Vom roten Täschlein und seiner Geschichte

Illustration: Rebekka Heeb

Vielen geht mein Sack auf den Sack: «…das ist so was von pervers!»

Auf Facebook hat eine Dreckschleuder gepostet: «Kann einer so peinlich herumlaufen?!»

JAWOLLLL!

Und: NEIN!

DEN CHIC DER ROTEN TASCHE LASSE ICH MIR NICHT SCHLECHTREDEN!

Eigentlich ist es nicht mehr als ein schreiend scharlachfarbener Papiersack. Mit schwarzen Handkordeln. Und dem Namenszug. Ebenfalls schwarz.

Darunter steht noch handgeschrieben: «Basel/Rom». Ganz einfach weil ich so etwas irre chic fand. Und natürlich auch um mit meinem Doppel-Domizil in Fettdruck anzugeben.

ET VOILÀ – FERTIG!

Bei Saks in New York bin ich auf die Sack-Sache gekommen.

MEINE MUTTER KAUFTE DORT AN DER 5TH AVENUE HANDSCHUHE. UND MEIN VATER TOBTE: «DU HAST DREI SCHUBLADEN VOLL DAVON!»

Hatte sie.

Aber es ging ihr keine Sekunde um die Handschuhe. Die waren zwar nett. Und in der seltenen Farbe von verwaschener Aubergine.

WAS IHR JEDOCH VIEL WICHTIGER WAR: DER SACK VON SAKS.

Der funkelte (damals) in einem zarten Hochglanz-Himmelblau. Und trug das Logo des Kaufhauses.

Mutter schaute Vater triumphierend an, als sie die Handschuhe zuerst in eine Schachtel gelegt und mit Seidenpapier ausgefüttert bekam.

Die Schachtel wurde in eine der berühmten Saks-Tragetaschen gebettet. Und: «… HANS, das ist besser als jeder lederne Hermèss-Sack, für den ein liebender Ehemann 3000 Eier hinlegt! Kannst du dir vorstellen, wie Milly und die andern hyperventilieren, wenn ich beim nächsten Bridge mit diesem Täschlein aufkreuze?»

TATSÄCHLICH GERIETEN MILLY UND DIE ANDERN SO WAS VON AUS DEM HÄUSCHEN: «Weshalb hast du uns nicht auch so einen Sack mitgebracht? Die Freiheitsstatue als Korkenöffner ist nett gemeint, aber SAKS! Ach Lotti, wir beneiden dich.»

Der Neid ging so weit, dass die Bridge-Damen beschlossen, den nächsten Club-Ausflug statt nach Interlaken zum Golden Apple zu verlegen. Sie alle kauften dann bei Saks Handschuhe. Und kamen mit dem Papier-Täschlein aus der grossen Welt in die kleine Alltäglichkeit des helvetischen Lebens zurück.

ABER HALLO – DA HAT ES BEI MIR DANN AUCH «HALLO» GEMACHT!

«Ich brauche einen eigenen Sack!» – verkündete ich nach einem stressigen Messe-Tag meinem wunderbaren Freund. Innocent drehte eben die Wiener Schnitzel in der Pfanne.

Unsere Nachtessen bestanden während der stressigen Messe-Zeit stets aus Wiener Schnitzeln. Eigentlich waren es nicht die richtigen vom Kalb. Aus Sparsamkeitsgründen nahm Innocent die Sau zur Hand. Er liess sich vom Metzger «Zimmerli» Stücke schneiden. Und schlug die mit einem Klopfer so breit, dass die Nachbarn wütend an die Wände hämmerten.

DAS SCHNITZEL WAR JETZT ZARTDÜNN WIE EIN LAUFSTEG-MODEL BEI FRAU KLUM.

«Wir haben kein Geld für teure Papiertragtaschen. Dein alter Sack genügt.» So weit Innocent.

TATSÄCHLICH HATTE ER FÜR MICH AUS EINEM GROSSMETZGEREI-KONKURS ZWEI RIESIGE POSTEN TRAGTÜTEN MIT DER AUFSCHRIFT «SCHWEIN IST FEIN!» PREISWERT ERSTEHEN KÖNNEN: 1 Centime pro Sack! Und es waren 30 000 Säcke. Dies zwei Mal!

Von der wurstbraunen Tragtasche lachte eine Sau. DAS KONNTE FÜR WEIHNACHTSKUGELN NICHT DIE RICHTIGE VERPACKUNG SEIN!

