Fisch-Mass-Stäbchen

Frionor machte Fischstäbli in den fünfziger Jahren zum Freitagsrenner

Rezept: Fischstäbli à la Josy Nussbaumer

1956 kamen «Fischstäbli» aus dem Norden erstmals auf Schweizer Tische. Die panierten Dorsch-Riemchen wurden bald einmal zu einem der beliebtesten Kindermenüs.

Es war Horror pur. Horror ohne Gnade - und mit vielen Gräten. Jeden Freitag. Freitags gabs immer Fisch!
Der Duft hing bereits klebrig wie Fliegenpapier im Treppenhaus. Dieser beissende Gestank von angebratenem Kabeljau setzte sich auf Lamperien und Asparagus-Stöckchen in den Zwischenetagen fest. Und zum x-ten Mal erzählte Onkel Alphonse den Witz vom Blinden, der im Sommer an einem Fischstand vorbei ging und «hello Girls» rief - ein Witzchen, das Mutter mit kicherndem «Pas devant les enfants!» abwehrte und von dem wir Kinder eh nur «Bahnhof» begriffen. Das einzige, was wir wussten: Fisch stank. Und Fisch war etwas, mit dem wir jeden Freitag gemartert wurden. Denn: «Fisch ist gesund. Schaut euch die Eskimo an!»
Die Eskimo lebten zu meiner Kinderzeit, als ein Mitteleuropäer durchschnittlich noch mit 70 Jahren ins Gras beissen durfte, bereits 20 Jahre länger - «das macht der Tran!», sagten unsere am Tisch. Wenns also keinen Fisch gab, gabs Lebertran. Ab grossem Löffel. Und «keine Widerrede!», riefen die Alten und sammelten die davonrennenden Kleinen wieder ein. Sie kniffen ihnen die Nasen zu und drückten den Löffel mit dem tranigen Öl in den lieblichen Kindermund. «Das macht euch stark!» - freuten sie sich für uns.
Später, als ich wieder einmal eine Abmagerungskur aufmischte und der Arzt sich meiner Fettzellen annahm, schaute dieser mich traurig an: «Sie haben als Kind sicher Lebertran bekommen?!» So bin ich kein Freund der Fische geworden. Sie sind schliesslich schuld an meinen Fettzellen …

Die Fischverkäuferin. Wir hassten also Fische. War schlimmer als Spinat. Dazu kam das Horrorbild der Fischverkäuferinnen von damals, die vor dem Konsum im Quartier im Winter ihre Stände aufstellten. Die rosigen, eiskalten Finger schauten unter dicken, gestrickten Pulswärmern hervor. Unbarmherzig hackten sie mit einem Kleinbeil den Kabeljau in Scheiben. Die Tranchen kamen auf ein Stück Fettpapier und dann auf die Waage. Schliesslich wurde das Paket noch in Zeitungspapier gewickelt - aber der Fisch stank schon auf dem Heimweg. Und uns stank es auch.

Viel später hat mir einmal ein Chemiker erklärt, dass die Zersetzung des Eiweisses diesen eigenartigen Fischduft auslöse. Frischer Fisch rieche nie - nur Fisch, bei dem sich das Fleisch langsam zersetze.
Unvergesslich bleibt dieser Freitag, als es erstmals nicht mehr nach Fisch roch: «Gibts keinen Kalbeljau?», riefen wir im Hausgang. Auf dem Herd sahen wir wohl die obligaten Salzkartoffeln - und auf dem Tisch stand auch schon die Schale mit der Mayonnaise. Mutter aber kehrte in der Bratpfanne fingerlange, schmale Dingerchen im Öl, schüttelte misstrauisch den Kopf und meinte dann: «Das ist etwas Neues - bin ja mal gespannt, ob so etwas schmecken kann?!»
Sie schmeckten göttlich! Fischstäbli hiess nun künftig das Freitagsessen. Und diese Fischstäbli haben damals unsere ganze Abwehrhaltung gegenüber Fisch geändert. Sie hatten keine Gräten. Und sie waren fast so gut wie Wienerschnitzel, allein schon wegen der Panüre!

Der Entdecker. Dem Briten Clarence Birdseye haben wir das heutige Fischstäbchen zu verdanken. Der Händler entdeckte in den 20er Jahren einen Packen Fisch in Norwegen, den man auf Eis vergessen hatte. Er merkte, dass der gefrorene Fisch nach dem Auftauen noch absolut «perfekt» war. Und so kam er auf die Idee, Fische gefroren zu transportieren. Bereits in den dreissiger Jahren wurden die Fische in den USA auf den Schiffen filetiert, in Portionen abgepackt und fangfrisch tiefgefroren. Damals wurden auch die ersten «Fish Fingers» zubereitet und paniert tiefgefroren.

