s Chuchichäschtli: «Mein lieber Piefke…»

Matthias Kaiser & Chris Fankhauser - Foto: chuchichaeschtli.de

Wo möchtet ihr essen?

Die Stimme am Telefon zögert. Dann gibt sie sich einen Ruck: «Also wenn wir schon einmal die Gelegenheit haben, das ‹Adlon› von innen sehen zu können…»

Im «Adlon» also. Mittagessen.

«…und keinen Happen Schweizerisches. Das haben wir hier im Kiez jeden Tag!»

Kiez ist Quartier. So viel Berlinerisch muss sein – auch wenn die Schnauze aus dem Solothurnischen kommt.

Es waren zwei Schweiz-Berliner, die mich auf die beiden Burschen in Berlin-­Wilmersdorf aufmerksam gemacht haben: «Die musst du einfach besuchen», paukte mir Ex-Botschafter ­Thomas Borer bei einem Nachtessen ein, «das ist eine helvetische Miniinsel: Schweizerkreuze rund um den Berliner Bären…»

Und Jennifer Mulinde, die schwarze Heidi, sperrte die Augen gross auf. «Was? Du kennst die nicht? Also, d a s ist wirklich eine Geschichte. Die sind in Berlin mehr Schweiz als alles Handgeschnitzte in Brienz…»

Ein Männerpaar also, das den Schweizer Pass trägt. Und Berlin rockt. Dies alles mit einem Laden, den sie «Chuchichäschtli» nennen – allerdings mit deutscher Ergänzung neben dem Chäschtli: kleiner Küchenschrank.

Im «Adlon» essen sich Chris Fankhauser und Matthias Kaiser tapfer durch die Menükarte: «Wenn schon, denn schon – Diät ist morgen…»

Chuchichäschtli?

Weshalb dieser hirnverrückte Name, den eine pfeffrige Berliner Schnauze doch nie ausspucken kann?

«Also, wir verkaufen Dinge, die jeder Schweizer in seinem ‹Chuchi­chäschtli› daheim findet – Dinge zum Kochen. Dinge zum Essen. Dinge des schweizerischen Küchenalltags. Und was würde da besser passen als dieses typischste aller Schweizer Worte, das die ganze Chose zusammenhält: Chuchichäschtli.»

Natürlich können es die meisten nicht aussprechen. Aber die Berliner wissen sofort, was gemeint ist. Und übersetzen dann. «Ach, du meinst die beiden Schokoladen-Schweizer…?»

Das mit den beiden Schweizern stimmt nicht so ganz. Nur Chris Fankhauser ist in Helvetien aufgewachsen:

«Ich bin in Grenchen geboren. Ganz normales Leben… Kantonsschule Solothurn. Dann Handelsschule – das nennen sie jetzt Fachhochschule – in Olten. Und schliesslich den ersten Job im City Disc in Allschwil…»

Er grinst. «Ich hatte damals eine Wohnung in Basel – und so richtig die Freiheit genossen. Weg von daheim – die Post ging ab. Du kennst ja dieses Lied.»

Okay. Kenne ich.

Und was ist mit Freund Matthias?

Der stopft sich zum Dessert eine Crema catalana rein und verdreht die Augen: «Also ich bin ein richtiges Landei. Mit deutschem Pass. Aber auch mit dem ewigen Hang zur Schweiz…»

Matthias ist in der Basler Region aufgewachsen: «In Waldshut. Mein Vater war Bauer und Jäger. Die Kaninchen hingen abgezogen vom Fell wie Fledermäuse herum. Und abgeschossene Rehe schauten mich jeweils anklagend mit ihren glasigen Augen an. DESHALB: BITTE KEIN WILD. Ich esse nichts Abgeschossenes mehr. Und auch keine Hasen, denen man das Fell über die Ohren gezogen hat…»

Matthias wurde Briefträger. Lernte vor bald einmal 18 Jahren Chris ­kennen: «…und unser gemeinsamer Traum war Berlin. Es zog uns an Urlaubstagen immer wieder hierher. Das Leben war da irgendwie freier, unkomplizierter, eben auch ‹grösser›… kann man doch so sagen? Alles schien hier für einen jungen Geist möglich.

