Stefan Puttaert, Leiter Sotheby’s Switzerland: „Man ist Schauspieler , Psychologe, Händler – alles für einen kurzen Moment…“

Sein Lebenspartner wartet schon.

Immer wieder schaut Gerry Lips im Hof des Kleinbasler Torstüblis auf sein Händy: „Heute morgen musste er noch nach Paris…“

Dann – dingdong – das Gesicht des Basler Polizeikommandanten hellt sich auf. Ein SMS blinkt auf: „Bin sofort hier. Warte nur auf die Fähre… Stefan“.

Warten ist nun nicht gerade das Ding von Stefan Puttaert. In den Adern des Kunst-Auktionators fliesst Diesel super. Er wünschte sich einen 48 Stunden-Tag. Und hätte auch da noch 12 Stunden zu wenig.

Schon steht er am Tisch. Kleiner Strahlemann mit dem Charme einer ganzen Moulin-Rouge-Truppe. „Tut mir leid – aber es war die letzte Fahrt. Da musste der Fährmann auf der andern Seite zuerst schliessen…“.

Er kommt via Fähre direkt aus Paris. Morgens hin. Abends zurück. Nichts für den Organismus – aber der 49-jährige ist topfit. Stress ist sein Adrenalin – Stress. Und Hund Nelson, ein Jack Russell Terrier, den er oft auf seine Spaziergänge mit sich nimmt: „Diese Spaziergänge sind wichtig – da kann ich regenerieren. Auftanken. Mit Nelson – und bei einem Glas Wein mit Gerry“.

Er ist Doppelbürger. Man schmeckt eine Prise Französisch in seinem Schweizer Dialekt.

“Meine Mutter ist Schweizerin. Unser Heimatort ist Tuggen im Wallis. Mein Vater war Belgier. Aus Bruxelles. Und so habe ich eben die Doppelbürgerschaft…“

In Bruxelles ist er aufgewachsen. Grosses Haus – zwei Brüder. Und schon früh wird durch den Vater das Interesse an Kunst und schönen Dingen geweckt:

„Er hat mich immer an den Wochenenden in Galerien, Museen und zu Flohmärkten mitgenommen. Da wurde der Virus wohl eingepflanzt. Meine Mutter empfing uns nach den Flohmarktbesuchen stets mit dem Schreckensruf: „Aber Ihr habt doch nicht schon wieder etwas mitgebracht…?“. Hatten wir doch. So wuchs neben dem Interesse für Kunst auch das Interesse an Porzellan, Glas, Jugendstil, – wie gesagt: an den schönen, speziellen Dingen…“ Für einen Augenblick wird er still: „Mein Vater ist vor 6 Jahren gestorben. Unsere Samstage fehlen mir…“

Sammler?

Er überlegt: „“Sammler“ ist ein grosses Wort. Das müsste man zuerst definieren. Es gibt ein wunderbares Buch von Philipp Blom „Sammelwunder, Sammelwahn“ – das hat mich sehr beeindruckt. Ich sehe mich in diesem Sinne nicht als „Sammler à tout Prix“ – jedenfalls nicht als „Sammler à tout prix“. Ich kann auch Bilder einfach schön finden. Und muss sie nicht besitzen…“

…aber für andere „aufstöbern?

Er lacht: „Das wird immer schwieriger… vor allem muss ich den Käufer kennen, um das zu finden, was ihm gefällt. Deshalb reise ich auch öfters - wie heute nach Paris. Ich muss wissen, wen ich vor mir habe, muss den Menschen spüren… dann erst kann ich das Kunstwerk finden, das ihm vorschwebt. Das zu ihm passt. Und das ihn glücklich macht…“

Picasso, Bacon, Giacometti sind also nicht einfach „Geldanlagen“?

„Sicher nicht. Auch heute noch werden die meisten Kunststücke „aus dem Herzen“ gekauft. Aus einem „coup de foudre“ heraus. Wohl nur die Allerwenigsten ersteigern auf einer Auktion etwas, das ihnen nicht gefällt – oder nur aus der Überlegung heraus, vermutlich bringt es in zehn Jahren den doppelten Preis.

Kunst ist keine Aktie. Man muss da schon mehr als nur Geld mitbringen. Man hat eine Beziehung zum ersteigerten Stück…kennt seine Geschichte…hat sich mit dem Künstler befasst… nein, ich wehre mich gegen Ausdrücke wie „Geldanleger flüchten in die Kunst“. Da muss schon mehr als nur Geld kommen – sonst verrennt sich da einer zünftig…“

Seit vergangenem Jahr leitet Stefan Puttaert Sotheby’s in der Deutschschweiz. Aber bereits seit 1990 arbeitete der in Art-Kreisen bekannte Kunstkenner für verschiedene renommierte Auktionshäuser – begonnen hat er bei Christie‘ s, später arbeitete er für Philipps und startete schliesslich in Zürich erfolgreich als Galerist zusammen mit Beda Jedlicka die Galerie J&P Fine Art. Dann meldete sich vor zwei Jahren Sotheby’s…

„…ich pendelte zwei Mal zwischen London und der Schweiz zu Geprächen hin und her. Sotheby ist immerhin das älteste internationale Auktionshaus das in Helvetien Kunst mit grossem Erfolg „unter den Hammer“ gebracht hat. Die Firma hat Weltruf. So etwas reizt schon… also habe ich mit Freuden unterschrieben“.

