Pepe Lienhard: «Bei mir war das Aha-Erlebnis Frank Sinatra»

Eigentlich hätte es Burger werden sollen, Freddy Burger – Helvetiens Top- Manager der Unterhaltungsszene.

Dann Telefon: «Geht nicht. Termin in London. Nicht zu schieben … ich schicke dir Pepe! Er wird 70. Ist doch was …»

Die Reservation in der «Bodega» blieb eingetragen: «12.00 – erster Stock.»

Aldo, die gute Seele mit der Zunge einer Klapperschlange, faucht uns ins Gewissen. «Wie lange bist du nicht mehr bei uns gewesen?! Der erste Stock wird nur abends geöffnet.»

O.k. Ich schäme mich. Schwatze ihm ein Zweiertischchen ab. Und mache mich darauf gefasst, eine Stunde auf Pepe warten zu müssen.

Der Bandleader war eines meiner ersten grösseren Interviews gewesen. Er gastierte damals in Hazy Osterwalds Nightclub bei der Heuwaage. Und natürlich kam er eine Stunde zu spät.

Pepe war ein Freak, ein bildschöner Hallodri. Dazu begabt. Er hatte schon vor «Swiss Lady» dieses Lächeln drauf, dass man ihm alles verzieh – auch 60 Minuten warten: «Ich wurde auf­gehalten … bitte entschuldige und …»

Er zwinkerte. Und ich hätte auch vier Stunden auf ihn gewartet.

Nun ist es fünf vor zwölf. Und er steht bereits da. Noch immer dieses Lächeln. Noch immer der alte Charmeur, der die Szene aufmischt. Noch immer der Vulkan, der sprüht: «Also – was sagst du? Pünktlich auf die Minute!»

Ich bin sprachlos. Nicht nur weil er sich äusserlich kaum verändert hat. Sondern weil er ganz unverblümt erklärt: «Weisst du, als junger Musiker denkt man, die Welt gehört dir! Und irgendwann merkst du, dass du noch nicht richtig angekommen bist. Bei mir war das Aha-Erlebnis Frank Sinatra. Wir spielten in Monte Carlo. Und ich hatte da schon ein bisschen den Bammel – denn immerhin: Frankie Boy war die grosse Nummer. Also kam ich zum ersten Mal überpünktlich zur Musikprobe. DOCH SINATRA HOCKTE BEREITS DORT! Beobachtete jeden der Musiker, der da spielte, ganz genau. Und gab Anweisungen. Irgendwie hat mich das umgehauen: so viel Professionalität. Und dann habe ichs auch geschnallt: Das ist es. Deshalb ist er top.

Jedenfalls: Ich kam nie mehr zu spät – weder zu einer Probe noch zu einem Interview.»

Inzwischen hebt der Lärmpegel in der «Bodega» an, wie beim Start einer Boeing. Aldo wedelt mit der Serviette zum Tisch: «Wir haben heute den Hackbraten!» Dann betrachtet er Pepe. Flüstert verschwörerisch: «Der beste Hackbraten der Stadt, schöner Mann.» Mir eröffnet er gnädig: «Den Kaffee serviere ich euch im ersten Stock; wir machen halt mal eine Ausnahme.»

Pepe Lienhard kann auch Klapperschlangen bändigen.

Er lacht nun: «Ich bin mit dem Zug gekommen. Geniesse ich. Und den Trip nach Basel sowieso. Da stecken in jeder Gasse Erinnerungen. Wusstest du, dass ich meine erste Wohnung hier hatte?»

Wusste ich nicht.

«… doch. Im Gundeli. An der Dornacherstrasse. Na ja, ein Mädchen halt. Das Ganze war eine kurze Beziehungskiste und …»

Ich stelle mir vor, wie demnächst im Gundeldingerquartier an einem der Häuser ein Messingschild kleben wird: «Hier wirkte der begnadete Schweizer Bandleader Pepe Lienhard für zweieinhalb Monate.»

«Ich habe viele gute Erinnerungen an Basel. Weisst du noch im ‹Hazyland›? Da haben wir einander zum ersten Mal gesehen. Ich wohnte in einem Puff.»

IN EINEM PUFF?

«Ja, wir hatten die Zimmer in der Rheingasse. Im Hotel Sonne. Und ich wurde fürchterlich krank. Grippe. Die Puffmutter brachte mir Honigschnittchen und Tee – eine sonnige Frau. Und eine tolle Zeit!»

