Bo Katzman

«Manchmal brauchts auch ein paar Takte Glück»
Reto Borer starb, als er nur ein paar Lieder älter als 20 Jahre war.
Der angehende Lehrer, der später als Bo Katzman eine Legende am Schweizer Musikhimmel werden sollte, sah ein helles Licht:
«… alles war so unbeschreiblich schön. Irgendwie zu schön. Ich kapierte auch plötzlich, wie das Universum funktionierte. Dass ich ein Stück davon bin. Das tönt jetzt alles total verrückt, wirr –aber so war es einfach.»
Bo Katzman sah eine Helligkeit, die ihn magisch anzog:
«Ich flog zu diesem wunderschönen Licht. Aber ich wusste, dort gehöre ich nicht hin. Noch nicht. Es war, als hätte man mich in ein Prunkschloss zu einem Festessen eingeladen – aber ich war schmutzig, steckte in den falschen Kleidern, war für so etwas Schönes nicht passend vorbereitet. Also machte ich rechtsumkehrt…»
Der junge Mann wurde in seinen Körper zurückgebeamt – die Ärzte hatten ihn reanimiert. Bo Katzman brauchte allerdings Monate, um nach dem Unfall wieder total gesund zu werden.
Der Jüngling aus Muttenz besuchte das Lehrerseminar: «…ich war ein Rock-Fan und fuhr eine heisse Maschine. Es war ein prächtiger Tag. Also schwänzte ich das Seminar – und jagte mit dem Motorrad durchs Land. Dann kam diese unübersichtliche Kurve mit dem schwarzen Tunnel – ich prallte von hinten mit voller Wucht in ein Auto.»
Er habe gespürt: Das ist das Ende. Und er sei wütend gewesen – einfach nur wütend. Weshalb schon jetzt? Ich bin doch viel zu jung…
«Da geschah etwas Merkwürdiges: Die Welt stand still. Es war wie im Märchen von Dornröschen. Ich hatte auch keine Schmerzen mehr – nur Bilder. Mein kurzes Leben spulte im Zeitraffer vor meinen Augen ab. Ich stand ausserhalb meines Körpers. Sah mich selber da liegen – spürte etwas, das ich nicht deuten konnte, neben mir. Etwas Gütiges. Etwas, das mich liebte. Das ich aber nicht erkannte oder klar sah – dieses Etwas forderte mich auf, mein bisheriges Leben zu benoten. Knapp genügend, durchzuckte es mich – jedenfalls schloss sich das Zeitfenster. Und ich war wieder in dieser Welt…»
Der Unfall und der Sekundentod haben sein Leben verändert:
«Nicht sofort. Anfangs hat mich dies kaum beschäftigt … aber allmählich begann ich zu grübeln, nach einer Antwort zu forschen. Ich habe diese in allen Religionen gesucht – keine konnte sie mir geben.»
Heisst das, dass du jetzt gar keiner Religion zugehörst?
«Ja und nein. Ich bin in einem streng katholischen Haushalt aufgewachsen. So etwas prägt. Und ich finde auch heute noch Christus eine faszinierende Figur – jemanden, dem man nachleben möchte. Irgendwie versuche ich das auch…»
Aber mit religiösen Dogmen kannst du nichts anfangen?
«Nein. Zwänge haben mich schon als Kind ziemlich halsstarrig gemacht…»
Wir treffen uns im «Ochsen» in Arlesheim. Grund: «Ich bin sonst mit den Rotariern dort…»
Rotarier? Establishment? Angepasst?! Wohl mehr Reto Borer als Bo Katzman. (Später erklärt er mir. «Die Organisation tut viel Sinnvolles. Viel Gutes – ohne es an die grosse Glocke zu hängen. Das passt mir.»)
Der Servicechef geht die Tischliste durch. Und schüttelt den Kopf: «Nein. Keine Reservierung. Weder unter Borer. Noch unter Katzman.»
Für einen Moment habe ich Panik. Er schreibt von sich selber in seinen Memoiren («Bo Katzman – zwei Minuten Ewigkeit») punkto Termine sei er chaotisch. Eben kein Manager-Typ. Er habe auch schon mal einen Live-Auftritt im Fernsehen verpasst.
Also zücke ich das Handy. Drücke seine Nummer. Da taucht er auch schon in der Tür auf. Zieht den Kopf ein – weniger ein Katzenmann als eine schlaksige, elegante Giraffe, die auch im Alter beweglich geblieben ist. «Meine Frau führt nicht umsonst ein Fitnessstudio – ich strample mich da vier mal die Woche durch!»
Natürlich habe ich ihn mit einer Katze auf der Schulter erwartet. Immerhin hat ihm diese Katze, die ihn wie ein lebendiger Pelzkragen anfangs begleitete und an seinem singenden Hals rumschmuste den Namen gegeben: Bo Katzman. Im Leben der Norm heisst er schlicht Reto Borer.
