Peter Knogl, "Koch des Jahres 2015": «Ich trage meine Seele in den Augen»

Köche sind speziell. ES SIND SENSIBLE MIMOSEN.

Sie sind für die Umwelt nicht immer einfach zu verstehen.

Ihre Welt ist die Küche. Viel mehr hat daneben nicht mehr Platz. Denn Kochen ist ein Beruf für Freaks.

UND EINE RUNDUMBERUFUNG.

Spitzenköche sind noch spezieller. Es sind Primadonnen. Ihre Namen werden von Hand auf das weisse Jacket eingestickt. Später tauchen die Schriftzüge dann als mondäne Labels auf Essig­flaschen, Gewürzmischungen und Hausmacherpasteten auf.

Der Rhythmus eines Meisterkochs jagt immer auf 1000 und zurück. Ein Turboleben. Mit dem Kopf in der Sauce. Mit den Ganglien im Topf. Und mit der Angst im Nacken: Was bringen die nächsten Wertungen?

Wie viele Gault-Millau-Punkte?

Wie viele Sterne?

Im «Cheval Blanc» des Luxushotels Trois Rois in Basel (zwei Michelin-­Sterne, 19 Punkte) sitzen die Gäste vor gehämmertem Silberbesteck (selbst die Gabeln und Messer wurden hier als «gediegenstes Gedeck in der europäischen Esswelt» mit einer Medaille ausgezeichnet).

Die Tischtücher sind vom feinsten Stoff. Die Servietten von Hand rolliert. Und ihre Ringe funkeln makellos auf Hochglanz.

Dann natürlich: Rosen. Blutrote Rosen. Tag für Tag frisch gesteckt. Sie sind das blumige Label dieses ältesten Esssalons der Schweiz, in dem schon Napoleon den Rheinsalm verschlungen haben soll. Und die Rolling Stones das antike Mobiliar zu Percussion-Objekten umfunktionierten.

Die Tische stehen so vornehm weit auseinander, dass man «unter sich» weilt. Keiner der Plätze wird an einem Abend zweimal vergeben.

Entsprechend: complet!

In der Küche dirigiert der Chef seine Mannschaft wie ein Symphonieorchester. Er hat alle Fäden in der Hand, zieht die Register – lässt nichts auf die Gourmetbühne, das er nicht persönlich überprüft und abgesegnet hat.

Die Kellner – alles Fachleute, denen man keine Flunder für einen Barsch vormachen kann – warten geduldig, bis der Meister nickt: «Okay – und ab zum Gast!»

Das perfekte Zusammenspiel «Küche-Service» macht die grosse Oper.

«Ich bin der Bobfahrer – die andern schieben an!», sagt Peter Knogl später. «Wichtig ist die perfekte Fahrt – ohne Kanten. Ruhig. Und mit Spitzenresultat!»

Die Gäste kommen aus aller Welt. Knogl hat nun jeden Gang «draussen». Und macht die Honneurs. Etwas schüchtern vielleicht. Die Show liegt ihm nicht. Aber er weiss: Es ist wichtig – der Schlussvorhang nach dem grossen Theater, quasi: «Manchmal ist man mies drauf … etwas ist schiefgelaufen …Stress … da ist es schwer, mit einem Lächeln die Gäste zu begrüssen. Ich trage meine Seele in den Augen. Und kann mich nicht verstellen. Kellner sind da bessere Schauspieler…»

Eine Männerrunde erhebt sich, als der Chef in seiner blütenweissen Jacke an den Tisch kommt. (Weshalb haben die eigentlich nie Flecken drauf wie unsereiner schon nach zwei Spiegel­eiern? – Des Rätsels Lösung: «Wir wechseln die Jacke vor dem Auftritt im Restaurant.»)

Beim Männertisch handelt es sich um Japaner. Dreimal jährlich fliegen sie für Geschäfte in die Schweiz. Das Business findet in Zürich statt – gebucht haben sie aber in Basel. «Weil» – wie der Firmeninhaber einer japanischen Fischkette später erklärt – «wir hier in diesem Hotel zu Hause sind. Es ist ein Gefühl von Heimkommen, wenn wir bei Meister Knogl essen dürfen. Alles ist uns vertraut – und doch immer wieder neu. Seine Linie, sein Stil sind eben das, was den einmaligen Rahmen aus­machen…»

Knogl bedankt sich für das Kompliment. Und erklärt es so: «Es gibt Köche, die wollen ums Verrecken immer kreativ sein. Immer Neues. Immer noch Verrückteres. Sie werfen die alte Karte über den Haufen, um eine ‹nouvelle création› beim Gast auszuprobieren. Das macht ein Restaurant unruhig. Viele Gäste mögen das nicht.

