Rezepte: Haselnussbrötli und Öpfelsalat «Julie»
Kondensmilch gehörte in den Picknickkorb. Doch sie kam auch nach dem Mittagessen zum «Café de la Tube» auf den Tisch - als Zeichen kulinarischen Fortschritts.
Die Tube lag in der zweiten Schublade von oben. Die Schublade steckte im eierschalenfarbigen Küchenkasten. Und in der Schublade hatte es neben den gesammelten, schön gebüschelten Päcklischnüren, den aufgebügelten Weihnachtsgeschenk-Bändeln («Um Himmels willen! Nicht wegwerfen! Die können wir wieder gebrauchen. So ein schöner Seidenbändel!») auch Gummibänder jeder Breite.
Das alles interessierte uns nicht. Heiss machte uns nur die Tube. Die Tube mit der Kondensmilch.
Ständig leer. Ich weiss nicht, weshalb Mutter die Kondensmilch bei den Seidenbändeln versteckte. Und ich weiss auch nicht, ob sie je dahinterkam, dass wir dahinterkamen. Jedenfalls hörten wir sie immer mal wieder vor sich hinmurmeln: «Schon wieder eine Tube leer? Da stimmt doch etwas nicht. Die geben wirklich nichts her …»
Tatsache jedoch war, dass wir den Inhalt bereits reinge- und verdrückt hatten. Wie die Ferkel an den Zitzen der Muttersau nuckelten wir jeweils an der Tube, schlossen verzückt die Augen und genossen die süsse, klebrige Masse mit dem einzigartigen Zuckergeschmack. Wir saugten, bis die Tube laubblattflach und uns kotzübel war. Dann bliesen wir die Backen auf, versuchten der Tube durch den feinen Verschlusshals Luft einzuhauchen, damit sie wieder etwas Bauch bekam. Und wenn die Alten uns beim Abendessen dann schräg von der Seite anblitzten: «Weshalb esst ihr nicht … was ist los? Habt ihr wieder Brausepulver geschleckt?», da konnten wir mit gutem Gewissen die Augen kaffeetassengross aufsperren: «Aber nein! Wir hatten nur Milch …»
Die Kembserweg-Omi grinste dann breit. Sie kannte uns. Und sie kannte auch das Versteck der Tube. Sie war ebenfalls der Nuckel-Typ.
Heiss begehrt. Birchermiesli ohne Kondensmilch war kein Birchermiesli. Und ein Päckli ins Ferienlager ohne Kondensmilchtube war kein richtiges Lagerpäckli. Neben Studentenfutter und Petit Beurre lagen da stets zwei pralle Tuben im heiss begehrten Fresspäckli.
Wenn wir campierten, kam die Tube in den Picknickkorb. Die cremige Paste wurde dann mit Nescafé vermischt - und mit heissem Wasser (ab Gaskocher) aufgeschäumt. «Es geht nichts über einen guten Cappuccino», seufzte Vater dann genüsslich und schleckte sich den Schaum von den Lippen. Diese Nescafé-Kondensmilch-Verbindung war in den 50er und 60er Jahren übrigens nicht nur auf den Campingplätzen beliebt - sie wurde auch nach dem Mittagessen als «Café de la Tube» im Mittelstand als Zeichen des kulinarischen Fortschritts aufgetischt.
Uns wars recht. Wo Fortschritt war, wurde auf die Tube gedrückt. Und die war besser als Zuckererdbeeren und Tiki-Brausepulver zusammen. Allerdings war sie auch kalorienreicher. Kondensmilch ist eine der grössten Kalorienbomben, welche die moderne Zeit je entwickelt hat. Deshalb haben die Ärzte dann auch deren Abrüstung verlangt - und die Magermilch an ihrer Stelle propagiert. Aber da können wir ja gleich Wasser trinken.
Ausrangiert. Wasser hat es übrigens auch in der Kondensmilch. Und dieses Wasser galt es zu reduzieren. Nur so war es möglich, Milch haltbar zu machen. 1867 wurde in der Schweiz erstmals Kondensmilch fabriziert. Die Anglo Swiss stellte in Cham die erste kondensierte Zuckermilch her. Elf Jahre später kam Henri Nestlé, der diese Milch für die Schokolade brauchte. Bis zur Fusion 1905 lieferten sich die beiden Konkurrenten einen erbitterten Konkurrenzkampf.
1911 zählte Helvetien 28 Kondensmilch-Fabriken - man exportierte die Milch nun auch ins Ausland, vor allem in die USA und nach England. Der rasante Niedergang kam schliesslich in den 30er Jahren - andere Milchkonservierungsverfahren wie das Pasteurisieren oder Uperisieren verdrängten die Kondensmilch vom Markt. Als dann in den 50er Jahren die Kühlschränke die Haltbarkeit der Milch verlängerten, war dies das «Aus». Kondensmilchtuben gabs nur noch für Birchermiesli, Picknick, Lagerpäckli oder im Notvorrat des Ferienchalets.
Rückläufig. Heute exportiert die Schweiz nur noch zwei Tonnen Kondensmilch. Und während 1980 immerhin noch 3793 Tonnen Kondensmilch verbraucht wurden, sind es jetzt noch schlaffe 530 Tonnen.
Okay. Heute gibt es auch keine eierschalenfarbigen Küchenkästen mehr. Und Schubladen, in denen das Glück in der Tube liegt.
Haselnussbrötli und Öpfelsalat «Julie»
Julie Dober ist eine der berühmtesten Störköchinnen der Schweiz. Die Küche der quirligen Kochkellenlady basiert auf den Erfahrungen, die sie als hauswirtschaftliche Betriebsleiterin des Albert-Schweitzer-Spitals in Lambarene gesammelt hat.
Julie Dober: «Damals habe ich erst richtig Freude am Kochen bekommen. Ich musste etwas aus all dem Wenigen basteln, was uns zur Verfügung stand. Es wurde eine «Cuisine du marché» zu einer Zeit, als es diesen Begriff im eleganten Gastroführer noch gar nicht gab. Wir hatten natürlich keine Frischmilch. Nur Milchpulver. Und Kondensmilch. Aus jener Zeit stammt auch noch mein Haselnussbrötli-Rezept. Die Idee mit dem «Öpfelsalat» hatte bereits meine Mutter - als sie auf die berühmte Tube drückte …
Als Störköchin versuche ich auch heute noch, bei meiner Kocherei dem Saison- und Regional-Angebot gerecht zu werden…»
Nachfolgend ihre beiden süssen Rezepte:
Haselnussbrötli
Zutaten:
grob gehackte Haselnüsse, Kondensmilch, Toast- oder Pariserbrotschnitten.
Zubereitung
Die Haselnüsse 1:1 mit der Kondensmilch mengen (also: 5 EL Kondensmilch mit 5 EL gehackten Haselnüssen). Die Paste auf die Brotschnitten streichen und im vorgeheizten Ofen bei 200 Grad backen, bis alles knusprig braun ist (je nach Ofen 7-10 Minuten).
Öpfelsalat «Julie»
Zutaten:
4 Äpfel, Saft einer Zitrone, 4 EL Sultaninen, 4 EL grob gehackte Haselnüsse, Kondensmilch.
Zubereitung:
Äpfel mit der Schale an der Röstiraffel rapseln. Mit Zitronensaft übergiessen. Haselnüsse und Sultaninen darunter mengen - und alles mit Kondensmilch «anmachen». Etwa ein bis zwei Stunden ziehen lassen.
E Guete!