Elisabeth Schneider-Schneiter: «Ich war einfach nicht der Barbie-Typ»

Elisabeth Schneider-Schneiter. Foto -minu

Sie ist attraktiv. Sehr attraktiv.

Dazu kommt das sexy Parfum des politischen Erfolgs. Vielleicht gar der Titel «Frau Bundesrat»?

Manche Männer können da schon ins Vibrieren kommen.

Die blonde Frau in der eleganten weissen Jacke und der pinkfarbenen Tasche («Ich finde, als Parlamentarier hat man auch eine Etiketten-Pflicht und kann nicht wie Kraut und Rüben rumlaufen – es muss kein protziges Label sein. Aber bitte mit Stil!»), die Vorzeigepolitikerin der CVP also interessiert sich nicht für Erfolg bei Männern. Selbst die politischen Höhenflüge – sie wurde zur erfolgreichsten Nationalrätin 2011–2015 erkoren – lassen sie kalt. Sie will ganz einfach: «Mich selber sein. Und diesem Land etwas geben – dem Land und seinen Menschen. Ich liebe die Schweiz. Und ich mag die Leute hier.»

Elisabeth Schneider-Schneiter sucht sich im «Chez Donati» grilliertes Gemüse vom Antipasti-Tisch aus. Dann einen gedämpften Fisch – und keine Ile flottante vom Wagen.

(SHIT! DANN DARF ICH AUCH NICHT. WER WILL SCHLIESSLICH NEBEN DIESER SCHLANKEN POWERFRAU SCHON WIE EIN VERSAUTES TIRAMISU AUSSEHEN!).

Sie lächelt: «Tu dir keinen Zwang an. Nimm doch ein paar Früchte…»

NEIN DANKE. HIMBEEREN KANN ICH AUCH BEI MIGROS KAUFEN!

Wieder dieses Lächeln: «Ich schaue sehr auf meine Gesundheit. Ich laufe gerne, habe heute morgen mit meiner Tochter gejoggt. Und ich fahre im Winter leidenschaftlich gerne Ski.

Ich schaue auch darauf, dass die Familie sich gut ernährt – kein Junkfood oder Tiefkühlpizza. Die einzigen Dosen, die man bei uns im Schrank findet, sind «Pellati». Manchmal bringe ich nach einer Sitzung Leute heim. Und koche dann Spaghetti…»

Du kochst?

«Leidenschaftlich gerne. Das habe ich schon immer getan. Es entspannt mich. Kochen ist eine wunderbare, kreative Abwechslung zu Dossiers und stur gefassten Meinungen. Ich erhole mich beim Gemüse rüsten und Zwiebel schnippeln…»

Dein Mann kann also nicht kochen …

«Das würde ich so nicht sagen. Ich lasse ihn nicht. Das ist vermutlich ein Fehler…»

Sie ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Das dritte von fünf Kindern:

«Die Familie und ein Haus, wo immer gearbeitet wurde, haben mich geprägt. Wir kannten als Kinder keine Ferien. Es war Kirschenzeit. Also mussten wir auf die Bäume! In den Herbstferien war Kartoffel-Saison. Da gab’s kein Pardon – sondern bücken. Und Kartoffeln ausmachen…»

Sie seufzt:

«Ich habe nämlich immer vom Meer geträumt…»

Jetzt kannst du es dir ja gönnen…

«Stimmt – wir unternehmen alle zwei, drei Jahre eine grosse Reise – ganz einfach, weil das auch den Horizont erweitert.

Reisen ist wichtig. Sogar meine Eltern haben das eingesehen. Und waren wohl die einzigen Bauern der Umgebung, die im Winter auf die Malediven flogen. Natürlich ohne Kinder. Aber Malediven für Bauern – das war damals schon eine kleine Sensation…»

Und was ist mit Ferien in helvetischer Umgebung?

«Immer wieder unternehmen wir einen Entdeckungstrip durch die Schweiz – unser Land hat viel zu bieten. Und vieles kennen wir nicht!»

