiert werden. Ein ganzes Jahr lang bereitet der Chef zusammen mit seiner rechten Hand Christine Stauffer die grosse Auktion im Juni vor:
«Natürlich ist es kein Zufall, dass diese Auktion mit dem Art-Datum korrespondiert. Als Trudl Bruckner und Balz Hilt die Kunstmesse ins Leben riefen – Beyeler zauderte am Anfang nämlich –, klopften die zwei bei mir an: Ob ich etwas dagegen hätte, wenn sie den Art-Termin mit meiner Auktion zusammenlegen würden? Die internationale Kunstwelt sei dann eh schon in Bern – und käme so vielleicht auch nach Basel…»
«Natürlich sagte ich Ja. Das ist der Grund, weshalb die Art stets im Juni stattfindet. Anfangs hat die Basler Kunstmesse von mir profitiert – heute profitiere ich von ihr. Es ist im Leben immer ein Geben und Nehmen…»
Die alte Villa steckt voll mit Kunstmomenten: Die bizarren, schlankzarten Giacometti-Figuren stehen überall:
«Als Giacometti 1948 seine erste Ausstellung in Bern hatte – sie gaben ihm einen kleinen Saal in der Kunsthalle –, ging ich vor der Vernissage hin. Ich traf auf einen schüchternen, nicht sehr selbstbewussten Mann, dessen Mutter im Saal das Szepter führte. Sie dirigierte, was wo aufgestellt werden müsse.
Giacometti stand damals noch völlig im Schatten seines Vaters. Erst in Paris hat er seine Eigenständigkeit entwickelt. Wir wurden Freunde. Und ich habe seine Skizzen und Zeichnungen verkauft.»

Sehr teuer? Kornfeld lacht auf:
«Wenn wir die Preise heute anschauen, sind es Schnäppchen gewesen. Anfangs gab er ein Blatt für 600 Franken ab. So etwas liess sich gut für 1500 verkaufen. Später hat er mich nach Paris gerufen: ‹Bist du bereit, etwas mehr zu bezahlen?›»
«Klar, sagte ich. Und er taute auf: Das sei ihm wichtig – seine beiden Händler in Paris und New York hätten nämlich dem Preisaufschlag nicht zugestimmt.
Na ja – da war ich plötzlich Giacomettis alleiniger Vertreter –, allerdings nur für zwei Wochen. Dann zogen die andern nach.»

