Sven stand vor der Tattoo-Bude. Der etwas mickrige Laden nannte sich «zum guten Stich». Im Schaufenster lag ein Buch mit Ornamenten, Schriften und einem blutenden Herzen.
«TI AMO»? las Sven auf dem Band, das sich wie eine wild gewordene Schlange um das Herz wand.
Nina hatte Sven zum Mann gemacht. Okay. Da waren noch andere Erfahrungen vorher. Zweimal Jungs. 14-mal Mädchen. Pubertäre Spielereien. Petting. Abknutschen. Dann verlegenes «tschau? schick? dir morgen ein SMS!».
Sven war 16. Nina 28. Bei Nina aber hatte Sven erstmals die Zimbeln klingeln gehört. Es war, als hätte er in Zuckerwatte gebadet und Pfeffer auf dem Schwanz. KURZ? ES WAR HIMMEL UND HÖLLE IM DOPPELPACK.
«Wenn ich dir wirklich unter die Haut gehe, dann beweise es. Trage ein Tattoo, das dich stets an mich erinnert. Am schönsten wäre ein Herz...»? so Nina. An ihrer Schulter flatterte ein Schmetterling. Am Busen: Che Guevara.
«... Jugendsünde», tat sie die düsteren Stiche der Revolution mit einer wegwerfenden Handbewegung ab. «Ich war eine Rebellin der 90er-Jahre...»
Nun ja : WAR! Denn Ches grimmiges Gesicht rumpfte schon.
Als Sven seinen Eltern von seinen Tattoo-Plänen erzählte, schauten die einander stumm an. Sie waren sensibel aufgeschlossen. Beide Sozialarbeiter. Und stets für eine Fühlstunde gut. Hier aber wurde nicht lange gefühlt. Hier kamen die beiden ohne Umschweife direkt zur Sache.
«DU HAST JA EINEN STICH!», nervte sich die Mutter. Und sah die Lage wie so oft falsch. Denn Sven hatte noch keinen.
«WAS IST, WENN DU DIESE NINA SATT HAST?» besann sich der Vater jetzt auf den samtenen Sozialarbeiterton. Und faltete die Hände. «Wie willst du später einmal einer Rosemarie erklären, wer Nina war...»
Der Sohn machte auf stur. «Es wird nie eine Rosemarie geben!»
Schweigen. Die Mutter schaute zu ihrem Ehemann: «Zeigs ihm!»
Er wurde flammendrot: «HILDE!»
Hilde zischte nun nicht mehr im Einfühlton: «ES GEHT UM DAS GLÜCK DES JUNGEN!»
Da liess der Mann die Hose runter. Auf seiner linken Hinterbacke sass etwas, das wie eine müde Springmaus aussah. Über der Springmaus stand: «FÜR MAUSI!»
Sven war etwas pikiert. Er hatte seinen Vater stets nur in der Unterhose gesehen. UND JETZT DAS! Samt Mausi.
«Na also? du hast es doch für Mamma auch machen lassen!», blaffte Sven darauf patzig. ICH WAR NICHT MAUSI!»? gab seine Mutter eisig zurück. «Aber diese Mausi ist ein Leben lang bei uns? zwölf Monate im Jahr, wo er sitzt und schwitzt!»
Sven betrat die Bude «zum guten Stich». Ein Mann, haarlos, dafür übersät mit Ornamenten wie ein Gebetsteppich kam hinter einem Glasperlenvorhang hervor: «Ja?»
«Was kostet das Herz?»
«Rot oder nature?»
Sven überlegte. Rot war nun wirklich nicht seine Farbe: «Geht auch moosgrün?»
Der Stichler hüstelte. «Etwas extrem? aber warum nicht. Und wohin?»
Sven zeigte auf seinen Hintern.
«Name? Oder nur TI AMO...?» Der Tätowierer grinste Sven an. «Das mit den Namen kann später einmal ein Problem werden... Herzen, Blumen, Schmetterlinge? das ist alles unverfänglich. Aber neue Partner schlafen nicht gerne auf alten Namen...»
Sven überlegte lange. Dann: «Machen Sie auch Mäuse? Einfach eine Springmaus. Ohne Inschrift, bitte...»
Am Abend umarmte er Nina: «Mein Mausi...»
Künftig nannte er alle seine Beziehungen «Mausi». Auch Rosemarie.
Das Mausi-Tattoo
Montag, 29. August 2011