Die Briefe

Mimmis Puls klopfte.
Sie war jetzt 91 – Treppensteigen war in diesem Alter keine Zuckerwatte.
Im Estrich tanzte der Staub durchs Sonnenlicht.
Mimmi schnupperte.
Estriche schmeckten alle gleich – nach Teppichen, die eingerollt vermoderten. Nach Mottenkugeln und Kleidern in vergammelten Koffern – NACH ALL DEM ABGELEGTEN EINES LEBENS, DAS MAN VOR-ENTSORGTE.
Bei den meisten Dingen hatten die Leute Hemmungen, sie direkt wegzuwerfen: «Das können wir eventuell noch gebrauchen …»

Erschienen am: 
Freitag, 9. November 2018

Vom roten Täschlein und seiner Geschichte

Illustration: Rebekka Heeb

Vielen geht mein Sack auf den Sack: «…das ist so was von pervers!»

Auf Facebook hat eine Dreckschleuder gepostet: «Kann einer so peinlich herumlaufen?!»

JAWOLLLL!

Und: NEIN!

DEN CHIC DER ROTEN TASCHE LASSE ICH MIR NICHT SCHLECHTREDEN!

Eigentlich ist es nicht mehr als ein schreiend scharlachfarbener Papiersack. Mit schwarzen Handkordeln. Und dem Namenszug. Ebenfalls schwarz.

Erschienen am: 
Dienstag, 6. November 2018

Gin and Tonic

Er kam mit Rosen.

Das tat Max nie.

Also büschelte Leonie die Blumen leicht irritiert in die Vase.

Max bereitete mittlerweile das Happy-Hour-Gesöff des Tages zu.

Es war Gin Tonic.

Es war immer Gin Tonic.

Als er ihr vor drei Jahren zaghaft vorschlagen wollte: «Vielleicht sollten wir auch auf diesen SPRITZ umsteigen. Alles spritzt jetzt…» – Also, da hatte Leonie ihm zugelächelt: «Aber Max – wir mixen uns seit 30 Jahren Gin Tonic. Weshalb sollen wir etwas Neues anfangen?»

Erschienen am: 
Freitag, 2. November 2018

Manschettenknöpfe

«Ich kann dir mein Gucci-Kleidchen ausleihen...» – LILLI SCHAUTE IHRE COUSINE AN. Und was sie sah, gefiel ihr gar nicht.

Natürlich konnte sie Hanni nicht einfach von der Liste streichen. Sie gehörte zur Familie. Und deshalb an die Hochzeitsfeier. ABER VERDAMMT NOCH MAL, DIESER MÜDE BESEN KÖNNTE SICH DOCH ETWAS MODISCHER AUFPEPPEN. Dann: «Rolf kommt. Er ist Cédrics bester Freund ...UND ER IST DEIN TISCHNACHBAR, HANNI.» «Ach ja?» – Hanni war nicht an Rolf interessiert. Sie wollte jetzt heim. Der Hund musste raus.

Erschienen am: 
Freitag, 26. Oktober 2018

Von der Erbschaft und einem stinkigen Notarzimmer

Illustration: Rebekka Heeb

Der Anwalt war klein.

Schmuddelig.

Und er hatte gelbe Raucherzähne.

ICH HASSE GELBE RAUCHERZÄHNE.

O.k. – nichts gegen das Zigarrenpaffen.

DAS GILBT ARG.

Aber immerhin hat uns die Putzmittelindustrie Pasten entwickelt, die das Gelb rauszwingen. Und der Schaufel wieder das Blütenweiss einer unschuldigen Schneeanemone reinzwingen.

NICHTS VON ALLEDEM BEI DIESEM NOTAR MIT SEINEM LÄCHELN, DAS SO TRÜB WAR WIE UNGEPUTZTE KLOSCHEIBEN IM UNTERSUCHUNGSGEFÄNGNIS.

Erschienen am: 
Dienstag, 23. Oktober 2018

Speisesaal

Sergio beobachtete das alte Paar unauffällig.

Die beiden rührten ihn. Jeden Morgen begleitete die Frau ihren Gatten in den Speisesaal.

Wollte sie ihm den Arm geben, wurde er ungehalten: «Das kann ich gut alleine…»

SERGIO KAM AN IHREN TISCH: «GUTEN MORGEN – WIE IMMER?».

Beide schauten freundlich. Nickten synchron: «Wie immer, Herr Sergio – danke!».

Sie tauchten im Herbst auf. Und sie blieben bis zum ersten Schnee.

Erschienen am: 
Freitag, 19. Oktober 2018

Vom falschen Chauffeur in Meran und Anmache…

Illustration: Rebekka Heeb

«ACH, D E R? DER IST NUR DER CHAUFFEUR…»

Aber hallo! Ich glaube, ich träume!

Innocent lümmelt in der vornehmen Bar unseres noch vornehmeren Hotels in Meran. Er hat den Gehstock hinter dem Brokatvorhang versteckt und macht auf lässig:

«Was macht so eine schöne Frau wie Sie alleine an diesem Ort der abgewrackten Geister?»

Die «schöne Frau» ist satt gestrafft. Üppig gekleistert. Und mit Frau Ardens Abdeckfarben übermalt.

Erschienen am: 
Dienstag, 16. Oktober 2018

Regenbogen

Erna betrachtete die Frau.

Dann schloss sie ihr die Augen. Und strich nochmals die welken Wangen von Frau Matter.

Schliesslich ging sie in die Stube des grossen Hauses.

Die Tochter sprang nervös vom Stuhl auf: «Und?»

Erna nickte müde: «Sie ist über den Regenbogen...».

Die Tochter weinte ein bisschen: «...Irgendwie ist es eine Erleichterung!»

Erschienen am: 
Freitag, 12. Oktober 2018

Von dicken Lippen und Wespenstichen

Illustration: Rebekka Heeb

«SCHNAUSILEIN – KAFFEE FERTIG!»

Das bin ich auch.

Besonders wenn er das Süsswort «Schnausilein» ins Vokabular nimmt.

«SCHNAUSILEIN» IST MITTLERWEILE NÄMLICH 72, STARK ÜBERGEWICHTIG. UND SCHNAUST SCHON LÄNGST NICHT MEHR.

Es frisst wie zehn Milchkühe!

Geschnaust hat es vor 50 Jahren. Und so getan, als könnte es kein Küchlein anrühren …

HEUTE: REIN IN DIE FRESSE! UND AB AUF DIE HÜFTEN!

Deshalb: «Gibts keine frischen Gipfel?»

Erschienen am: 
Dienstag, 9. Oktober 2018

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