Ein Chef sollte eine Menükarte subtil behandeln. Man muss sich da zurückstellen und nicht dem Wahn nachgeben: ‹He, schaut mal, was ich heute wieder alles Neues für euch zusammengetüftelt habe.› Solcher Irrsinn ist gefährlich. Und kann nicht schadlos überdauern. Meistens halten sich die Verrücktheiten auch nicht lange auf dem Teller. Und die Köche halten sich dann auch nicht mehr lange…»

Einwand: «Aber Sie bringen doch ebenfalls stets neue Gerichte!?»

«Klar, aber die werden langsam entwickelt. Man darf sich nicht dem Druck unterwerfen, nur der Kreativität wegen sofort neue Dinge auf die Karte zu setzen. Das muss heranreifen. Neue Kreationen, die mit den besten und bewährtesten Gängen, welche die Karte offeriert, nicht gleichziehen können, haben auf dem Menü nichts verloren.»

«Und neue Richtungen wie beispielshalber die Insektenküche? Schon mal ausprobiert?»

«Man muss nicht alles mitmachen. Man darf sich aber auch nicht verschliessen. Wichtig ist, seinen eigenen Weg zu finden…»

Er macht eine Pause: «… noch wichtiger als die Kreativität – wobei ein Spitzenkoch ja immer Neues ausprobiert. Nur muss er das ja nicht sofort auf die Leute loslassen – wichtiger also als die vielbesungene Kreativität ist der Stil. Man sollte langsam einen eigenen Kochton entwickeln – und man muss diesen Ton durchziehen … alles sollte auf einer Ebene sein: vom Entrée bis zum Dessert. DAS ist es, was die Spitzenküche ausmacht.»

In der internationalen Wertung der Schweizer Küche figuriert diejenige von Knogl unter den ersten drei. Seine ­Saucen wiederum gelten in Kritiker- und Gourmetkreisen als Offenbarung. Absolut top – auch im internationalen Ranking.

«Diese Kunst hat mir Heinz Winkler im ‹Tantris› beigebracht. Er zeigte mir, dass gutes Kochen eine Geduldssache ist – eine Sauce auf den Punkt zu bringen, ist sehr zeitraubend. Und braucht viel Konzentration. Man muss sie im richtigen Moment abholen.

Unsere Gerichte leben von diesen Saucen – sie sind die eigentliche Musik zur Aufführung…»

«Kann man so etwas vermitteln? Den Jungköchen beibringen?»

«Man kann die Ansätze dazu weitergeben – aber der Rest ist Begabung. Bauchgefühl – im wahrsten Sinne des Wortes. Man hats. Oder man hats nicht…»

Er ist in Niederbayern geboren: drei Brüder, eine Schwester. Das Leben hat sich in einem kleinen Dorf abgespielt – nahe der tschechischen Grenze:

«Wir hatten einen kleinen Bauernhof. Und einen Forstbetrieb. Also hiess es schon sehr früh: Arbeiten. Viel arbeiten. Ich verbrachte als Kind die meiste Zeit bei den ‹Viechern› im Stall. Beim Melken. Oder dann beim Holzen im Wald. Dieses frühe Leben in der Natur hat mich geprägt. Auch die Küche. Sie war einfach. Aber Büchsenkost gabs nie. Alles frisch aus dem Garten… und vom Hof…»

Seine Grossmutter führte einen kleinen Gasthof: «Da habe ich ihr schon als kleiner Bub beim Kochen zugeschaut. Einfache Kocherei natürlich. Aber wunderbar – es gab Dinge, die viel Zeit brauchten. Doch Zeit spielte damals keine Rolle. Die Küche war ein Schmelztiegel aus österreichischen, tschechischen und bayrischen Rezepten. In Basel ist es ja ähnlich mit der Dreiländersituation – nur kommt hier die französische Note noch dazu. Das macht es ganz speziell…»

Als Bub schon war ihm klar: «…ich werde mal Koch… aber natürlich hätte ich selbst in den kühnsten Träumen nie nach den Sternen greifen wollen. Das kam später…»

Nach der Lehre gings steil gastrohimmelwärts, dorthin, wo die Küchen­sterne funkelten. Damals war Frankreich das Mekka der Cuisiniers: «Also fuhr ich nach Nizza und wurde gleich im legendären ‹Negresco› an den Herd gestellt…»

Die Sterneköche gaben ihn weiter … von Spitzenadresse zu Spitzenadresse. In London kochte er im «Le Saveur». Dann führte Knogel in Marbella das legendäre «Las Dunas» auf Sternekurs – und schliesslich holte er sich beim 3-Sterne-Meister Winkler in München den grossen Schliff. Im «Le Mirador» oberhalb von Vevey stieg dann zum ersten Mal für den Niederbayern ein Schweizer Michelin-Stern auf. Das war 2008:

«Thomas Straumann holte mich daraufhin nach Basel ins ‹Trois Rois›. Das war natürlich eine Herausforderung … ein grosses Haus. Alles frisch und neu restauriert. Ich roch nicht nur die frische Farbe und das neue Holz – ich roch auch die hohen Erwartungen, die da in mich gesetzt wurden…»

Aber Knogl kann mit Erwartungsdruck umgehen: 2009 bekam er von Gault Millau 18 Punkte. Dann von Michelin den zweiten Stern – 2011 wurde er Koch des Jahres. Und 2015 mit 19 Gault-Millau-Punkten gleich ein zweites Mal. Nun gehört er zur absoluten Spitze der Schweizer Gastronomie.

Natürlich stellt jeder die Frage: «Und der dritte Stern?»

Er ist da weise: «Wir kochen in erster Linie für unsere Gäste. Sie sind unsere Sterne. Natürlich wäre der dritte Stern wunderbar. Aber wir müssen realistisch bleiben. Die Küche ist klein – wir können nichts erzwingen. Doch wir haben ein super Team. Und dürfen träumen…»

«Dennoch sind drei Sterne für einen Hotelkoch eher unüblich…»

«Nun, trendmässig geht der dritte Stern heute eher wieder in die Hotel­küche. Das hat finanzielle Gründe. Ein Restaurant kann im Alleingang die Kosten, die so ein Dreisternelokal mit sich bringt, kaum mehr stemmen. Da braucht es schon einen Sponsoren. Oder ein Hotel, das die ‹Haushaltskosten› quersubventioniert.»

«Sie sind der Steuermann – sowohl der Service wie auch die Sommeliers sind unter Ihrer Ägide…»

«…das ist wichtig. Einer muss der Chef sein, der Kapitän, der das Schiff klar steuert. Mehrere Kapitäne bringen nur einen unruhigen Kurs.

Natürlich sind gute Weine heute angesagt. Sie werden in einem Gourmetbetrieb immer noch wichtiger. Aber man muss aufpassen, dass das Essen nicht durch zu viel Weinspektakel dominiert oder gar versaut wird. Da habe ich ein Auge drauf. Und einen wunderbaren Sommelier-Chef, mit dem ich mich immer wieder abspreche…»

«Was empfehlen Sie als Apéro-Getränk?»

«Ein Champagner ist immer richtig. Er putscht die Geschmacksnerven auf.»

Morgens steht Knogl bereits um neun Uhr in der Küche: «… auch früher, wenn Hochbetrieb ist … das ist es bei uns praktisch immer. Abends komme ich gegen Mitternacht heraus. An den freien Tagen besuche ich mit meiner Freundin die Kochkollegen, um mich mit ihnen auszutauschen. Und um Neues kennenzulernen – das ist wichtig!»

«Geht da das soziale Leben nicht total vor den Hund?»

«Das ist der Preis. Köche haben die grösste Scheidungsrate – ist ja klar. Welcher Partner macht so etwas mit?»

«Ihre Partnerin!»

Er lacht: «Ja. Gottlob. Sie ist Holländerin. Und versteht viel vom Essen. Sie hat mir auch aufgezeigt, dass die skandinavischen Länder punkto Spitzenküche unglaubliche Fortschritte gemacht haben. Hier sind die kommenden grossen Meister daheim…»

«Und wo haben Sie bis heute am besten gegessen?»

«In San Sebastian. Tokio und Holland…»

«Basel?»

«Wir leben hier in einer der interessantesten Ess-Regionen der Schweiz – drei Länder. Und alle drei mit unglaublich vielen Spitzenrestaurants im Umkreis von 60 Kilometern. Die grosse Vielfalt an Spitzenköchen rundum bringt den Baslern eine immens bunte Palette an Haute Cuisine.»

«Zu Hause? Kochen Sie da auch?»

«Nein – das besorgt meine Freundin. Ich wasche nicht einmal ab. Ich bin dann einfach fix und fertig und regeneriere, indem ich mich verwöhnen lasse…»

Der Gourmettempel leert sich. Peter Knogl verabschiedet eine weitere Runde Gäste: «Ich bin nicht der Showman, den man heute eigentlich in der Spitzen­küche erwartet. Es fällt mir immer noch ein bisschen schwer, die Honneurs zu machen … aber wenn dann einer sagt: ‹Also es war einfach ein Erlebnis…› – so wärmen diese Worte die Seele wie ein guter Wein. Es macht mir dann doch den Tag…»

Und der ist bei Peter Knogl lang.

Samstag, 8. August 2015