Die Reiseführerin

Lore wartete.

Ihr Leben bestand nur aus Warten.

Sie hatte auf die grosse Liebe gewartet.

Dann auf ein Kind.

Und immer wieder wartete sie bei den ARRIVI des Römer Flughafens Fiumincino auf den Swiss-Flug von Zürich.

Lores Finger hielten einen Karton: «LIMMAT ­TOURIST».

Seit bald 30 Jahren holte sie für den Reiseunternehmer Touristengruppen ab.

Erschienen am: 
Montag, 28. September 2015

Sessellift

«Dös Frauerl schpinnt!» – Toni, der Billeteur an der Talstation zum Südtiroler Vigiljoch, brüllte in sein Funkgerät: «Lass-sy aifoch wider runter!»

Der Mann, der den Touristen auf den etwas arg schaukelnden Sessellift half, hatte bei Kunigunda den gelben Knopf gedrückt. Sofort verlangsamte sich die Spule mit dem Drahtseil. Und «grazie», nickte Kunigunda. Dann in astreinem Deutsch. «Das wäre nicht nötig gewesen – so alt bin ich noch nicht…»

Erschienen am: 
Montag, 21. September 2015

Vom Sportstag und dem Streichresultat

Illustration: Rebekka Heeb

Es gab zwei Tage im Schuljahr, die ich hasste: den Wandertag. Und den Sportstag.

Heute macht alles ein Riesentheater um Sport. Er sei gesund. Und helfe, die Menschen länger leben zu lassen.

ABER WOLLEN WIR DAS?

Eine AHV-Herde von bretterflachen Rucksackwanderern?

Noch schlimmer: die lustige Oldie-Gruppe mit Fahrrad, Schildmütze (verkehrt rum) und 23 Schrittmachern. IST ES DAS, WAS WIR UNS KURZ VOR DEM GRABSTEIN AUSMALEN?

Erschienen am: 
Dienstag, 15. September 2015

Dialektik

Hubert raschelte energisch mit der Zeitung. «Hildi.» «HILDI!» Keine Antwort.

Dann: «HILDEGARD!»

Man hörte das Klappern von Tellern. Schliesslich hagelte es gereizte Schimpfwörter, die Hubert jedoch nicht vernehmen kann. Die Wellen seines Hörapparates reichen nicht bis in die Küche.

Besser so.

Hildi baut sich nun mit funkelnden Augen beim Esstisch auf: «WAS SCHREIST DU SO HERUM – WAS IST LOS?!» Stille.

Dann vorwurfsvoll: «Es hat keine Aprikosen­konfitüre mehr...». MITTELSCHWERE KRISE.

Erschienen am: 
Montag, 14. September 2015

Von einer kleinkindernagelgrossen Schachtel und Erstzähnen…

Illustration: Rebekka Heeb

Mein erster Zahn kam in die rosa Schachtel. Nun ja – das war so eine Mini-Box, in der mein guter Vater meiner Mutter Schmuck geschenkt hat. Mit einem Trämlerlohn lag nicht viel drin – sowohl in der Schachtel. Als auch so.

Hier wars ein Kleeblatt-Anhänger. Das Schmuckstück war kaum kleinkinderfingernagelgross (WAS FÜR EIN RIESIGES WORT FÜR EINE WINZIGE SACHE – ES KÖNNTE FÜR POLITISCHEN GEIST STEHEN!). Und es war auf hauchzarter Watte in der Farbe eines Pink Panthers gebettet.

Erschienen am: 
Dienstag, 8. September 2015

Couture «Daisy»

Lucie schaute ihn mit ihren grossen Augen an. Sie wusste: Damit hatte sie Kurt an der Angel: «ICH HABE NICHTS ANZUZIEHEN, KURT!»

Kleiner Discours vor dem Hotelkasten: «…und das! … und das! …und das war doch gerade eben… und…»

«Kurt!» – WIEDER DER BLICK, «morgen gehen wir…»

Er winkte ab: «Ohne mich!»

Sie küsste ihn auf die Nase: «Aber ohne dich macht das Kleider aussuchen in der grossen Stadt keinen Spass, Pummelbärchen!»

GESCHMOLZEN.

Kurt war ein tropfendes Stück Wachs unter ihren Augen.

Erschienen am: 
Montag, 7. September 2015

Dody Staehelin: «…und jammern hilft ja eh nix!»

Der Portier des Wiener Hotels Sacher blinzelt über den Brillenrand. Dann macht er Männchen: «Die gnädige Frau ist noch nicht eingetroffen… aber SIE kommt bestimmt sofort…»

Er beugt sich vor. Und vermeldet vertraulich: «SIE ist noch eine dieser letzten echten Damen. Mit Disziplin. Und mit der Pünktlichkeit einer Schweizer Uhr…»

Ich warte im grossen Salon. Als ich Dody Staehelin das «Sacher» vorschlug, sagte sie nur: «Fein. Auf dem roten Plüsch können wir ungestört plaudern…»

Ungestört?

Erschienen am: 
Samstag, 5. September 2015

Von einem verwechselten Koffer und Faltencreme

Illustration: Rebekka Heeb

Der Kofferschlepper sah aus, als käme er aus der Operette: «Dorf y auspacken?»

Nun. Ich bin ja nicht so. Aber diese Direktanmache treibt unsereinem auch mit 68 Jahren noch die Röte eines Löschhydranten in die Birne. «Ich weiss nicht recht …», stammle ich.

Jetzt hat der Mann auch schon den Koffer geöffnet. Hängt die zwei Kittel in den Kasten. Zwingt meine Hose an Bügelklammern. Reiht Hemden in Schubladen ein. Und lächelt etwas verwegen: «Den Rest loss y drinni.»

Erschienen am: 
Dienstag, 1. September 2015

Pommes frites

Bärbel freute sich.

Neue Küche. Neuer Ofen. Und vor allem: neuer Herd.

Dem Glück war eine lodernde Fritten-Pfanne ­vorausgegangen.

Hans hatte sich wieder mal Pommes frites gewünscht: «Aber richtige. Nicht dieser ­tiefgekühlte Mist. Handgeschnitten. Keinenfalls zu dünn. Und im Ölbad zwei Mal eingetaucht. So wie sie Mutti früher gemacht hat...»

Erschienen am: 
Montag, 31. August 2015

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