Das Parfum

Erwin war nett.
NETT? ist der richtige Begriff.
Erwin arbeitete als Buchhalter in einer Schraubenfabrik. Zuverlässig. Und ohne zu motzen, wenn man ihn bei der Lohnerhöhung vergass.
Er war ein zufriedener Ehemann. Milli, seine Frau, kochte ihn rundlich. Und war anhänglich mit einem leichten Hang zur Eifersucht.
18 Jahre lebten sie nun zusammen? 18 Jahre stellte sie beim Morgenkuss immer dieselbe Frage, um sie auch gleich mit einem Befehl beantworten zu lassen: «LIEBST DU MICH?? SAG, DASS DU MICH LIEBST!»

Erschienen am: 
Montag, 17. Dezember 2012

Das Mausi-Tattoo

Sven stand vor der Tattoo-Bude. Der etwas mickrige Laden nannte sich «zum guten Stich». Im Schaufenster lag ein Buch mit Ornamenten, Schriften und einem blutenden Herzen.
«TI AMO»? las Sven auf dem Band, das sich wie eine wild gewordene Schlange um das Herz wand.
Nina hatte Sven zum Mann gemacht. Okay. Da waren noch andere Erfahrungen vorher. Zweimal Jungs. 14-mal Mädchen. Pubertäre Spielereien. Petting. Abknutschen. Dann verlegenes «tschau? schick? dir morgen ein SMS!».

Erschienen am: 
Montag, 29. August 2011

Das magische Auge

Schnebli spürte den Druck.
Ü B E R D R U C K!
Er spürte ihn schon seit 80 Minuten.
Aber ein Stau verhinderte die Erleichterung. Eine halbe Stunde gings im Schritttempo voran. Nur weil diese Armleuchter einen Mittelstreifen frisch bemalt hatten.
Als er endlich an der Baustelle vorbeifuhr, werkelten zwei Arbeiter (ZWEI!) mit einer Farbdose am dicken Strich herum.
UND DAFÜR HÄTTE SICH SCHNEBLI FAST IN DIE HOSE GEMACHT!

Erschienen am: 
Montag, 1. Juli 2013

Das Kürbis-Ingwer-Süppchen und andere tolle Rezepte

Die letzten zehn Mal war es eine Thonmousse von Betty Bossi: Eiergarnitur. Geviertelter Grünspargel. Und Tomatenblume.
Vor acht Jahren war es noch das Kürbissüppchen. Mal kalt. Mal warm. Mal mit, mal ohne Schaum.
ABER IMMER MIT INGWER.
Das Süppchen suppte sich durch unsere ganze Freundesrunde. Es kam so sicher wie das Amen in der Kirche vor dem Hackbraten mit den Dörrzwetschgen.
DEN HATTE UNS TANTE KALTENBACH IN IHRER RUBRIK «SCHON SCHÖN GEKOCHT?» EINGEBROCKT.

Erschienen am: 
Montag, 28. Juni 2010

Das Hütchen

Das Hütchen sass auf einer Stange. Na ja? wie Gesslers Hut. Nur viel netter.
Signorina Rosalba hatte einen Traum geschaffen. Das Kleinod war kaum handgross. Es wog 140 Gramm und bestand aus teuerstem, piemontesischem Stroh (eng geflochten), einem Hauch von besticktem Pariser Voile und drei pech­schwarzen Reiherfedern, die von einem kleinen Strassknopf zusammengehalten wurden.

Erschienen am: 
Montag, 29. Oktober 2012

Das Herz

Als Annekäthi das Herz sah, griff eine eisige Hand an ihres.
«Oh Gott», hauchte die alte Jumpfer. Und nahm das zarte Porzellandingerchen in ihre dünnen Finger.
«NICHTS ANFASSEN!», fauchte der junge Verkäufer hinter all dem Ramsch hervor. Der Flohmarktmann würdigte Annekäthi keines Blickes. Sondern begutachtete einen alten Nachttopf mit Sprung.
Annekäthi schaute zum Herz, wie der Pudel zum Hundebiscuit. Sie erkannte die fein geschwungenen goldenen Buchstaben sofort wieder: «Für immer dein!»

Erschienen am: 
Montag, 3. September 2012

Das Geheimnis der Hyazinthe

Als Rose das Hyazinthen-Glas aus den Händen fiel, zersplitterte die alte, hauchdünne Vase in ­tausend violette Scherben.
Der bereits etwas lahme Strunk mit den vielen rosigen Blüten lag geköpft am Boden.
Rose hatte schon als Kind die Hyazinthen als die schönsten aller Blumen eingestuft.
EINE ZAUBERBLUME.
Beeinflusst wurde Roses Urteil von den geheimnisvollen Glitzerhüten mit den Goldsternen. Und natürlich durch ihre Grossmutter. Ima hatte für sie die Geschichte von der Hyazinthe und dem Zauberhut erfunden.

Erschienen am: 
Mittwoch, 1. Januar 2014

Das Engelchen

Max hob den Spazierstock. Der silberne Griff? ein springender Jaguar? blitzte in der Sonne auf.
Dann schlug er zu.
Drei Mal. Fünf Mal. Zehn Mal.
Er keuchte.
Schliesslich liess er den Stock sinken. Dieser sah aus wie ein durchgekauter Zahnstocher. Der Jaguar war schon beim dritten Schlag abgebrochen. Zitternd griff Max zum Handy.

Erschienen am: 
Montag, 26. September 2011

Das Ei

Hildi stocherte vor dem Badezimmerspiegel die Zähne durch.
Seit Frau Feger, die Dentalhygienikerin, nicht nur Hildis Schaufeln, sondern auch ihr Gewissen poliert hatte? «Ich kann für nichts garantieren, wenn Sie die Zwischenräume nicht besser reinigen», ja, seit sich Hildi damals eben wie die letzte Sau gefühlt hatte? seither also: PUTZEN MIT ZWISCHENRAUM-BÜRSTCHEN. Fünf Grössen.
«Hildi, das Ei ist hart!»? das war Walter.
MEIN GOTT! Wollte ihr Alter hier eine Loriot-Nummer durchziehen.?

Erschienen am: 
Montag, 11. März 2013

Das Christkind

Das kleine Kind im schäbigen Kleid öffnete zaghaft das Fenster. Dann hievte es sich mit der Eleganz einer Katze auf den Sims. Und brach in die Wohnung ein.
Heiliger Abend war ein guter Morgen zum Einbrechen. Alle hatten den Kopf bei Geschenken, Kochen und Baumschmücken.
Das kleine Mädchen lächelte leise - in der letzten Wohnung hatte es die Schmuckkassette gleich neben einer Blechdose, die gerammelt voll mit verschiedensten Weihnachtsgutzi gewesen war, gefunden. Es hatte bei beiden zugegriffen.

Erschienen am: 
Montag, 11. Dezember 2006

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