Das Ei

Hildi stocherte vor dem Badezimmerspiegel die Zähne durch.
Seit Frau Feger, die Dentalhygienikerin, nicht nur Hildis Schaufeln, sondern auch ihr Gewissen poliert hatte? «Ich kann für nichts garantieren, wenn Sie die Zwischenräume nicht besser reinigen», ja, seit sich Hildi damals eben wie die letzte Sau gefühlt hatte? seither also: PUTZEN MIT ZWISCHENRAUM-BÜRSTCHEN. Fünf Grössen.
«Hildi, das Ei ist hart!»? das war Walter.
MEIN GOTT! Wollte ihr Alter hier eine Loriot-Nummer durchziehen.?
«Ich weiss», rief sie. «Nelly hat angerufen...»
«Aha», tönte es aus der Küche. Dann: «Kannst du mir ein neues machen?!»
Hildi bohrte nun wild drauflos und wünschte, sie hätte Walter zwischen den Zähnen. Schliesslich: «Viele Eier sind ungesund, Walter!»
«Aber es sind nicht viele. Es ist E I N E I! Und das habe ich noch gar nicht gegessen, weil es ein Picknick-Ei ist. Harte Eier verstopfen mich, Hildi!»
Stille.
«... du kannst das harte Ei ja unter den Salat mischen!»
«ICH HABE GEDACHT, HARTE EIER VERSTOPFEN DICH! WESHALB SOLL ICH ES DANN AN DEN SALAT TUN?!?»
Wieder Stille. Dann aufsässig: «Ich meine ja nur... wir wollen nichts verschwenden.»
Hildi spülte die fünf Grössen unter dem kalten Wasserstrahl. Dann tauchte sie stimmungsmässig ziemlich aufgebürstet in der Küche auf.
«Himmel? es kann doch mal passieren, dass man beim Telefonieren ein Ei vergisst. Überhaupt sind Eier total schädlich. Du hast ja gehört, was mit denen passiert...»
Walti nahm mit spitzen Fingern ein Stückchen Butterfolie vom Messer. «Es passiert gar nichts mit ihnen. Eier sind Eier. Im Krieg wären wir froh gewesen...»
«WIR SIND NICHT IM KRIEG!», fauchte nun Hildi. «... und wenn die ein Batterien-Ei als frisch gelegtes Bio-Exemplar abstempeln, ist das Betrug. Vielleicht ist so ein Ei dann schon 20 Tage alt...»
«In China essen sie hundertjährige Eier! In Drittweltländern wären sie froh um ein Ei. UND WIR ÄRGERN UNS ÜBER DEN BIO-STEMPEL? ich muss schon sagen: Sorgen hat die Welt!»
Nun wurde Hildi aber spitz: «Es geht um das Prinzip, Walter. Um die Verarschung des Konsumenten? wie mit der Milch. Oder dem Ross in der Lasagne...»
Walti strich sich ein Brötchen mit Butter: «Aber genau dieser Konsument will doch immer n o c h billigere Preise. Und die Medien heizen das mit Preisvergleichen und Kassensturz zünftig an? dieselben Medien schreien dann Zetermordio über die Auswüchse, die sie gepflanzt haben... das ist irgendwie pervers.»
«Also, du machst es dir sehr leicht!», nervte sich nun Hildi. «Ich schaue, dass wir einigermassen gesunde Kost zu uns nehmen? und dir ist das Produkt einfach egal!»
Walter schaute seine Frau nun streng an: «Wir haben als Kinder Sandkastenkuchen geschluckt und an Steinen geleckt? es gab damals noch keine Hundesäckchen. Und weisst du was: Es hat uns nicht geschadet. Im Gegenteil. Unser Immun­system wurde stärker. Deshalb bin ich mit 72 Jahren auch noch kerngesund und...»
«ACH JA? JETZT PLÖTZLICH?! ICH HABE GEDACHT, DU HÄTTEST VERSTOPFUNGEN!»
Das war der Moment, als das harte Ei an die Wand flog.
Und nicht mehr unter den Salat kam.
Deshalb ist es auch nicht relevant, ob es sich um ein biologisches, ein Freiland- oder ein beschissenes Ei gehandelt hat.

Montag, 11. März 2013