«Das mit der Katze war bald einmal vorbei – nur der Name ist geblieben. Irgend so ein Armleuchter von Journalist hat aus dem Bo – und das ist ja die Abkürzung meines richtigen Namens – einen Beau gemacht. Das war natürlich ein gefundenes Fressen für die Journaille. Die haben mich zum selbstverliebten, egozentrischen Schönmann gestempelt…»
Immerhin warst du Anfang der 80er-Jahre auf den Fotos ein heisser Rocker und absoluter Macho…
Er lacht: «Das war eben der Zeitgeist nach der sanften Hippie-Welle. Mit den Monroe mussten wir die coolen Guys mimen … das gehörte zum richtigen Ton!»
Ich kenne andere Bilder. Bo Katzman als Erstkommunikant. Hände gefaltet. Rosenkranz in den Fingern. Und weisse Tüllschärpe um den Fotografenstuhl – du sagst, du tätest frömmer, als du je warst. Schon damals Schauspieler?
«Meine Kindheit war von einem bürgerlichen Ton geprägt. Mein Vater war Zahnarzt – meine Mutter das Familienzentrum. Sie hatte mit fünf Kindern mehr als genug zu tun. Die Eltern waren streng. Teppichklopfer und so. Das hat nicht geschadet – aber später haben wir natürlich rebelliert. Ich besonders. Ich wollte aus dieser Beschaulichkeit ausbrechen. Also nahm ich meine Gitarre. Und sang hausgestrickte Protestlieder…»
Mit Erfolg?
«Manchmal. Manchmal nicht. Das mit dem ‹Fairy-Tale› ging beispielshalber total in die Hosen. Der Basler Musik-Schuppen eröffnete und ich war Teil des Opening-Programms. Niemand hat meinen Protestsongs zugehört. Die Leute wollten sich einfach nur unterhalten. Punktum. Aber ich war so gekränkt, dass ich die Bühne wütend verliess!»
Böser Schlag? Das Ego durchgemixt?
«Als Künstler und Musiker steckst du immer solche Schläge ein. Das Gute: Sie machen dich stark… In Hamburg hatten wir beispielshalber mit den Monroe in den 70er-Jahren im legendären Onkel Pö abgerockt. DER ABSOLUTE GIG! Unsere Plattenfirma organisierte daraufhin eine Konzerthalle für uns. Es kam ein einziger Besucher. EINER! Er war aus Oklahoma. Suchte die Reeperbahn und hatte sich zufällig in die Halle verirrt. Grund des Flops war, dass die Firma die Werbung vergessen hatte! Aber durch solche Pleiten wirst du gross.»
Du warst Protestsänger, hast gerockt, in Marc Rimas Musicals gesungen, Chöre geleitet, und mit «I’m in love with my typewriter» den wohl grössten Schweizer Hit der letzten 100 Jahre gelandet – was ist mit der Lehrerkarriere?
«Also die haben mich glatt durchsausen lassen … ich habe das Lehrerseminar geschmissen. Nach meiner langen Spitalzeit wurde ich zum erlauchten Gremium gerufen. Ich erwartete, dass mir die Lehrer ein paar positive Signale geben würden – aber sie winkten mich einfach ab. Ich hätte eh zu viel geschwänzt … na ja, ich war da ziemlich am Boden!»
Es zeigt, dass die autoritäre Lehrerschaft von damals nicht eben das gute Näslein für potenzielle Talente hatte…
«Stimmt – doch in der Musik-Akademie habe ich es dann geschafft. Dort loderte auch mehr Feuer in der Sache – hier war meine Welt: Gitarre … Komposition … Gesang … all das machte mir richtig Spass. Ich lernte jetzt gar Klavier spielen. Als Kind habe ich es gehasst …»
Er wurde dann Pauker – wollte es aber besser machen, als seine einstigen Vorgänger. So betrat ein nicht ganz typischer Singlehrer die Szene.
«Das war auch der Anfang als Chorleiter … das Miese einer versauten Lehrerseminarerfahrung brachte auch etwas Positives.»
Wie kam das mit dem Chor und den Katz-Kids?
«Zuerst einmal habe ich den Singunterricht von den alten Schulliedern gereinigt. Also ‹im Märzen der Bauer sein Rösslein einspannt› fand nicht mehr statt. Ich meine: Wir wissen alle, dass der Bauer einen Traktor hat. Dafür gabs ‹Guantanamera›. Und ‹Speedy Gonzales›. Das machte den Kids total Spass. Sie sangen mit Begeisterung mit. So habe ich dann auch alle meine Schüler zum Festzelt ans kantonale Gesangsfest nach Reinach gepaukt. Das war 1981. Am Tag darauf haben sich einige der Schüler im Singzimmer gemeldet: ‹Könnten wir einen Chor gründen…?›»
Und später haben sich auch die Erwachsenen gemeldet?