Mit seinem Sextett spielte er in jenen Jahren auch im Atlantis. «Da gabs doch noch Seilers Alligator in diesem Bassin beim Eingang; heute würden die Tierschützer Amok laufen! Einmal habe ich dort nicht auftreten können. Wir fuhren ins Elsass – zu den Haeberlins nach Illhäusern. Der alte Haeberlin tischte uns nach all den herrlichen Weinen noch eine Parade verschiedenster Schnäpse auf. Der Rest ist Drama. Jedenfalls traten die Musiker abends dann ohne ihren Bandleader auf …»

Und viele, viele Jahre später der Auftritt bei Häbse im «Mimösli»:

«Das war gigantisch … die Leute dort sind einfach fantastisch … ich bin auch dieses Jahr zur Premiere gegangen. Und Garderobieren, Servicepersonal, Bühnenarbeiter – alle sind angerannt, haben mich umarmt: Es war wie ein Heimkommen!»

Und dann war da doch auch noch die Birnentorte-Story!

Jetzt lacht er laut: «Dass du das noch weisst! Ich hatte Saxofonstunden an der Basler Musikakademie. Reiste einmal pro Woche aus Lenzburg an. Und leistete mir bei ‹Frey› am Bahnhof stets ein Stück von diesem Kuchen. Alleine schon diese Birnentorte mit den gerösteten Mandelsplittern lohnte den Trip an den Rhein.»

Gut. Gut. Das ist Basel.

Doch angefangen hat alles in Lenzburg – sein Vater war Bahnbeamter, seine Mutter führte ein Lebensmittel­geschäft:

«Wir halfen als Kinder im Laden tüchtig mit – Reis abfüllen, Zucker abwägen, Kartoffeln bürsten. Und die Ausläuferdienste natürlich; da lernte ich, nett zu sein. Zu lächeln – auch wenn es mir nicht darum war. Aber beim Lächeln stimmte dann das Trinkgeld!»

Als kleiner Junge spielte er Blockflöte – so wie alle.

«Nun, ich war da nicht der ‹Sonätli-Typ›. Ich spielte bereits Schlager. Und wünschte mir ein Saxofon. Das war ein ungeheurer Wunsch. Saxofone waren teuer. Aber eben auch heiss. Als ich 12 Jahre alt war, brachte das Christkind mein Wunschgeschenk.»

Noch bevor er seine erste Saxofon-Stunde absolviert hatte, bekam er das erste Angebot in eine Band:

«Ich ging also zur Musikschule. Ein Junge, nur zwei Jahre älter als ich, kam mir entgegen. Er war der Leader einer Schulband. Und mein Idol. Natürlich sah er das Saxofon. Und klopfte mir auf die Schultern: ‹Du spielst in meiner Band!› Das hatte weniger mit mir zu tun als damit, dass Saxofone damals sehr gesucht waren.»

Der 12-jährige Saxofonist blieb allerdings nicht lange in der Band. Sein grosses Vorbild war Musiker Hardy Hepp – der hippe Hepp aus Zürich also.

Pepe wollte auch seine eigene Formation – und deren Chef sein: «Ich hatte zwar über viele Jahre Musiker, die älter waren als ich. Aber ich bin nun mal der Leader-Typ. Und gebe gerne den Ton an; tatsächlich ist das ‹Zusammenführen› wohl meine Stärke. Ich bin da wie ein Trainer einer Fussballmannschaft. Ich kenne die Stärken von jedem. Kann sie einsetzen. Und wenn einer als Mensch nicht ins Team passt, wird er ausgewechselt.»

Er setzte also schon bald seine eigene Band zusammen. Tingelte herum – dies alles neben der Schule.

Wie haben die Eltern reagiert?

«Sie haben mich stets unterstützt. Sie sahen das Ganze als Hobby – problematischer wurde es erst, als ich mein Studium abbrach. Und Berufsmusiker werden wollte. Das hat meinem Vater nicht sonderlich gefallen … er träumte davon, aus mir den ersten Akademiker in der Familie zu machen.»

Du warfst das Jus-Studium also über Bord?

«Ja. Ich hatte Jus gewählt, weil es zu jener Zeit ein ‹einfaches› Studium war, das es mir erlaubte, nebenher noch Musik zu machen. Aber dann setzte ich auf die Profi-Karriere. Und fragte Freddy Burger, ob er sich unsere Band nicht einmal anhören würde.

