Franz Humer

Franz Humer. Roche-Präsident und Chairman der Britischen Diageo ist einer der wichtigsten Wirtschaftsmänner der Welt.
Er ist überall daheim: in Zürich, Basel, London,. New York. Seine Wurzeln sind in Salzburg – dort haben wir ihn während der Festspiele und seinen Ferien besucht. Sein Wunsch-Mittagsmenu: Tafelspitz auf Schloss Aigen.

«…den besten Tafelspitz der Welt gibt’s auf Schloss Aigen. WELTKLASSE.» – so hat er am Telefon gesagt.
Also treffen wir uns in Salzburg zum «Rindfleisch aus Tradition», wie es die Wirtsfamilie seit Jahrzehnten propagiert.
Wir sitzen in diesem Garten, den schon der Bayrische Märchenschloss-König Ludwig im Gästebuch des Schlosses besungen hat: «Einzig bist du holdes Aigen! Nirgends hast du deinesgleichen in der unermess’nen Welt!».
König Ludwig fuhr damals in der Kutsche an. Franz Humer auf dem Fahrrad. Einzige Paralelle ist vielleicht der Funkelklunker, den die beiden Hand für Hand verbindet. Derjenige vom Roche-Präsidenten ist übrigens ein Geschenk seiner Frau Majo. Von ihr gefasst. Entworfen. Majo Fruithof ist Goldkunstschmiedin mit Weltruf.
«… wenn wir in Salzburg sind, strampeln wir immer mit dem Rad durch die Gegend», sagt Humer.
Aber doch net bei dieser Sauhitz!», tadelt die Wirtin. Sie schleppt weisse Servietten an, damit sich der Radler den Schweiss vom Gesicht abtupfen kann. Es sind 30 Grad im Schatten.
Er ist schlanker geworden, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Jünger. Frischer. Sportlicher. Wie kommt’s?
«… eigentlich wollte ich ja immer etwas Sport machen. Aber so etwas tust du nicht einfach so. Du brauchst einen Motor, jemanden, der dir den Anstoss dazu gibt. Und der das dann auch alles mitmacht. Dieser Turbo war Majo, meine Frau.
Ich jogge. Und ich fahre mit dem Velo, wann immer es geht. Wir unternehmen hier in Salzburg gemeinsam Tagestouren. 40 Kilometer. Gestern ging’s nach Kuchl. Da bin ich Majo allerdings ins Rad gefahren. Sie fiel hin. Schürfte sich das Bein auf. Die Wirtin in Kuchl hat alles mit Schnaps desinfiziert. Und abends war dann Premiere von Boheme mit der Netrebko. Da hat Majo einen langen Rock anziehen müssen, wegen des lädierten Beines. Sie hat nur gelacht. Sie ist eine wunderbare Frau …»

Humer lacht auch. Seine Augen mit dieser Aquamarinfarbe des sizilianischen Meeres funkeln – er ist glücklich. Denn er ist daheim. In Salzburg. Dort, wo seine Wurzeln sind. Humers Frühgeschichte. Die Erinnerungen an seine Gymnasialzeit, an das Salzburg von einst …
«… nun ja, es hat sich eigentlich nicht viel verändert. Die Häuser in der Altstadt sind ein bisschen schmucker herausgeputzt. Ansonsten - die Mentalität der Menschen ist dieselbe geblieben: offenherzig. Freundlich, sehr grosszügig. Natürlich herrscht während der Festspielzeit Ausnahmesituation. DER ERDENNABEL IST SALZBURG.
Man hat das Gefühl der Rest der Welt findet hier nicht mehr statt, ist nicht wichtig - nur die Oper, die Musik, die Festspiele. Alle werden von diesem Zauber gepackt – und jeder redet mit. Tausende haben die Netrebko als Bohème auf dem Riesenbildschirm live miterlebt. Alle haben danach darüber geredet - der Taxifahrer , der Fabrikdirektor, die Kellnerin. Jeder weiss über jeden Satz, jeden Ton Bescheid – hier ist a l l e s und j e d e r das Salzburger Festspiel!»

Als Jugendlicher hat er hier 7 Jahre als Fremdenführer ein Zubrot verdient. Tipp für uns?
«Also die meisten gehen ja in den Dom. Aber die Franziskaner Kirche ist einzig – man muss hinten hinein gehen … diese dunkle, verschlossene Gotik einatmen. Und taucht dann vorne in den barocken, hellen Reichtum ein. Das ist unglaublich schön.
Ein «must» ist auch der Wallfahrtsweg nach Maria Plain . Mozart hat für diese Kirche die Königsmesse geschrieben. Ausserdem hat das Wirtshaus dort die besten Würste von Salzburg!»

Humer geniesst es heute «mitten im Herzen der Altstadt» zu wohnen. Als Kind aus einfachen Verhältnissen lebte er in einem Vorort – «aber nun kann ich die Stadt richtig atmen. Kann zu Fuss auf den Markt. Und habe das Festspiel direkt vor mir …»
Auch Majo ist zur «Salzburgerin» geworden – «wir haben viele Freunde hier. Morgens arbeite ich. Mittags geht’s auf den Kultur- oder Fahrradtrip …»

