Schenken

Innocent zeigte sich an jenem frühen Adventmorgen sehr vernünftig.
Erstens wählte er Eisenkrauttee statt des üblichen Espressos. Zweitens verzichtete er auf die Wurst zum Zopf. Und drittens tätschelte er meine alte, abgeschaffene Hand väterlich: «Dieses Jahr: KEINE GESCHENKE! Wir sind ja keine Kinder mehr...» BITTE WIE?
BITTE WAS?
Der Tag ist versaut!

Erschienen am: 
Montag, 5. Dezember 2005

Samstagabend

Walter lümmelt vor dem Fernseher. Bierdose in der linken Hand. Beide Beine auf dem Anstelltischchen. Um ihn herum sind fröhlich Erdnüsse verstreut. Die zerstreuten Erdnüsschen sind allerdings das Fröhlichste in der Stube. Das Fernsehprogramm ist mies wie immer. Und Ilses Laune dito:
«NIMM DIE BEINE VOM TISCH!»
Walter schaut gebannt auf den Bildschirm. Hier fiebert man einem absoluten Höhepunkt entgegen. GOTTSCHALK SOLL VOM 7-METER-BRETT SPRINGEN!

Erschienen am: 
Montag, 11. Oktober 2010

Rucksack-GAU

Es ist nun wirklich nicht der modische Tupfer, der die Dame zur Lady macht.
Im Gegenteil. Rucksäcke machen jeden zur Sau. Sie sind sozusagen der Zürcher Dialekt bei der eleganten Frau.

Erschienen am: 
Montag, 20. Juli 2009

Rote Zeichen

Die rauen Finger strichen über das kleine Stück Stoff.
Es war leicht angerissen. Rot. Ein Stück rote Vergangenheit.
Der Vater von Hans, ein überzeugter Kommunist, hatte ihm 1931 das Stoffabzeichen an den Pullover geheftet.
«HEUTE IST KAMPFTAG», hatte der Vater gesagt.
Und Hans war stolz? stolz, mit seinem Vater an der Seite für die grosse Sache in den Kampf marschieren zu können.

Erschienen am: 
Montag, 30. April 2012

Rote Rosen

Die Ehe war Durchschnitt. Eine Ehe, wie sie in den 50er-Jahren geführt wurde.
Er hat ihr stets Rosen geschenkt. Rote Rosen.
Denn er war ein einfaches Gemüt? und rote Rosen bedeuteten für ihn: ICH LIEBE DICH.
Worte hat er nie viele gemacht. War nicht sein Ding.
Er konnte stundenlang in seiner Partei über politische Veränderungen referieren. Stundenlang mit seinen Freunden herzlich lachen, Männerwitze zum Besten geben, Polterabende organisieren.

Erschienen am: 
Montag, 8. August 2011

Rosa Rosen

Hildi stierte auf die vergammelten Blumen.
Sie lampten in abgeschnittenen Plastikflaschen.
Ein Kerzenlicht flackerte gereizt im Wind.
Daneben stand ein vergilbtes Foto im schmutzigen Plastikrahmen.
ES WAR ERNA. ROSENERNA.
Jemand hatte mit braunen Klebstreifen eine Todesanzeige auf die Sitzbank im Parkhaus geklebt.
Auf dieser Sitzbank hatte Erna ihre Rosen angeboten. Gelbe. Weisse. Rote. Vor allem rote.

Erschienen am: 
Montag, 5. März 2012

Rodolfo und Pusteblume

Fritz war nervös. Seine Finger hielten verkrampft die gelbe Rose fest. GELBE ROSE? das war das Kennzeichen. Gelbe Rose hatte ihn schon zwei Mal gestochen. Der Zeigefinger blutete.
Für Fritz war es bereits das siebte Chat-Date. Er hatte «Pusteblume» auf «akademischepartnersuche.com» kennengelernt.

Erschienen am: 
Montag, 23. Mai 2011

Risotto

Als sich der nette Mann ans Klavier setzte, um mit seinem Bach loszulegen, durchflashte es mich wie ein Hexenschuss: «DU HAST DEN HERD NICHT ABGESCHALTET!» Na Bingo.
Kam so: Natürlich wollte ich zur Zofinger-Premiere. Deshalb Morgengeplänkel mit Innocent: «Ich gehe ans Conzärtli? kommst Du mit?» Er wirft mir einen derart entsetzten Blick zu, als hätte ich ihm eröffnet: Die UBS hat noch einige Abschreiber mehr im Köcher? «Ich bin weder ein Verbindungs- noch ein Fasnächtlertyp. Das solltest Du nach 40 Jahren langsam wissen.»

Erschienen am: 
Montag, 4. Februar 2008

Reisen

Reisen ist unbequem geworden.
Denn Reisen heisst: Geduld. GEDULD GROSSGESCHRIEBEN.
Also: GEDULD. Im Übrigen besteht eine Reise zu mindestens 30 Prozent aus Warten. Du wartest immer auf etwas: zuerst aufs Taxi. Dann darauf, dass die Rotlichter, welche diesen irren Verkehr in Ägyptens Metropole beruhigen sollen, endlich auf Grün schalten.

Erschienen am: 
Montag, 12. Oktober 2009

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