Wir mieteten jedenfalls eine Wohnung. So wie andere ein Chalet in den Bergen mieten, hatten wir eben unsere Berliner Kemenate…»

Chris unterbricht:

«Also … mittlerweile waren wir ja auch zusammengezogen. Und lebten in Zürich. Aber erst wenn mal einer in einer wirklichen Grossstadt gelebt hat, merkt er, wie klein Zürich ist. Er atmet dann die Enge unsere Schweiz. Diese Enge kann auch Positives haben: Sie umarmt dich, gibt dir Schutz, schenkt dir Sicherheit. Uns aber haute sie stets auf. Wir brauchten mehr Raum, mehr Weite, um besser atmen zu ­können…»

Die eigentliche Berlin-Idee kam ihnen dann während einer ihrer «Ferien­aufenthalte» in der deutschen Kapitale auf dem Nollendorfplatz.

Sie hockten vor einem Eisbecher in einem Café. Und waren frustriert: Freunde von ihnen hatten sie immer wieder gelöchert, einmal richtig Schweizerisch zu kochen. Fondue, Bratwürste… einfach etwas Typisches. Und nirgendwo in diesem grossen Berlin, ja, nicht einmal im legendären KdW, haben sie die richtigen Zutaten für ein Schweizer Gericht finden ­können.

Nach der zweiten Eisbecherkugel war es dann Matthias, der plötzlich aufsprang: «ABER HALLO – DAS IST ES! WIR KOMMEN HIERHER. UND ERÖFFNEN EIN GESCHÄFT MIT SCHWEIZER PRODUKTEN!»

Das war der Anfang. Also suchten sie zuerst nach einem geeigneten Geschäft: «Jemand erzählte uns, dass in Berlin-­Charlottenburg an der Holsteinischen Strasse eine Wahrsagerin ihr Studio aufgeben würde.

Also fuhren wir hin.

Wir waren sofort in das Quartier verliebt. Ein bisschen ‹gutbürgerlich›. Aber eben doch ‹berlinerisch offen›.

Vermutlich war die Wahrsagerin eine Pfeife – sonst hätte sie ja ihr ‹Aus› vorausgesehen. Aber für uns prophezeite sie eine rosige Zukunft. Und da haben wir unterschrieben …»

So einfach war es zu Beginn allerdings nicht. Auch in Berlin mahlen die Mühlen langsam. Und es galt einiges abzuklären.

Matthias, der schon seinen Briefträger-­Beamtenstatus aufgegeben hatte, um zu Chris in die Schweiz zu ­ziehen, gab nun auch einen guten Job ­in Zürich auf. Und sondierte in Berlin ­mal vor.

Chris hielt in der Schweiz die Stellung – und den sichern Lohn: «Das erste Jahr pendelte ich einfach hin und her, aber langsam wurde unser Traum wahr. Und wir füllten unser ‹Chuchichäschtli› mit all diesen Produkten, die für unser Land typisch sind: von der Fondue­mischung über den Landjäger bis hin zu Appenzeller Hosenträgern, dem Militär-­Sackmesser und dem Basler Klöpfer.»

Die beiden Burschen setzten vor allem auf das Original:

«Wir führen nur Dinge, die auch wirklich in der Schweiz hergestellt werden. Keine Lizenzprodukte. Eine Schweizer Toblerone, die aus den Bergen kommt, schmeckt anders, als eine, die im Ausland in Lizenz fabriziert wird. Genauso ist es mit der Ovomaltine, mit der Thomy-Mayonnaise oder mit der St. Galler Bratwurst. Man kann das nicht kopieren. Der Feinschmecker merkt sofort den Unterschied. Deshalb kommt er zu uns. Und kauft das Original – auch wenn es etwas teurer ist!»

Chris führt es näher aus: «In Berlin leben 19 000 Schweizer. Das ist fast schon eine kleine Stadt. Und da hat jeder mal einen Moment Lust auf seine Heimat. Esslust. Denn Heimat wird meistens zuerst über das Essen definiert. Wir führen Schweizer Milch, haben Appenzeller Bier und lassen gar die Berliner Brötchen ganz dunkel backen, damit sie zu ‹Büürli› werden…»

Matthias lacht:

«Das war an einem Empfang in der Botschaft. Sie bestellten Bratwürste. Und Büürli. Wir prügelten unsern Bäcker, er möge für einmal seine Bäckerehre fahren und die Brötchen nach guter Schweizer Art knusprig schwarz anbrennen lassen. Nur so seien es richtige Büürli. Später hat er uns informiert: ‹Die angekohlten Brötchen sind ein Renner. Alle meine Kunden wollen nur noch Brot nach Schweizer Art…›»

Der eigentliche Clou und Durchbruch begann dann am 1. August vor sechs Jahren:

«Die Botschaft gab auf ihrer Website bekannt, es gebe keine 1.-August-Feier. Das waren Sparmassnahmen oder sonst etwas… Jedenfalls haben wir nicht lange gefackelt. Und uns gesagt: Dann feiern wir eben hier!»