Er kam an eine Probe nach Aarau: Mantel, Ledermappe – so ganz der Managertyp. Er hörte zu. Und machte mir den ersten Vertrag.»

Mit einer Big Band aufzutreten?

«Das lag kommerziell nicht drin. So viele Musiker konnte sich kein Club leisten. Also speckte ich die Gruppe ab – und ging dann mit einem Sixtett auf Tournee. Ich hatte den Vertrag unterschrieben, bevor ich überhaupt wusste, wie ich die Band zusammensetzen würde.»

Pepe hatte Erfolg. Und auch der Vater zeigte sich zufrieden:

«Freddy Burger kam zu uns nach Hause. Und redete mit ihm. Später meinte dann mein Senior: ‹Bei dem bist du in guten Händen. Der versteht etwas vom Geschäft.› Viele Jahre danach hat mir Udo Jürgens erklärt, dass Burger auch dessen Vater Bockelmann zur Frage ‹weshalb kann mein Sohn nicht etwas Rechtes machen?› überzeugen konnte. Burger hat etwas, das Väter für ihn einnimmt. Sie vertrauen ihm.»

Apropos Udo Jürgens – dank ihm konntest du dir dann den Big-Band-­Traum doch noch erfüllen?

«Ja. Das war ein Glücksfall.

Udo hörte uns. Natürlich haben wir einander immer mal wieder bei Burger im Büro getroffen. Als meine Band ihn aber einmal begleitete, engagierte er mich sofort für seine Tournee. Er kannte meinen Traum von der grossen Formation. Also gab er grünes Licht für eine Big Band. So viele Musiker konnten sich nur noch Max Greger oder Cédric Dumont leisten, die eine Radio- oder Fernsehanstalt im Rücken hatten.

Ich begleitete Udo 37 Jahre lang. Es ist eine unvergessliche Zeit gewesen – dabei hätte er natürlich auch alleine die Hallen gefüllt. Aber er wollte uns immer dabeihaben. Das vergesse ich ihm nie.»

Udo ist mit den Jahren ein guter Freund geworden.

«Er hat mir Marksteine fürs Leben gesetzt. In der letzten Zeit waren wir auch Nachbarn. Trafen uns mit unseren Frauen einmal wöchentlich zum Essen. Auch am Abend vor seinem Tod.»

Er schien damals aber noch kern­gesund. Und steckte mitten in seiner Tournee anlässlich des 80. Geburtstags.

«Ja. Wir hatten eben eine Tournee-Pause – deshalb das Nachtessen, bevor er am andern Tag nach Portugal fliegen wollte. Es war ein wunderschöner Abend – zwei Flaschen Wein. Auch ein bisschen Gefühlsduselei, weil nach der grossen Tournee nun Pause einkehrte. Also Abschied. Umarmung. Und am andern Tag war er tot. Es war zuerst einfach nur ein Schock. Und dann kam die bleischwere Trauer.»

Pepe Lienhard wird nun leiser:

«Er fehlt mir. Er war so gescheit. Und ein grossartiges Vorbild. Seine Disziplin war beispielhaft. Er wollte nicht altern, nahm sich unglaublich zusammen. Er trank mässig, ass sehr gezielt. Und er lebte gesund.

Wenn er alleine war, sackte er schon mal zusammen. 80 Jahre gehen nicht spurlos an einem vorbei. Kaum kam jemand in die Nähe, nahm er sich zusammen. Und war der Udo, den alle kannten – dynamisch, jung, mit diesem markanten Kopf, der sein Markenzeichen war. Der Kopf und seine Stimme. Im Übrigen war er nie besser als auf dieser letzten Tournee.»

Du selber hast auch grosse Erfolge gefeiert: «Swiss-Lady», «Piccoloman» …

«Müssen wir darüber reden?»

Immerhin hat die «Swiss Lady» am Grand Prix Eurovision den 6. Platz geholt. Das war ja ein Riesenerfolg. Euer Auftritt in den weissen Anzügen wurde Kult. Bei den Engländern wart ihr gar auf Platz eins und …

«… ja, wir wurden als Favoriten gehandelt. Aber die Nachbarländer gaben uns keine einzige Stimme – Frankreich, Deutschland, Österreich: zero Points! Von wegen, die Nachbarn würden am Song-Contest zusammenhalten. Bei uns hat es nicht funktioniert!»