Du hast also als Kind in den Sommerferien gearbeitet und…

«Klar. Wir kannten gar nichts anderes. Auch meine Kinder haben jetzt während der grossen Ferien gejobbt. Ich möchte einfach, dass sie früh erkennen, dass das Geld nicht nur so zufliesst. Sie sollen sehen, dass die meisten Menschen hart für ihr Leben arbeiten müssen. Mein Sohn hat in einem Baugeschäft Ziegel getragen. Das war recht anstrengend. Aber ich finde, dass Tochter und Sohn ihre «Extrawünsche» selber finanzieren sollen. Ich habe als junge Studentin in einem Haushalt geputzt, um zu etwas Geld zu kommen…»

Also war’s keine Kindheit, in der du verwöhnt wurdest und wie die Made im Bauernspeck leben konntest…?

Sie lacht: «Es war eine wunderbare Kindheit – und da war auch eine Mutter mit einem Herz so gross wie ein Flugfeld. Sie war einfach immer für uns alle da.

Der Vater war streng. Mit ihm habe ich immer wieder rumgezofft. Er wollte mich nicht studieren lassen. So etwas brauche ein Mädchen nicht. Ich war die Einzige, die dann auf die Uni ging. Die andern zogen nach den Berufslehren aus – ich aber blieb auf dem Hof. Und musste auch während des Jus-Studiums zu Hause mitanpacken…»

Sie lacht nun hell auf – «der Vater sagt immer ‹gschaadet hetts ämmel nit!›. Klar. Hat es nicht. Im Gegenteil. Es hat mich geformt.»

Sie zeigte schon als kleines Mädchen einen starken Willen – unbiegbar. Sie spielte mit den Buben im Wald («Ich war einfach nicht der Barbie-Typ»). Sie protestierte gegen Ungerechtigkeit. Und hatte das Schlüsselerlebnis in der Kirche: «Wir lebten als stramm reformierte Familie in einem katholischen Ort. Schon das war exotisch. Die Eltern meines Vaters waren die ersten Nichtkatholiken im Ort. Eines Tages ging ich mit einem Rudel Buben in den Donnerstags-Gottesdienst für die Jungen. Natürlich stand ich mit den andern an, als der Priester die Hostien verteilte. Er hat mich dann übergangen, einfach aus der Reihe rausgewunken – das war ein schrecklicher Moment. So etwas geht dir ein Leben lang nach. Weshalb Ausgrenzungen? Man sollte immer nach Kompromissen suchen…»

Ihr seid also als reformierte Familie in das katholische Hofstetten gezogen?

«Nun – das war mein Grossvater mit Familie. Schon er war politisch engagiert. In der VCP. Und natürlich war er im solothurnischen Dorf als Reformierter dann eine Ausnahmeerscheinung.

Meine Grossmutter betrieb neben dem Bauernhof eine Pflanzlandgärtnerei. Und die Leute vom Dorf kamen erst nachts, um ihre Setzlinge zu kaufen. Keiner wollte bei den «Reformierten» gesehen werden.

Meine Grossmutter aber war eine sehr selbstbewusste Frau. Sie weigerte sich, im Sommer schwarze Wollstrümpfe zu tragen, so wie das die andern Frauen in Hofstetten taten. Sie zeigte ihre Beine einfach nackt – strumpflos. Sie kümmerte sich weder um das Getuschel noch um die bissigen Bemerkungen der Leute – sie blieb sich selber treu. Und mit der Zeit gewöhnten sich die Leute an sie und ihren eigenen Kopf. Schwarze Wollstrümpfe im Sommer wurden in Hofstetten dann seltener…»

Du kommst demnach nach der Grossmutter?