Er zeigt in seinem Büro auf ein vergilbtes Foto: Kornfeld und Giacometti – die Gesichter sind ernst, betroffen:
«Es ist das letzte Bild, das von Giacometti gemacht wurde. Nachdem er von der Berner Uni den Ehrendoktor erhalten hatte – ich habe ihn zuvor in Stampa dazu ermuntert, die Auszeichnung anzunehmen –, machte ich ihm ein Fest. Als der Fotograf diesen Schnappschuss schoss, hatte Giacometti mir eben mitgeteilt, dass die Ärzte bei seiner Untersuchung Krebs diagnostiziert hätten. Er lebte noch knapp zwei Monate…»
Kornfeld wurde von der Stadt Bern zum Ehrenbürger ernannt. Die Urkunde ist neben den Ehrenbürgerschriften der griechischen Insel Lindos («Da habe ich unendlich viele Sonnentage verbracht») und Davos aufgehängt.
In Davos hat der Galerist 1964 das erste Museum für seinen Malerfreund Ludwig Kirchner gegründet – noch heute gilt Kornfeld als d e r Kirchner-Spezialist schlechthin:
«Er war als Mensch fröhlich, sensibel, traurig. Keiner konnte Stimmungen so in Malerei umsetzen wie er…»
Picasso?
«Nun, da hat unser Haus schon früh ein Werksverzeichnis seiner Grafiken herausgebracht. Deshalb war ich auch früh mit ihm in Kontakt…»
Wie Beyeler?
«Nun», Ebi grinst wieder sein Bubenlachen, «Beyeler tauchte erst nach dem grossen Picasso-Fest in seinem Haus auf. Und sagte zu Pablo: ‹Ich komme aus dieser Stadt, wo die Leute die Sammlung für Ihre Bilder organisiert haben› … das hat ihm die Türe für die erste grosse Picasso-Ausstellung geöffnet.»
Chagall hingegen hat Kornfeld durch den Basler Museums-Direktor Franz Meyer kennengelernt. «Meyer kam zu mir und erzählte, er habe sich Hals über Kopf in eine gewisse Ida verliebt. Na ja – zufällig war das Chagalls Tochter. Und so habe ich dann auch deren Vater in Südfrankreich getroffen – er war ein malender Poet. Und auch als Person wunderbar.»
Ebi öffnet die grossen Türen zum legendären Auktionssaal. Noch ist er leer – die Stühle aufgebockt. Aber die Aussicht auf das beruhigende, satte Grün im Garten lässt ahnen, weshalb er als «schönster Auktionssaal der Welt» gilt: «Natürlich wurde dieser Nebenbau erst in den 70er-Jahren erstellt – er gehört also nicht zum Haus. Und ist heute dennoch die Seele der Villa.»
Die Frage brennt auf der Zunge: weshalb Bern? Und nicht Basel, wo er ja immer noch sein Elternhaus hat?
«Wir haben uns in Basel immer wieder mal nach einer passenden Bleibe umgesehen. Auch die Behörden haben mitgeholfen. Einmal hat mir die Stadt das heutige Zivilstandsamt angeboten – aber überall fehlte die Möglichkeit für einen grossen Auktionssaal.»
An den Auktionen ist er in seinem Element.
«Es braucht viel Sensibilität. Fingerspitzengefühl. Manchmal denkt der Beobachter, da bietet ja keiner im Saal. Aber irgendjemand hält eben doch einen Zeigefinger an den linken Nasenflügel. Und das ist das Zeichen, dass er mitbietet. Ein anderer kratzt sich an der Backe – auch ein Zeichen. Vorher kommen beide flüsternd alleine zu mir: ‹Natürlich will Herr XY das Bild auch haben…er ist ein Freund. Und ich kann nicht gegen ihn bieten…aber klar, dass ich das Bild möchte…› Deshalb das Geheimzeichen mit dem Kratzen an der Backe. Denn schon kommt der andere: ‹…natürlich will i c h das Bild…aber YX bietet auch…und er ist ein Freund…also kann ich nicht offiziell gegen ihn steigern…wenn ich die Hand an den linken Nasenflügel halte, ziehe ich jedoch mit und…›»
Ebi lacht. «Ich gebe dann demjenigen, der den Zuschlag erhält, eine Rose. Und dem ‹Verlierer› auch eine. So sind sie meistens versöhnt.»
Wir fahren in Kornfelds einfachem Audi nach Bolligen: «Gegessen wird bei mir. Das ist gemütlicher. Und ich kann nach dem Lunch noch Siesta halten…»
Das Rothaus, eine alte Campagne, ist ein «gelebtes Museum»: Drei Mal Sam Francis, die Nana von Niki de Saint Phalle, Tinguelys Briefe – dies alles begrüsst die Gäste im Eingang mit der Wendeltreppe:
«Also Jean, wie er damals hiess, kannte ich vom Aktivdienst 1944/1945. Wir wurden enge Freunde…»
Später haben sie bei den Kuttlebuzzer Fasnacht gemacht – beide im Vortrab: «Wenn wir am Morgestraich im Kleinbasel am Arbeitsamt vorbeizogen, passierte stets dasselbe Spektakel: Tinguely lüpfte seine Larve. Und zeigte auf das düstere Gebäude: ‹Hier musste ich mit meinem Vater zur Berufsberatung hin… und weisst du, was dieses Nashorn zum Schluss meinem Alten geraten hat? Ich sollte Bäcker werden.›»
Diese Geschichte lag Tinguely schwer im Magen. Sie stiess ihm böse auf. Und sie kam so sicher wie der Vieruhrschlag am Morgestraich. Na ja – immerhin hat Jeannot uns dann diese wunderbare Kanone gebacken...»