Aber immerhin wurde «Swiss Lady» dann ein Welthit. Nicht zuletzt dank Mostafa am Alphorn.

«Ja, der war genial. Ein Iraner, der in Italien Trompete spielte. Ich engagierte ihn. Eines Tages hat einer bei einer Fernsehsendung ein Alphorn mitgebracht. Mostafa probierte es aus. Und war einfach phänomenal! Peter Reber – von Peter, Sue & Marc – schrieb uns den Song, der Rest ist Geschichte.»

Die «Swiss Lady» war dann auf jedem Sender.

«Wir konnten es nach einem Jahr nicht mehr hören. Überall, wo wir auftraten, riefen die Leute nach der ‹Swiss Lady›. Es war ähnlich wie bei Hazy Osterwald und dem ‹Kriminal-Tango›.»

Ist dir das Naserümpfen von Kritikern über eure «kommerzielle Musik» nie aufgestossen?

«Vielleicht am Anfang. Aber ich wollte ja eine Musik machen, die den Leuten gefällt. Dies allerdings mit den besten Musikern. Und bester Qualität. Das ist ein hoher Anspruch. Doch wenn die Leute begeistert sind, wird die Kulturszene misstrauisch.»

Du hast mal selber gesagt: Musik ist dein Leben und …

«… das stimmt. Ich konnte nie ohne Musik sein – ob ich traurig bin, glücklich. Die Musik tröstet mich. Und hievt mich auf die Wolken.

Ähnlich ist es mit dem Showbusiness. Es ist eine eigene Galaxis, eine Glamour-­Welt, die sich in einem funkelnden, flittrigen Vakuum abspielt.

Das ist gefährlich. Zu viele Leute finden dann aus ihrer Nummer nicht mehr raus. Dieses Leben wollte ich nie. Oder eben: nicht nur. Man muss auch ein Leben B haben, um vollgetankt mit frischer Energie aufs Glamourgleis zurückkehren zu können.»

Dein Leben B ist die Natur. Die Tiere …

«… ja. Ich bin schon mit Tieren aufgewachsen – mitten in der Natur. Später habe ich diese Natur und die Tierwelt auch für meine Familie und die beiden Töchter geschaffen. Ich spezialisierte mich auf exotische Vögel. Das ist ein unglaublich spannendes Gebiet.

Heute lebe ich in einem Bauernhaus aus dem 17. Jahrhundert – wieder mit Hühnern, Katzen, Hunden. Ich brauche das Gefühl, einen Stall auszumisten oder Erde umzugraben. Ich will auch handwerklich arbeiten. Das ist dann eben das andere Leben!»

Du bist jetzt im Thurgau, in Frauenfeld daheim.

«Ganz zufällig. Meine Frau und ich haben Dutzende von Häusern angeschaut. Entweder hat es ihr gefallen – und mir nicht. Oder umgekehrt. Rund um Zürich war eh alles verbaut und viel zu teuer. Als wir das Haus in Frauenfeld sahen, wussten wir nach fünf Minuten beide: Das ist es!»

Du hast die ganz Grossen dieser Welt auf ihren Tourneen und an Konzerten begleitet: Sammy Davis Jr., Sinatra, Shirley Bassey, Whitney Houston … was hast du von ihnen mitbekommen?»

Er überlegt. Lacht dann. «Die Gage natürlich … aber nein: Ich habe gelernt, dass diese Top-Stars für ihren Erfolg hart arbeiten. Sehr hart. Sie sind disziplinierte Profis. Und dulden keine Schlampereien – am allerwenigsten bei sich selber. Das macht sie einmalig – und deshalb sind sie eben dort, wo sie stehen – an der Spitze!».

Du wirst am 23. März deinen 70. Geburtstag feiern. Und dann mit deiner Big Band auf Schweizer Tournee gehen; «Swing Live» heisst die Show.

«Ja, mit einer Hommage an Udo: 17 Musiker und sieben Sänger.»

Und Basel?

«Natürlich werden wir auch hier sein. Wir haben viele Fans am Rheinknie. Am 16. April spielen wir im Musical-Theater.»

Aldo schleppt eine Platte mit Schokoriegeln in den ersten Stock: «Ihr dürft alle Riegel aufessen, wenn ich zur Show eingeladen bin!»

«Erste Reihe!», grinst Pepe.

Samstag, 12. März 2016