Daniel Anrig, Kommandant der Schweizergarde: «Der Papst ist sehr spontan, das ist nicht einfach»

Die Strasse ist verstopft.

Das Taxi klebt eingekeilt zwischen zwei Lastwagen.

Die Autos geben ein Hupkonzert. Und die Vespas und Motorräder schlängeln sich am Blech vorbei.

RÖMER STRASSENALLTAG.

Immerhin bleibt so die Zeit, nochmals die Notizen durchzugehen:

Daniel Anrig…Kommandant der Schweizer Garde des Papstes…verheiratet…vier Kinder…stammt aus einer Familie, die seit dem 16. Jahrhundert in Sargans beheimatet ist…Jurist und einstiger Polizeikommandant von Glarus.

Das Taxi zuckelt drei Schritte weiter.

„Hier, in diesem Quartier von Prati gab‘s früher nur den Vatikan und Wiesen“, grunzt der Chauffeur. Er kaut an einer nicht angezündeten Zigarette.

„In der Gründerzeit gab’s auch kaum Autos. Sondern Pferde und Kutschen…“, sage ich.

„Auf dem Ross wären wir schneller“, seufzt er.

Und dann fahren wir endlich in die Via Fabio Massimo ein. Genauer: vor dieses Ristorante, das sich „Piero e Francesco“ aufs Schild geschrieben hat.

Der Beizer steht draussen. Er bellt in sein Handy. Und hat im Gegensatz zum römischen Taximann seinen Zigarettenstummel angeflammt. Nun drückt er die Kippe mit dem eleganten schwarzen Schuh auf dem Pflaster aus. Und zeigt stolz ins Innere des Lokals: „Suchen Sie sich einen Tisch aus, Signore… der Kommandant hat sie beide bereits angekündigt“.

Das Innere wirkt etwas düster. An den Wänden hängt Kunst in Öl.

Ein schwerer Vorhang trennt die Küche vom Lokal – man schmeckt süssliche Schwaden, vermutlich gekochter Tintenfisch.

Ich setze mich an denjenigen der sechs leeren Tische, wo eine Hängelampe etwas Licht ins Dunkle bringt.

Die Servierfrau bringt Wasser sowie ein Telefon auf dem Tablett.

„Hier spricht die Kommandozentrale“, sagt eine Frauenstimme aus dem Hörer „“il commandante“ hat 15 Minuten Verspätung… Die Audienz dauerte unerwartet etwas länger“

Also nochmals ein bisschen Zeit in den Notizen zu kauen:

…steht im militärischen Rang eines Majors bei der Schweizer Armee... war 1990-1992 Hellebardier … wurde 2008 zum 34. Kommandanten der Schweizer Garde in Rom ernannt…

Und da kommt er auch schon: grossgewachsen… durchtrainiert… kurzer Haarschnitt…Brille…nachtblauer Anzug:

„Entschuldigen Sie die Verspätung. Aber beim Heiligen Vater muss man bei Audienzen immer auf eine Überraschung gefasst sein… heute waren Studenten in der Audienzhalle…und am Schluss ist Francescus nicht einfach durchs Seitenportal abgegangen sondern wählte den Weg durch die Aula und hat allen die Hände geschüttelt!...das hat das zeitliche Protokoll etwas aus dem Rahmen geworfen!“.

Mein einziger Gedanke: wie redet man den obersten Wächter des obersten Kirchenführers an. Major? Kommandant?

„Anrig“, sagt er. Und begrüsst herzlich den Wirt, der uns mit viel Feuer seine Fischköstlichkeiten runterbetet.

Anrig wählt ein rohes Tartar vom Filet des Kabeljaus. Dann Gallinella, dieses fischige Meereshühnchen, das immer einen Gaumengenuss verspricht. Und hier „umido“, also im Dampf mit Kapern und Oliven sowie etwas Peperoncino zubereitet wird. Der Beizer empfiehlt einen eisgekühlten Pecorino dazu. Gute Wahl…

A propos gute Wahl: wie sind Sie mit dem neuen Papst zufrieden?

Anrig lächelt. „Als Benedikt zurücktrat, waren wir traurig. Er war wirklich liebenswert. Und vor allem: er hat Geschichte gemacht, Geschichte geschrieben – das wird sich wohl erst in den nächsten Jahrzehnten deutlich zeigen.

Papst Francesco ist ein anderer Typus. Jedes Pontifikat hat seinen eigenen Charakter. Mit Francesco hat eine neue Ära begonnen. Das ist spannend. Und auch faszinierend für uns, die wir ständig um ihn sind…“

Er wirkt auf uns Aussenstehende irgendwie herzlicher, offener…

„Ja. Er ist ein wunderbarer Mensch. Sehr spontan. Das macht die Aufgabe der Garde nicht immer einfach. Man muss ihn genau beobachten… ihn spüren… seine Gedanken zu lesen versuchen: jetzt könnte er gleich ausscheren und diesen Kranken die Hände schütteln… ein Kind segnen…. Das ist das Wunderbare an ihm…“

Also eine gute Wahl?