«Nun ja – ich kümmere mich auch nicht gross um Geschwätz. Als ich in den Nationalrat gewählt wurde, gab es viel Gerede, vor allem von Frauen und Müttern: ‹Rabenmutter. Die soll sich doch um ihre Brut kümmern, statt sich in Bern zu profilieren…›»

Vielleicht ist es einfach der Neid einiger Mütter, welche die neue Lebensform der Frau so nicht wollen. Ihr altes «Familienschema» mit der Frau am Herd für Kind und Mann wird dadurch durchgerüttelt.

«Mag sein. Aber man schafft es, alles unter einen Hut bringen – Frauen nutzen ihre Chancen. Dafür kämpfe ich ja auch…»

Du bist in der CVP – stehst also politisch in der Mitte. Die Partei gewinnt die meisten Abstimmungen – verliert aber Wähler. Was geht hier schief?

«Nun. Wir gewinnen die meisten Abstimmungen, weil wir ja stets den Kompromiss suchen – also irgendwie in der Mitte hin und her schwanken…»

Ist das nicht Opportunismus?

«Das wirft man uns vor. Der Kompromiss in unserem Land hat aber politische Tradition. Er ist auch mir sehr wichtig. Doch können wir dieses Suchen nach Konsens und Kompromiss vor den Wahlen nicht plakativ darstellen…»

Verstehe ich nicht ganz…

«Um es zu verdeutlichen: Es ist simpel, ein Plakat mit einem schwarzen Schaf und dem Signal «Ausländer raus!» zu entwerfen. Die Aussage der Parteilinie ist klar. Auch links, wo eine rettende Hand einen Flüchtling ins Boot holt – so quasi: es hat immer Platz – ist alles auf einen Schlag gesagt.

Die Lösung des Problems liegt aber dazwischen.

Jetzt versuche mal einen Kompromiss zwischen diesen zwei Aussagen plakativ zu zeigen – da wird’s schwierig. Wir sind jedoch die Partei, die nach Kompromissen sucht. Und Lösungen ausarbeitet… so etwas ist schwer in einem Wahlkampf plakativ zu propagieren.»

Kompromisse sind für dich oberstes Gebot?

«Aber natürlich – schliesslich basiert der ganze Erfolg der Schweiz darauf. Doch je stärker die politischen Pole links und rechts werden, umso weniger Kompromisse kommen zustande. Geht’s in diesem Stil weiter, werden wir bald einmal so regiert wie die umliegenden Länder, wo es einfach nur linke und rechte Kräfte gibt. Das bringt aber eine ewige Streiterei, ein Seilziehen – doch kein Resultat. Nur weil jeder nicht für das Wohl seines Landes, sondern nur noch nach der Parole seiner Partei stimmt … zum Sieg der Partei. Und nicht zur Lösung des Problems!»

Du stimmst also nicht nach der Parteiparole ab?

«Ich muss es nicht. Deshalb bin ich bei der CVP. Es kommt immer wieder vor, dass ich abweiche. Aber ich kann mich nicht verbiegen – ich will zu dem stehen, zu dem ich ja sagen kann…»

Du bist jetzt auch Boss der Handelskammer der beiden Basel und…

«Ja – man(n) hat mich angefragt und für gut befunden. Ich mache das sehr gerne. Ich habe alle meine Jobs nie gesucht… es ergab sich einfach.»

Aber die Handelskammer war dir ja nicht fremd.

Sie lacht nun wieder auf: «Ja. Ich arbeitete schon mit dem einstigen Direktor Andreas Burckhardt gerne zusammen. Ein guter Mann…»

Sie legt eine Pause ein.

«…und da gibt es auch eine Anekdote. Also – Werni Schmid, der ehemalige Präsident des Gewerbeverbandes Basel-Stadt, hat ja sein Haus in Hofstetten. Meine Mutter hat an einem Freitag stets Brot im Holzofen gebacken. Und ich musste die Zöpfe und Laib in einem Leiterwagen austragen – eben auch zu den Schmids an den Waldrand. Als mich Werni Schmid dann als junge Politikerin erstmals sah, stutzte er: ‹Bist du nicht die mit dem Brot im Leiterwagen…?, fragte er.›»

Die politischen Auguren munkeln, du seist eine heisse Karte beim Stich um die Nachfolgerin von Bundesrätin Doris Leuthard…

«Stop. Das ist kein Thema. Wir alle wissen nicht, wie lange Doris (sie ist eine gute Freundin von mir) noch im Amt sein wird. Und bis zu ihrem Rücktritt wird noch sehr viel Wasser den Rhein runterfliessen…»

Gut. Zier‘ dich ein bisschen. Tatsache ist: Du bist als Nachfolgerin im Gespräch. Wie siehst du das alles?

