Murat Yakin

«Manchmal möchte ich die Zeit anhalten»»
Er fährt im schwarzen Auto vor. Sponsorenwagen. Im Innern hängen gebügelte Hemden. Ein «gepflegtes Äusseres» ist ihm wichtig.
Kleiderfuzzi?
Er lacht: «Nein. Eigentlich nicht. Ich kaufe ab Stange. Die Hosenbeine müssen dann meistens etwas ausgelassen werden. Da sind immer noch die etwas zu starken Fussballerschenkel …»
Er trägt auch Anzüge auf dem Fussballplatz – während eines Meisterschaftsspiels. Warum?
«Eine Wertschätzung gegenüber dem Zuschauer – und übrigens, was sollte ich denn sonst anziehen? Es gibt keine passende Alternative. Also: Anzug und Krawatte.»
Eigentlich könnte er als Model gehen: gross … markant … männlich
«… ist doch alles schon hinter mir. Während meiner aktiven Fussballerzeit habe ich kaum etwas ausgelassen. Wenn du im Rampenlicht stehst, melden sich die Firmen wie die Mücken bei der Glühbirne …»
Aha – du warst also für die PR-Agenturen die Glühbirne?
«Ja. Ich habe da auch gemodelt. War aber nicht mein Ding. Macht schon mal Spass. Doch für immer? Nein danke. Da ist der Aufwand einfach enorm. Ich glaube, dem Normalbürger ist gar nicht bewusst, wie viel hinter so einem Werbebild steckt.»
Wir treffen Murat Yakin – oder «Muri», wie ihn seine Freunde nennen in Kleinhüningen. Hier hat er vor einiger Zeit das 250 Jahre alte «Schifferhaus» erworben. Und renoviert. Er hat Kleinhüningen somit ein Kleinod geschenkt – und heute gehört das Restaurant zu den Top-Adressen von Basel.
Stolz darauf?
«Nun – dass das Restaurant gut läuft, ist nicht mein Verdienst. Da steckt Roger dahinter. Roger Willimann ist ein Superkoch. Und die Bedienung stimmt auch – das ist ein wichtiges Zusammenspiel: Service und Küche. Fast wie beim Fussball. Ein guter Mann alleine reicht nicht – nur die gut eingespielte Mannschaft bringt den Erfolg.»
Verstehst du dich als Feinschmecker?
«Ich geniesse gutes Essen. Es ist für mich ein Stück Kultur – und einer der kleinen Mussemomente, die ich mir leisten kann. Denn essen m u s s man ja. Da schaue ich, dass es nicht einfach Junk ist. Und koste den Gourmet-Augenblick aus. Es ist einer der wenigen Verschnaufer am Tag, wo ich abschalten kann und mir wirklich ein bisschen Zeit für mich nehme. Sonst ist so ein Fussballer- oder Trainerleben eben doch extrem intensiv. Und schnell …»
Schnell? Wie meinst du das?
«Also – Business, Sport, ja das Leben allgemein ist doch in den letzten Jahren extrem schnell geworden. Fussballer, und natürlich die meisten Sportler, packen alles in die rund 15 Jahre, wo sie gefragt sind. Die Karriere konzentriert sich auf diese knappe Spanne. Das bringt mit sich, dass du die kostbare Zeit ausnutzen willst und auch m u s s t – du jagst mit Lichtgeschwindigkeit durch die jungen Jahre. Dabei bleibt dann vieles auf der Strecke.»
Und was?
Er schaut auf seine kostbare Uhr.
«Die Zeit. Die Musse. Nicht umsonst bin ich ein Uhrenfan. Uhren haben mich immer fasziniert. Schon wegen ihrer komplexen Art. Diese kleinen Zeitmesser sind geheimnisvoll, magisch. Manchmal träume ich davon, dass ich sie anhalten könnte – um mir ein bisschen mehr Zeit zu geben. Mehr Zeit für mich. Für meine Freundin. Für meine Familie …»
Muri der Philosoph?
Er lacht: «Quatsch – wir wollen endlich etwas Gutes essen. Ich empfehle den Fisch. Ist mir jetzt drum. Und ein Süppchen. Aber nicht diese geeisten Sommertunken. Ich möchte eine warme, gute Suppe. Warme Suppen mag ich – auch im Sommer …»
Küchenchef Willimann zaubert ein Artischockensüppchen. Dann serviert er Seewolf – mit Gemüse und einer kleinen, hauchfeinen Mais-Tartelette.
Kochst du auch?
«Ums Himmels willen. Meine Mutter hat uns Jungs immer aus der Küche gejagt. Wir hatten dort nichts verloren. Küche war Frauensache …»
Und du hast dich nicht gewehrt?