„…sicher. Er kommuniziert auf seine offene Art. Und ist so besser fassbar. Um es im heutigen business-Modus auszudrücken: sein Kerngeschäft oder Job ist es eine Einheit unter all den Christen zu regenerieren. Der Papst sieht sich da so quasi als Instrument, das die begeistern und so auf die Kernfragen des Christentums führen soll…“

Die Begeisterung der Leute gib seiner Art recht.

„Sagen wir es so – heute stehen jeden Mittwoch rund zwei Drittel mehr Leute auf dem Petersplatz, als früher. Letzte Woche waren es über 80'000. Bei einem Popkonzert wäre dies die erste Schlagzeile in den Medien. Bei uns ist es Alltag – Mittwoch für Mittwoch. Die Medien schweigen sich darüber aus“

Sie sind bereits als Zwanzigjähriger zur Garde gekommen. Als Hellebardier…

„Ja. Das bedeutet „Soldat“. Ich blieb zwei Jahre. Und diese Jahre haben mich geschult. Geprägt. Sie haben mich „erwachsen“ gemacht…“

Wie wird man denn Gardist? Familientradition? Aus Glaubensgründen?

Er zögert: „Nun. Es gibt viele Gründe, weshalb einer in die Schweizer Garde eintritt – bei einigen ist es familiärer Usus einen Gardisten „zu stellen“ (bei mir war es das allerdings nicht). Bei andern ist es eine lokale Tradition – Orte wie das sanktgallische Mels oder das Zürcherische Schwammendingen bringen immer wieder junge Gardisten hervor… oder es sind Freunde, Verwandte, die schon bei der Garde waren. Und andere dafür begeistern…“

Ist es in der heutigen Zeit schwierig Nachwuchs zu finden oder Werbung für den Gardisten-Beruf zu machen?

„Ja. Und nein. Wir können schliesslich keine Inserate schalten: „WACHEN FÜR DEN PAPST GESUCHT“. Das würde nichts bringen und vermutlich auch die falschen Leute aufrufen. Die meisten Gardisten waren früher Ministranten und kommen aus dem kirchlichen Umfeld…“

Die jungen Burschen hier sind also sehr gläubig

„Ich denke, der Glaube ist sicherlich die Basis. Man kommt nicht aus Abenteuerlust. Oder weil einer schnell mal Rom erleben will… der Vatikan, der Papst, die Kirche und Gott das sind die Werte. Der länger dienende Gardist festigt seine Glaubensbasis“.

Was ist die wichtigste Voraussetzung:

„In der heutigen Zeit müssen junge Menschen, die zu uns kommen offen sein – auch für neue Wege. Wir können keine Betonköpfe mit vorgefassten Meinungen gebrauchen. Die jungen Burschen müssen sich ihr eigenes Bild machen, selber zu denken beginnen – ich glaube das bringt diese Schule hier mit sich. Diese Schule ist sehr intensiv. Und ist ein echtes Plus fürs spätere Leben. Eine gute Lebensbasis eben“.

Wie ist das Ganze denn aufgebaut?

„Nun – zuerst ist da die Rekrutenschule. Die dauert 5 Wochen. Insgesamt zählt die Schweizer Garde 110 Leute – davon sind etwa ein knappes Drittel „länger Dienende“, also solche, die hier bleiben. Die Kompanie hat drei Züge – da sind Soldaten, Vize-Korporale und Korporale. Schliesslich 5 Wachtmeister und 5 Offiziere…“

Und Sie als Kommandant

„Ja. Ich bin einer der 5 Offiziere…“

Auf Lebenszeit?

„…das kann man so nicht sagen. Der Vertrag wird einfach immer wieder erneuert!“

Lukrativ?

Jetzt lacht Anrig erstmals richtig auf: “…als Polizeikommandant in Glarus habe ich wesentlich mehr verdient. Man tut diesen Job nicht des Geldes wegen. Sondern aus einer Berufung heraus – und weil man in dieser Arbeit reifen und wachsen kann“

Aber wie wird denn ein Kommandant gewählt?

„Das geht über die kirchliche Schiene – über den Nunzius. Der hat mir auch meine Berufung 2008 mitgeteilt…“

War die Familie sofort einverstanden, in der Schweiz alles abzubrechen und zum Papst zu ziehen.

„Das war für die Kinder - sie waren damals zwischen vier und zehn Jahre alt – nicht einfach. Sie mussten eine gewohnte, wunderbare Umgebung und ihre Freunde verlassen.

Meine Frau nahm es als Schicksalsruf. Wir haben einander 1993, als ich junger Gardist beim Vatikan war, in Rom kennen gelernt. Irgendwie war es für uns beide Vorsehung wieder hierher zurückzukommen…“

Die ganze Familie lebt in der Vatikanstadt?

„Ja. Man stellt uns eine Wohnung bei der Kaserne zur Verfügung. Diese Umgebung ist natürlich sehr speziell. Die Kinder besuchen die Schweizer Schule mit dem Ziel die St. Galler Matur zu machen…“

St. Galler Matur?