…mit der die Kuttlebuzzer die Fasnachtstraditionen sprengen wollten?
«Ja. Es war ganz allein sein Werk. Tinguely war total heiss auf die Bombe. Er backte zwei Kilo Russ ins Rohr. Damit hat er beim ersten Knall gleich alles lahmgelegt. Die Fernsehkameras sahen nur schwarz – und das Comité rot…»
Die Salons sind gespickt mit Giacometti-Figuren, Kerzenständern von Jeannot – an den Wänden Cézanne, Picasso, ein traumschönes Selbstporträt von Kirchner – und über Ebis Bett hängen vier Ölbilder von Giovanni Giacometti.
Yvonne, Kornfelds Lebensgefährtin, führt uns in die Küche: «Hier ist es in diesem steinernen Kasten am wärmsten.»
Der Raum ist urgemütlich. An der jahrhundertealten Mauer hängt ein hölzernes Eierkästchen. «Wir sind eitechnische Selbstversorger», lacht Yvonne. Später lerne ich den Hühnerhof und die drei Esel auf der Weide kennen: «Die Esel dürfen den Orts-Santiklaus begleiten. Zwei der Hühner – es ist eine Gattung der Specie rara – hat uns der Fuchs erst kürzlich geholt!»
Schliesslich öffnet Ebi in einem der Salons eine alte Kommode. Sie ist gefüllt mit den Rembrandt-Radierungen, die einmal Basel gehören werden:
«Ich bin in einem Alter, wo man überlegt, wo alle diese Sachen hinkommen sollen. Basels Kupferstichkabinett war schon immer erste Wahl. Aber es fehlten ihm gute Rembrandts. Da habe ich schon früh zu sammeln angefangen. Das wollte ich für meine Vaterstadt tun…»
Veränderungen im Kunsthandel?
Ebi überlegt lange:
«Der Kunstkommerz hat sich ‹entpersönlicht›, wenn man das so sagen kann. Er ist teilweise ins Spekulative abgekippt. Das Problem einer Auktion ist nicht der V e r k a u f – sondern, gute Bilder zu bekommen. Es wird immer schwieriger, wirklich erstklassige Werke zu finden…»
Er lächelt: «Kurz vor Beyelers Tod bin ich mit Ernst zu einem Mittagessen ins Badische ausgefahren. Wir hatten gemeinsame Künstlerfreunde – und beide ungefähr dieselben Jahre auf dem Tacho. Dazu kommen die gemeinsamen Wurzeln in Basel.»
Auch im Geschäftlichen Gemeinsamkeiten?
«Nun – Beyeler war immer ein paar Noten mutiger als ich. Manchmal ging er bis zum Äussersten, ja so weit, bis die Banken die rote Fahne zeigten. Aber er hatte einfach die ganz gute Nase – für Qualität. Und Geschäft.
An jenem Tag, als wir ausfuhren, war er ein bisschen melancholisch. Er tauchte in Erinnerungen – und resümierte unsere Jahre. ‹Weisst du, wir hatten Glück. Viel Glück. Zu unserer Zeit waren die Künstler noch Persönlichkeiten. Sie hatten keine Werbeagentur, die ihnen ein Profil aufklebte – nein, sie hatten Kanten, Launen, Ideen. Vor allem hatten sie Charaktere, mit denen Freundschaften möglich waren›.»

Kornfeld grinst wieder sein Bubenlachen:
«Ich glaube, er hat gesagt: ‹Es waren noch glungeni Sieche…›»
Was Eberhard Kornfeld mag
Essen
Jede Art von guten Fischgängen
Kunst Sam Francis, Alberto Giacometti und den alten Rembrandt
Verabscheut
Kutteln («Obwohl ich ein guter Kuttlebuzzer bin») und Dali

Samstag, 25. Mai 2013