Er zögert einen Augenblick:

„…und irgendwie hat mir einfach der „Hammer“ gefehlt. Auktionar sein – das ist sehr speziell. Ich meine, man steht da quasi drei Stunden lang wie auf der Bühne. Man muss die Leute mitreissen können, darf nie langweilen, keine Durchhänger zulassen – man darf aber auch nicht zu aggressiv sein. Da braucht es Fingerspitzengefühl. So etwas hat mich immer gereizt… man ist Schauspieler, Psychologe, Verkäufer, PR-Mann und Händler in einem Moment…“

Nie Lampenfieber gehabt?

„Nein. Das heisst die ersten Male schon. Aber heute bruingt es viel Freude. Die einzige Angst ist, dass meine Stimme versagen könnte – die Stimme ist da ein wichtiges Instrument bei jeder Auktion…“

Und weshalb versagt sie nie?

„Ich mache Atemtechnik wie ein Sänger. Und trinke viel, viel Wasser…“

Wir stehen vor der Kunstmesse, der Basler Art – was bringt sie Sotheby’s? Was Stefan Puttaert?

„Nun – die Art ist einer der wunderbarsten Momente in unserer Agenda. Wir sind ja nicht direkt beteiligt – aber es ist eine grossartige Gelegenheit Kunden aus aller Welt zu treffen. Basel wird da zum Meeting-Point. So können wir ganz entspannt diesen Anlass geniessen – besuchen die verschiedenen Einladungen. Und haben nicht den Druck der Galeristen, die ja in dieser relativ doch kurzen Zeitspanne ihre Umsätze machen müssen…“

Wie kommt eigentlich Sotheby’s zu den Bildern? Das sind ja oft weltberühmte Werke, die in London, Bew York, Paris etc. versteigert werden – wer und weshalb bietet jemand so etwas an?

„Nun – es sind die drei grossen –D-‚s von denen wir leben: Debts… Divorce… Death.

Jemand muss aus Geldgründen verkaufen. Er hat Schulden. Also trennt er sich von seinen kostbarsten Stücken. Das ist der traurigste Fall – auch für diejenigen die einen solchen Auftrag erhalten.

Bei den Scheidungen kommt es immer wieder vor, dass sich ein Paar nicht einig ist, wer das Bild, mit dem man lange zusammen lebte, nun haben soll. Also bleibt nur die Auktion. Und man teilt das Geld.

Und natürlich ist da der Tod, der Bilder zurücklässt, welche die Erben nicht wollen. Also bringt man diese auch zu Sotheby’s…

Es gäbe dann noch ein viertes –D- Diversification. Also Leute stossen einfach Kunst ab, weil sie ihre Sammlung anders definieren.“

…und da kann dann jeder kommen und sein Bild oder eine Skulptur anbieten?

„Im Prinzip ja. Aber natürlich wird nicht jedes Bild einfach so genommen. Heute ist alles viel schwieriger und aufwendiger geworden. Das Bild wird zuerst – und das ist ja klar - nach seiner Echtheit geprüft. Auch wenn es immer wieder spektakuläre Fälle von Fälschungen gibt - sie sind doch selten. Entsprechend aufwendig sind auch die Untersuchungen.

Dann muss man wissen, woher das Bild kommt. Muss seine Geschichte recherchieren. Muss sich total absichern, dass es keine „Raubkunst“ ist - also juristisch einwandfrei. Unsere Büros beschäftigen drei Leute alleine nur für die „juristische Abklärung“ eines Werks.

Und dann muss es natürlich ein Kunstwerk von gewisser Bedeutung sein… am allerbesten ist, wenn es ein „Frischling“ ist. Also noch nie an irgend einer Auktion angeboten wurde und – beispielshalber nach 50 Jahren an einer Sammler-Wand – nun neu auf den Markt kommt.“

Ist es einfach an solche Kunstwerke zu kommen?

„Eben nicht. Gute Kunst im Angebot ist rar – Käufer gibt es heutzutage aber weltweit genug…“

Das treibt dann die Preise so unglaublich hoch…

„…das. Und auch die neuen Sammler-Märkte. Ich meine: seit etwa 10 Jahren ist der asiatische Makrt nicht mehr zu übersehen. Die Chinesen sind stark – entsprechend ist die Art ja auch in Hongkong gewesen. Der russische Markt hat enorm zugenommen. Also heisst das: die Nachfrage wird immer grösser. Und das jagt die Preise…“

Kann denn jeder an so einer Sotheby’s Auktion in Zürich mitsteigern?

