Schnebli spürte den Druck.
Ü B E R D R U C K!
Er spürte ihn schon seit 80 Minuten.
Aber ein Stau verhinderte die Erleichterung. Eine halbe Stunde gings im Schritttempo voran. Nur weil diese Armleuchter einen Mittelstreifen frisch bemalt hatten.
Als er endlich an der Baustelle vorbeifuhr, werkelten zwei Arbeiter (ZWEI!) mit einer Farbdose am dicken Strich herum.
UND DAFÜR HÄTTE SICH SCHNEBLI FAST IN DIE HOSE GEMACHT!
Nun gab er Gas. Jagte mit 150 Stundenkilometern zur nächsten Autobahnraststätte. Ein Autobahn-Plakat? 14 KM MÖVENPICK? half ihm durchzuhalten.
Er kurvte mit quietschenden Pneus in ein Parkfeld. Rannte zur Männer-Toilette. Und holte aus.
«AAAAAHHH!»
Eigentlich war er der Sitz-Typ. Das hatte ihm Nicole, seine Ex, sieben Jahre und drei Monate lang eisern eingepaukt: «ICH HASSE MÄNNER, DIE IM STEHEN PINKELN. DENK NUR AN ONKEL MAX?»
Ihr Onkel war 84. Unsicher in seinem Ziel. Und hinterliess nichts Schönes.
Handgeschriebene Drohungen an der Toilettentüre gaben bei Nicole den Tarif durch:
Stehst du beim Pinkeln?? Tut mir leid:
ICH SCHLAGE DIR DEN ZIPFEL BREIT!
Nun gut. Die Beziehung hatte nicht gehalten. Aber das «Sitzen beim Pinkeln» durfte überdauern.
Während er also seinem Drang freien Lauf liess, fühlte sich Schnebli plötzlich beobachtet.
Links von ihm wippte ein dicklicher Herr langsam hin und her. Er hatte jedoch seinen Blick stier (und mit einem Anflug von glücklicher Erleichterung) auf die weissen Kacheln an der Wand gerichtet.
Rechts nestelte ein Jeans-Mann an seinen Hosenknöpfen. Die Knopfschlitze waren eindeutig zu eng. Der Blick ging verzweifelt nach unten.
Endlich sah Schnebli das Auge. Es blinzelte über dem Auffangtrog. JA HALLO!
«Scheisse!»? sagte er.
«BITTE?»? drehte sich der Jeans-Mann zu ihm. Mittlerweile hatte dieser sich nämlich offenen Zugriff zum Gesuchten geschaffen.
Schnebli schüttelte seine Sache nach dem Finale energisch aus. Begrub sie wieder in der Hose. Und zeigte mit einer Kopfbewegung zum Auge: «Früher gabs noch anständige Spülknöpfe. Oder Griffe, die man drehen konnte. Heute geht alles elektronisch?»
«Ja, ja»? das tönte genervt. Der Jeans-Mann machte sich grusslos davon (ohne sich die Hände zu waschen).
Wasserfallartig zischte das Spülwasser in den verlassenen Trog.
Auf der anderen Seite hatte der Dicke auch eingepackt. Und das Becken entliess ihn mit einem säubernden Blubbern.
Schnebli winkte seinem Auge spöttisch zu. Dann trat er drei Schritte zurück.
NICHTS PASSIERTE.
Irritiert näherte er sich wieder dem Trog. Tänzelte ein paar Schritte vor der Sensor-Zelle. Und zuckelte retour.
STILLE. Und dieses schreckliche Gelb in der Schüssel.
Er schaute sich um. Keiner da. Also hüpfte Schnebli vor dem Auge auf und ab. Er trat drei Schritte nach links? drei Schritte nach rechts.
Die Nachbarbecken spülten synchron los.
Er wedelte jetzt mit der Hand vor dem Auge hin und her.
NICHTS.
«Ok? dann eben nicht», knurrte Schnebli gereizt. Und lief zum Ausgang.
JETZT HÖRTE ER, WIE DIE SPÜLUNG LOSLEGTE. S E I N E SPÜLUNG.
Er drehte sich um.
Und es war Schnebli, als würde das magische Auge ihm spöttisch zuzwinkern?
Er ging (ebenfalls ohne seine Hände zu waschen) und erhielt vier Wochen später eine Busse von über 350 Franken: Geschwindigkeitsübertretung auf der Autobahn, 14 Kilometer vor dem Mövenpick?
Das magische Auge
Montag, 1. Juli 2013