Rezept: Orangenmousse mit Bretzeli-Krokant
Liebe ging schon vor 100 Jahren durch den Magen, als Oscar Kambly seine Angebetete mit zarten Bricelets betörte.
Süsses - das war zu unserer Kinderzeit in den frühen 50er Jahren unerschwinglicher Luxus. Gebäck oder Schokolade waren so weit weg vom Schuss und Speiseplan wie Crevetten, dies damals nur im Gläslein gab. «Nehmt einen Apfel!», so hiess es, wenn unsre zuckergeilen Gaumen nach Süssigkeiten schrien.
«Nehmen Sie doch einen Apfel» - so heisst es noch heute (fast 50 Jahre später), wenn mein Hausarzt mir wie einer zur Schlacht geführten Mastsau mit Kennerblick den Bauch abklopft und ich ihm meinen noch immer ungestillten Heisshunger auf Süsses beichte.
Aber ein Apfel ist kein Biscuit. Keine Schokolade!
Ein Apfel ist einfach ein Apfel. Und ich werde nie begreifen, warum Adam das süsse Paradies für einen Apfelbissen hergegeben hat.
Die Süssigkeiten der 50er Jahre waren also: Rüeblitorte (zu Kembserweg-Omis Geburtstag), schneeweisse Méringue-Berge, die an verschneite Alpen erinnerten und auf jeder Dessertkarte als «Hausspezialität» aufgeführt waren. Und natürlich: Bretzeli.
Letztere haben mir die sportlichen Wochen in Adelboden versüsst. Denn nach jeder Bergtour, nach jedem Ausflug aufs Kuonisbergli und nach jeder vierstündigen Felltour auf den Brettern, die nicht meine Welt bedeuteten, wurde eingekehrt. Und wenn die Köpfe der Grossen nach einer solchen Tour bei Hobelkäse und Weisswein immer mehr wie das Alpenglühen loderten, so sass das Kind still, aber zufrieden vor einem Berg mit goldgelben Butterbretzeli, die warm vom Eisen kamen. Und alle sportlichen Tort(o)uren vergessen liessen. Denn Bretzeli waren der süsse Trost für den armen Buben, der auf Plattfüssen durch die Natur gehetzt wurde.
Unvergessen. Stand in Adelboden - und wohl in allen Bergdörfern des Berner Oberlands - eine Hochzeit oder eine Beerdigung ins Haus, wurde tagelang «gchüechlet». Neben «Schlüüferli» (eine Art Schenkeli) und «Chnüüblätz» (Fasnachtskiechli, deren Teig übers Knie gezogen und die dann in heissem Schmalz ausgebacken wurden) dampften die Briceleteisen der Bäuerinnen auf Hochtouren. Ganze Körbe wurden gefüllt mit den hauchdünnen Biscuits, die entweder ein Enzian, ein Edelweiss oder auch ein Oberländer Bauernhaus zum Decor hatten. Sie kamen in die kalte Speisekammer, bis die Braut zum Altar geführt oder der Tote eingesargt wurde.
Unvergesslich ist mir die Hochzeit, als Oeschters Göpfi die Anna nahm. Göpfi galt als «König des Bodens». Und natürlich wollte sich niemand lumpen lassen. Die Bauern der Umgebung karrten Kannen mit Vollrahm, dicker als Honig und Butterballen, so goldglänzend wie Dotterblumen vom Bach und so üppig wie die Hinterbacken der Trachten-Käthe an. Säcke von Mehl wurden auf die alten Holztische geschüttet, Hunderte von Eiern lagen in den braunen Teigschüsseln zum Aufschlagen bereit. Auf dem Feuerherd loderten die Flammen, und mindestens zwei Dutzend Bäuerinnen machten sich daran, Teig zu kneten, Chüechli aus der heissen Butter zu fischen oder den flüssigen Bretzeliteig auf die schwarzen heissen Eisen zu geben, so dass da plötzlich das Paradies auf Erden herabgesunken war. Und alle Wolken vom Miststock oder Stall süss überduftete.
Mühevoll. Wir Kinder höselten unter den Tischen herum. Manchmal warf man uns ein «unschön» gewordenes Bretzeli oder einen zerbrochenen «Chnüüblätz» zu - und wir hatten das göttliche Manna nur noch gegen die ebenfalls gefrässigen, herumgackernden Hühner zu verteidigen.