Die beiden Chuchichäschtler informierten die Nachbarschaft: Es gebe eine Fete. Zum Schweizer Nationalfeiertag. Jeder sei herzlich willkommen.

Die zwei Männer schleppten drei Tische vor ihren Laden. Warfen den Grill an. Und buckelten 20 Stühle darum herum.

Die Wahrsagerin war der erste Gast: «Ich habe es in den Karten gesehen – ETWAS GIGANTISCHES WIRD GESCHEHEN!»

Die Botschaft wiederum hatte auf der Website eine kleine Notiz zu diesem Event veröffentlicht – drei Zeilen nur. Aber es reichte.

Chris lacht laut heraus:

«Mir läuft es heute noch kalt den Rücken runter, wenn ich daran denke: Zwei Tische, 30 Bratwürste, 20 Stühle und ein Fass Bier – aber plötzlich waren da über tausend Menschen in unserer kleinen Strasse. Und es wurden immer mehr. Die Anwohner brachten nun selber Stühle und Tische auf die Strasse. Und los ging die Jause!»

Seit jenem 1. August ist der Schweizer Nationalfeiertag auch das Kiez-Fest der Holsteinischen Strasse in Berlin.

Heute zählt man gut 5000 Leute. Alphörner werden geblasen. Trachtengruppen tanzen. Und die St. Galler Bratwürste knallen mit dem Feuerwerk um die Wette: «Es ist ein riesiger Event geworden. Selbst das Berliner Fernsehen hat live übertragen – und dieses Jahr wird auch unsere Botschafterin hier im Kiez eine Rede halten…»

Eigentlich ist es doch verrückt, dass gerade die trockene Schweiz das festverwöhnte Berlin aufmischt?

Chris Fankhauser schüttelt den Kopf. «In Berlin hat die Schweiz nicht das Etikett von provinziell, still und spröde. Die Feste von Borer sind noch allen ein Begriff. Er war ein guter Botschafter Helvetiens… er hat die Schweiz als fröhliches, humorvolles und liebenswertes Land inszeniert. Das steckt auch heute noch in vielen Berliner Köpfen…»

Was denken die Berliner denn so über unser Land… was bekommt ihr da zu hören?

«Mein lieber Piefke… wir haben ja mindestens ebenso viele deutsche Kunden wie Schweizer. Seis hier im Laden. Oder im Online-Shop. Die Berliner halten die Schweiz für etwas exotisch. Die sehen uns als niedliches, kleines Ländchen, in dem alles wunderbar läuft.

Wenn wir darauf hinweisen, dass auch bei uns öfters mal etwas aus dem Ruder geht, lächeln die Berliner nur milde: ‹Ach Gottchen, das sind doch nur winzige Probleme… das ist Gejammer auf sehr hohem Niveau…›»

Längst ist das kleine Chuchichäschtli ein Bestandteil Berlins – und wohl auch nicht mehr aus dem Kiez von Wilmersdorf wegzudenken.

«Das grosse Geld» können die beiden Chäschtlianer mit dieser Institution nicht machen – die Rendite ist zu klein, auch wenn man über den Onlineshop gut im Geschäft ist.

«Es geht auch gar nicht ums Geld… es geht darum, dass wir einen Traum leben. Und uns einen Wunsch erfüllt haben. So machen wir nicht nur andere, sondern auch uns selber glücklich…»

Und die Schweiz? Vergessen?

Chris überlegt: «Wie kann man die Schweiz vergessen, wenn man jeden Tag mit ihren Produkten lebt? Nein. Es gibt viele Eidgenossen, die den Kopf schütteln: Das hier sei ja schon fast faschistischer Patriotismus.

Aber würde ein Patriot von daheim weggehen wollen ? Wohl kaum.

Die Schweiz ist meine Heimat… aber daheim fühle ich mich in Berlin!»

Sagts. Und geht sofort hinter die Ladentheke, weil eben eine Kundin das Geschäft betreten hat. «Sagen Sie mal, führen Sie auch diesen Käse von den drei seltsamen Trachtenmännern, die das Rezept ums Verrecken keinem verraten wollen…?»

Chuchichäschtli-Jungs:

Sie mögen:
Gummibärchen, Hertha BSC und Basler Klöpfer
Sie mögen nicht:
Berliner Winter, Lakritze und Hasenbraten

Foto: chuchichaeschtli.de

Samstag, 6. Mai 2017