«So wichtig war mir die Kocherei dann doch nicht …»
Emine, eure Mutter ist wohl die wichtigste Frau bei allen Yakin-Jungs?
Er lacht – wird dann aber gleich ernst:
«Sie kam mit 35 Jahren aus der Türkei in die Schweiz. Nach Münchenstein. Hier sind mein Bruder Hakan und ich geboren. Meine Mutter war bereits 40, als ich auf die Welt kam, bei Hakan war sie 43 – sie war das Zentrum, um das sich unsere Familie drehte. Und immer noch dreht. Jetzt wird sie bald 80. Sie hat noch nie eines meiner Spiele versäumt. Bis heute nicht …»
Schwierige Jugendjahre?
«Nun – es war für meine Mutter wohl schwieriger als für uns. Wir waren acht Buben. Alle spielten Fussball – eine Fussballerfamilie. Der Unterschied war, dass Hakan und ich hier aufwuchsen, hier Wurzeln hatten. Wir atmeten diese Kultur – meine Mutter und die älteren Brüder lebten wiederum mehr ihre türkische Kultur aus. Das war nicht immer einfach.»
Hat man dich rassistisch angemacht?
Er überlegt: «Natürlich war es kein Honiglecken. Nein. Schwierig. Wir mussten uns den Erfolg ziemlich schwer verdienen – geschenkt wurde einem gar nichts. Daraus resultierte die Erkenntnis: Wir müssen einfach besser sein. Das war aber auch eine Antriebsfeder.»
Gibt es auch heute noch Stänkerer?
«Erfolg bringt Neid …»
Tatsächlich hat man beim zürcherischen «Blick Online» vor noch nicht einmal einem Jahr einen Leserkommentar zu Murat Yakin lesen können: «Jetzt hat Basel endlich den Trainer, den die Stadt verdient. Der passt zu dieser ausufernden Stadt von Zuwanderern und deren Subkultur. Fussballtechnisch wird sich das Fiasko noch offenbaren …»
Das Fiasko blieb aus. Und Muri zuckt mit den Schultern:
«… ich bin gewohnt, mit solchen Dingen zu leben. Irgendwie spornt es mich dann sogar zu Höchstleistungen an.»
Wurde die Sache besser, als du einen Schweizer Pass bekamst?
«Man wird durch einen Pass nicht ein besserer Schweizer oder klarerer Türke. Ich fühlte mich stets hier zu Hause – schon als kleiner Bub. Später habe ich in Istanbul Fussball gespielt: Ich lebte als Fremder in einer Kultur, die eigentlich die meine war …»
Und wie siehst du die Entwicklung in der Türkei heute?
Er spreizt die Hände: «Ich habe mich nie um Politik gekümmert … mich interessiert das nicht gross. Aber Istanbul soll ja enorm boomen … meine Mutter fährt immer wieder hin. Sie hat dort ihre Wurzeln. Und trifft Freundinnen sowie die Vergangenheit.»
Man sagt, Emine ist das Zentrum, du aber der Kopf der Yakin-Familie? Du hättest ein gutes Händchen für Geld …
Er grinst: «Nun – es ist einfach so, dass ich die Mechanismen hier in der Schweiz besser angenommen habe als meine älteren Brüder, die nicht hier aufgewachsen sind. Ihnen geht deshalb diese Dimension des schweizerischen Denkens ab. Also überlassen sie die Geschäfte mir …»
Du investierst vorwiegend in Immobilien …
«… eigentlich n u r. Als ich mit 19 Jahren erstmals etwas Geld hatte, haben sie mich auf Aktien heiss machen wollen – das würde sich sofort verdoppeln, verdreifachen. Mich aber haben Mauern immer fasziniert – ein Haus. Nicht ein Stück Papier. Ein Haus kann ich anfassen. Ich spüre seine Geschichte. Und erkenne als gelernter Handwerker und Metallbauzeichner auch seinen Wert. Ein Haus ist etwas Persönliches – eine Aktie ist einfach ein Wisch mit Unterschriften und Zahlen. Da werde ich misstrauisch.»
Du hast in Rheinfelden auch das sogenannte Strand-Bad-Käffeli – was hat dich daran fasziniert?
«Nun – es ist ein wunderbares Sommergeschäft, wenn das Wetter mitspielt. Das Ganze, das dank der Eishalle daneben auch noch im Winter geöffnet ist, habe ich damals als ‹Familienunternehmen› gestartet – noch heute arbeitet die ganze Familie in diesem Beizen-Kiosk mit.»