Natürlich hat sich auch meine fleissige Mutter so ein Bretzeleisen angeschafft. Aber nach zwei, drei Mal war die Lust am Bretzeln verraucht. «Zu viel Mühe», war ihr Kommentar. Und damit sang sie das Lied der emanzipierten Hausfrau jener Jahre. Also sprach Mutter eine Hymne auf einen gewissen Herrn Kambly, der das «Bricelet» (wie meine stets um ein hauchfeines Teiglein vornehmere Grossmutter das Bretzeli beim Namen nannte) industriell herstellte. Und der Frau am Herd so viel Mühe und den Abwasch ersparte.
Mutter und ihre Welt verdankten das fertig gebackene Kambly-Bretzeli einer Liebesgeschichte. 1906 folgte Oscar Kambly dem Ruf seines Herzens nach Trubschachen. Er umwarb seine Angebetete nicht nur mit zarten Worten - sondern auch mit zarten Bricelets. Sie erhörte ihn. Und alle wollten von dem Gebäck kosten, das die schöne Jungfrau so betört hatte.
Meistverkauft. Oscar Kambly buk bald einmal seine Bretzeli für die ganze Talschaft. Dies nach uraltem Grossmutter-Rezept. Heute ist sein «Bretzeli» das älteste und noch immer meistverkaufte Biscuit in der Schweiz. Bereits in der vierten Generation wird die Kambly-Spezialität gebretzelt. Über die Hälfte der Biscuit-Produktion (darunter auch des dünnsten und feinsten Biscuits der Welt, des Butterfly) werden ins Ausland exportiert, vor allem nach Frankreich. Kambly ist somit der grösste Gebäckhersteller und -exporteur Helvetiens und im Premiumsegment der Feingebäcke weltweit führend.
409 Mitarbeiter bretzeln heute im Stammhaus und Familienbesitz der Kamblys von Trubschachen und in Lyss. Und auch heute noch werden die Bretzeli wie anno dazumal mit erstklassigen Grundmaterialien aus dem Bernbiet hergestellt. Vielleicht sind diese Grundmaterialien das Geheimnis des Erfolgs: Denn selbst wenn das Bretzeli dieses Jahr 100 Jahre auf dem Eisen hat, so ist es noch immer knusprig frisch. Zum Anbeissen.
Orangenmousse mit Bretzeli-Krokant
Fantasievoll. Wie man aus Kambly-Bretzeli einen köstlichen Krokant zaubern kann, zeigt uns Andreas Plüss. Der Beizer des Basler Restaurants St.-Alban-Eck ist für seine Ideen berühmt. Als einstiger Chef-Steward der Lufthansa hat er gelernt, zu improvisieren. Und entsprechend hat er auch hier im Nu aus den Bretzeli ein wunderbares Dessert gezaubert:
Orangenmousse an Kambly- Krokant.
Zutaten. Für 4 Portionen.
Für die Mousse: 6 Blatt Gelatine, 6 Eigelb, 125 g Puderzucker, 250 g Mascarpone (oder Rahmquark), 2 unbehandelte Orangen, 2 El Orangenlikör, 1⁄4 l Rahm, Streifen von Orangenschalen, die man in einer Zuckerlösung blanchiert.
Für den Krokant: 16 Kambly-Bretzeli (in kleine Stückchen brechen, nicht pulverisieren!), 8 Baumnusshälften (grob gehackt), 40 g Zucker, Zesten einer Viertel Orange.
Zubereitung Mousse.
Gelatine in kaltem Wasser einweichen. Eigelb und Puderzucker schaumig rühren. Mascarpone (oder Quark) dazugeben, gut vermischen und kalt stellen.
Orangen heiss waschen, abtrocknen, Schale fein abreiben. Die Orangen auspressen, 1 El der abgeriebenen Orangenschale und 6 El Saft zur Eigelb-Masse geben und mit dem Orangenlikör vermischen.
Gelatine tropfnass bei milder Hitze auflösen, mit der Masse verrühren und kalt stellen. Den steif geschlagenen Rahm unter die Masse ziehen und alles über Nacht kalt stellen.
Esslöffel in heisses Wasser tauchen und von der Mousse «Klösschen» abstechen. Auf Teller anrichten, die blanchierten Orangenstreifen darübergeben.
Zubereitung Krokant.
Zucker karamellisieren. Die zerstückelten Bretzeli, Baumnüsse sowie die Orangenzesten dazugeben und bei kleiner Hitze knusprig rösten. Abkühlen lassen.
Die Masse mit dem Wallholz gleichmässig zerkleinern. Den Krokant auf dem Teller und auf der Mousse verteilen.