Doch erst 1956 schwammen diese Fischstäbchen aus dem Norden auch in der Schweiz an. Der Basler Produzent Frionor der Familie Schmid (sowohl Vater wie Sohn waren neben dem Fischhandel Konsule von Norwegen und Präsidenten des Basler Kunstvereins) machte in unsern Gefilden das «Fischstäbli» zum Freitagsrenner. Immer wieder wurden neue Panüren herausgetüftelt (der Paniermantel ist das Wichtigste am Fischstäbchen!) - ja bald brauchte es nicht mehr Freitag zu sein, um Kinder mit einem «Fisch-Mittagessen» zu begeistern. Und die panierten Dorsch-Riemchen wurden bald einmal zu einem der beliebtesten Kindermenüs.

Der Siegesschwumm. Überhaupt kam im Zeitalter der Tiefkühltruhen der Fisch immer mehr zum Zug. Die gefrorenen Filets hatten nicht nur den Vorteil der Frische - sie waren auch bereits entgrätet. Die Freitagsfischständchen verschwanden und machten grossen Tiefkühlauslagen in den Läden Platz.

Vom tiefgekühlten Fisch sind die Gourmets heute wieder auf den «Frischfisch» zurückgekommen - die Transportwege dieser ungefrorenen Fische sind jetzt zehn Mal schneller als früher. Entsprechend kommen sie (zumeist) immer frisch zum Kunden oder zum Chef in die Sternenküche.
Trotzdem: Wäre das Fischstäbchen nicht gewesen, hätte der Normal-Fisch wohl kaum zu diesem Siegesschwumm in der heutigen Gastronomie angesetzt. Und auch heute noch sind Fischstäbchen eines der beliebtesten Fischgerichte in Helvetien.
Nicht nur bei Kindern! So haben im letzten Jahr die Eidgenossen 2916 Tonnen Fischstäbli genossen und dafür über 33 Millionen Franken ausgegeben. Wenn das kein Fisch-Mass-Stäbchen ist!

Fischstäbli à la Josy Nussbaumer

Die Kochbuchautorin Josy Nussbaumer aus Aesch gehört zu den Schweizer Spitzenköchinnen. Drei Wochen lang hat sie mit Fischstäbli herumgepröbelt - bis ihr Ehemann das Handtuch warf. Doch der Aufwand hat sich gelohnt: Die Top-Cuisinière hat für die baz-Leserinnen und -Leser ein innovatives Rezept herausgetüftelt. Und die Fischstäbli enorm veredelt - et voilà:

Zutaten: 2 Päckli Fischstäbli, 2 kg grüne Spargeln, 30 g Butter, 20 cl trockener Weisswein oder Sekt, 1 EL Hühnerbouillonpaste, 1 KL Zucker, 10 g getrocknete Morcheln (einige Stunden vor Gebrauch in heissem Wasser einweichen), 20 cl Rahm, 1 EL Saucenbindemittel, 50 g geriebener Gruyère, 1 Ei, Erdnussöl, Paniermehl, Mehl.

Zubereitung:
Die Spargeln grob in der untern Hälfte schälen und die angetrocknete Schnittstelle 4 cm kürzen. Die gerüsteten Spargeln in 6-8 cm lange Stücke schneiden (Schrägschnitt!). Die eingeweichten Morcheln gut abspülen und trocknen.
In einer Pfanne Butter erhitzen. Spargeln hineingeben. Kurz andünsten. Und mit dem Zucker bestreuen. Mit Weisswein ablöschen. Und zum Siedepunkt kommen lassen. Die Hühnerbouillonpaste, Rahm und Saucenbinder hinzugeben. Etwa 8-10 Minuten auf kleinem Feuer ziehen lassen.
Fischstäbchen quer halbieren. Schnittfläche in Mehl, Ei und Paniermehl wieder zupanieren. In einer Bratpfanne im heissen Erdnussöl beidseitig goldbraun braten.
In Butter die Morcheln dünsten.
Bevor wir die Spargeln anrichten, nun den Käse daruntergeben und gut verrühren. Eventuell mit Salz und Pfeffer nachwürzen.
Auf heissen Tellern zuerst die Spargeln mit der Sauce anrichten. Die halbierten Fischstäbchen auf die Spargeln verteilen. Mit den Morcheln bestreuen.
Guten Appetit!

Rezeptkategorie: 
Freitag, 15. April 2005