„Die Schweizer Schule in Rom steht unter dem Patronat von St. Gallen…“

Die Gardisten aber sind in der Kaserne untergebracht. Ziemlich enge Verhältnisse?

„Stimmt. Aber das schult. Man lernt aufeinander Rücksicht zunehmen, den andern zu respektieren – wie gesagt: eine gute Lebensschule…“

Wer bezahlt eigentlich den Sold?

„Der Vatikan. Und der Lohn ist nicht gerade viel. Wir haben kein Abkommen mit der Schweiz – also bezahlen wir auch freiwillige AHV-Beiträge und Militärpflichtersatz. Solche Ausgaben gehen insbesondere für Familienväter ins gute Tuch. Und belaufen sich mitunter auf einen ganzen Monatslohn… die Gardisten mit schulpflichtigen Kindern spüren zusätzlich noch die Ausgaben für das Schulgeld“

Wieder lacht er auf. „Also über dieses Thema könnten wir hier jetzt drei Seiten füllen. Ich bin ja Jurist. Und verstehe das Verhalten der Schweiz uns gegenüber. Doch wir machen schliesslich einen guten Job, sind ein Aushängeschild Helvetiens - die älteste noch bestehende helvetische Institution im Ausland überhaupt. Dennoch wäre eine pragmatischere Haltung von der Eidgenossenschaft wünschenswert…“

Kommt dazu, dass der Job kein Honiglecken ist – man arbeitet fast pausenlos. Keine Ruhetage?

„Nun – April und Mai sind die strengsten Monate. Da können wir uns nur ein Minimum an Ruhetagen leisten. Und sonst ist man während der Freitage immer auch als Reserve eingeschrieben…“

Was hält denn die Leute?

„Es sind die unvergesslichen Momente… die Nähe des Papstes. Francesco begrüsst jeden von uns herzlich. Das sind grossartige Erlebnisse in einem jungen Leben…“

Und Sie dürfen dann ja auch neben der Queen oder Obama stehen, wenn die kommen und…

„Das interessiert mich nicht besonders. Wir sind im Hintergrund. Dort ist unsere Aufgabe. Nun ja, typisch schweizerisch eben… so etwas liegt uns schliesslich auch besser!“

Bleibt Zeit für Hobbies?

Er überlegt: „Für Gardisten sicher. Für mich eigentlich nicht. Die Familie ist mir sehr wichtig. Da verbringe ich die freie Zeit, die übrigbleibt. Wichtig ist mir allerdings auch der Sport. Ich bin ein Bewegungsmensch. Ich jogge, wann immer es möglich ist – jetzt zur Sommerzeit früh morgens gegen sechs Uhr… dann ist Rom am Schönsten. Sei es in den päpstlichen Gärten. Oder bei der Villa Pamphili… manchmal bleibt auch etwas Zeit für Sport während der Mittagszeit.“

Frühmensch?

„Nun – Rom um der Vatikan sind zwischen 09.00 und 17.00 ein ziemlicher Ameisenhaufen. Zig tausende von Touristen und Gläubige wuseln da herum. Wenn Du Ruhe haben willst und zu Dir selber finden möchtest, musst Du früh aufstehen…oder die späten Abendstunden nutzen.“

Und die Schweiz? – Kein Thema?

„Einmal jährlich fahre ich zum Skifahren. Ich habe als Sarganser das Glarnerland wirklich lieben gelernt – seine ganz eigenen Schönheiten. Es gibt keine ruhigere Erholungsphase als in Braunwald… das ist übrigens für Skifahrer ein Geheimtipp.“

Anrig schliesst das Essen mit einer winzigen „Crostata“ ab, die mit einem Beeren-Coullis gefüllt ist. Dann klingelt sein Handy - die zwei Stunden Audienz, die er uns gewährt hat, sind vorbei.

Sind sie nicht.

„Kommen Sie – ich zeige Ihnen, wo ich daheim bin!“

Wir spulen den Weg zu Fuss ab. Unterwegs wird der Garden-Kommandant von Kellnern und auch Priestern erkannt. Alle grüssen ihn mit körperlicher Nähe. Und er lacht herzlich: „Anfangs hatte ich mit dieser physischen Nähe der Südländer etwas Mühe. Aber wenn man sich öffnet spürt man, diese Herzlichkeit ist wie die Sonne… sie tut gut.“

Zurück in die Schweiz?

„Nun. Ich weiss nicht, was die Zukunft bringt. Wir haben, wie gesagt, keinen Job auf Lebenszeit. Aber ich bin ein Mensch, der alles spannend findet. Und sich überall gut einleben kann – dort, wo ich bin, gebe ich mein Bestes. Und fühle mich so wohl…“

Was ist der Unterschied zwischen dem Glarner Polzeikommandanten und dem Kommandanten der Papstgarde?

Für einen kurzen Moment zögert er:

„Hier ist die betriebliche Verbundenheit untereinander grösser. Viel grösser. Es ist eine Verbundenheit, die auf einer gemeinsamen Basis fundiert. Und diese Basis ist wohl der Glaube. Das macht das Spezielle aus. Und ist schön, sehr schön…“

Samstag, 31. Mai 2014