„…eigentlich schon. Das heisst, er muss sich natürlich rechtzeitig registrieren lassen. Und wir prüfen dann ganz genau, wer da mitsteigert… und wir prüfen auch die Bankverbindungen.“

Aber besuchen kann die Auktion jeder?

„Ja. Früher war da immer eine Hemmschwelle. Das hat sich gegeben. Aber natürlich sitzen die Interessenten und Bieter nicht nur im Saal - geboten wird heute hauptsächlich telefonisch und schriftlich. Ich habe dann das Angebot vor mir liegen. Oder elektronisch – das heisst über Internet. Über dieses Medium wurde kürzlich beispielshalber ein Bild in der letzten Schweizer Auktion bei us in Zürich über eine halbe Million ersteigert. Die Elektronik komt stets mehr zum Einsatz …abgesehen von den Bietern über Telefon…“

Das tönt aber ziemlich hektisch, so Millionen-Umsätze in zwei, drei Stunden unter einen Hut zu bringen?

„Das macht ja eben den Adrenalinschub aus …und natürlich braucht es einiges an Erfahrung, dass der Hammer dann richtig zuschlägt…“

Heute jagt Stefan Puttaert auf der ganzen Welt herum. Keine Ermüdungserscheinungen?

„Im Gegenteil. Ich liebe es zu reisen. Ich wurde schon als Zweieinhalbjähriger mit einem Badge in Bruxelles in die damalige Swissair gesetzt, um nach Zürich zu fliegen. Natürlich haben mich die Hostessen mit Tonnen von Schweizer Schokolädchen verwöhnt. Dieses Flugerlebnis hat mich wohl positiv fürs Reisen geprägt…“

Er verbrachte als Kind seine Ferien bei der Grossmutter in der Schweiz:

„Das war natürlich ein Traum. Natur pur nach dem Stadtleben in Bruxelles. Ich liebte es im Zürichsee zu baden, im Wägital zu wandern – das waren Dinge, die wir in Belgien nicht kannten…“

Aber er ist nach der Matur nicht etwa in seine „Zweitheimat“ gekommen. Puttaert wurde Austauschstudent in den USA:

„Das war wohl das prägendste Jahr in meinem Leben geworden . Ich war 18 – und erstmals so richtig weg von daheim…“

Er wollte Kommunikationswissenschaft studieren. Sprachen liegen der Familie im Blut – die Mutter spricht sechs. Puttaert ebenfalls. Aber weil er neben dem Studium ein bisschen Geld machen wollte, kam er an die Bruxeller Oper.

„Dort war Gerard Mortier. Ich machte bei ihm eine Saison Public Relations und organisierte für den grossen Meister die Eröffnungsfeier der umgebauten Oper 1986. Danach engagierte er mich als direkten Mitarbeiter. Diese Saison war dann auch eine grosse Erfahrung…“

In New York machte Puttaert später seinen Bachelor und schloss seine Studien in London mit dem Master ab. Dann ging’s Schlag auf Schlag:

„Nach der Oper und Musik lockten die Bilder… deshalb stellte ich mich damals bei Christie‘s vor. Sie nahmen mich. Und ich blieb über 5 Jahre…“

1991 kam er schliesslich nach Zürich – mit einem weiten Ruf als Kunsthändler. Als sein Lebenspartner, mit dem er über 20 Jahre zusammen ist, als Polizeikommandant nach Basel berufen wurde, da…

„…also anfangs hatte ich ja ein bisschen Bammel vor der angeblichen Zürich-Phobie hier am Rhein. Aber wir wurden so herzlich und mit offenen Armen aufgenommen, so dass wir uns beide in Basel sofort wohl fühlten. Pudelwohl. Man sollte ja nie „nie“ sagen – aber ich kann mir nicht vorstellen, hier aus unserm Haus wieder wegzuziehen. Für mich als frankophilen Menschen ist die Stadt mit dem nahen Frankreich und dieser „Offenheit“ einfach wunderbar…“

Lotty, die Wirtin vom Torstübli kommt an den Tisch. Auch sie hat die beiden sofort ins Herz geschlossen: „Jetzt ist aber genug „Gschnörr“, Herrschaften - was wollt Ihr essen?!“

Puttaert wählt Spargeln mit Milken. Danach das legendäre Cordon bleu. Und schliesslich ein Beerenparfait mit Schokoladennougat:

„Also Süsses muss sein. Ich kann auf alles verzichten - aber nicht auf Süsses. Und schon gar nicht auf Schokolade. Das ist dann wohl der Belgier wie auch der Schweizer in mir…“

Dienstag, 10. Juni 2014