Dennoch – Franz Humer hat neben Salzburg noch viele Wohnorte und Beziehungspunkte: da sind Zürich, Basel, London, New York (wo seine beiden Kinder leben).
«Zürich ist sicherlich unser Lebensmittelpunkt. Wir haben das Haus über dem See. Es ist wunderbar. Nach Basel komme ich fast jeden Tag und …»
Unterschied Basel-Zürich? Er winkt ab:
«… diese Frage mag ich nicht mehr hören. Ich kann als Nicht-Basler dieses Konkurrenz-Verhalten der Bebbi mit Zürich oder auch mit dem Kanton Baselland eh nicht nachvollziehen. Basel ist eine Museumsstadt, Zürich ist eine internationale Grossstadt …»
Ja hallo - wenn man es mit London oder auch nur mit München vergleicht, ist Zürich aber eine sehr, sehr kleine Provinznummer.
Humer: «… aber in der Kleinheit liegt ja eben die Lebensqualität der Schweizer Städte. Man darf die Grösse von New York oder London nicht überschätzen. London ist ein Sammelsurium verschiedenster Grossdörfer. Natürlich swingt es und pulsiert es mehr als in Zürich. Aber es ist im Geschäftsleben auch aggressiver, hektischer …»
Einmal pro Woche ist Humer an der Themse. Er ist dort Präsident von Diageo. Der Spirituosen- und Bierkonzern ist allerdings kein Familienbetrieb wie Roche. Frage: sind Grosskonzerne, die von einer einzigen Familie kontrolliert werden, ein Nachteil für einen Chairman?
«Im Gegenteil. Ein Familienunternehmen hat einen viel gelasseneren Umgang mit dem Jetzt als nervöse Bankers und Aktionäre, die alle drei Tage hysterisch ihre Meinung ändern. So ist es möglich Entscheidungen für die längere Zukunft zu treffen, Entscheidungen, welche die Familie mittragen: man plant die Reise des Unternehmens gemeinsam langfristig. Das ist ein enormer Vorteil …»
Bei Oeri und Hoffmann sind es 12 Leute, die das Sagen haben. Wie wird das mit der nächsten Generation sein?
«Da haben wir Glück … es werden auch wieder etwa 12 Leute sein. Ich habe mit diesen Jungen Kontakt. Drei davon haben schon verschiedene Praktika bei uns absolviert. Mir ist es wichtig, dass auch die künftige Besitzergeneration in dem Betrieb nicht einfach einen «Dividendenspender» sieht. Sie sollen emotional eine Verbindung zum Unternehmen aufbauen – deshalb suche ich bei den Jungen der Besitzerfamilie auch immer wieder das Gespräch.
Aber man muss schon sehen: ein Grossbetrieb wie Roche mit 80 000 Leuten, der von einer einzigen Familie geleitet wird , ist einzigartig. So etwas verpflichtet . Mich. Und die Familie.»

Mit andern Worten - die Erfahrungen von Präsident Franz Humer helfen da?
«… nun, man darf diese Erfahrungen nicht überbewerten. Da bin ich sehr kritisch geworden. Auch selbstkritisch. Die Zeiten ändern sich rasant, das Umfeld auch. Nichts ist mehr wie vor 20 oder 30 Jahren. Was einst als richtig galt, ist heute vielleicht falsch. Da helfen Erfahrungen gar nichts. Du musst immer wieder alles neu hinterfragen, frisch überdenken …»
Für einen Moment hält er inne:
«… die Jugendarbeitslosigkeit macht mir grosse Sorgen. Auch die Diskrepanz zwischen Arm und Reich. Ok. Hat es immer gegeben. Aber sie war noch nie so ostentativ spür- und sichtbar wie jetzt.
Wenn ich hier an eine Premiere gehe, kommt da eine kleine Schicht von Geldleuten, die ihren Reichtum zur Schau stellt. Das ist mitunter widerlich. Und da muss ich an die alten Basler und ihre protestantische Bescheidenheit denken. So etwas täte der Welt gut. Überhaupt klopft da mein Herz als Schweizer …»

Er grinst: «… ich habe ja auch den eidgenössischen Pass – die Eidgenossen sind umsichtiger. Und wirklich interessiert an der Kohärenz der Gesellschaft. Die direkte Demokratie hat bestimmt einen grossen und auch wohltuenden Einfluss auf das Leben in der Schweiz. Sie reguliert und zügelt Vieles …»
Die Wirtin serviert die Teller ab. Der Tafelspitz mit der Apfelkren war tatsächlich «WELTKLASSE».
Humer verzichtet auf ein Dessert – er ist abends bei Freunden eingeladen: «Da wird’s deftig».
Persönliche Visionen?
«Nun ja: ich setze mich mit dem Alter auseinander … ich bin 66. Das ist nicht jung. Und heute auch noch nicht alt. Aber man beginnt eben doch vermehrt über die Zeit nachzudenken. Und darüber, dass sie kostbar ist.
Ich möchte Stress abbauen. Und mich auf Wichtiges konzentrieren … keine Leerläufe mehr … keine Einladungen, wo ich mich langweile … lieber zu Hause mit Majo ein Glas Wein … DAS SIND DIE EIGENTLICHEN WERTE … und ich will die Länder mit ihren Menschen und Geheimnissen nicht nur von einem Bürofenster aus sehen müssen ...»

Er zupft die Serviette vom Hemd:
«Majo und ich waren an Weihnachten zwei Wochen auf einem Schiff in der Antarktis. Da sind alle Sunden und der Erdball still gestanden.
Wir haben eine Insel besucht – um uns herum watschelten nur eine halbe Million Pinguine. Da spürst du plötzlich, dass die Welt nicht einfach nur zwischen Bürosesseln und Flughäfen stattfindet … ich möchte diese Welt besser kennen und verstehen lernen …»

Er macht eine kleine Pause. Und lächelt: «Und so mich selber auch …»

Samstag, 11. August 2012