Sie überlegt lange.

«Also, erstens ist das eine Sache, die ich nicht alleine entscheiden kann. Das letzte Wort hat die Familie. Mein Mann. Meine Kinder. Immerhin würde es sie stark betreffen.

Zweitens weiss ich nicht, ob ich das überhaupt will – ich müsste meine Freiheit aufgeben… könnte nie mehr einfach so mit meiner Familie in den Rhein schwimmen gehen (ja, ja – das tun wir fast jeden Tag). Wenn ich im Morgenmantel in meinem weissen Blumengarten arbeite (die Blüten sind weiss, damit ich die Blumen auch nachts, wenn ich spät von der Arbeit heimkomme, sehen kann), wenn ich also im Bademantel oder Nachthemd Unkraut jäte und das am andern morgen als Titelbild im «Blick» mit der Schlagzeile «Schneider-Schneiter reisst die Wurzeln raus» erscheint, so ist das ein grosses Stück Privatsphäre, die eingebüsst wird – ganz einfach, weil man Bundesrätin ist. Ich muss mir das gut überlegen – meine Freiheit ist mir sehr wichtig…»

Ja. Aber das Land ist auch wichtig. Und unsere Region hätte wieder einmal Anspruch auf einen Bundesrat…

Sie wird jetzt leise:

«Ja. Der letzte Baselbieter war vor 140 Jahren. Es wäre höchste Zeit…»

Dann schaut sie etwas gedankenverloren über den Espresso: «Weisst du, meine älteste Schwester Maya hätte mir jetzt einen Rat geben können. Wir waren sehr eng. Sie hat mir zugehört. Und alles stets klar analysiert. Immer wenn ich vor einer schweren Entscheidung stand, habe ich sie angerufen – «was würdest du tun?».

Maja war die einzige Person in meinem Leben, der ich mich bedingungslos fügte. Sie war stets der ‹Anführer› der Familie gewesen, hat die Arbeit unter uns Geschwistern aufgeteilt, hat uns ganz allgemein die Werte des Lebens gelehrt…»

Elisabeth Schneider, eine starke Frau, wird nun stets leiser…

«Sie starb an Krebs. Die ganze Familie war während der Krankheitsphase rund um die Uhr bei ihr – wir haben uns abgelöst.

Als sie starb, war ich mit ihr alleine.

Heute noch greife ich mitunter zum Telefon und will sie anrufen… aber da ist niemand mehr, der mir antwortet. Sie fehlt mir ganz fest…»

Die Nationalrätin erhebt sich abrupt. Nimmt ihre Tasche. Und lächelt wieder. «Sorry. War das jetzt zu persönlich? Aber du wolltest mich ja kennenlernen – nicht einfach die Politikerin Schneider-Schneiter. Sondern eben den Menschen…»

Ja – rufe ich ihr nach. Aber du musst mir noch sagen, was du nicht magst. Und was du liebst.

Jetzt lacht sie wieder hell auf: «Auch wenn ich einige betupfe: Ich mag keine Männer, die ihre Haare färben. Und das andere ist ganz einfach: Menschen – ich liebe die Menschen!»

Elisabeth Schneider-Schneiter
… mag:
Weisse Hortensien, mediterrane Küche und die Menschen.

… mag nicht: Männer, die sich die Haare färben und Leute, die etwas vorgeben wollen, was sie nicht sind …

Samstag, 2. September 2017