«Ja. Die sassen in den Kids-Proben immer hinten in der Aula. Sie wippten und summten mit. Schliesslich kam eine Delegation von Eltern zu mir – ob ich so etwas nicht auch mit Erwachsenen machen könnte…»
Bo Katzman hat da gezögert.
«Eigentlich musste ich das jetzt nicht auch noch haben. Also sagte ich: Wenn ihr 50 Sänger zu einer Chorprobe anschleppen könnt, bin ich dabei. Natürlich dachte ich, das sei ein Ding der Unmöglichkeit. Als ich am Stichtag das «Sonne»-Säli in Pratteln betrat, warteten aber über 150 potenzielle Chorsängerinnen und -sänger auf mich. Da konnte ich doch nicht Nein sagen…»
Heute ist der Chor eine grosse Sache: goldene Schallplatten, ausverkaufte Konzerthäuser und keine Vorweihnachtszeit ohne singing Bo…
«Hallo! Hallo! – das mag ich gar nicht, dass man uns als Santikläuse der Nation ins Cliché-Bild einrastert. Wir singen schliesslich nicht nur Weihnachtslieder. Unsere Palette ist vielschichtig. Und immer wieder auf neuen Wegen…»
Gospels?
«…damit hatten wir die ersten wirklich grossen Erfolge. Und wurden berühmt. Viele Kritiker haben sich überschlagen, weil Weisse schwarze Lieder singen würden. Das sei Diebstahl am Kulturgut der Schwarzen. Aber es waren dann viele Afroamerikaner und berühmte Gospel-Sänger wie etwa Roy Ellis, die für uns eine Lanze gebrochen haben: Gospels sind gesungene, biblische Geschichten – und diese Geschichten gehören allen…»
Heute sind eure Konzerte im Nu ausverkauft – und zwar in der ganzen Schweiz. Ihr organisiert alles selber?
«Ja, zusammen mit meinem Freund und Manager Edgar Lehmann – er war einst mein Schüler – sind wir fast schon ein Kleinunternehmen. Als wir den Konzertveranstaltern der Schweiz verkündeten, wir würden mit einem Chor rumtouren, stöhnten die durchs Band weg, ob wir eigentlich durch den Wind seien. Kein Mensch wolle Chöre …»
Also haben die beiden alles auf eine Karte gesetzt, viel Geld riskiert:
«…und alles selber organisiert, vom Nummerieren der Tickets bis zur technischen Installation in den Konzerthäusern. Manchmal gehören auch ein paar Takte Glück dazu. Das hatten wir. Bereits am fünften Vorverkaufstag war die ganze Schweizer Tournee – und das sind immerhin 30 Konzerte! – bis auf den letzten Platz ausverkauft.»
Das Kleinunternehmen wurde zum Grosserfolg. Pünktlich zu den Shows kommen die Alben mit den neuen Arrangements von Bo heraus – und mit den rund 100 Chorstimmen. 21 Alben sind es bis heute – 14 haben den Goldstatus.
Wie sieht das denn mit dem Proben und Organisieren aus? Alles in Bo-Hand?
«Nun ja – die Arrangements schreibe ich für jede Stimme. Ich leite auch die Proben immer selber – das sind 40 Proben im Jahr. Man muss sich vorstellen, dass die Leute einmal pro Woche aus der ganzen Schweiz für diesen Probeabend anreisen. Wir sind nicht nur einer der grössten Chöre in Europa. Wir sind auch wirklich eine Familie. Manchmal treten wir einander auch auf die Füsse … aber das ist gut. So bleibt der Geist frisch …»
Das diesjährige Programm heisst «Neue Ufer»…
«… ja, wir singen erstmals deutsch. Das ist eine ganz grosse Erfahrung. Wir haben Hymnen von Peter Maffay und Herbert Grönemeyer dabei. Das wirkt mit diesem riesigen Chor unglaublich stark …»
Privat – da klingt bei Bo immer das vertraute Lied an: seine Ehefrau Marianne. Und Ronja, die Tochter der beiden.
«Ich bin ein Familienmensch – irgendwie bin ich ja in so einem Umfeld aufgewachsen.»
Längst sind die zwei Mittagsstunden vorbei. Die Serviertochter bringt nach dem «Graved Salmon» und Lammkoteletten ein kleines Dessert.
Die Serviertochter strahlt, weil er den Kalorienluxus genüsslich reinschlemmt: «Es wäre keine Adventszeit, wenn ich Sie und Ihren Chor nicht auf der Bühne gehört hätte…»
Was Bo Katzman mag
Tiere
Mag Giraffen mehr als Katzen (er besitzt eine Giraffensammlung).
Verabscheut
dass die Katzen der Umgebung seinen Rasen als «Bos Katzenklo» benutzen.

Samstag, 12. Oktober 2013