Das Parfum

Erwin war nett.
NETT? ist der richtige Begriff.
Erwin arbeitete als Buchhalter in einer Schraubenfabrik. Zuverlässig. Und ohne zu motzen, wenn man ihn bei der Lohnerhöhung vergass.
Er war ein zufriedener Ehemann. Milli, seine Frau, kochte ihn rundlich. Und war anhänglich mit einem leichten Hang zur Eifersucht.
18 Jahre lebten sie nun zusammen? 18 Jahre stellte sie beim Morgenkuss immer dieselbe Frage, um sie auch gleich mit einem Befehl beantworten zu lassen: «LIEBST DU MICH?? SAG, DASS DU MICH LIEBST!»
Da Fantasie nicht unbedingt Erwins Stärke war, war es auch das Weihnachtsgeschenk nicht: EIN PARFUM. Jahr für Jahr dasselbe. Höchste Zeit, es sich festlich einwickeln zu lassen.
ABER PECH. Milli hatte das Fläschchen sonst immer auf ihrer Toilettenablage. Nun war dort nichts. UND ER HATTE DEN NAMEN DES BESCHISSENEN DUFTS VERGESSEN!
Zahlen konnte er im Kopf behalten. Bis zu 14 Stellen. ABER NICHT DEN NAMEN DES WEIHNACHTSPARFUMS SEINER FRAU.
Also rief er Millis beste Freundin Molli an. Die benutzte nämlich dasselbe. Natürlich musste er es geschickt anstellen. Milli sollte nicht merken, dass er den Namen ihres Weihnachtsgeschenks vergessen hatte. So etwas hätte Molli ihr sofort weitergetratscht? deshalb: «Liebe Molli? ich wollte nur fragen, wie es dir geht?»
Schweigen am Hörer. Dann: «Gut. Und?»
«DU DUFTEST IMMER SO HERRLICH!»
«ERWIN!!!!»
Das war falsch. Er hängte auf und ging in dieses elegante Warenhaus, wo die Duftnoten bis zur Blumenkohlabteilung schwer in der Luft hingen. «Ich suche ein Parfum und weiss den Namen nicht mehr...?»
Die hochtoupierte Dame mit dem geschminkten Gesicht einer übergewichtigen Geisha lächelte gewinnend. «KEIN PROBLEM? WIR PROBIEREN EINIGE AUS. Auf Stäbchen oder an sich...?»
Er war Buchhalter genug, um das Parfum nicht auf einem Papierstäbchen verschwenden zu lassen.
So wurde er mit 43 Duftnoten besprayt. Und fand diejenige seiner Frau nicht heraus.
Als er heimkam, war Zoff im Haus: «MOLLI HAT MIR ALLES GESAGT? DU HAST SIE ANGEMACHT!?»
Umshimmelswillen? diese Giftnatter würde er nicht mal mit der Gartenzange anfassen!
«UND WIE DUFTEST DU!? DU WARST IM PUFF! SO STINKT EINER NUR, WENN ER IM PUFF WAR!»
Dann ging Milli heulend ins Schlafzimmer. Und er unter die Dusche.
In der Adventszeit herrschte Stummfilm.
Kein «Liebst-du-mich-sag-dass-du-mich-liebst»-Morgengeplänkel mehr. Kein süsser Gutzi-Backduft...
Erwin litt. Er war nie fremdgegangen? ausser, dass er an einem Betriebsfest einmal den Spedi­tionschef geküsst hatte. Aber da hatten beide 3,0 Promille intus gehabt. Und nie mehr ein Wort darüber verloren.
Schliesslich legte er einen Zettel auf Millis Kissen: «Ich wusste den Namen deines Parfums nicht mehr!»
Als er abends heimkam, duftete es in der Wohnung nach frisch gebackenen Weihnachtsplätzchen. Milli kam mit ausgestreckten Armen auf ihn zu: «Ach Erwin... ich benutze seit sechs Jahren kein Parfum mehr. Es ist nicht gut für die Haut. Aber ich habe es dir nie gesagt, um dich nicht zu kränken. Ich habs immer Molli geschenkt und...»
«AUSGERECHNET MOLLI!»
«Ja», schniefte Milli kleinlaut. Und hängte sich an ihren Mann: «Liebst du mich? Sag, dass du mich liebst!»
Da war für ihn Weihnachten mit allen Düften...

Montag, 17. Dezember 2012