«Nächstes Jahr ist Schluss mit der Sauerei!», gab ich den neuen Tarif durch. «ICH WERDE EINEN EIGENEN SACK ENTWERFEN… M E I N E N SACK.»

Es gab dann die übliche Diskussion: «…und wer soll das bezahlen, wo dein Herbstmesse-Stand-Spleen uns schon so jedes Jahr an den Rand des Ruins bringt!» DAS WAR DAS LAMENTO MEINES ALTEN SACKS NEBEN DEN WIENER SCHNITZELN.

Die gute Tante Gertrude sprang dann ein: «Ich weiss eh nie, was ich dir zu Weihnachten schenken soll… und immer diese rosa Schals stricken… da bin ich jetzt zu alt für. Ich bezahle die Säcke. Es geht dann einfach vom Erbe ab.»

ALSO – DAS WAR DOCH SCHON ETWAS.

ES GALT NUN NUR NOCH EINEN GEILEN SACK ZU ENTWERFEN. UND DAS GEILSTE WAR NATÜRLICH DIE FARBE: ROT.

Ich ging nach Rheinfelden zum Papierhof. Erklärte denen mein Anliegen. Und schon lief die Sache auf Vollglanz: rote Fläche. Schwarze Unterschrift. Und alles in ziemlich hartem Papier, damit die Weihnachtskugeln im Sack nicht gleich bei der nächsten Botschauteli-Fahrt zu Scherben gemüllt wurden.

ALS MEINE TANTE GERTRUDE AUS RHEINFELDEN DIE RECHNUNG BEKAM, HATTE SIE EINEN KLEINEN HERZHOPSER. Aber sie nahm es sportlich: «Ich kanns ja nicht mitnehmen – aber die gestrickten Schals kamen billiger und waren irgendwie netter!»

Tatsächlich kam ein einziger roter Sack mit den schwarzen Kordeln (handeingezogen) auf über zwei Franken. Und ich brauchte mindestens 5000 Stück!

Innocent hyperte natürlich wieder. Besonders als er beobachtete, dass ich für jede kleine Weihnachtskugel (Fr. 4.50) einen Sack (Fr. 2.50) dazuschenkte.

«ER SPINNT – ER HAT DEN GESCHÄFTSSINN EINES NASHORNS!», jammerte er unseren Freunden die Hucke voll. «Alle kommen wegen der Tasche. Und der verteilt die teuren Dinger wie Jesus das Brot.»

STIMMTE SCHON.

DIE LEUTE KAUFTEN ZWAR MEINE BÜCHER. – ABER ICH VERMUTE, ES WAR NUR EINE AUSREDE. SIE WOLLTEN FÜR JEDE SEITE EINE TASCHE HABEN!

Ich sah die Sache nicht so eng. Und geizte nicht mit den roten Knallern. «Du musst es als Werbung abbuchen», versuchte ich Innocent auf den Boden zurückzuholen.

«UND WO ABBUCHEN, BITTE?», reagierte der genervt. «Wo null ist, kann auch nichts abgebucht werden!»

An jenem Abend aber, als ich wegen der schweinischen Wiener Schnitzel streikte und erklärte: «Heute ist mir nach ‹Donati› und dem Dessertwagen», als ich ihn weichklopfte und wir spätabends das Lokal betraten, stockte beiden der Atem:

AUF DER GARDEROBENABLAGE STANDEN EIN DUTZEND ROTE MESSE-TASCHEN IN REIH UND GLIED.

Ich freute mich so sehr, dass ich drei Mal von den «Îles flottantes» bestellte.

Selbst Innocent gab sich jetzt geschlagen: «Na ja – vielleicht auch nur Zufall!»

Viele Jahre später, als der rote Messestand am Petersplatz Geschichte und all der Ramsch an die Leute verkitscht worden war, hatte ich bei Telebasel eine Monatssendung.

«Wir brauchen einen Aufhänger», sagte Nico, der Kameramann.

«Ich habe einen mit schwarzen Kordeln», sagte ich.

Und so bekam das Täschlein ein Revival.

Heute – die Sendung ist längst abgesetzt – trage ich das Täschlein noch immer mit mir.

Die Leute schauen. Lächeln. Und haben ihr Aha-Erlebnis.

ANDERE REGEN SICH DARÜBER AUF:

«SCHAUT EUCH DEN ALTEN SACK AN – WIE KANN MAN NUR?!»

MANN KANN!

Dienstag, 6. November 2018