Du bist heute reich und …
Er winkt ab: «Ich bin wohlhabend. Reich ist etwas anderes …»
Okay. Du könntest dir aber die schnellsten Autos leisten, den herrlichsten Goldschmuck und …
Nun lacht er laut auf: «Ich habe nie Schmuck getragen. Das passt einfach nicht zu mir. Keine Piercings, keine Tattoos – ich bin ein Naturtyp. Abgesehen von der Uhr – das ist mein einziges Schmuckstück. Und da liebe ich schöne, exklusive Modelle …Was die Autos betrifft: Die Schnelle-Flitzer-Zeit habe ich schon längst ausgelebt. Alles passé. Heute ziehe ich ein elegantes Auto vor, das zwar auch Power hat, aber nicht protzt und ganz bescheiden daherkommt …»
Wieder sein Lachen:
«… da bin ich wohl sehr baslerisch geworden!»
Seit elf Jahren lebt er mit Anja Müller zusammen. Eigentlich erstaunlich, dass eine Promibeziehung (Anja Müller war ein berühmtes Fotomodel) so lange hält. Regenbogenfrage: WAS IST DAS GEHEIMNIS EURER LANGEN FREUNDSCHAFT?
«Ich glaube Vertrauen ist die Basis. Wir vertrauen einander – das ist in einer Beziehung wohl das Wichtigste. Vertrauen und Grosszügigkeit. Jeder gesteht dem andern seine Freiräume zu …»
Okay. Und Kinder …
«Ja, vielleicht später einmal. Aber ich bin mein ganzes Leben um Kinder – ich spreche da immerhin als 57-facher Onkel!»
Man schreibt jetzt viel von den schwulen Fussballspielern auf der ganzen Welt. Ein Thema für dich?
«Nein. Ich glaube, dass die Sache von der Boulevardpresse und Skandalblättern als Auflagesteigerer hochgekocht wird …»
Hättest du Probleme mit einem schwulen Spieler?
Er überlegt. «Als junger Bursche habe ich nicht einmal gewusst, dass es so etwas gibt. Irgendwie war das nie ein Thema. Später habe ich dann diese Szene auch mitbekommen – ich schätze sie, ganz einfach weil diese Männer sensitiv und einfühlend sind.»
Aber ein schwuler Fussballspieler wäre in seinem Umfeld total einsam. Ein Einzelgänger … ein Outsider?
«Ja. Ich glaube nicht, dass die andern Fussballer damit Probleme hätten. Aber sie sind dann nicht seine Welt. Und er würde irgendwie in dieser Umgebung vereinsamen.»
Du startest jetzt als Meistertrainer. Ist der Erfolgsdruck nicht sehr belastend?
«Ja, klar. Aber er beflügelt dich auch irgendwie. Es vergeht wohl kaum eine Sekunde, ohne dass ich nicht an die Mannschaft denke und daran, was man wo, wie und wann weiterentwickeln sollte … da ist ein ewiges Dliggedidliggedi im Kopf … das Adrenalin fährt Achterbahn … all das ist natürlich spannend.»
Was macht für dich das Besondere eines FC Basel aus?
«Es gibt keine andere Schweizer Stadt, wo die Menschen so mit ihrer Mannschaft verwachsen sind, wie Basel mit seinem Club. Mit Fussball haben es alle andern auch – aber der FCB ist eben eine Stufe mehr als Fussball. Es ist ein Stück Stadtgeschichte – rotblaue Muttermilch am Rhein.»
Viele haben dich eine Diva genannt – jemand, der gerne Stunk macht (Muri zuckt etwas unwillig die Augenbrauen hoch).
«Im Fussball lernst du schnell. Und holst Erfahrungen. Du holst dir die bei deinen Trainern, deinen Kollegen – plötzlich weisst du mehr. Und siehst, wo die Werte liegen. Mit andern Worten: Die Zeit und das erworbene Know-how verändern dich.»
Was möchtest du für den FCB in der neuen Saison?
«Ich möchte den Spielern einfach ein guter Trainer sein – einer, von dem sie für später etwas mitnehmen können. Vielleicht kann ich gar ein Vorbild werden? Ich weiss es nicht – ich weiss jedoch mit Sicherheit, dass eine solche Aufgabe nicht einfach ist. Ein Trainer muss heute viele Fähigkeiten ausspielen können. Es ist ein total komplexer Job geworden. Aber das Ziel ist klar: Ich arbeite daran, meiner Mannschaft und dem FCB das Beste zu geben …»
Was Murat Yakin mag und was nicht
Liebt: Seine Mutter Emine, seine Freundin Anja sowie Uhren und ein gutes Essen. «Da bin ich immer für Neues aufgeschlossen. Und kein traditioneller Esser mit besonderen Vorlieben.»
Verabscheut: Rassismus, zu intime Fragen – und wenn man ihn beim Essen stört.

Samstag, 13. Juli 2013